Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Wie ein Müller um seinen Esel kam

Hinter einer Weißdornhecke an der Landstraße nach Astano lagen zwei Tagediebe in der frühen Nachmittagssonne und ruhten von ihrer Arbeit aus. Sie hatten Nüsse gebettelt in



Schw. Maerchen Sagen-255 Flip arpa


der Gegend und die schweren Säcke bis hierher gebuckelt.

Da kam ein Mann des Weges. Hinter ihm her stockelte ein Esel. Er hatte ihn am Morgen auf dem Markt gekauft und führte ihn frohgemut seiner Mühle zu.

Sagte der eine Landstreicher zum andern: «Schau, wie die beiden im gleichen Schritt einhertrotten. Ich wollte wetten, dem Alten könnte man den Esel abhaiftern, und er würde es nicht merken.» «Hei, da gibts was! Du nimmst den Esel und ich laufe hinter dem Alten her. Ich werde mich schon aus der Sache herausschwatzen können», antwortete der Gesell.

Gesagt, getan. Sie schlichen dem Alten nach, der vom Rattern der Mühlräder etwas schwerhörig geworden war. Der eine flattierte dem Grautierchen, löste es vom Seil und führte es zurück zu den Nußsäcken, der andere band sich die Halfter um den Hals und trottete an des Esels Stelle. Bald wurde der Landstreicher müde und verlangsamte den



Schw. Maerchen Sagen-256 Flip arpa

Schritt. Da drehte sich der Müller um, den Esel mit der Rute anzutreiben. «Was zum Teufel ist denn das?», rief der Müller erstaunt, «hab ich einen Esel gekauft und ziehe einen Menschen hinter mir her!» «Guter Alter», antwortete der Tagedieb mit salbungsvoller Stimme, «erschreckt nicht, ich will euch die Sache erklären, sie ist wahrlich merkwürdig genug.» Da setzten sie sich auf ein Mäuerchen, das die Straße säumte und der Schelm begann: «Hört, genau vorjahr und Tag tat ich etwas Böses und lud schwere Schuld auf mich. Da hat mich Gott gestraft und in einen Esel verwandelt und soeben war die Stunde, in der ich wieder erlöst worden bin.» «Behüte mich Gott vor solchem», seufzte der Müller, «ich habe nicht gewußt, daß es auf Erden solche Strafen gibt. Aber, ich bitte euch, vergebt mir, daß ich euch auf dem Markt geschlagen habe, als ihr mir nicht folgen wolltet.» «Darum macht euch keine Sorgen, das gehörte zu meiner Strafe, ich bin selber Schuld daran.» Damit trennten sich die beiden.

Der Müller machte sich gedankenversunken auf den Heimweg. Nach dem ersten Staunen über dieses göttliche Wunder stieg ein Zorn in ihm auf, weil er an diesem Esel so viel Geld verloren hatte. Der andere kehrte lachend zu seinem Gesellen zurück.

Nun aber trachteten sie, den Esel schnellstens loszuwerden, damit sie nicht mit den Strickreitern unliebe Bekanntschaft machten. Darum bogen sie in den nächsten Weg ein, der in ein Nachbardorf führte. Unlang trafen sie ein Bäuerlein, das vom Feld heimkehrte. Im Plaudern trugen sie ihm den Esel für wenig Geld an. Das Bäuerlein witterte einen guten Handel und schlug ein. Hinter des Bauern Scheune teilten sie den Erlös. Nun aber machten sich die beiden Diebe eiligst aus dem Staub mit dem festen Vorsatz, wenn sich wieder eine solche Gelegenheit biete, munter zuzupacken. Der Bauer aber verkaufte den Esel anderntags einem vorbeifahrenden Händler und gewann ein schönes Sümmchen.



Schw. Maerchen Sagen-257 Flip arpa

Etwa zwei Wochen danach machte sich der Müller wieder auf den Weg, um auf dem Markt des Nachbarstädtchens einen Esel zu erstehen, denn er hatte einen nötig um die Säcke zu tragen.

Als er die angebotenen Tiere beschaute - beim Eid -, da stand ein Esel, der dem, den er in Astano drüben gekauft hatte, glich auf Tupf und Strich. Er näherte sich dem Tier, untersuchte es von allen Seiten und erkannte, daß es dasselbe war, das er vor kurzem erstanden und das ihm auf so merkwürdige Weise abhanden gekommen war. Er tätschelte den Esel, beugte sich zu ihm und tuschelte ihm ins Ohr: «Oh, oh, hast du wieder eine große Sünde begangen, daß du schon wieder hier bist?» Das Grautierchen, nicht gewohnt, daß man ihm ins Ohr flüsterte, schüttelte heftig den Kopf, weil es gekitzelt war. Aber der Müller sagte zu ihm: «Ei, du mußt jetzt nicht den Kopf schütteln und nein sagen. Denn lueg, ich kenne dich. Aber ein zweites Mal lasse ich mich nicht erwischen!» Sprachs und kaufte einen andern Esel.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt