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Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Der Marcher

In Wengen lag sonnenhalb ein großes schönes Stück Land. Und allemal im Vorfrühling, wenn alle andern Hänge und Halden noch fahl dalagen, wenn der letzte Schnee gewichen war, so sproß dort schon das erste frische Grün hervor. Mitten hindurch floß munter sprudelnd ein silberhelles Bächlein, der Riebibach geheißen. Das hatte das allerbeste Trinkwasser weit und breit, und selbst im strengsten Winter setzte sich kein Eisschorf an seinem Rande an. und im heißesten Sommer, wenn alle andern Bäche vor Dürre versiegten, strömte das kühle Naß in vollem Fluß und Guß. Der Bach trieb eine Sägemühle und rieb den Bauern außerdem Roggen und Gerste zu Mehl.

Die fetten Gründe zweier Bauerngüter stießen an dies Bächlein an, und ihre Eigentümer lebten eben darum in Streit und Hader miteinander, denn jeder meinte, das Bächlein gehöre ihm allein. Und da sie beide arge Hebrechte waren, die an ihrem Vorteil hingen, wie Zwecken am Wollenpelz und beiderseits stets gähes Pulver auf der Pfanne lag, so zündete des Teufels böser Funke leicht, und sie werkten einander nach Kräften zuleide. Und so ging es denn mit ihnen, wie's eben geht, wenn sibe hebe und der acht nit wott la gab: bis sie merkten, daß wer rechtet, meist mehr um Schalen, Hülsen und Kleien streitet als um Kern oder Frucht. Und so wurden sie zuletzt am End rätig, ein uraltes hageres Chudermänndi als Richter anzurufen, das von Zeit zu Zeit in Wengen sich einfand. Niemand wußte, woher es kam und wer es war, aber alle Leute sagten, es wisse und könne mehr als andere. Als dies Männdi nun das nächste Mal wieder erschien, brachten die beiden Setzköpfe ihm ihre Sache vor und baten es um des Herrgottswillen, es solle ihnen doch marchen. Das Männdi sprach: «Ja, schon recht, ihr Haderbälge, das ist jetzt noch keine Notsach, an jedem beliebigen Tag kann ich



Schw. Maerchen Sagen-220 Flip arpa

das nicht machen, ich komme aber in Ustagen wieder, wenn die rechte Zeit inne ist.»

Als der Föhn in gähen Stößen talaus fuhr und Eis und Schnee auf Fels und Fluh unter seinem heißen Atem vergingen, da warteten beide auf den Richter. Er kam aber erst mit Gugger und Schwalbe und hatte nichts bei sich als ein haselnes Zwieselstecklein. Mit dem fuhr er dreimal durch das Wasser des Riebibächleins und rief mit einer hohen Stimme, die tönte wie der Ruf des Herrenvogels:«Ich für mein Teil, ich behalt mir Leib und Seel vor, aber ihr, ihr Sackershagel, ihr Muderköpf und Surrumurri, euch will ich jetzt marchen, daß für alle Zeiten gemarchet ist. Morgen noch, ehe es tagt, soll die March gezogen sein!» Sprach's und machte sich auf und fort, ehe noch wer ja oder bah hat sagen können, und kein Mensch im Tal hat es seit diesem Tage je wieder gesehen.

Zur Stunde aber hub das Wetter an stößig zu werden: große, pechschwarze Wolken stauten sich an Gipfeln und Gräten, und um Mitternacht brach ein Unwetter los, wie es noch zu keines Menschen Lebtag in diesem Tal geschehen. Der Regen peitschte wie Geißelschnüre hernieder, es stürmte und chutete, und das ganze Tal fing an zu beben, zu brausen und zu rauschen von Windes und Wassers Gewalt. Ein Donnerklapf schlug in den andern, der Widerhall rollte in den Felsen, fahl zuckte Blitz auf Blitz, und es war ein Ruch von nasser aufgewühlter Erde, Holz und Schwefel. Die Menschen standen zitternd vor ihren Häusern und Hütten und glaubten, der jüngste Tag wäre angebrochen.

Als am andern Morgen Wind und Wasser ausgetobt hatten und die beiden Bauern wie gewohnt an dem Bächlein Wasser holen wollten, da - potz Strahlwetter und Donnerschieß! -da war auf alle Zeiten gemarchet: das lustige Bächlein schoß als ein mächtiges Wildwasser durch eine tiefe und breite Runse. Es heißt heute der Chnewgraben und trennt den Weiler Schiltwalt vom übrigen Wengen.


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