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VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

II. BAND

DAS UNGEHEUERLICHE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA


9. Der Drachenkampf (2. Form)

Ein Mann heiratete eine Frau. Die gebar einen Sohn, den nannte er Ali Eines Tages starb die Mutter dieses Ali da heiratete der Mann eine Witwe, die brachte einen Sohn mit in die Ehe, der hieß auch Ali und der zweite Ali war dem ersten Ali zudem noch so ähnlich, daß die Mutter ihren rechten Sohn von ihrem Stiefsohn nicht zu unterscheiden wußte und beide Aus ständig miteinander verwechselte.

Da sie nun ihren Sohn nicht unter den beiden Aus herausfinden konnte, ging sie zu einem alten Mann und sagte: "Mein Stiefsohn und mein rechter Sohn heißen beide Ali Sie sehen einander so ähnlich, daß ich sie nicht mehr voneinander unterscheiden kann. Wie kann ich es nun anfangen, daß ich meinen eigenen Ali vom Stiefali unterscheide?" Der alte Mann sagte: "Nimm einen kleinen Topf mit Blut. Laß dich irgendwo in der Nähe, aber außer Sicht der beiden Ali hinfallen, spritze das Blut um dich und schreie laut: ,Mein Sohn Ali Mein Sohn Ali Ein Ochse hat mich angerannt und verwundet!' Sofort wird einer der beiden Aus schneller als der andere All herzuspringen. Das ist dann dein Ali der aber, der hinterher kommt, das ist der Stiefali." Die Mutter bedankte sich für den Rat und ging nach Hause.

Daheim füllte sie einen Topf mit Blut, ließ sich bei der ersten Gelegenheit, als die beiden Brüder in der Nähe waren, hinfallen, spritzte das Blut um sich und schrie: "Mein Sohn Ali Mein Sohn



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Ali Ein Ochse hat mich angerannt und verwundet!" Sogleich lief der rechte Sohn Ali herbei, während der andere langsamer hinterher kam. Da merkte sie sich den rechten Ali und verlor ihn von dem Tage an nicht mehr aus dem Gedächtnis.

Von nun an unterschied die Frau die beiden Ali sehr sorgfältig. Dem eigenen Ali gab sie stets die beste Speise, dem anderen allerhand Abfälle. Der eigene Ali wurde mit allen leichten Arbeiten betraut, der Stiefali mit allen schwierigen. Je älter die Burschen wurden, desto besser wurde das Essen des rechten Ali und desto magerer das des Stiefali. Eines Tages nun, nachdem der Stiefali während einer Woche so gut wie nichts zu essen, desto mehr dafür aber zu arbeiten bekommen hatte, sagte er zu seinem Bruder: "Mein Bruder Ali so wie es mir jetzt geht, kann das nicht weiter bleiben. Sieh selbst, was ich zu essen bekomme und sieh selbst, was ich arbeiten muß. Und das wird so immer schlimmer, immer schlimmer werden, bis ich eines Tages wie ein alter verbrauchter Esel tot am Wege liegen werde." Der rechte Ali weinte fast vor Trauer und sagte: "Mein Bruder Ali was soll ich dabei tun? Sage mir, was ich tun kann! Soll ich meine Mutter töten?"

Der Stiefahi beruhigte den rechten Ali und sagte: "Nein, mein Bruder, du sollst nichts Schlimmes und nichts wider die Natur Gerichtetes tun. Du sollst die gute Pflege deiner Mutter in Ruhe weitergenießen. Ich aber will in die Ferne ziehen, weit fort, will mir selbst eine Stätte suchen, wo ich mich nach meinen Bedürfnissen einrichte. Ehe ich nun aber fortziehe, will ich zwei Orangenbäumchen pflanzen, eines für dich, eines für mich. Beobachte mein Bäumchen. Solange es mir gut geht, wird das Bäumchen grünen und frisch aussehen. Wenn das Bäumchen aber eines Tages welkt und die Blätter hängen läßt, dann, mein Bruder Ali geht es mir schlecht, dann sieh zu, ob du irgend etwas tun kannst, um mir zu helfen." Damit nahm der Stiefali vom rechten Ali Abschied und zog von dannen.

