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Vo chlyne Lüte


ZWERGENSAGEN FEEN- UND FÄNGGENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NEU MITGETEILT VON C.ENGLERT-FAYE


MIT BILDERN VON BERTA TAPPOLET

TROXLER-VERLAG BERN


Die faule Spinnerin

Es war einmal eine Mutter. Die hatte eine einzige Tochter, und die war eben kein häßliches Mädchen, nein hübsch und fein von Leib und Antlitz. Aber arbeiten, nein, das tat sie nicht gern. Viel lieber saß sie müßig in der Stube und aß gute Sachen und schlief allmorgen in den Tag hinein, bis die Sonne hoch am Himmel stand. Und war sie endlich aus den Federn, so faulenzte sie weiter. Die Arbeit in Haus und Stall ließ sie die Mutter besorgen. Da aber die Mutter mit ihren müden Gliedern und zittrigen Fingern nickt mehr das Spinnrad treten und den Faden drehen konnte, so hieß sie die Tochter spinnen. Aber die rührte den Rocken nicht an, und am Abend war der Faden so lang als am Morgen. Eines Tages gebot ihr die Mutter wieder, wie so manchesmal, sich ans Spinnrad zu setzen. Das Mädchen tat's, trat aber nicht, und das Rad blieb still stehen. Da lief der guten Frau die Galle über. Handlich langte sie nach einem Stecken und schlug scheltend auf die träge Tochter ein, jagte sie zum Haus hinaus und lief noch ein Stück weit hinter ihr drein durch die Gasse und schrie in einem fort : «Ich will sie nicht mehr! Ich will sie nicht mehr! »

In eben diesem Augenblick kam ein vornehmer Herr am Hause vorüber gegangen und sah und hörte alles, und das weinende Mädchen tat ihm leid. «Was tut Ihr so wüst mit dem armen Ding! » rief er, «schämt Ihr Euch denn nicht, daß Ihr sie so schlagt und scheltet!» Das war der Mutter gar nicht recht, und schnell sprach sie zu dem Fremden: «Ach, mein lieber Herr, so sagt mir doch, was soll ich denn



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mit dem Mädchen machen? Nichts als spinnen will sie den lieben langen Tag, nichts als spinnen. Sieben Spindeln voll hat sie heut schon gesponnen. Und jetzt habe ich keinen Hanf mehr. Nein, einen Setzkopf hat das Kind, den kann keiner zurechtsetzen! »--Sprach der Herr: «Und darum straft Ihr sie so hart? Ich glaube schier, Ihr habt ein Rädlein zuviel im Kopf. Nein, gute Frau, wißt Ihr was, kann Eure Tochter so gut spinnen, dann gebt sie mir zur Frau. Eine fleißigere Frau finde ich ganz gewiß nicht auf der Welt, und Flachs und Hanf und Lein soll sie von mir bekommen, so viel ihr Herz begehrt und ihre Hände halten. Das laßt meine Sorge sein!» — Die Rede läßt sich hören, dachte die Mutter und war herzensfroh, daß ein so feiner Mann an der faulen Grete Gefallen fand, und mit tausend Freuden sagte sie Ja. Und das Mädchen, ja, das war froh, daß es von der Mutter fortkomme in ein Haus, wo es nicht mehr arbeiten müsse. Also ward die Hochzeit gefeiert, und der fremde Herr führte seine junge Frau nach Hause.



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Andern Tags schon kaufte der Mann einen großen Haufen Flachs, eine ganze Kammer voll, und sprach: «Höre, Frau, morgen gehe ich für drei Tage in die Berge auf die Jagd. Du dreh derweil nach Herzenslust dein Rad, und wenn ich Samstag abend wieder komme, muß all dieser Hanf fix und fertig zu Faden versponnen sein!» Die Frau machte ein Gesicht, als tränke sie aus einer Essiggiitter, und sprach: «Ach Gott, lieber Mann, aber ich kann doch gar nicht spinnen!» Da aber ward der Mann zornig: «Was muß ich hören!» rief er, «meinst du, ich habe dich zur Frau genommen, daß du in der Stube auf dem Stuhl hockst und den lieben langen Tag die Hände in den Schoß legst? Vorwärts jetzt, gleich ans Werk!» Und damit war er zur Tür hinaus und fort.

