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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

II. BAND

DAS UNGEHEUERLICHE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA


8. Der Drachenkampf (1. Form)

Ein Mann hatte sieben Frauen, von denen hatte jede einen Jungen. Als die sieben Burschen erwachsen waren, sagte der Mann eines Tages zu ihnen: "Jeder von euch soll seine eigene Mutter totschlagen. Wer von euch das nicht tut, der ist nicht mehr mein eigener Sohn. Ich erkenne ihn nicht mehr an." Sechs von den Burschen gehorchten ihrem Vater und erschlugen ihre Mutter. Der Jüngste aber vermochte es nicht, dem Befehle seines Vaters nachzukommen. Der Vater sagte zu seinem Sohne: "Geh aus dem Hause, du bist nicht mehr mein Sohn." Der Jüngste sagte zu seiner Mutter: "Komm mit mir. Wir verlassen das Gehöft meines Vaters, ich werde für dich sorgen."

Der jüngste Sohn nahm seinen Säbel und zog sein Pferd aus dem Stalle. Er hatte zwei Löwen, die hatte er von Jugend an aufgezogen, und sie folgten ihm überall hin. Der Sohn verließ mit seiner Mutter das Haus seines Vaters. Die Löwen liefen hinter ihm her. Sie zogen in die Steppe. Mehrere Tage lang übernachteten sie im Freien. Eines Nachmittags sah der Bursche in der Entfernung ein Haus. Er hieß seine Mutter mit den Löwen zurückbleiben und nahm seinen Säbel. Er ging auf das Gehöft zu, und da er es offen fand, auch hinein. Der Bursche sah sogleich, daß die eine Seite des Gehöftes bewohnt war, die andere aber nicht. Er ging also in die leere Kammer, warf sich auf den Boden und ruhte aus. Er schlief ein. Als es Abend war, erwachte er von einem starken Geräusch. Er blickte durch einen Spalt der Haustür und sah, daß die Bewohner des Gehöftes sieben Wuarssen waren, die soeben heimkehrten.

Einer der Wuarssen sah, daß die Tür zur entgegengesetzten Wohnung, in der der Bursche weilte, zugemacht war. Er rief also über den Hof hinüber: "Höre, du Fremder, du kommst uns gerade zurecht. Wir wollen mit dir kämpfen. Komm heraus." Der Bursche antwortete: "Das will ich schon tun. Aber es ist nicht recht, von mir, der ich allein bin, zu verlangen, daß ich gegen sieben auf einmal kämpfe. Geht also in euer Haus. Dann kommt einer nach dem andern heraus und kämpft einzeln mit mir." Die Wuarssen sagten: "Der Fremde hat recht. Es ist billig, daß einer gegen einen kämpft. Wir wollen in das Haus gehen und nur einen auf dem Hofe lassen. Den Burschen werden wir auch so bald in unserem Suppentopf haben."

Sechs der Wuarssen gingen in das Haus. Einer blieb draußen.



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Der Bursche trat ebenfalls mit seinem Säbel heraus. Der Wuarssen kam heran. Der Bursche ergriff seinen Säbel, schlug und trennte dem Wuarssen den Kopf vom Leibe. Der Bursche rief: "Der zweite Wuarssen soll herauskommen. Der zweite Wuarssen kam heran. Der Bursche ergriff seinen Säbel, schlug und trennte dem Wuarssen den Kopf vom Leibe. Er rief nach dem dritten, dem vierten, dem fünften und sechsten Wuarssen und schlug allen, einen nach dem andern, den Kopf ab.

Der Bursche rief: "Der siebente Wuarssen soll herauskommen." Der siebente Wuarssen kam. Der Bursche ergriff seinen Säbel und schlug. Er hatte aber nicht mehr so viel Kraft wie im Anfange, und sein Säbel war außerdem so schartig geworden, daß er neu geschliffen werden mußte. So vermochte er dem siebenten nicht wie den anderen mit einem Streich den Kopf vom Rumpfe zu schlagen, sondern er konnte ihm nur den Hals durchschlagen, so daß der Wuarssen wie tot hinfiel und der Kopf zur Seite hing. Dann nahm der Bursche den Wuarssen, trug ihn in die hinterste Kammer und schloß sie hinter sich zu.

