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Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Das Kind und die Krönliotter

In ein altes Haus im Steig waren vor Zeiten fremde Leute zugezogen, die bei Bauern im Taglohn schafften. Sie hatten ein munteres rotbackiges Kind. Vreneli hat's geheißen. Als das Mädchen drei Jahre alt war, gaben ihm die Eltern abends, wenn sie ihre eigenen Wiesen und Äcker bestellen mußten, ein Chacheli Milch und eine Scheibe Brot. Dann setzte sich das Kind vor die Haustüre. bröckelte sein Brot in die Milch und löffelte sie aus und vertörlete sich, bis es dunkelte und die Eltern heimkamen.

An einem solchen Sommerabend, als es schon zu dämmern anfing, kroch eine große Schlange aus dem nahen Krebsbach herauf, kugelte sich vor der Schwelle, auf der das Kind saß, richtete sich dann bolzgrad auf und nickte mit dem Kopf, gleich wie die Stadtleute es tun, wenn sie einander die Zeit wünschen. Die Otter trug ein glitzerndes Goldkrönlein auf dem Kopf. Das Mädchen staunte und wunderte sich ob dem Kleinod. Da es das Tier nicht kannte. sagte es zu ihm: Se, Busle, willst auch Milch? und hielt ihm ohne Scheu das Beckeli hin. Aber das Tier war wählerisch. schnupperte und schlapperte mit dem Maul im Beckeli herum, tappte aber nur die Milch und ließ das Brot liegen. Derweil sie trank, streichelte das Mädchen die Schlange, liebkoste sie und tändelte mit dem glitzerigen Krönlein.



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Nachdem die Otter das letzte Tröpflein ausgeleckt hatte, machte sie wieder ein Nickerchen, als würde sie sich bedanken und huschte unversehens zum Bach hinab.

Von da an kam die Otter jeden Abend zum Kind, lappte Milch, und Vreneli spielte und plauderte mit ihr und liebkoste sie. Immer wieder erzählte es der Mutter von einer schönen langen Katze, die zu ihm komme, mit der es spiele und die ihn« schlecke und küsse.

Die Mutter dachte, was ist das wohl mit dieser langen Katze, da scheint mir etwas nicht geheuer. Auch der Vater meinte, als sie ihm davon erzählte, da stecke sicher etwas Ungutes dahinter. Zuletzt wurden sie rätig, man müsse der Sache nachspüren.

Am Abend drauf blieb die Mutter unbemerkt daheim, nahm einen Haufen Heu, hockte damit hinter die Haustüre und lauerte im Versteck. Bald darauf kam die Otter daher und fing an Milch zu lappen. Das Kind spielte mit ihr wie jeden Abend. Als die Mutter gewahrte, wie das Mädchen die Schlange gar aus dem Löffel lappen ließ und dann den Rest selber ausschlürfte, erschrak sie und meinte schon, ihr Kind sei verloren. «Ei so verdirb, du garstiger Erdenklumpen» schrie sie und schlug der Otter das Krönlein vom Kopf. Das plumpste gerade ins Milchbeckeli. Die Otter richtete sich auf, zischte und züngelte und machte Flackeraugen, aber im Handkehrum entwischte sie zum Bach. Schnell riß die Mutter dem erschrockenen Kind das Chacheli aus den Händen und warf es in einem Schwung der Otter nach. Die Schlange sah man nie wieder.

Seit diesem Abend duldeten die Eltern nicht mehr, daß Vreneli allein vors Haus hinunter sitze. Es mußte fortan in der Küche bleiben. Lange trauerte es seinem Gespielen nach.

Später kam es in die Schule und Jahre danach erblühte es zu einer schönen Jungfrau.

An einem Sonntagmorgen war alles zur Kirche, nur



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Vreneli war zu Hause geblieben. Es wird wohl derweil in der Bibel gelesen haben, denke ich. Unterdes schleicht ein Nichtsnutz übers Läubli, das von der oberen Straße zum Haus führt, und durchsucht und durchstöbert das Haus vom Estrich bis zum Keller. Vreneli hört's und schließt schnell seine Kammertüre. Nicht lange geht's, da steht der Nichtsnutz vor der Tür und fängt an, am Schloß herumzunäggeln. Vreneli verdatterte schier vor Angst. Als das Türschloß nicht nachgab, stieß der Unflat mit den Füßen an die Türe, daß es nur so polterte. Vreneli in seiner Angst schrie um Hilfe. Aber weil niemand zugegen war, konnte ihm niemand helfen. Da, als die Türe krachend durchbricht, fängt es in der Kammer an zu sausen, pfeifen, chroslen und wispern. Aus allen Löchern und Fugen schießen Ottern hervor, grad wie wenn sie kübelweis hereingetragen worden wären. Darob erschrak der Eindringling, daß ihm windelweich wurde, und als die Schlangen gar auf ihn zufuhren, zischten und gegen ihn züngelten, nahm er reißaus, als ritte ihn der Teufel.

Ehe Vreneli aus seinem Schreck wieder zu sich gekommen war und erlöst aufatmete, waren die Ottern verschwunden.

Seit dieser Zeit heißt das Haus im Steig das Otterngut, und so ist es bis auf den heutigen Tag genannt.


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