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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE ERZÄHLUNG VON TÂDSCH EL-MULÛK UND DER PRINZESSIN DUNJA: DEM LIEBENDEN UND DER GELIEBTEN

In längst vergangenen Zeiten stand hinter den Bergen von Jspahan eine Stadt, geheißen die Grüne Stadt, und darinnen lebte ein König namens Sulaimân Schâh. Der war freigebig und wohltätig, gerechten und aufrechten Sinnes, großmütig und huidreich; und zu ihm kamen die Reisenden aus allen Ländern, und sein Name wurde in allen Gegenden und Städten genannt, und er herrschte lange Zeit in Macht und Glück, doch er besaß weder Frauen noch Kinder. Nun hatte er einen Wesir. der es ihm gleichtat in Güte und Großmut, und eines Tages geschah es, daß er ihn zu sich berief und zu ihm sprach: ,Mein Wesir, meine Geduld ist dahin, und mein Herz ist schwer, und ich



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finde meine Kraft nicht mehr, denn ich habe weder Weib noch Kind. Das ist nicht nach anderer Könige Art, die da herrschen über alle Menschen, über Fürsten und Bettler; denn sie suchen ihre Freude darin, daß sie Kinder hinterlassen, durch die sie ihre Zahl und Kraft verdoppeln. Spricht doch der Prophet -Allah segne ilm und gebe ihm Heil! —: ,Vermählet euch und mehret euch, damit ich mich am Tage der Auferstehung eurer Überlegenheit vor den Völkern zu rühmen vermag.' Welches ist dein Rat, o Wesir? Rate mir, was am besten zu tun ist!' Als der Minister diese Worte hörte, rannen ihm die Tränen in Strömen aus den Augen, und er erwiderte: ,Fern sei es von mir, o größter König unserer Zeit, daß ich über etwas rede, was der Erbarmende sich vorbehielt! Willst du, daß ich durch des allmächtigen Herren Groll in das höllische Feuer kommen soll? Kaufe dir eine Sklavin.' Da sprach der König: ,Wisse, o Wesir, wenn ein König eine Sklavin kauft, von der er weder Rang noch Herkunft kennt, so kann er nicht wissen, ob sie niederen Ursprungs sei, damit er sich ihrer enthalte, oder vornehmen Blutes, damit er vertrauten Umgang mit ihr pflege. Wohnet er ihr also bei, so empfängt sie wohl gar, und ihr Sohn ist vielleicht ein Heuchler, ein Tyrann und Blutvergießer. Ja, eine solche Frau ist wohl einem trockenen Salzsee zu vergleichen, der da, obgleich gute Saat auf ilm gesät wird, doch nur wertloses Wachstum treibt, das nicht dauernd bleibt; und vielleicht widersetzt sich jener Sohn dem Zorne des Herren und tut nicht, was Er gebietet, noch enthält er sich dessen, was Er untersagt. Dazu will ich nie den Anlaß geben, indem ich mir eine Sklavin kaufe; nein, es ist mein Wunsch, daß du für mich um die Tochter eines der Könige freiest, deren Herkunft man kennt und die man weithin ob ihrer Schönheit nennt. Kannst du mir unter den Töchtern der Herrscher des Islams ein Mädchen von Geburt



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und Frömmigkeit nennen, so will ich sie zur Gemahlin verlangen und sie mir vor Zeugen vermählen, so daß ich mir dadurch die Gunst des Herren der Menschen erwerbe.' ,Allah hat dir deinen Wunsch erfüllt und dich an dein Ziel gebracht,' entgegnete der Wesir, ,denn wisse, o König, mir ist kund geworden, daß der König Zahr Schâh, der Herr des Weißen Landes, eine Tochter hat von herrlicher Schönheit, deren Liebreiz nicht Wort noch Rede auszudrücken vermag; sie hat nicht ihresgleichen in unserer Zeit, denn sie ist von höchster Vollkommenheit, ihr Wuchs von geradester Ebenmäßigkeit, ihr Blick ist tiefschwarz wie die Nacht, lang ihrer Locken Pracht, ihr Leib ist zart, schwer sind die Hüften gepaart; ihr Kommen bringt berückende Freud, doch ihr Gehen tödliches Herzeleid; Herz und Augen nimmt sie gefangen, so wie von ihr die Dichter sangen:

Die Schlanke -durch ihren Wuchs beschämt sie das Reis der Weide;
Vor ihrem Gesichte verlieren Sonne und Mond ihren Schein.
Ihr Speichel ist so süß wie Honig, der vermischt ward
Mit edelem Wein; ihre Zähne erglänzen wie Perlenreihn.
Und, ach, so zart ist ihr Leib; die Paradiesesjungfrauen
Liehen ihr alle Schönheit; ihr Blick ist zauberisch klar.
Wie viele hat sie getötet, die vor Kummer gestorben!
Ja, auf dem Weg ihrer Liebe lauert Angst und Gefahr.
Leb ich, so ist sie mein Tod; drum schweige ich von ihr.
Und sterbe ich ihr ferne - nichts war das Leben mir!'