Der Bursche ging im Hause umher und betrachtete den ganzen Reichtum (=tricha) der Wuarssen. Er sah, daß es ein Haus war, das sehr geeignet war, darin zu wohnen. Und somit ging er von dannen und rief seine Mutter und seine Löwen herbei. Alle richteten sich im Hause gut ein und lebten einige Zeit von den Vorräten, die die Wuarssen für sich selbst aufgespeichert hatten. Dann kam eine Zeit, in der das Korn in den Krügen ausging, und der Bursche mußte hinziehen und auf der Jagd Beute suchen. Der Bursche ging sehr viel auf die Jagd, und da die Löwen ihn immer begleiteten, so kam es, daß die Mutter viel im Gehöft allein war.

Eines Tages war der Sohn wieder auf der Jagd. Die Mutter ging allein im Hofe umher. Sie hörte aus einem Winkel stöhnen. Sie ging den Lauten nach und sah, daß die Laute aus einer Kammer kamen, die verschlossen war und die die Mutter noch niemals vorher betreten hatte. Sie öffnete die Tür und blickte hinein. Da lag der Wuarssen am Boden, der verwundet war. Der Wuarssen jammerte. Die Frau sah ihn leiden. Sie ging hin und brachte ihm von dem Fleische des Wildes, das ihr Sohn erlegt hatte. Sie pflegte ihn. Als sie ihren Sohn kommen hörte, schlich sie hinaus und schloß die Tür hinter sich, damit er nicht merke, wo sie gewesen sei.

Jeden Tag ging der Sohn mit seinen Löwen zur Jagd. Jeden Tag



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ging die Mutter zu dem Wuarssen hinein und pflegte ihn. Der Wuarssen kam wieder zu Kräften. Eines Tages war der Wuarssen genesen. Er sagte zu der Mutter: "Ich danke dir. Ich will dir geben, was du auch von mir wünschst, und wenn es mein eigener Kopf ist." Die Mutter sagte: "Ich will nicht deinen Kopf und ich will nicht dein Geld. Wenn du mir danken willst, so heirate mich." Der Wuarssen sagte: "Ich will dich sehr gern heiraten, aber ich fürchte deinen Sohn. Dein Sohn hat sechs Wuarssen getötet. Er hätte auch mich umgebracht, wenn an dem Tage sein Säbel nicht schartig geworden wäre. Trifft er mich, so wird er mich jetzt sicher töten. Dein Sohn wird mich umbringen." Die Mutter sagte: "Warte, ich werde meinen Sohn selbst töten."

Der Wuarssen heiratete die Mutter. Nachts sagte die Mutter: "Morgen werde ich meinen Sohn töten." Als am andern Morgen die Mutter erwachte und der Sohn sich aufmachen wollte zur Jagd, sagte sie: "Mein Sohn, du bist jetzt immer so viel fort. Ich habe dich jetzt niemals mehr bei mir. Jeden Tag reitest du zur Jagd. Heute bleibe nun einmal daheim. Ich bitte dich." Der Sohn sagte: "Gut, so will ich heute einmal daheim bleiben." Die Mutter sagte: "Ich danke dir, daß du mir diesen Tag schenkst. Nun wollen wir miteinander plaudern. Tu mir aber noch einen Gefallen. Diese beiden Löwen nehmen mir alle Ruhe. Ich bitte dich, sperre sie für heute einmal in die Baerka (= Olivenspeichertopf), so daß sie nicht immer zwischen uns herumstreifen." Der Bursche rief die Löwen in das Haus, hieß sie in die Baerka steigen, ermahnte sie zur Ruhe und sagte: "Bleibt ruhig hier liegen, bis ich euch rufe." Dann deckte er die Baerka zu. Er kehrte zur Mutter zurück und sagte: "Ich habe deinen Wunsch erfüllt. Die Löwen sind in der Baerka."

