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Vo chlyne Lüte


ZWERGENSAGEN FEEN- UND FÄNGGENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NEU MITGETEILT VON C.ENGLERT-FAYE


MIT BILDERN VON BERTA TAPPOLET

TROXLER-VERLAG BERN


Der Lehenszins

Ein hablicher Bauer aus Giswyl war mit seinen dreißig loben Kühen ins Iwi zu Berg gefahren. Wie er nun mit dem Senntum im Vorsaß war, kam eines Tages ein Männlein mit langem weißen Bart und einem uralten Gesicht vom Giswylerstock herunter. Zwei Fuß hoch nur war es und hatte ein graues Gewändlein an, und auf dem Kopf trug es ein rotes Lederkäppchen, ein Lecktäschli mit Viehsalz gefüllt über die Achsel herunter, in der Hand einen Hirtenstock. Gar freundlich grüßte der Zwerg, und gar schön hat er den Bauern, ihm doch eine Kuh auf den Sommer zum Lehen zu geben. Der Bauer, der das seltsame Männlein nie gesehen hatte, mochte der Sache nur halb trauen und schüttelte bedenklich den Kopf. Als aber das Mannli nicht nachließ zu bitten und zu betteln, da fiel es ihm ein, er habe ja noch ein mageres Kühlein, ein rechtes Blag, das schon den ganzen Frühling herumgeserbelt und bis zum Herbste wohl ohnehin umstehen werde. Um dieses Haupt sei es am Ende nicht schade, meinte der Bauer, auch wenn er es nie mehr zu sehen bekomme. Also solle das Männlein das sieche Viehlein haben, nur die Schelle wolle er ihm noch vorher abziehen, denn die Glocke deuchte ihn schier mehr wert als die Kuh. Als aber das Männlein gar bittlich flehte, er solle ihm doch die Kuh mitsamt der Schelle lassen, da willigte der Bauer schließlich ein, und wegen des Zinses, meinte er, so solle er's halten, wie er's dann eben machen könne. Auf Sankt Michaels Tag aber müsse er ihm die Kuh pünktlich wieder bringen.



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So war denn der Handel gemacht, und das Männlein nahm die Kuh und zog mit ihr fort, und hell erklang das Schelli noch eine Weile, dann immer ferner und ferner, und aufsmal war das Männlein mit dem Tiere in einer Wand verschwunden, wo sonst niemand hindurchkommen konnte alleinig, und schon gar nicht mit einer Kuh. Der Bauer blickte der Kuh nach und dachte: «Das Kuehli seh ich gläublich so wenig wieder wie das Mannli» und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Aber als er bald darauf einmal zum Giswylerstock hinaufschaute, da sah er weit weit oben am Berg auf den Gemsenplätzen sein mageres Kühlem munter weiden, und jetzt gab er die Kuh erst recht verloren. Denn dort oben vermochten grad eben noch Gemsen zu weiden. Alles andere Vieh mußte über die Wände herab zu Tode fallen.

Um eine Weile fuhr der Bauer höher zu Berg auf die obern Staffeln und vergaß bald den ganzen Handel. Doch sonderbar, den ganzen langen Sommer ging es ihm glückhaft gut. Sein Vieh ward rund und glänzend wie noch nie in früheren Jahren, während andere Alpen von allerhand Seuchen heimgesucht waren, also daß die Kühe gegen den Herbst die Haare stellten, als ob sie beim Bürstenbinder gesömmert worden.

Alsgemach ward es Herbst, der Bauer war von der Hochalp wieder ins Vorsaß herab gefahren, und die Kühe käuten das saftige Herbstgras. Am Sant Michels Tag saß der Bauer vor seiner Hütte und klopfte eben seine Pfeife aus. Da hörte er aufsmal eine Kuhschelle läuten, die gab einen sonderlich schönen Klang, und da kam auch schon das Männlein mit dem weißen Barte daher, an der Hand führte es die Kuh. Die glänzte wie Seide an der Sonne und war noch viel schöner als die andern Kühe des Senntums. «Hier bringe ich dir die Kuli zurück», sprach das Männlein, «die du mir in Verding gegeben für den Sommer, und dann möchte ich grad fragen, wieviel Zins ich dir schulde.» Der Bauer machte Augen wie Pflugsräder und wollte



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gar nicht glauben, daß diese glatte, feiße Kuh mit dem strotzenden Euter sein elendes, mageres Hungerkühlein sein sollte, das er dem Männlein im Frühling in Pacht gegeben. «Zins will ich keinen Rappen», sprach er endlich, «komm übers Jahr im andern Sommer wieder und hol dir eine neue Kuh, wenn du willst, und ich zahl dir noch drauf.» Doch das Männlein antwortete, es brauche gewißlich nie mehr eine Kuh, da es jetzt für sein ganzes Leben Milch und Käse genug habe. Und es gab dem Bauer ein Bratkäsli. Das solle er nur nie ganz aufessen, dann habe er immer Käse, so lang er lebe. Da lachte der Bauer und meinte, ja, ja, das wolle er glauben. Aber das Mannli lüpfte sein Käpplein und rief: «Thio und liog!» und damit eilte es geschwind wie ein Gemslein den Hang hinauf, dem Giswylerstock zu.

Gen Abend ging der Bauer heim, um seiner Frau den Kram des seltsamen Sennen zu bringen, und als sie zum Nachtessen davon aßen, dünkte es sie gar fürnehm im Geschmack. Da versorgten sie das Käs



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lein jeweilen gar gut und gaben den Nachbarn auch dann und wann davon zu kosten; und allemal, wenn man das Käslein wieder hervornahm, war es ganz wie zuvor.

Das ging wohl zwei Jahre lang so fort. Aber eines Tages hatte unser Bauer Schneider und Schuhmacher auf der Stör, und als er ihnen das Käslein zum z Vieri vorsetzte, mundete es ihnen so gut, daß sie es rupis stupis aufaßen, ohne daß der Bauer es gerade gewahrte. Da aber ward er gewaltig zornig, aber jetzt konnte das Käslein nicht mehr wachsen, wie sehr er auch fluchte und schwor.


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