Als der Wesir nun jene Jungfrau also beschrieben hatte, sprach er zum König Sulaimân Schah: ,Es ist mein Rat, o König, daß du an ihren Vater einen verständigen Gesandten schickst, der in den Geschäften erfahren und in allen Schicksalsfällen erprobt ist: der soll sie höflich von ihrem Vater für dich zur Gemahlin erbitten, denn wahrlich, sie hat auf Erden nicht ihresgleichen, weder fern noch nah. So wird dir durch ihr schönes Antlitz



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Freude beschieden, und der Herr der Herrlichkeit ist mit dir zufrieden; denn es wird berichtet, daß der Prophet - Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —sagte: Im Islam gibt es keine Möncherei.' Da ward der König hocherfreut, und seine Brust ward ihm leicht und weit, Sorge und Not waren nun tot; und er wandte sich zu dem Wesir, indem er sprach: ,Wisse, mein Wesir, kein anderer soll diesen Auftrag übernehmen als du mit deiner vollendeten Einsicht und deiner trefflichen Erziehung: also geh nach Hause und tu alles, was du zu tun hast, und morgen halte dich bereit, für mich um dies Mädchen, mit dem du mir den Sinn erfüllt hast, zu freien; und kehre nicht zurück ohne sie!' Der Wesir erwiderte: ,Ich höre und gehorche!' Darauf eilte er nach Hause und befahl, Geschenke zu rüsten, wie sie sich für Könige schicken, Edelsteine, Kostbarkeiten und allerlei, was nicht beschwert und doch von hohem Wert; und ferner arabische Rosse und Panzer, wie David sie machte, und Schatztruhen, dergleichen menschliche Worte nicht zu beschreiben vermögen. Dann ward das alles auf Kamele und Maultiere geladen, und der Wesir brach auf, begleitet von hundert Mamluken und hundert schwarzen Sklaven und hundert Sklavinnen, und Flaggen und Banner flatterten ihm zu Häupten. Der König aber trug ihm auf, nach wenigen Tagen zurückzukehren; und nachdem er fortgezogen war, da war es, als ob König Sulaimân Schâh auf feurigen Kohlen lag, denn die Liebe zu ihr quälte ihn Nacht und Tag.

Derweilen nun zog der Wesir dahin Tag und Nacht, indem er Steppen und Wüsten durchmaß, bis nur noch eines Tages Marsch zwischen ihm und seinem Ziele lag. Dort ließ er am Ufer eines Flusses haltmachen; und er berief einen seiner Vertrauten und befahl ihm, zum König Zahn Schâh vorauszueilen und ihm seine Ankunft zu melden. Jener Mann rief: ,Ich höre



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und gehorche!' und ritt eiligst zu der Stadt. Es traf sich aber, daß der König gerade in einem seiner Lustgärten vor den Toren der Stadt saß, als der Bote sich näherte; sobald er ilm erblickte, erkannte er, daß es ein Fremder war, und befahl, ilm herbeizuführen. So trat der Bote vor ihn hin und meldete ihm, es nahe der Wesir des Großkönigs Sulaimân Schâh, des Herrn des Grünen Landes und der Berge von Jspahan. Da freute der König sich und hieß ihn willkommen. Und er führte ilm in seinen Palast und fragte: ,Wo hast du den Wesir verlassen?' Der Bote antwortete: ,Ich verließ ihn früh am Morgen am Ufer des und des Flusses, und morgen wird er dich erreichen. Allah erhalte dir seine Gunst und erbarme sich deiner Eltern!' Da befahl der König Zahr Schâh einem seiner Wesire, den größeren Teil der Gardehauptleute und Kammerherren, der Statthalter und Großen des Reiches mit sich zu nehmen und dem Gesandten zu Ehren des Königs Sulaimân Schâh entgegenzuziehen; denn dessen Herrschaft erstreckte sich auch über dies Land.

So weit Zahr Schâh. Der Wesir aber blieb an seiner Lagerstätte bis Mitternacht; dann brach er auf nach der Stadt. Als nun der Morgen kam mit hellem Strahl und die Sonne schien über Berg und Tal, sah er plötzlich, wie der Wesir des Königs Zahr Schâh mit dessen Kammerherren und mit den Großen und Gardehauptleuten des Reiches ihm entgegenkam, und beide Scharen trafen ein paar Parasangen vor der Stadt zusammen. Da war der Wesir des Erfolges seiner Sendung gewiß, und er begrüßte die Ankommenden, die nun vor ihm herzogen, bis sie des Königs Palast erreichten; dort ritten sie vor ihm durch das Tor bis zur siebenten Halle, die niemand zu Pferde betreten durfte, da sie nahe dem Sitz des Königs war. So saß der Minister ab und ging weiter zu Fuß, bis er in einen hohen Saal kam, an dessen oberem Ende ein rnarmorner Thron stand,