Die Mutter plauderte mit dem Burschen. Die Mutter sagte: "Wir wohnen hier sehr einsam. Stets, wenn du fort bist, sorge ich mich. Wenn jemand uns überfallen will, sind wir ihm preisgegeben." Der Sohn sagte: "Ängstige dich nicht, ich bin stark." Die Mutter sagte: "Gegen zwei oder drei magst du stark genug sein. Aber weißt du denn überhaupt, wie weit du dich auf deine Stärke verlassen kannst? Kennst du denn das Maß deiner Stärke?" Der Sohn sagte: "Gewiß, ich kenne das Maß meiner Stärke." Die Mutter sagte: "Komm, erzähle mir." Der Sohn sagte: "Wenn man mich aufrecht mit den Haaren des Wirbels an einem Holzpfeiler festbindet und dann meine Hände nach hinten mit einem Tegust (Frauengurtschnur



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aus Wolle, sehr fest) festbindet, bin ich immer noch imstande, mich loszureißen. Bindet man mich in solcher Stellung aber mit einem Akursi (Frauengurtschnur aus Seide, noch viel fester), so kann ich mich nicht mehr losreißen."

Die Mutter sagte: "Es macht mir Freude, den Beweis deiner Stärke zu sehen. Darf ich dich mal mit einem Tegust festbinden?" Der Bursche sagte: "Tue es." Er stellte sich aufrecht an einen Holzpfeiler. Die Mutter band ihn mit den Haaren des Wirbels am Hinterkopfe fest. Er schlug seine Hände um den Holzpfeiler, und sie band sie hinten mit einem Tegust zusammen. Sie trat zurück und sagte: "Nun zeige mir deine Kraft." Der Bursche streckte sich, stemmte die Arme an und zersprengte die wollene Gürtelschnur. Die Mutter sagte: "Es ist wahr, deine Kraft ist ganz außerordentlich. Sollte es aber doch nicht gelingen, auch die Akursi zu sprengen?" Der Bursche sagte: "Nein, es wird nicht gelingen." Die Mutter sagte: "Darf ich das nicht auch sehen? Laß es uns versuchen." Der Bursche lachte und sagte: "Es ist mir recht."

Der Bursche stellte sich wieder aufrecht an den Holzpfeiler. Die Mutter band ihn mit den Haaren des Wirbels am Hinterkopfe fest. Er schlug seine Hände um den Holzpfeiler, und sie band sie hinten mit einem Akursi zusammen. Sie trat zurück und sagte: "Nun versuche nochmals deine Kraft." Der Bursche streckte sich und stemmte die Arme gegen den Pfeiler. Er vermochte sich nicht zu befreien. Die Mutter sagte: "Du vermagst dich also nicht zu entfesseln?" Der Sohn sagte: "Nein, ich vermag es nicht. Binde mich wieder ab." Die Mutter sagte: "Warte einen Augenblick." Die Mutter lief fort.

Die Mutter lief in die Kammer, in der sich der Wuarssen befand. Die Mutter sagte zum Wuarssen: "Die Löwen meines Sohnes sind in der Baerka eingeschlossen. Mein Sohn ist mit dem Kopfwirbel und mit den Händen festgebunden. Er kann sich nicht bewegen. Komm schnell und töte ihn." Der Wuarssen trat aus der Kammer.

Der Bursche sah den Wuarssen kommen. Der Bursche erkannte, daß er verraten war. Der Bursche sagte zum Wuarssen: "Ich werde doch gleich sterben. Erlaube mir noch einige Worte." Der Wuarssen sagte: "Du wirst gleich sterben, also kannst du noch einiges sagen." Der Wuarssen blieb in einiger Entfernung stehen. Der Bursche sagte laut: "Meine Löwen, wenn ihr wüßtet, wie ich hier wehrlos angebunden bin, würdet ihr aufspringen und herkommen, um mich zu retten." Der Bursche sagte es. Die beiden Löwen



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sprangen in der Baerka gegen den Deckel und hoben ihn empor. Sie sprangen heraus und auf den Hof. Sie stürzten sich auf den Wuarssen und zerrissen ihn. Dann liefen sie zu dem Burschen, nagten mit den Zähnen die Akursi durch und lösten ihn so. Der Bursche dankte den Löwen.

Der Bursche ging in den Stall und zog sein Pferd heraus. Er führte es aus dem Gehöft. Er sprach kein Wort mehr, rief die Löwen, schloß die Gehöfttür ab, bestieg sein Pferd und ritt allein, gefolgt von den beiden Löwen, von dannen.

Der Bursche ritt weit von dannen. Seine Löwen folgten ihm stets nach. Eines Tages kam er an eine Stelle, an der entquoll der Erde eine Quelle. Die Quelle floß aber ganz schwach, denn es wohnte in der Quelle eine Schlange mit sieben Köpfen. In der Nähe war eine Stadt, deren Bewohner das Wasser der Quelle benötigten. Die Schlange überließ diesen das wenige, das dorthin floß, aber auch nur unter der Bedingung, daß jeden Tag ein junges Mädchen der Stadt der Schlange eine große Schale voll s'skou (Kuskus, gesprochen s'sku) mit einer Hammelkeule brachte. Wenn das Mädchen die Hammelkeule brachte, verschluckte die Schlange das Essen mitsamt dem Mädchen. Die Mädchen mußten aber der Reihe nach das Essen bringen.

An dem Tage, als der Bursche mit den Löwen zur Quelle kam, war die Reihe, die Schlange zu speisen, an der Tochter des Amin der Ortschaft. Als der Bursche von der einen Seite heranritt, kam das Mädchen von der anderen. Der Bursche sagte; "Ich habe Hunger, du trägst dort reichlich Essen. Gib mir von dem Essen." Die Tochter des Amin sagte: "Verzeih mir, aber ich darf dir von dem Essen nichts geben. Es ist für eine siebenköpfige Schlange bestimmt, die in dieser Quelle wohnt und die das wenige Wasser, welches du dort zur Stadt rinnen siehst, auch nur unter der Bedingung spendet, daß jeden Tag ein Mädchen eine Schale Kuskus, eine Keule und sich selbst ihr zum Essen darbringt. Würde der Kuskus, die Keule oder das Mädchen der Schlange nicht dargebracht, so würde auch das wenige Wasser, welches die Bewohner der Ortschaft vor dem Verdursten schützt, von der Schlange zurückgehalten werden."

Der Bursche sagte: "Meine Löwen und ich haben ebensolchen Hunger wie diese siebenköpfige Schlange. Uns kann die Schlange keinen großen Schrecken einjagen. Ich schlage dir also folgendes vor: Gib meinen Löwen die Keule, gib mir den Kuskus, und wir



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sorgen dann dafür, daß du nicht von der Schlange gefressen wirst, ohne daß die Bewohner deiner Ortschaft deshalb irgendeinen Schaden erleiden sollen." Das Mädchen sagte: "Wenn du es so machen kannst, bin ich damit einverstanden."

Die Löwen fraßen die Keule. Der Bursche verzehrte den Kuskus. Dann sagte er zu dem Mädchen: "Nun setze dich hierher auf den Boden. Ich werde etwas schlafen und will meinen Kopf in deinen Schoß legen. Sobald die Schlange sich zeigt, wecke mich." Das Mädchen setzte sich nieder. Der Bursche legte seinen Kopf auf ihren Schoß und schlief ein. Als es Mittag war, erhob sich die Schlange in der Quelle. Sie streckte einen Kopf empor. Da erschrak das Mädchen so, daß sie weinen mußte, und eine ihrer Tränen fiel in das Antlitz des Burschen. Der Bursche wachte auf, der Bursche sah die Schlange, der Bursche sprang auf.

Der Bursche sprang mit dem Säbel auf die Schlange zu und hieb ihr einen Kopf ab. Die Schlange sagte: "Das war nicht mein rechter Kopf." Der Bursche sagte: "Es war auch nicht mein rechter Hieb." Die Schlange erhob einen zweiten Kopf. Der Bursche hieb ihn ab. Die Schlange sagte wieder: "Das war auch nicht mein rechter Kopf." Und der Bursche sagte wieder: "Das war auch nicht mein rechter Hieb." Die Schlange hob so ihren dritten, vierten, fünften und sechsten Kopf hoch, und jedesmal, wenn der Bursche ihn abgeschlagen hatte, sagte sie: "Es war nicht mein rechter Kopf," worauf der Bursche jedesmal antwortete: "Es war auch nicht mein rechter Hieb." Als aber die Schlange auch den siebenten Kopf erhob und der Bursche auch den abgeschlagen hatte, sagte sie: "Das war mein rechter Kopf," und der Bursche antwortete: "Das war auch mein rechter Hieb." Die Schlange starb am Rande der Quelle, und sogleich begann die Quelle als ein breiter Strom nach der Stadt hinzufließen.

Das Mädchen sah dem Kampf weinend vor Angst zu. Als sie sah, daß der Bursche die Schlange tötete, nahm sie einen der beiden Schuhe, die er beim Schlafe abgestreift hatte und eilte damit in die Ortschaft zu ihrem Vater. Als der Bursche von der Quelle und der Leiche der Schlange zurücktrat, fand er nur noch einen Schuh. Er schämte sich, mit dem einen Schuh zu gehen, steckte ihn also ein, bestieg sein Pferd, rief seine Löwen und ritt langsam dem Orte zu. Im Orte ging er in die Djemaa (= Moschee) und legte sich dort nieder.

Die Tochter kam zu ihrem Vater, dem Amin, und sagte: "Die



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Schlange hat mich nicht verzehren können, es kam ein Mann, der tötete sie. Sogleich floß das Wasser als breiter Strom; komm auf das Dach des Hauses und sieh es." Der Amin stieg mit der Tochter auf das Dach und sah das Wasser als breiten Strom fließen. Da war er froh, daß seine Tochter gerettet, die Stadt von dem schrecklichen Untier befreit und für die Zukunft reichlich mit Wasser versorgt war. Er sagte zu seiner Tochter: "Wer war der Mann, der die Schlange getötet und mir und der ganzen Stadt das Glück bereitet hat? Ich will ihn reichlich belohnen." Die Tochter sagte: "Ich weiß nicht, wer es war. Ich habe dem Mann aber einen Schuh genommen. Nur der, der den anderen dazugehörigen aufweisen kann, ist der rechte."

Der Vater ließ alle Leute des Ortes zusammenkommen. Er sagte ihnen: "Ein Mann hat die siebenköpfige Schlange getötet, meine Tochter gerettet und der Stadt einen Überfluß an Wasser gespendet. Der Mann, der uns dieses Glück geschenkt hat, soll sich melden, denn ich will ihn reichlich belohnen." Die Leute warteten eine Zeitlang. Es meldete sich niemand. Ein Mann sagte: "Ich war es." Der Amin sagte: "Geh dorthin." Der Mann ging dorthin, ein Sklave zeigte ihm den Schuh und fragte: "Hast du den anderen?" Der Mann sagte: "Nein, ich habe nicht einen solchen." Der Sklave ging zum Amin und sagte: "Dieser ist nicht der Mann, der die siebenköpfige Schlange tötete." Der Amin sagte zu den Leuten: "Der Mann, der sich eben meldete, war nicht der Schlangentöter. Welcher ist nun der Schlangentöter?" Andere meldeten sich. Die anderen wurden aufgefordert, den fehlenden Schuh vorzuzeigen. Sie konnten es alle nicht.

Endlich sagte der Amin: "Keiner von denen, die sich meldeten, war der, der die siebenköpfige Schlange tötete. Ist denn sonst kein Mann in dem Orte, der es ausgeführt haben könnte, aber nicht unter uns ist?" Einer unter den Anwesenden erhob sich und sagte: "Ich sah einen Fremden ankommen. Er ist in der Djemaa; soll ich hingehen, ihn zu rufen?" Der Amin sagte: "Ja, gehe hin und rufe ihn." Der Fremde kam. Hinter ihm gingen zwei Löwen. Der Amin fragte: "Warst du es, der die Schlange getötet, meine Tochter gerettet und die Stadt von der Wassersnot befreit hat?" Der fremde Bursche sagte: "Ich war es." Der Amin sagte: "Hast du keine Schuhe?" Der Bursche sagte: "Ich habe nur noch einen Schuh, das ist dieser, der andere ist mir abhanden gekommen." Er reichte dem Amin den Schuh. Der Amin ließ sich von dem Sklaven den



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anderen geben. Es war der rechte Schuh. Der Amin sagte: "Du hast die Schlange getötet."