«Oh weh mir Armen, was soll ich nur machen?» dachte die junge Frau. «Warum habe ich meiner Mutter nicht gefolgt und fleißig gesponnen!» Und die Tränen rannen ihr über das Gesicht herab wie ein Bächlein. Denn hätten auch hundert Mägde Tag und Nacht gesponnen, den Haufen Flachs hätten sie in drei Tagen nicht bewältigt. Ratlos stand sie vor ihrem Rocken zu und rang die Hände. Plötzlich hörte sie von draußen auf der Gasse eine schrille Stimme, die rief:

«Holla holla ho
Holla holla ho!
Der Spinn-Spann-Spunn isch do!
Mys Rädli spinnt,
Mys Häspeli windt.
Tüend uf das Lädli!
J spinn Eu s Fädli,
Gschwind wie der Wind,
Ihr schöne Chind!
Houa houa ho!
Der Spinn-Spann-Spunn isch do!»



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Flugs schaute die faule Frau zum Fensterhinaus. Da sah sie bei einem Karren zu ein kleines Männlein stehn, in einem zündfeuerroten Gewändlein, ein spitzes Mützlein auf dem Kopf. Gleich winkte sie den seltsamen Gesellen herauf in die Küche, und tipp tapp -schlurpte und schlarpte der Wicht die Treppe herauf. Sie zeigte ihm die Kammer voll Flachs: «Du, dieser Haufen da sollte bis Samstag abend fix und fertig zu Faden versponnen sein!» —«Ei», antwortete das Männlein, «das ist keine Sache für unsereinen. Ich kann Euch den Faden noch vor Samstag fix und fertig gesponnen bringen. Ein Fädlein so fein, so fein, wie keines sonst unter der Sonne gesponnen wird.» — «Ja, aber was verlangst du dafür?» fragte die Frau. «Nichts, gar nichts will ich dafür. Ihr müßt mir nur, wenn ich den Faden bringe, unter dreien Malen meinen Namen nennen. Erratet Ihr ihn nicht, so trag ich Euch samt dem Faden davon!» — Kommt Zeit, kommt Rat, dachte die Frau, wenn nur der Flachs Faden wird, ehe mein Mann heimkommt, und sagte ja. Da räumte das Männlein im Handkehrum die ganze Kammer aus, daß von dem Flachs auch nicht ein Fädchen übrig blieb. Und sieben Säcke lud es auf seinen Karren, und wie der Blitz war es davongefahren.

Kaum war das Männlein fort, da fiel es der Frau bleischwer aufs Herz, so daß ihr die Knie zitterten vor Angst. Wie sollte sie auch den Namen des sonderbaren Spinners erraten? Wer in aller Welt mochte ihn kennen? «Ach Gott, was wird aus mir werden», dachte sie, «wenn ich den rechten Namen nicht weiß? Und was wird mein Mann sagen, wenn er heimkommt und das Haus leer findet?» Und sie sann und satin und sann, und je länger sie so sann, desto hänger ward es ihr zu Mute.

Und wie sie so dasaß und sann, so war es unversehens Abend geworden, und draußen dämmerte es. «Nein», dachte sie, «ich will doch nach der Lampe sehen!» Aber da war der Docht trocken, und als sie



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01 nachschütten wollte, da war die Flasche leer. Sie nahm also einen Sack voll Baumnüsse auf die Achsel und brachte sie in die Öle. Die lag zuhinterst hinten im Tale an einem Wildbach, dessen Wasser das Mühlwerk trieb. Als sie hinkam, war es bereits allerwegen dunkle Nacht. Da erblickte sie aufsmal von ferne einen hellen Feuerschein. In der Kluft brannte ein flammender Holzstoß, davon der Glast stand. Darum herum hockte im Kreise eine Schar uralter, verhutzelter Weiblein mit silbernen Spindeln und spannen und spannen, daß die Rädlein nur so surrten und schnurrten - rrr-rrr-rrr -fast gar wie ein Sägewerk. Vor der Lohe aber schwanzte und tanzte ein kleines Männlein in einem zündfeuerroten Gewändlein, ein spitziges Mützlein auf dem Kopf, und sprang und sang in einem fort:

«Holla houa ho!
Der Spinn-Spann-Spunn isch do!
Wien i recht heiß,
Niemer rut weiß.
Heiß, wie der Ätti tuet:
Hans mit em spitzige Huet.
Juheia Iuhei!
Morn hol i sie hei,
Die fuli Frau
Mueß spinnen au!
Houa holla ho!
Der Spinn-Spann-Spunn isch do!»

Als die Frau das hörte, da sprang sie vor Freude hoch auf, daß ihre Schürze flog, und wie ein Zicklein hüpfte und müpfte sie den ganzen Weg bis heim.

Am andern Tag kam das rote Männlein mit seinem Karren wieder zum Hause der Frau und rief:



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«Houa houa ho!
Der Spinn-Spann-Spunn isch do!
Mys Rädli spinnt,
Mys Häspeli windt,
Tüend tif das Lädli!
J spinn Eu s Fädli,
Gschwind wie der Wind,
Ihr schöne Chind!
Houa houa ho!
Der Spinn-Spann-Spunn isch do!

Dann lud er ab und trug die Fadenbündel -tipp tapp -die Treppe hinauf in die Stube. «Also gute Frau », sprach er höhnisch und legte die Bündel auf den Tisch, «da ist der Flachs, alles fix und fertig zu Faden versponnen, ein Fädlein so fein, so fein, wie keines sonst unter der Sonne versponnen wird! Aber nun, sagt mir auch meinen Namen in dreien Malen!» Und wie er das sagte, grinste und blinzte er, und trat von einem Fuß auf den andern. Die Frau aber tat ganz erschrocken und machte ein Gesicht, als besänne sie sich. Dann sagte sie: «Heißest du etwa Churri-Murri.» — «Nein, nein», rief das Männlein, «eins vorbei!» —«Ja so heißest du vielleicht Gicki-Gäcki », sprach die Frau. «Nein, nein », rief das Männlein, «zwei vorbei! » —«Ja dann», sprach die Frau, «dann heißest du sicherlich Hans mit em spitzige Huet.» «Ohu, ohu!» schrie das Männlein, so schrill, daß es einem in den Ohren gellte, und juckte auf bis gar schier an die Decke, als hätt's die Viper gestochen, knirschte vor Grimm mit den Zähnen, bleckte und belferte wie ein böser Köter. Und plötzlich fuhr es durchs Rauchloch auf und fort in die Luft, daß es im ganzen Hause tutete und chutete, als wäre Sturm. Die Frau aber legte die Fadenbündel sorglich in den Kasten und wartete auf ihren Mann. Am Samstag lief sie auf die



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Wiese und sammelte leere Schneckenhäuslein, große und kleine, und band sie sich auf den Rücken unters Umtuch. Als nun der Mann abends nach Hause kam und seine Frau umarmte, da machte es krick krack, krick krack. «Was macht und kracht denn so an dir?» fragte er verwundert. «Ach Gott, lieber Mann, das kommt vom vielen Spinnen. Davon sind mir alle Knochen im Leibe zerbrochen. Vom vielen Spinnen, lieber Mann.» — «Nein, nein, ums Hirnmelswillen, Frau, du darfst mir nie mehr spinnen. Ich will lieber eine heile Frau und zerschlissene Laken, als ganze Laken und eine Frau mit zerbrochenen Knochen», sagte der Mann und schmiß die Spindel ins Feuer.

Und fortan hatte die faule Frau das gemächlichste Leben, und wenn sie nicht gestorben ist, so faulenzt sie am End noch heute.


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