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mit Perlen und Edelsteinen besetzt und auf vier elfenbeinernen Fußen ruhend. Darauf lag ein Polster aus grünem Atlas, bestickt mit rotem Golde, und darüber hing ein Baldachin, geschmückt mit Perlen und Edelsteinen. Dort thronte der König Zahr Schâh, und vor ihm standen die Großen seines Reiches. ihres Amtes wartend. Als nun der Wesir zu ihm eintrat und vor ihm stand, da faßte er sich Mut und löste seiner Zunge Band; er begann mit der Wesire Beredsamkeit und sprach in der Rede der Wortgewandtheit. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 108. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als der Wesir des Königs Sulaimân Schâh vor dem König Zahr Schâh stand, da faßte er sich Mut und löste seiner Zunge Band; er begann mit der Wesire Beredsamkeit und sprach in der Rede der Wortgewandtheit, und mit vollendeter Höflichkeit sprach er diese Verse, dem König geweiht:

Er kommt heran, er naht, im Prachtgewand sich >zeigend,
Er schenkt den Tau der Huld der Ernte und dem Schnitter.
Er ist ein Zaubrer; doch nicht Talisman noch Zauber
Noch Schwarzkunst wehret ab jener Augen Ungewitter.
O sage doch den Tadlern: Wollet mich nicht tadel»;
Denn sehet, seiner Liebe weil>ich mich immer gern.
Mein Herz hat mich verraten und ist zu ihm gegangen;
Ja, auch der Schlaf neigt sich ihm zu und bleibt mir fern.
O Herz, du bist ja nicht allein in deiner Liebe;
Weckst du in mir auch Sehnsucht -bleibe ihm stets nah!
Nichts gibt es, das mein Ohr mit seinem Klang erfreuet,
Als wenn ich Lieder höre zum Preise für Zahr Schah.
Und würdest du dem König dein ganzes Leben opfern
Für einen Blick seiner Augen, fürwahr, es rente dich nicht.
Doch willst du seinem Heile ein fromm Gebet darbringen,
So findest du bald Genossen und de», der Amen spricht.



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O du Volk dieses Reiches, wenn jemand ihn verlässt
Und auf einen anderen hofft, der ist im Glauben nicht fest.

Als der Wesir geendet hatte, hieß der König Zahr Schâh ihn näher treten und erwies ihm die höchsten Ehren; er ließ ihn neben sich sitzen und lächelte ihm zu und gab ihm huidreich Antwort. Und also plauderten sie bis zur Zeit des Morgenmahles; dann brachten die Diener die Tische in den Saal, und alle aßen, bis sie gesättigt waren. Darauf trug man die Tische wieder fort, und alle Versammelten zogen sich zurück, nur die Vertrauten des Königs blieben da. Als nun der Minister das sah, stand er auf und pries den König zum zweiten Mal, küßte den Boden vor ihm und sprach: ,O mächtiger Herr und König von hoher Ehr! Ich habe die Reise hierher gemacht und bin zu dir gekommen in einer Sache, die dir Heil, Glück und Segen bringen möge. Denn ich nahe dir als Gesandter und Brautwerber, um deine Tochter, die edle und erlauchte Jungfrau, zur Gemahlin zu erbitten für Sulaimân Schâh, den Fürsten gerechten und aufrechten Sinnes, großmütig und huldreich, den Herrn des Grünen Landes und der Berge von Jspahan; er sendet dir Geschenke und Kostbarkeiten in Hülle und Fülle, denn er wünscht, dein Eidam zu werden. Und bist du ihm wohlgeneigt wie er dir?' Dann schwieg er, der Antwort harrend. Als König Zahr Schah diese Worte vernommen hatte, sprang er auf und küßte ehrfurchtsvoll den Boden. so daß alle, die zugegen waren, staunten ob seiner Demütigung vor dem Gesandten und sich selber nicht mehr kannten. Dann pries der König Ihn, der da ist der Herr der Herrlichkeit und der Ehre, und erwiderte indem er aufrecht stehen blieb: ,Erlauchter Reicheshüter und hochgeehrter Gebieter, höre du an, was ich sage! Siehe, wir zählen für König Sulaimân Schâh unter die Zahl seiner Untertanen, und durch die Verbindung mit ihm,



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die wir glühend wünschen, fühlen wir uns geehrt; denn meine Tochter ist gleich einer seiner Sklavinnen, und es ist mein teuerster Wunsch, daß er mein Hort und meine verläßliche Stütze werde.' So berief er die Kadis und Zeugen, auf daß sie bezeugten, daß König Sulaimân Schâh seinen Wesir als Bevollmächtigten entsandt habe, damit er die Ehe schließe, und daß König Zahr Schâh den Bund mit seiner Tochter freudig begrüße. Nun schlossen die Kadis den Ehevertrag und flehten zum Himmel für das Glück und das Wohlergehen des Paares; alsdann ließ der Wesir die Gaben und die seltenen und kostbaren Geschenke, die er gebracht hatte, holen und breitete sie alle vor dem König Zahr Schah aus.

Darauf begann der König sich mit der Aussteuer seiner Tochter zu befassen, und derweilen überhäufte er den Wesir mit Ehren und gab Feste für hoch und niedrig; zwei Monate lang dauerte die Freudenzeit, und nichts ward vergessen, was Herz und Auge erfreut. Doch als dann alles bereit war, wessen die Braut bedurfte, da ließ der König die Zelte hinausschaffen und vor der Stadt ein Lager aufschlagen; dort packten sie die Stoffe der Braut in Kisten, und sie rüsteten die griechischen Dienerinnen und die türkischen Sklavinnen, und der König versah die Prinzessin mit kostbaren Schätzen und wertvollen Edelsteinen. Und ferner ließ er eine Sänfte aus rotem Golde für sie machen, die mit Perlen und Juwelen besetzt war, und bestimmte zwanzig Maultiere für ihre Reise; jene Sänfte aber war wie eine der Kammern in einem Palaste, und wenn die Braut darin saß, dann sah sie aus, als wäre sie eine liebliche Huri in einem Paradieseshaus. Und als sie die Schätze und all das Gut in Ballen gepackt und auf die Maultiere und Kamele geladen hatten, da zog König Zahr Schâh drei Parasangen weit mit ihnen hinaus; dort bot er ihr und dem Wesir und seinem



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Geleit Lebewohl und kehrte in Freude und Glück nach Hause zurück. Der Wesir aber zog mit der Königstochter immer weiter dahin, von Station zu Station und durchmaß die Wüsten. — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 109. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir mit der Königstochter immer weiter dahinzog von Station zu Station und die Wüsten durchmaß, Tag und Nacht eilend ohne Unterlaß, bis zwischen ihm und seiner Stadt nur noch drei Tagemärsche lagen. Da schickte er einen Vorboten zum König Sulaimân Schâh, der ihm die Ankunft der Braut melden sollte. Und der Bote eilte zum König und brachte ihm die frohe Kunde. Darüber war Sulaimân Schâh hocherfreut und verlieh dem Boten ein Ehrengewand; er befahl seinen Truppen, in großem Aufzug auszuziehen. um die Prinzessin und ihr Geleit ehrenvoll einzuholen; ihr Zug solle einer prächtigen Parade gleichen, und sie sollten die Banner über ihren Häuptern entrollen. Und sie gehorchten seinem Befehl. Des ferneren aber ließ er durch einen Ausrufer in der ganzen Stadt verkünden, keine verschleierte Maid, keine vornehme Dame im Ehrenkleid, keine Greisin, gebrochen von der Zeit, solle es unterlassen, der Braut entgegenzuziehen. So zogen sie alle hinaus, um sie zu begrüßen, und die Vornehmen unter ihnen wetteiferten in ihrem Dienste, und sie kamen überein, sie am Abend in des Königs Palast zu führen. Die Großen des Reiches aber beschlossen, den Weg zu schmücken und sich zu beiden Seiten aufzustellen, wenn die Braut dahin zöge, geführt von ihren Eunuchen und Dienerinnen, und gekleidet in das Prachtgewand, das ihr Vater ihr gegeben hatte. Und als sie nun erschien, geleiteten die Truppen sie zur Rechten und zur Linken, und die Sänfte zog mit ihr dahin, bis sie sich dem Palaste



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nahten; und keiner blieb zurück, sondern alle kamen, um die Prinzessin zu sehen. Die Trommeln dröhnten, Speere wurden geschwungen, die Hörner schmetterten, Flaggen wehten, Rosse tänzelten, und Wohlgerüche ergossen ihren Duft, bis sie das Tor des Palastes erreichten und die Sklaven mit der Sänfte in die Pforte des Harems einzogen. Dort strahlte und glänzte alles von ihrer Schönheit und ihrer herrlichen Anmut. Als nun die Nacht kam, öffneten die Eunuchen die Tür zum Brautgemach, und sie stellten sich zu beiden Seiten des Eingangs auf; dann kam die Braut, und inmitten ihrer Mädchen glich sie dem Monde unter den Sternen oder der einen großen Perle unter all den anderen auf der Schnur. Dann trat sie in das Brautgemach, wo man ihr ein Ruhebett von Alabaster bereitet hatte. das mit Perlen und Edelsteinen besetzt war. Und wie sie sich dort gesetzt hatte, trat der König ein, und Allah füllte sein Herz mit der Liebe zu ihr, sodaß er ihr das Mädchentum nahm und alle seine Sorge und Unruhe ein Ende hatten. Einen Monat lang blieb er bei ihr, doch in der ersten Nacht schon hatte sie empfangen; und als der Monat verstrichen war, da verließ er sie und setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft und sprach Recht unter seinen Untertanen, bis die Monde seiner Gemahlin erfüllet waren. Am letzten Tage des neunten Monats kamen gegen Tagesanbruch die Wehen über sie; so setzte sie sich auf den Schemel der Entbindung, und Allah machte ihr die Geburt leicht, und sie brachte einen Knaben zur Welt, der alle Zeichen des Glückes an sich trug. Als nun der König von der Geburt des Sohnes hörte, war er hocherfreut, und er belohnte den Bringer der frohen Botschaft mit großen Schätzen; und in seiner Freude trat er ein zu dem Kinde und küßte es zwischen den Augen und staunte ob seiner glänzenden Schönheit; denn an ihm ward der Spruch des Dichters wahr:



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Allah schenkte den ragenden Burgen in ihm einen Löwen,
Und den Himmeln der Herrschaft gab er einen leuchtenden Stern.
Es jauchzten bei seinem Aufgang die Speere, es jauchzten die Throne
Und die Gazellen all, die Kampfstätten und Kriegesherrn.
Leget ihn nicht an die Brust; denn siehe, er wird sich erspähen
Auf den Rücken der Rosse den Sitz, der ihm süßer dünkt!
Entwöhnet ihn des Säugens; denn siehe, er wird sich erspähen
In dem Blute der Feinde den Trank, der ihm süßer winkt.

Darauf nahmen die Wehefrauen den neugeborenen Knaben und durchschnitten die Nabelschnur und salbten ihm die Augen und nannten ilm Tâdsch el-Mulûk' Charân. Er wurde gesäugt an den Brüsten der Zärtlichkeit und aufgezogen im Schoße der Seligkeit; und die Tage entwichen, und die Jahre verstrichen, bis er sein siebentes Jahr erreichte. Da berief Sulaimân Schâh die Weisen und Gelehrten und befahl ihnen, seinen Sohn zu unterrichten im Schreiben, in den Wissenschaften und in der feinen Bildung. Das taten sie denn einige Jahre lang, bis er das gelernt hatte, was ihm vonnöten war; und als er nun alles wußte, was der König verlangte, da nahm er ihn den Erziehern und Lehrern und übergab ihn einem geschickten Meister, der den Knaben die Reitkunst lehrte, bis er sein vierzehntes Jahr erreichte; und sooft er zu irgendeinem Gange den Palast verließ, waren alle, die ihn sahen, von ihm entzückt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 110. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden. o glücklicher König, daß Tâdsch el-Mulûk Charân, der Sohn des Sulaimân Schâh, ein vollendeter Reiter wurde und alle seine Zeitgenossen übertraf, und wenn er zu irgendeinem Gange den Palast verließ, so waren alle, die ihn sahen, von seiner herrlichen Schönheit entzückt, ja man sang Lieder auf ihn,



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und selbst vornehme Damen wurden von der Liebe zu ihm berückt, denn er war von strahlender Lieblichkeit, wie ihm ja der Dichter das Lied geweiht:

Ich hielt ihn im Arm und ward trunken von dem lieblichen Dufte,
Ihn, das zarte Reis, vom Hauche des Zephirs genährt -
Trunken, doch nicht wie einer, der Wein geschlürfet, nein trunken
Vom Wein des Honigtaus, den mir seine Lippe gewährt.
Die Schönheit hat sich ganz offenbart in seiner Gestalt;
Und darum zwang er auch die Herzen in seine Gewalt.
Bei Allah, niemals komme Vergessen mir in den Sinn,
Solange ich an die Fessel des Lebens gebunden bin.
Leb ich, so lebe ich nur seiner Liebe; doch sterbe ich
In sehnender Liebe zu ihm - o welch ein Glück für mich!

Und als er das achtzehnte Lebensjahr erreichte, sproßte zarter Flaum auf seiner Wange, die verschönt war durch ein Mal von rosigem Schein und durch ein zweites wie ein Ambratüpfelchen klein. Er nahm Verstand und Auge gefangen, so wie von ihm die Dichter sangen:

Er ist an Josephs Statt Kalife in der Schönheit;
Die Liebenden alle verzagen bei seiner Herrlichkeit Strahl.
Verweile mit mir und schaue auf ihn, damit du siehest
Das schwarze Kalifenpanier, seiner Wange Schönheitsmal.

Und ein anderer sang:

Nie schauten deine Augen einen schöneren Anblick
Unter den Dingen allen, die auf der Erde sind,
Als das dunkele Mal, das auf der roten Wange
Unter dem schwarzen Auge alle Herzen gewinnt.

Und ein dritter:

Ich staune über das Mal, das deiner Wangen Feuer
Anbetet und, wie ein Heide so dunkel, doch nicht verbrennt.
o Wunder, dein Auge gleichet dem eines Gottesgesandten,
Der wahre Wunder wirkt, wiewohl er Zauberei kennt.



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Und ach, seiner Wange Flaum, der zart und frisch erscheint, Getränkt von all den Tränen, die um ihn geweint!