Der Amin baute für den Burschen ein Haus. Der Amin gab ihm seine Tochter zur Frau. Der Bursche lebte sehr glücklich.

Eines Tages wurde der Bursche traurig. Er sagte zu seiner Frau: "Meine Frau, ich habe Sehnsucht nach meiner Mutter, die ich allein zurückgelassen habe. Ich will hinreiten und sehen, ob meine Mutter noch lebt." Der Bursche nahm Abschied. Er bestieg sein Pferd. Er ritt zurück zu dem Hause, in dem er die Wuarssen getötet und seine Mutter eingeschlossen hatte. Er klopfte an die Tür. Seine Mutter öffnete. Der Bursche öffnete das Haus und sagte: "Meine Mutter, ich hatte Sehnsucht nach dir, komm mit in mein Haus, ich habe die Tochter eines Amin geheiratet." Er ritt mit seiner Mutter zurück. Er erzählte seiner Mutter von dem Kampfe mit der Schlange. Als sie an der Stelle vorüberkamen, an der die tote Schlange lag, sagte seine Mutter: "Ich will die Köpfe besehen." Sie beugte sich nieder und brach heimlich die giftigen Zähne der Schlange heraus und versteckte sie in ihrem Gewande.

Der Bursche kam mit seiner Mutter in seinem Hause an. Die Mutter sagte zu der jungen Frau ihres Sohnes: "Ich war lange nicht mit meinem Sohne zusammen. Ich möchte mich heute nacht lange mit ihm unterhalten. Geh also für diese Nacht, laß mich mit meinem Sohne allein und schlafe du im Hause deines Vaters." Die junge Frau ging hinüber in das Haus ihres Vaters. Als der Sohn für eine Besorgung auf kurze Zeit die Kammer verlassen hatte, rieb die Mutter eine Stelle seines Lagers mit den giftigen Zähnen der Schlange ein.

Der Sohn kehrte zurück und streckte sich auf seinem Lager nieder. Er fühlte sofort einen großen Schmerz. Er fühlte den Schmerz des Giftes. Der Bursche starb... . Als die junge Frau, der Amin und die Leute am andern Tage kamen, fanden sie den Burschen tot auf seinem Lager. Sie wurden alle sehr traurig. Dann begruben sie den Burschen.

Als der Bursche nun nicht wieder kam, wurden die Löwen zornig. Sie gingen im Orte hin und her, und alle Leute flohen entsetzt in die Häuser. Das ging so einige Tage. Dann sagte ein alter Mann: "Das geht so nicht weiter." Er ging vorsichtig heraus, machte den Löwen ein Zeichen, daß sie ihm schweigend folgen sollten und zeigte den Löwen den Weg nach dem Grabe des Burschen.



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Er wies auf das frische Grab und entfernte sich. Die Löwen begannen sogleich zu scharren. Sie scharrten alle Erde weg. Sie zogen die Leiche des Burschen heraus. Sie begannen die Leiche abzulecken. Sie leckten die Stelle, wo der Bursche auf dem Schlangengift gelegen hatte, ganz rein. Als sie alles Gift abgeleckt hatten, begann der Bursche wieder zu leben, und er erhob sich. Die beiden Löwen starben aber sogleich, weil sie mit dem Lecken das Gift in sich aufgenommen hatten. Der Bursche begrub sie in dem Grabe, das für ihn aufgerissen war.

Nachdem der Bursche die beiden Löwen begraben hatte, begab er sich traurig nach Hause. In seinem Hause traf er seine Mutter, die ihn entsetzt anstarrte. Der Bursche sagte: "Ich danke dir. Ich danke dir. Ich danke dir." Er lachte höhnisch, ergriff seinen Säbel und schlug seine Mutter in Stücke.


Copyright: arpa, 2015.

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