Auf der Wanderschaft traf der Stiefali eines Tages Schäfer, die ihre Hammelherden mit großer Mühe hüteten. Es lebte nämlich in der Gegend eine große und sehr starke Löwin, die brach jede Nacht in den Stall ein, schlug einige Hammel und schleppte ein Tier von dannen. Das erzählten die Hirten dem Ali und sie fragten ihn, ob er ihnen vielleicht einen Rat geben könne, wie sie sich von dieser Plage befreien könnten. Ali dachte über die Sache nach und



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sagte dann zu den Hirten: "Was gebt ihr mir, wenn ich euch die Löwin töte und euch so die schwere Last nehme." Die Schäfer sagten: "Wir geben dir, wenn dir dies gelingt, täglich den Hammel, den sonst die Löwin mit weggeschleppt hat." Damit war Ali zufrieden. Er legte sich nachts in das Gebüsch, und als die Löwin in die Hürde einbrechen wollte, fiel er über sie her und tötete sie mit einem Säbeistreiche. Er zog ihr die Haut ab und zeigte sie den Hirten. Die Schäfer waren sehr erfreut und dankten ihm. Sie schenkten Ali einen Teil der Herde. Ali sagte aber: "Hütet mir die Herde noch, ich bitte euch darum. Ich will noch weiter wandern, und bis ich zurückkomme, hütet meine Schafe mit den anderen." Die Schäfer waren einverstanden, und der Stiefali zog mit der Löwenhaut weiter.

Nachdem Ali einige Tage lang gewandert war, kam er an eine Stelle, an der die Hirten eine große Ochsenherde weideten. Die Hirten lebten aber in ständiger Furcht; denn in der Gegend hauste ein mächtiger Eber, der fuhr jeden Abend in die Ochsenherde und schlitzte mit seinen Hauern einem Ochsen den Bauch auf. Die Hirten verloren aber derart nicht nur viel Vieh, sondern sie fürchteten auch stets, selbst zerrissen zu werden. Sie klagten also Ali als er mit seiner Löwenhaut zu ihnen kam, ihr Leid und fragten ihn, ob er ihnen einen Rat geben könne. Ali dachte eine Weile über die Sache nach und sagte dann: "Was gebt ihr mir, wenn ich euch von der Plage befreie und den Eber töte?" Die Hirten sagten: "Wir schenken dir einen Ochsen." Der Stiefali sagte: "Es ist gut." Er verbarg sich also abends im Gebüsch neben der Fährte des Ebers und wartete. Richtig kam nach einiger Zeit das ungeheure Tier, und Ali stürzte mit dem Säbel auf ihn und schlitzte ihm mit einem Hiebe den Bauch auf. Danach zog er dem Eber das Fell ab und ging in das Lager. Am andern Morgen zeigte er den Hirten das Fell. Die Hirten waren sehr erfreut, dankten ihm und schenkten ihm einen starken Ochsen. Ali sagte: "Ich bitte euch, treibt den Ochsen noch einige Zeit in eurer Herde weiter. Ich selbst will nämlich noch ein wenig weiterwandern und werde mir meinen Ochsen erst dann, wenn ich zurückgekommen sein werde, ausbitten." Die Hirten versprachen Ali ihm den Ochsen hüten zu wollen, und Ali zog mit dem Löwenfell und der Eberhaut weiter.

Ali kam in die Gegend einer Stadt, bei der eine Quelle war, die aber von einer riesigen Schlange gehütet wurde. Diese Schlange gewährte den Einwohnern der Stadt nur das allernotwendigste Wasser



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und auch dies nur unter der Bedingung, daß ihm jeden Tag ein junges Mädchen eine große Schale mit Kuskus mit einem Stück Fleisch darauf brachte. Wenn nun der Kuskus und das Fleisch der Schlange nicht genügten, so pflegte die Schlange das überbringende Mädchen mit zu verschlingen. Bei diesem Speisebringen lösten sich aber die Mädchen der Stadt untereinander ab.

Ali kam an die Quelle. Er wollte trinken, da kam gerade das Mädchen, das an diesem Tage die Aufgabe hatte, der Schlange das Essen zu bringen. Es war aber dies die Tochter des Landesfürsten (Sultan). Ali hatte großen Hunger. Er bat das Mädchen und sagte: "Gib mir von dem Kuskus ab." Die Fürstentochter antwortete: "Du bist ein Fremder und weißt deshalb nicht, was es mit diesem Kuskus für eine Bewandtnis hat. In dieser Quelle lebt eine riesige Schlange, und jeden Tag muß eine von uns Mädchen der Stadt dem Tiere eine solche Schale voll Kuskus und Fleisch darauf geben, damit die Schlange der Stadt das notwendigste Wasser abgibt. Genügt der Kuskus und das Fleisch der Schlange nicht, so verschlingt die Schlange die Überbringerin. Du siehst also, daß ich in noch größere Lebensgefahr, als ich jetzt schon zu erdulden habe, kommen würde, wenn ich dir von der Speise abgeben würde." Ali hörte aufmerksam zu, überlegte und warf dann sein Löwenfell und die Haut des Ebers hin.

Ali sagte: "Überlaß mir getrost den Kuskus. Es genügt, wenn wir der Schlange das Fleisch geben. Ich kann dir versprechen, daß wir die Schlange nicht zu fürchten haben werden. Ich habe die Löwin besiegt, ich habe den Eber überwunden, ich werde auch die Schlange töten, und dann seid ihr in der Stadt die Plage mit einem Male los." Das Mädchen weinte vor Angst; es gab aber dem Drängen Aus nach. Ali aß den ganzen Kuskus auf und sagte: "Ich bin vom Wandern etwas müde. Setze dich hierher, dicht an die Quelle, ich will meinen Kopf auf deinen Schoß legen und schlafen. Desto stärker bin ich dann für den Kampf mit der Schlange. Wecke du mich nur, wenn die Schlange kommt." Die Tochter des Fürsten setzte sich hin. Ali legte den Kopf in ihren Schoß und schlief sogleich ein.

Ali schlief schon einige Zeit, da erhob die Schlange ihr Haupt aus der Quelle, ängstlich schreckte die Tochter des Fürsten zurück. Sie mochte aber Ali nicht wecken. Ihre Angst schwoll. Es traten ihr Tränen in die Augen. Eine große Träne fiel auf Aus Stirn. Ali erwachte und erhob den Kopf. Ali sah die Schlange. Ali sprang auf,



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ergriff seinen Säbel, schlug und traf die Schlange, so daß sie jäh zurückschreckte. Die Schlange sagte: "Du hast mich nicht getroffen." Ali sagte: "Es war auch nicht mein rechter Hieb." Ali schlug wieder und traf wieder die Schlange, so daß diese jäh zurückschreckte. Die Schlange sagte aber wieder: "Du hast mich nicht getroffen," worauf Ali entgegnete: "Es war auch nicht mein rechter Hieb." Das wiederholte sich sechsmal. Als Ali die Schlange das siebente Mal schlug, nahm er alle Kraft zusammen, und er traf die Schlange hart, so daß sie niedersank und sagte: "Jetzt hast du mich getroffen," worauf Ali entgegnete: "Das war auch mein rechter Hieb."

Die Schlange starb. Sowie sie gestorben war, begann das Wasser der Quelle stark zu rinnen, immer stärker und zuletzt als Fluß dahinzufließen. Ali blickte auf das Wasser und ging ihm ein Stück weit nach. Er hatte aber seine Schuhe stehen gelassen. Als er sich abwendete, ergriff die Tochter des Fürsten schnell einen der Schuhe und schob ihn unter ihr Gewand. Dann nahm sie die leere Kuskusschale und eilte der Stadt zu. Ali kam zurück. Das Mädchen war fort. Er suchte seine Schuhe, fand aber nur noch einen. Er steckte ihn ein, hing das Löwenfell und die Eberdecke um, ging auch in die Stadt und suchte das Haus eines Kaffeewirtes auf, bei dem er blieb.

Das Mädchen kam nach Hause. Der Fürst sah erstaunt, daß seine Tochter schon zurückgekehrt war. Er herrschte sie an und sagte: "Wie kommt es, daß du schon heim kommst, ehe es noch Abend ist, ehe du also deine Aufgabe ganz erfüllt hast? Bist du etwa aus Furcht entflohen?" Die Tochter des Fürsten sagte: "Glaube nicht so etwas von deiner Tochter. Ich wäre bei der Schlange bis zur Beendigung des Mahles und bis zum Abend geblieben und wenn sie mich verschlungen hätte. Die große Schlange, die uns das Wasser hemmt und die Mädchenspeisung fordert, ist aber soeben getötet worden!" Der Fürst erstaunte und sagte: "Was, die Schlange ist getötet worden? Wer hat dies vermocht?" Die Tochter sagte: "Das tat ein Mann, der mit einem Löwenfell und einer Eberhaut des Weges kam. Wenn du dich von der Wahrheit dessen, was ich sage, überzeugen willst, so geh auf das Dach des Hauses und sieh nach der Seite der Quelle. Du wirst sehen, sie fließt jetzt, wo die Schlange getötet ist, wie ein Fluß an der Stadt vorüber. Und wenn du den, der die Schlange getötet hat, erkennen willst, so nimm diesen Schuh, den ich ihm heimlich entwendet habe.



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Nur der kann der Besieger der Schlange sein, der den zweiten gleichen Schuh vorweist."

Darüber war der Fürst sehr erfreut. Am andern Morgen rief er alle Männer der Stadt zusammen und sagte: "Die Schlange ist getötet. Wir sind von unserer großen Plage befreit. Ich will den, der das getan hat, belohnen und frage euch deshalb, ob irgendeiner den kennt, der uns dies Gute angetan hat." Nun war es keiner unter den Anwesenden. Sie fragten lange untereinander herum, fanden es aber nicht heraus. Endlich sagte der Wirt des Kaffeehauses: "Bei mir ist gestern ein Fremder angekommen, der sehr ermüdet war. Er legte sich sogleich zum Schlafe nieder und ist bis heute morgen nicht aufgewacht. Vielleicht weiß dieser Fremde etwas von der Sache." Der Fürst sagte: "Gehe hin und rufe ihn."

Ali kam. Ali trat vor den Fürsten. Der Fürst fragte ihn: "Hast du einen Schuh bei dir?" Ali zog den Schuh aus der Tasche und stellte ihn vor den Fürsten hin. Der Fürst stellte den Schuh, den seine Tochter ihm gebracht hatte, daneben. Beide Schuhe waren ein zusammengehöriges Paar. Der Fürst sagte: "Hast du die große Schlange getötet?" Ali sagte: "Ja, ich habe die große Schlange getötet." Der Fürst sagte: "Du hast die ganze Stadt von einem großen Schrecken befreit. Ich danke dir. Ich will dir meine Tochter zur Frau geben."

Ali heiratete die Tochter des Fürsten. Der Fürst wies ihm ein großes Haus an. Ali wohnte einige Zeit als glücklicher und allgemein geachteter Mann bei dem Fürsten.

Der Fürst schenkte Ali ein Pferd und Hunde. Ali ritt also oftmals auf die Jagd. Eines Tages war er auch auf der Jagd im Walde und kam viel tiefer in den Wald hinein als sonst. Er verirrte sich. Am Abend kam er an ein Haus. Er klopfte. Da öffnete eine Frau, die sah bestürzt auf Ali und sagte: "Schnell eile hinweg und reite, so schnell du kannst, denn in diesem Hause wohnt ein Wuarssen als mein Gatte mit seinen Kindern. Und dieser Wuarssen tötet und verschlingt jeden Menschen, der ihm in den Weg kommt." Ali sagte: "Ich habe nicht die Gewohnheit zu fliehen. Laß mich nur ruhig in das Haus eintreten!" Als die Frau sah, daß sie Ali nicht zur Flucht überreden konnte, sagte sie: "So merke dir wenigstens eines: Mein Mann, der Wuarssen, wird dich, wenn er nach Hause kommt und dich hier trifft, sicherlich zum Essen einladen und nach dem Essen zum Kampfe herausfordern. Er wird dir die Wahl zwischen einem



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Säbel mit einem goldenen Griff und einem Säbel mit einem hölzernen Griff lassen. Nimm den Säbel mit hölzernem Griff und schlag ihn damit über den Kopf. Schlage aber nur einmal und ja nicht öfter und vergiß nichts von all dem, was ich dir jetzt geraten habe." Ali versprach es.

Nach einiger Zeit kam der Wuarssen nach Hause. Als er Ali sah, lachte er über das ganze Gesicht und sagte: "Ich freue mich, dich bei mir zu sehen und bitte dich, mit mir zu essen!" Ali aß also mit dem Wuarssen. Nach dem Essen sagte der Wuarssen: "Wir haben eine alte Sitte; wir pflegen nämlich nach dem Essen mit denen, die mit uns gegessen haben, zu fechten. Hier habe ich nun zwei Säbel. Wähle einen für dich. Ich nehme den andern für mich. Mit den beiden Säbeln werden wir kämpfen." Der Wuarssen legte damit zwei Säbel hin, von denen der eine einen goldenen, der andere einen hölzernen Griff hatte. Ali betrachtete die Säbel und ergriff dann den mit dem hölzernen Griff. Der Wuarssen sagte: "Weshalb nimmst du den Säbel mit dem hölzernen Griff, nimm doch den mit dem goldenen Griff, er ist viel schöner." Ali sagte: "Der Säbel mit dem hölzernen Griff sagt mir mehr zu." Der Wuarssen sagte: "Nimm doch den anderen!" Ali sagte: "Ich habe gewählt." Der Wuarssen sagte: "So nimm den schöneren Säbel, denn du bist der Schönere von uns beiden." Ali sagte: "Ich habe gewählt. Komm!"

Der Wuarssen begann mit Ali zu fechten. Ali schlug mit dem Säbel den Wuarssen quer über den Kopf. Der Wuarssen sagte: "Schlage noch einmal!" Ali tat es nicht. Der Wuarssen sagte: "Schlage noch einmal!" Ali tat es nicht. Der Wuarssen sagte: "Schlage noch einmal!" Ali tat es nicht. Da fiel der Wuarssen zu Boden und starb. Ali aber ging dahin, wo die sieben jungen Wuarssen waren und erwürgte sie.

Ali blieb einige Zeit im Walde und wohnte im Hause des Wuarssen. Eines Tages war er wieder im Walde auf der Jagd und zündete sich ein Feuer an. Da näherte sich eine Schlange und sagte bittend: "Erlaube mir, daß ich mich an deinem Feuer erwärme!" Ali sagte: "Komm heran und wärme dich!" Die Schlange sagte: "Ich fürchte mich vor deinen Hunden und deinem Pferd. Ich bitte dich, binde sie an." Ali stand auf und band das Pferd und die Hunde an. Die Schlange kam. Sie wand sich um Ali und verschlang ihn..



***
Seitdem der Stiefali das Haus seiner Mutter verlassen und sich auf die Wanderschaft begeben hatte, schaute sein Bruder alle Tage nach



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dem Orangenbäumchen, welches sein Stiefbruder vor seinem Abschiede gepflanzt hatte. Eines Morgens sah er, daß die Blätter herunterhingen und daß das Bäumchen verwelkt war. Der rechte Ali ging sogleich zu seiner Mutter und sagte: "Meine Mutter, mein Bruder Ali ist entweder gestorben oder es geht ihm schlecht. Ich schwöre dir bei Gott, daß ich mich sogleich aufmachen muß, nach ihm zu sehen. Versuche also nicht, mich aufzuhalten." Die Mutter sah, daß sie keinen Widerstand leisten konnte. Sie bereitete ihm Nahrung für den Weg. Ali sattelte sein Pferd, packte es, rief seine Hunde herbei, nahm von seiner Mutter Abschied und ritt von dannen.

Nach einiger Zeit kam der rechte Ali bei einigen Hirten vorbei, die eine große Schafherde hüteten. Als die den rechten Ali sahen, meinten sie, er sei jener Stiefali, der die Löwin getötet hatte, und sie riefen ihm ihren Gruß zu und sagten: "Ali, nimm deine Schafe mit." Der rechte Ali dankte für den Gruß und sagte: "Behaltet die Schafe noch ein wenig, ich komme sehr bald wieder vorüber und werde sie dann mitnehmen." Der rechte Ali ritt weiter und sagte für sich: "Ich sehe, ich bin auf dem Wege meines Bruders."

Wieder einige Zeit später kam der rechte Ali bei einigen Hirten vorbei, die eine große Rinderherde hüteten. Als die den rechten Ali sahen, meinten sie, es sei jener Stiefali, der den Eber getötet hatte, und sie grüßten ihn und riefen: "Ah, nimm deinen Ochsen mit." Der rechte Ali dankte für den Gruß und sagte: "Behaltet meinen Ochsen noch ein wenig, ich komme sehr bald wieder vorüber und werde meinen Ochsen dann mitnehmen." Der rechte Ali ritt weiter und sagte für sich: "Ich sehe also, daß ich immer noch auf dem Wege bin, auf dem mein Bruder fortgeritten ist."

Nach einiger Zeit kam der rechte Ali in die Stadt, in der sein Stiefbruder die Schlange getötet hatte, die das Quellwasser bis dahin zurückgehalten hatte und durch die Mädchen der Stadt täglich mit Kuskus und Fleisch hatte gefüttert werden müssen. Als der rechte Ali durch die Tore einritt, sahen ihn einige Männer, und sie stürzten auf ihn zu und küßten ihm die Hände und grüßten ihn und sagten: "Du, Ali der du die Stadt von ihrem großen Unglück befreit hast, wir grüßen dich! Warum bliebst du so lange auf der Jagd? Wir hatten schon Sorge, du würdest nicht wiederkommen. Bleibe nicht wieder solange fort." Dann küßten die Leute ihn wieder. Und wo nun der rechte Ali durch die Straßen kam, begrüßten Männer und Frauen ihn auf die gleiche Weise. Viele aber sagten: "Reite nur



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gleich zum Fürsten, denn er hat große Sorge um dich." So drängten sie ihn zum Fürsten.

Ali kam zum Fürsten. Der Fürst kam dem rechten Ali entgegen und umarmte und küßte ihn. Der Fürst sagte: "Mein Sohn Ali sei sehr beglückwünscht zu deiner Rückkehr. Warum bliebst du solange auf der Jagd! Wir alle und deine Frau nicht zum wenigsten haben uns viel Sorge gemacht über dein langes Fernbleiben. Nun iß erst mit mir und ruhe dich ein wenig aus. Nach dem Abendessen magst du dann zu meiner Tochter, deiner Frau, hinübergehen." Der rechte Ali sagte bei sich: "Was hat mein Bruder alles vollbracht!" — Der rechte Ali blieb aber lange bei dem Fürsten, und erst nach dem Abendessen konnte er ihn verlassen und in das Haus und zur Frau seines Bruders hinübergehen.

Der rechte Ali verließ den Fürsten. Der rechte Ali ging hinüber in das Haus, das der Fürst dem Stiefahi errichtet hatte. Der rechte Ali betrat das Haus und trat in das Zimmer der Frau des Stiefahi. Die Frau des Stiefahi kam ihm entgegen. Die Frau des Stiefali kam ihm entgegen, um ihn zu begrüßen. Die Frau sah ihn und trat zurück. Die Frau fragte: "Wer bist du?" Der rechte Ali sagte: "Ich bin Ali der Stiefbruder jenes Ali der dein Gatte ist. Ich habe wahrgenommen, daß meinem Bruder etwas zugestoßen sein müsse. Deshalb habe ich mich auf den Weg gemacht, ihn zu suchen. Dich aber bitte ich, mir alles zu sagen, was du über den Zweck und die Richtung des Rittes weißt, zu dem er zuletzt auszog und von dem er nicht wieder zurückgekehrt ist." Die Frau dankte Ali und sagte ihm alles, was sie vom letzten Jagdritt seines Stiefbruders wußte.

Am andern Tage machte sich der rechte Ali zu Pferde mit seinen Hunden auf den Weg. Die Leute, die ihm begegneten, sagten: "Ali, warum reitest du schon wieder fort!" Ali sagte: "Es ist etwas im Walde geblieben, das muß ich holen." Ali ritt in der Richtung auf den Wald zu. Der rechte Ali kam in den Wald und ritt lange im Walde dahin.

Abends begann es zu regnen. Der rechte Ali stieg vom Pferde und begann ein Feuer zu entzünden. Nach einiger Zeit kam die große Schlange aus dem Busch und sagte bittend: "Du hast ein warmes Feuer. Ich aber friere bei dem Regen. Ich bitte dich, erlaube mir, daß ich zu dem Feuer komme und mich wärme." Ali sagte: "So komm her und wärme dich!" Die Schlange sagte: "Ich fürchte mich vor dem Pferd und vor den Hunden. Ich bitte dich,



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binde sie an, damit ich ohne Furcht zu dem Feuer kommen kann." Der rechte Ali überlegte die Sache; dann ging er hin und schlang den Zügel des Pferdes um einen Ast, aber so locker, daß es sich leicht losreißen konnte. Er band die Hunde an Sträucher, die aber dünn waren und leicht abbrechen konnten." Der rechte Ali sagte: "Ich habe deinen Wunsch erfüllt. Nun komm und erwärme dich am Feuer!"

Die große Schlange kam heran an das Feuer. Sie glaubte, das Pferd und die Hunde seien fest angebunden. Am Feuer angelangt, wollte sie sich auf Ali stürzen und ihn verschlingen. Der rechte Ali rief sein Pferd und seine Hunde. Das Pferd und die Hunde kamen herbei. Das Pferd sprang der großen Schlange mit den Füßen auf den Kopf. Die Hunde packten die große Schlange am Schwanz. Der rechte Ali ergriff sein Schwert und schlitzte der großen Schlange den Leib auf. Die große Schlange starb. Der rechte Ali sah aber, daß im Bauche der Schlange der Stiefali lag. Der Stiefali war tot. Der rechte Ali nahm seinen Bruder heraus und weinte.

Am andern Tage saß der rechte Ali noch immer vor seinem Bruder und weinte. Er hörte im Gebüsch ein Geräusch und schaute auf. Er sah, wie zwei Eidechsen miteinander kämpften. Eine der Eidechsen schlug die andere (mit dem Schwanze) aber so, daß sie eine schwere Wunde erlitt und starb. Kaum war die eine Eidechse tot, so lief die andere hin zu einer Pflanze, riß ein Blatt ab, trug es dahin, wo die Getötete lag und legte es auf die Wunde. Darauf lebte die tote Eidechse wieder auf. Der rechte Ali sah das alles. Der rechte Ali fragte die Eidechse: "Du hast soeben die andere Eidechse getötet und dann wieder lebendig gemacht. Sieh, hier liegt mein Bruder Ali der wurde von der großen Schlange verschlungen und starb. Kannst du, die du die andere getötete Eidechse wieder lebendig gemacht hast, mir vielleicht einen Rat geben, wie ich meinen von der Schlange verschlungenen und getöteten Bruder wieder lebendig machen kann?"

Die Eidechse sagte: "Dein Bruder Ali ist nicht nur einfach getötet und verschlungen, sondern er ist von der Schlange vergiftet worden. Wäre er nur getötet durch Verschlingen oder durch eine Wunde, so könnte er durch Auflegen von Blättern jener Pflanze wieder lebendig gemacht werden. So aber müßte das Gift entfernt werden, und das geht nur so, daß die Kinder einer Löwin ihm das Gift ablecken. Wenn das geschehen ist und du dann die Blätter auflegst, so wird dein Bruder Ali wieder zum Leben erwachen." Nachdem



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die Eidechse das gesagt hatte, lief sie mit der anderen von dannen.

Ali bestieg sein Pferd. Er ritt aus dem Walde heraus und noch weiter, bis er auf Hirten stieß, die Rinder weideten. Ali kaufte ihnen ein Rind ab. Dann fragte er die Hirten: "Wißt ihr vielleicht, wo hier in der Gegend eine Löwin haust, die Junge hat?" Die Hirten sagten: "Reite zurück in der Richtung auf den Wald, aus dem du gekommen bist. Am Rande des Waldes haust eine Löwin." Ali bedankte sich und ritt zurück.

Sobald er die Spur der Löwin gefunden hatte, band er das Rind an und hielt sich in der Nähe. Als es Nacht war, kam die Löwin mit ihren Jungen und wollte sich auf das angebundene Rind stürzen, um es zu zerreißen. Ali sprengte sogleich herzu und sagte: "Laß das Rind oder ich töte dich." Die Löwin sagte: "Meine Jungen haben Hunger. Ich bitte dich, laß mir das Rind. Ich schwöre dir, daß ich alles tun werde, was ich vermag, wenn du mir das Rind überläßt." Ali sagte: "So schwöre noch einmal." Die Löwin schwur. Darauf ließ er der Löwin und ihren Jungen das Rind.

Nachdem die Löwin und ihre Jungen das Rind aufgefressen hatten, kam die Löwin zu dem rechten Ali zurück und sagte: "Wir haben unser Mahl beendet. Nun sage mir, was ich tun soll, um meinen Schwur einzuhalten." Der rechte Ali sagte: "Im Walde liegt mein Stiefbruder Ali die große Schlange hat ihn verschlungen und getötet. Sie hat ihn dabei mit ihrem Gift vergiftet. Ich habe die große Schlange getötet und meinen Bruder aus ihrem Leibe herausgezogen. Nun kann ich ihn wieder lebend machen, sobald das Gift durch deine Jungen abgeleckt ist. Um nun deinen Schwur zu halten, sollen deine Jungen die Wunden meines Stiefbruders Ali auslecken." Die Löwin sagte: "Das werden meine Jungen tun, zeige uns den Weg."

Ali ritt voraus in den Wald hinein. Die Löwin und ihre Jungen folgten. Ali kam an die Stelle, an der er die große Schlange getötet hatte. Die Jungen der Löwin begannen sogleich, die Wunden Aus auszulecken. Nachdem dies geschehen war, pflückte der rechte Ali Blätter von jener Pflanze, die auch die Eidechse genommen hatte. Er legte die Blätter auf die Wunden des Stiefahi. Kaum hatte er sie aufgelegt, so schlug der Stiefahi die Augen auf und richtete sich empor. Die beiden Brüder umarmten sich und weinten vor Freude darüber, daß sie sich wiedergefunden hatten.

Die beiden Ali machten sich auf den Heimweg. Sie kamen in der



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Stadt des Fürsten an. Der Fürst, seine Tochter und alle Leute waren glücklich darüber, daß der Stiefali mit seinem Bruder zurückgekommen war. Drei Tage lebten sie glücklich und feierten frohe Feste. Am dritten Tage sagte der Stiefali: "Wir wollen heimkehren und uns in Zukunft nicht mehr trennen." Der rechte Ali war einverstanden. Der Stiefahi ging zum Fürsten und bat um die Erlaubnis, mit seiner Frau heimzukehren. Der Fürst gewährte es. So sattelten sie dann ihre Pferde und ritten mit der Tochter des Fürsten heim.

Unterwegs kamen sie erst zu den Hirten, die das Rindvieh hüteten. Die Hirten riefen: "Ali, nimm deinen Ochsen mit." Darauf nahm der Stiefali seinen Ochsen. Sie ritten weiter. Einige Zeit darauf kamen sie zu den Hirten, die die Schafe hüteten. Die Schäfer riefen: "Ali, nimm deine Schafe m ." Darauf nahm der Stiefali seine Schafe. Sie ritten weiter. Sie kamen heim.

Als sie daheim ankamen, war die Mutter des rechten Ali die ihrem Stiefsöhne so viel Leid angetan hatte, gestorben. Sie begruben sie. Die beiden Ali blieben beieinander wohnen, sie trennten sich nicht wieder voneinander.


Copyright: arpa, 2015.

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