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Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Der dankbare Löwe

Der Hunger trieb einst einen Löwen, daß er auf die Weide lief, um ein Rind zu rauben. Da trat er in einen Dorn. und sein Bein schwoll an und der Fuß schwärte. Und große Schmerzen litt der Löwe, denn der Dorn stak tief in seinem Fuße und tat ihm weh. Er mochte nicht mehr laufen und bald konnte er kaum noch gehen; und sich selber helfen konnte er nicht. In seiner Not schleppte er sich zu einem Hirten hin. Der erschrak und glaubte nichts anderes, als daß der Löwe ihn zerreißen werde. Gerne hätte er dem Löwen all seine Schafe gelassen, wenn er nur seiner schonte. Der Löwe aber gebärdete sich gar sanft und tat so artig, daß es den Hirten ein Wunder deuchte: er reichte ihm seine kranke Pranke dar, so daß er die Wunde gewahrte. Er sah den Dorn



Schw. Maerchen Sagen-109 Flip arpa

in dem Fuß, der dem Löwen solches Ungemach schuf. Und geschickt zog er ihn heraus mit seiner Hand. Da genas der Löwe alsbald von seinen Schmerzen, er schaute seinen Arzt an, streckte und reckte sich, schlug mit seinem Wedel und brummte sanft. Dann ging er fröhlich von dannen.

Nicht lange darnach fiel der Löwe in eine Fallgrube, welche die Jäger des Königs gegraben hatten. Da war er gefangen und wurde nach Rom gebracht in ein großes Haus und allda zu anderen wilden Tieren gesperrt, die in einem Zwinger gefangen gehalten wurden. Denen warf man bei großen Festen Menschen vor, die zum Tode verurteilt waren: denn die Römer kannten zu selben Zeiten kein schöner Schauspiel als wilde Tierhetzen und blutige Menschenkämpfe. In einem Kriege war nun auch jener Hirt, der einst dem Löwen den Dorn aus dem Fuß gezogen hatte, gefangen genommen und als Sklave nach Rom verkauft worden, daß er mit den wilden Tieren um sein Leben kämpfe. Als der Löwe den Mann gewahrte, da lief er sanft zu ihm hin, stellte sich schmeichelnd mit dem Schweife wedelnd vor ihn und trieb die anderen Tiere dräuend von ihm weg. Wie aber der Kaiser der Römer dies Schauspiel sah, da wunderte er sich sehr, was es sein möchte, daß solches sich begebe, und er ließ den Hirten alsbald vor sich kommen und sprach: «Sage mir, wie geht das zu, daß dir der Löwe nichts getan hat?» Der Hirt antwortete: «Herr, einst zog ich fern in meiner Heimat auf der Weide diesem Löwen einen Dorn aus dem Fuß und heilte seine Wunde. Drum hat er jetzt meiner geschont.» Das deuchte den Kaiser ein seltener Lebenstreff zu sein, ein wahrer Fingerzeig des Himmels, und er sprach: «Dieweil der Löwe dir kein Leid getan, der Herr der Wälder und der Tiere König, so will auch ich, des Erdenrunds Gebieter, deiner schonen. Geh in Frieden und zieh in deine Heimat. und der Löwe folge dir.»


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