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Ein Kratten voll

Lauterbrunner Sagen


Gesammelt von Hans Michel

I.

An der linken Seite der grossen, blauen Zunge des Rottaigletschers oben beginnt das Kriegsmahd, eine lange, gleichmässig abschüssige Grashalde, die hin. unter reicht bis an das Ufer der Tschingellütschine. Beim ersten leichten Schneefall sieht man von Mürren aus noch heute deutlich, wie ein Zickzackweg in den Hang gekritzt ist. Ein paar hundert Fuss unterhalb des Dürlocherhorns geht er in den Guferhalden verloren.

Wenn man nur wüsste, wo das unter Geröll vergrabene Ende des Schhittweges ist, denn hier befindet sich eine mächtige, eiserne Truhe voll geschlagenes Gold vergraben, rundes und dreieckiges. Ein glattfelhiger, blütenreiner Schneehase verwahrt den Schlüssel dazu. Rieselt zur Vollmondzeit das Licht über die Grashänge, und kommen zur rechten Stunde



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gläubige Jungburschen des Tales den schlimm verwachsenen Weg herauf, so wartet ihrer dort, wo er sich in den Steinen verliert, der Schneehase. Den Schlüssel zur Truhe wird er im Maule tragen und wird ihnen voranhoppeln bis zu dem Ort am Ende des alten Weges, wo der Schatz seit Jahrhunderten vergraben liegt. Steigen sie das ganze Kriegsmahd hinauf, ohne eine Silbe miteinander zu worten, dann wird der weisse Hase ihnen den kostbaren Schlüssel überreichen, und Truhe und Gold sind in ihrer Hand.

Vor vielen Jahren fühlten sich drei zur Hebung des Schatzes berufen. Wortlos stiegen sie über Stock und Stein den seit langen Zeiten nie mehr besorgten Weg mühsam hinauf. Wo die Grasnarbe aufhörte, und das Geröll anfing, sass richtig unter einer der letzten Bergrosenstauden der Schneehase und trug im Maul den blitzblanken, silbernen Schlüssel. Jetzt - hopste er mitten vor sie - sprang langsam gradaus über die Steinhalde und bog unvermittelt in einem spitzen Kehr nach links. Der Hinterste sah es wohl klar. Die andern aber schienen nichts zu merken und trotteten geraden Weges weiter. Nun sprang der letzte nach vorn, hielt die andern an und deutete auf den Hasen, der zu linker Hand, schon beträchtlich höher, über das Gufer wackelte. Die beiden standen da, wie aus Teig gebacken, taten keinen Wank, sahen nichts und machten Miene, in der eingeschlagenen, falschen Richtung weiter zu trappen.

In Aerger und Aufregung vergass der Dritte das eherne Gebot der Schweigsamkeit und rief: "Ihr einfalten Trottel! — seht ihr denn nicht da oben auf



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der Egg im Hohlicht den Schneehasen springen? Den silbernen Schlüssel, den trägt er ja im Maul!"

Bald standen alle keuchenden Atems oben auf der zügigen Egg. Da sahen sie den Weissen gegen die Gletscherzunge zu verschwinden. Stunde um Stunde suchten sie das ganze Kriegsmahd ab, lockten und pfiffen; der schöne Schneehase mit dem Schlüssel liess sich aber nie und nimmer mehr sehen.


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