Und ein vierter:

Fürwahr ich wundere mich, daß die Menschen danach fragen,
In welchem Lande wohl das Wasser des Lebens fließt.
Ich sehe es doch im Munde des Zarten, Gazellengleichen,
Dem schon ein dunkeler Flaum ob rosiger Lippe sprießt.
Wie wunderbar, daß Moses einst im fernen Land
Nicht abließ, als er dort das Wasser fließen fand!

Als er dann zum Manne herangewachsen war, ward seine Schönheit noch immer mehr offenbar. Und so gewann Tâdsch el-Mulûk Charon viele Freunde; ein jeder aber, der ihm nahe kam, wünschte, daß der Prinz nach seines Vaters Tode Sultan. er selber aber einer seiner Emire würde.

Nun gab er sich leidenschaftlich der Jagd hin, sodaß er kaum eine Stunde davon ablassen mochte. Sein Vater, König Sulaim~n Schah. wollte ihn davon zurückhalten, weil er um ihn wegen der Gefahren der Wüste und der wilden Tiere besorgt war; doch er achtete nicht darauf. So geschah es einmal, daß er zu seinen Dienern sagte: ,Nehmt für zehn Tage Vorrat und Futter mit!' Als sie seinem Befehle nachgekommen waren, brach er mit seinem Gefolge auf zu Jagd und Hatz, und sie ritten hinaus in die Wüste. Vier Tage waren sie unterwegs, bis sie zu einem grünen Gelände kamen, und dort sahen sie ein liebliches Bild von grasen dem Wild, von Bäumen mit reifen Früchten behangen und Quellen, die lustig sprangen. Da sprach Tâdsch el-Mulûk zu seinen Gefährten: ,Stellt hier die Jagdnetze auf, steckt sie in weitem Ringe fest, und dort am Eingang des Kreises sei unser Sammelplatz.' Sie gehorchten seinem Befehl und stellten die Netze in weitem Ringe auf. Darin fand sich eine große Menge von allerlei wilden Tieren und Gazellen zusammen,



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die erschrocken aufschrien und angesichts der Pferde flüchteten; nun ließ er die Hunde und Jagdleoparden und Falken los, und die Jäger schossen das Wild mit Pfeilen nieder und trafen es an den tödlichen Stellen. Als sie dann zum hinteren Ende des Netzrings kamen, hatten sie schon eine große Zahl der Tiere erlegt, nur die letzten flohen. Darauf saß Tâdsch el-Mulûk am Rande des Wassers ab und befahl, daß man ihm die Beute bringe; und nachdem er die besten Tiere für seinen Vater zurückgelegt und sie ihm geschickt und auch für die Großen des Reiches einige beigefügt hatte, verteilte er die übrigen. Dort blieb er nun noch die Nacht hindurch; und als der Morgen dämmerte, kam eine große Karawane von Sklaven, Dienern und Kaufleuten herbei und machte am Wasser auf dem grünen Gelände halt. Als aber Tâsch el-Mulôk sie sah, sprach er zu einem seiner Gefährten: ,Bring mir Nachricht von den Männern dort und frage sie, weshalb sie hier haltgemacht haben.' Da ging der Bote zu ihnen und rief sie an: ,Sagt mir, wer ihr seid, und gebt mir unverzüglich Antwort. 'Sie erwiderten :,Wir sind Kaufleute, und wir haben hier haltgemacht, um zu rasten; denn die nächste Station ist zu weit für uns. Wir haben uns aber auch deshalb an dieser Stätte gelagert, weil wir Vertrauen haben zu König Sulaimân Schah und zu seinem Sohne; denn wir wissen. daß alle, die in ihr Land kommen. Sicherheit und Ruhe finden: ferner haben wir kostbare Stoffe bei uns, die wir dem Prinzen Tâdsch el-Mulûk bringen.' Da kehrte der Bote zum Königssohne zurück und berichtete ihm den Sachverhalt, indem er ihm mitteilte, was er von den Kaufleuten gehört hatte. Der Prinz sagte darauf: ,Wenn sie etwas für mich gebracht haben, so will ich nicht in die Stadt einziehen noch von dieser Stelle gehen, ehe ich es mir habe vorlegen lassen.' Dann bestieg er sein Roß und ritt dahin, begleitet von seinen Mamluken.



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bis er die Karawane erreichte. Da erhoben die Kaufleute sich vor ihm und beteten für ihn um Gottes Hilfe und Segen, um dauernde Macht und Gnade allerwegen; und sie schlugen ein Zelt für ihn auf aus rotem Atlas. bestickt mit Perlen und Juwelen; darinnen aber breiteten sie auf einem seidenen Teppich einen königlichen Diwan, der vorn mit Smaragden besetzt war. Dort ließ Tâsch el-Mulûk sich nieder. derweilen sich seine Diener vor ihn stellten, und er schickte hin und befahl den Kaufleuten, alles zu bringen, was sie bei sich hatten. So trugen sie ihre Waren herbei, und er sah alles an und nahm davon, was ihm gefiel, und zahlte ihnen den Preis. Dann saß er wieder auf, und schon wollte er fortreiten, da sah er sich nach der Karawane um, und sein Blick fiel auf einen Jüngling, der war der Jugend schönstes Bild, in ein schneeweißes Gewand gehüllt und von lieblicher Gestalt; seine Stirn war blütenrein, sein Antlitz erstrahlte wie der Vollmondschein: aber seine Schönheit schien zu verwelken, denn seine Wangen waren bleich wegen der Trennung von seinen Lieben. — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 111. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden. o glücklicher König, daß Tâsch el-Mulûk sich nach der Karawane umsah und daß sein Blick auf einen Jüngling fiel, der war der Jugend schönstes Bild, in ein schneeweißes Gewand gehüllt und von lieblicher Gestalt: aber seine Schönheit schien zu verwelken, denn seine Wangen waren bleich wegen der Trennung von seinen Lieben; und er begann laut zu schluchzen und zu stöhnen. und von seinen Lidern rannen die Tränen. während er diese Verse sprach:

Lang ward die Trennung, und immer währen Sorge und Schmerzen,
Während aus meinem Auge, o Freund, die Träne rinnt.



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Von meinem Herzen nahm ich Abschied am Tage der Trennung; Jetzt bin ich allein, da Herz und Hoffnung entschwunden sind. Bis ich von ihr, deren Worte Krankheit und Leiden heilen. Abschied genommen, mein Freund, wolle bei mir verweilen!

Als nun der Jüngling geendet hatte, weinte er eine Weile und fiel dann ohnmächtig nieder; und Tüdsch el-Mulûk sah ihn an und staunte über ihn. Doch als er wieder zu sich kam. hob er den verstörten Blick und sprach die Verse:

Hütet euch vor ihrem Blicke, der da zaubern kann.
Dessen Strahlen noch keiner unversehrt entrann!
Denn das schwarze Auge, wenn es gleich träumerisch blickt,
Zerschneidet die funkelnden Schwerter, die zum Hiebe gezückt.
Laßt euch nicht fangen, wenn ihr der Stimme Zauberklang hört;
Sie ist wie des Weines Stärke. die den Verstand betört.
Zart ist ihr Leib -berühret die Seide nur ihre Haut.
Sie ließe ihr Blut entströmen; gehet zu ihr und schaut!
Vom Knöchel bis zum Halse ein hohes. schlankes Bild -
Und ach, der Wohlgeruch, der die Luft um sie erfüllt!

Dann schluchzte er laut auf und sank in Ohnmacht. Als aber Tâdsch el-Mulûk ihn also sah, da war er bestürzt. und er trat auf ilm zu; und sobald der Jüngling wieder zu sich kam und den Königssohn zu seinen Häupten stehen sah, da sprang er auf und küßte den Boden vor ihm. Doch Tâsch el-Mulûk fragte ihn: ,Weshalb hast du uns nicht deine Waren vorgelegt?' und er antwortete: ,Hoher Herr. unter meinem Vorrat ist nichts. was deiner erhabenen Durchlaucht wert sein könnte.' Da sagte der Prinz: ,Du mußt mir doch zeigen, was du hast, und mich mit deinem Schicksal bekannt machen: denn ich sehe dich mit Tränen im Auge und betrübten Herzens. Wenn dir Unrecht geschehen ist, so wollen wir deinem Leid ein Ende machen; und wenn du in Schulden bist, so wollen wir deine Schulden bezahlen. Denn mir brennt das Herz um deinetwillen. seit ich



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dich gesehen.' Dann ließ Tâdsch el-Mulûk zwei Sitze bereiten, und man brachte ihm einen Stuhl aus Elfenbein und Ebenholz, belegt mit einem Gewebe aus Gold und Seide; und davor breitete man einen seidenen Teppich aus. Nun setzte er sich auf den Stuhl, befahl dem Jüngling, sich auf den Teppich zusetzen, und sprach: ,Jetzt zeige mir deine Waren!' Da wiederholte der junge Kaufmann: ,Hoher Herr, sprich nicht davon zu mir; denn meine Waren sind deiner nicht wert!' Aber Tâdsch el-Mulûk beharrte darauf und befahl seinen Sklaven, die Waren zu bringen. So brachten sie sie wider des Jünglings Willen; und als der sie sah, da flossen seine Tränen von neuem, und er weinte und seufzte und klagte; und schluchzend sprach er die Verse:

Bei deiner Wimpern schwarzglänzender Lieblichkeit,
Bei deines Leibes sich wiegender Zierlichkeit,
Bei deiner Lippen berauschendem Honigtau,
Bei deines Sinnes unendlicher Gütigkeit,
Du meine Hoffnung, mir ist dein Erscheinen im Traum
Süßer als Schutz vor allem quälenden Leid.

Darauf öffnete der Jüngling seine Ballen und breitete einzeln, Stück für Stück, seine Waren vor dem Prinzen aus, und unter ihnen nahm er auch ein Gewand aus Atlas hervor, das mit Gold durchwirkt und das zweitausend Dinare wert war. Doch als er es entfaltete, da fiel ein Stück Linnen heraus, das der junge Kaufmann eilig aufgriff und unter seinem Schenkel barg; und der Welt entrückt in seinem Sinn, sprach er diese Verse vor sich hin:

Wann werden durch dich geheilet meines Herzens Qualen?
Ach, der Plejaden Gestirn ist näher, als du mir bist!
In Fernsein und Verbannung, Sehnsucht und Liebesnöten,
In Aufschub und Vertröstung vergeht meines Lebens Frist.
Kein Wiedersehen belebt mich, die Trennung will mich nicht töten;
Ich nahe nicht aus der Ferne, und du kommst nicht zu mir.
Gerechtigkeit kennst du nicht, du kennest kein Erbarmen:



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Du leihest keine Hilfe, es gibt keine Flucht vor dir.
Denn ach, die Liebe zu dir schloß alle Wege mir zu;
Ich weit! nicht, wohin ich mich wende, ich finde keine Ruh!

Ob dieser Verse staunte Tâdsch el-Mulûk. denn er wußte keine Ursache für sie. Aber da der Jüngling nach dem Linnen gegriffen und es unter dem Schenkel geborgen hatte, fragte er: ,Was ist es mit diesem Linnen?' ,Hoher Herr'. erwiderte der Kaufmann. ,dies Linnen hat nichts mit dir zu tun.' Da sprach der Königssohn: ,Zeige es mir'; doch jener erwiderte: ,Hoher Herr, nur um dieses Stückes Linnen willen weigerte ich mich, dir meine Waren zu zeigen; denn ich kann es dich nicht sehen lassen.' — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 112. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling zu Tâdsch el-Mulûk sprach: ,Nur um dieses Stückes Linnen willen weigerte ich mich, dir meine Waren zu zeigen; denn ich kann es dich nicht sehen lassen.' Da entgegnete Tâdsch el-Mulûk: ,Ich muß und will es sehen'; und er drang in ihn und ward zornig. Nun zog der Jüngling es weinend und seufzend und klagend unter seinem Knie hervor, worauf er wieder in Seufzer ausbrach und diese Verse sprach:

Tadle den Freund doch nicht; denn das Tadeln tut ihm wehe.
Ich rief: ,Gerechtigkeit!' Allein er hörte es nicht.
In Gottes Schutz stelle ich meinen Mond. der dort im Tale
Des Stammes aus Wolkenkleidern aufgeht in hellem Licht.
Ich schied von ihm; doch ich wünsche, daß selbst das Schönste im Leben
Von mir sich trennen möchte, hätte ich ihn nur hier.
Wie trat er für mich ein am Trennungstage frühmorgens,
Und ach, die Tränen benetzten das Antlitz ihm und mir!
Gott strafe nicht Lügen! Das Kleid der Entschuldigung ist zerrissen,
Da ich mich von ihm trennte; allein ich flicke es nun.



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Ach, mir bleibt keine Stätte, darauf ich ruhen könnte;
Und seit ich dahingegangen, kann auch er nicht ruhn.
Jetzt hat das Schicksal uns mit harter Hand zerrissen,
Und es versagt uns beiden alle Freude und Lust.
Es goß nur lauter Leid, als es den Becher füllte,
Aus dem er nun getrunken, wie ich ihn trinken mußt.

Und als er geendet hatte, sprach Tâdsch el-Mulûk: ,Ich sehe in deinem Verhalten keine Klarheit; so sage mir, weshalb du beim Anblick dieses Linnens weinest!' Der junge Kaufmann aber seufzte bei der Erwähnung des Linnens und sprach: ,Hoher Herr, meine Geschichte ist wunderbar und mein Schicksal seltsam gar, soweit es mit diesem Stück Linnen zusammenhängt und mit der, die es besaß und die diese Figuren und Zeichen gestickt hat.' Dann breitete er die Leinwand aus, und siehe, man erblickte auf ihr die Gestalt einer Gazelle, in Seide gestickt und durchwirkt mit rotem Golde, und ihr gegenüber stand eine zweite Gazelle, in Silber gestickt, mit einem Halsring aus rotem Golde, an dem drei Chrysolithenröhrchen hingen. Als Tâdsch el-Mulûk das Linnen mit der kunstvollen Arbeit erblickte, rief er aus: ,Preis sei Allah, der den Menschen lehrte, was er zuvor nicht wußte!"Und sein Herz sehnte sich danach, die Geschichte dieses Jünglings zu hören, und so sprach er zu ihm: ,Erzähle mir dein Erlebnis mit ihr, von der diese Gazellen sind!' Da sprach der Jüngling: ,Vernimm denn, hoher Herr,


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