Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Demut adelt

Es lebte einst vor vielen hundert Jahren ein alter Burgvogt, der wünschte nichts sehnlicher, als daß sein einziger junger Sohn, der vor kurzem mündig geworden, sich recht bald ein Weib nehme, damit er es noch erlebe, einen Enkel auf den Knien zu schaukeln; denn dann bliebe auch die Vogtschaft bei seinem Geschlechte. Auf einen Tag lud er alle Verwandten ein, gab ihnen ein prächtiges Mahl und hielt eine Rede und sagte: «Ich bin schon alt, und der Tod kann mich täglich abberufen. Darum will ich mein Haus bestellen und möchte ich dich, mein Sohn, im Stande der Ehe sehen.» Der Sohn antwortete: «Vater, gern will ich euch zu Gefallen ein Weib heimführen, aber ein Weib nach meiner Wahl. und du mögest sie als deine Tochter begrüßen, ob sie edeln Geblütes sei oder von gemeinen Leuten, ob sie reich sei oder arm, wenn ich sie nur liebe.» Und der Vater sagte es ihm zu. Darauf sattelte der Jüngling sein Roß und ritt im ganzen Lande umher, von Burg zu Burg, von Dorf zu Dorf und hielt überall Einkehr und Umschau. Aber keine von den vornehmen Ritterstöchtern und adligen Fräuleins wollte ihm gefallen und keine von den reichen Meisterstöchtern auf den großen Höfen. Und so ritt er unverrichteter Dinge wieder heimzu.

Da kam er unterwegs in einem Dorf an einem Brunnen vorbei. Er hielt an, um sein Roß zu tränken und den eigenen Durst zu stillen. Da kam aus einem Haus ein einfaches



Schw. Maerchen Sagen-102 Flip arpa

Mädchen um Wasser zu holen. Ein so holdseliges Kind hatte der junge Graf noch nie gesehen, anmutig war es, wie eines Engels Bild. «Bei Gott, wenn eine auf der Welt, so soll dieses Mädchen mein Weib werden», sprach er zu sich selber und ritt davon.

Daheim ließ er eine Schneiderin kommen und hieß sie einer Magd im Schlosse, die an Gestalt und Wuchs jenem Mädchen etwa gleichkommen mochte, ein Kleid anmessen aus Samt und Seide, wie es für eine Edelfrau sich ziemt. Und bei einem Goldschmied in der Stadt besorgte er Gürtel, Kette, Spangen und Ringe. Als das Kleid fertig war, ließ er die Kutsche einspannen und fuhr in das Dorf zu dem Hause des Mädchens. Er stieg aus und trat in die Stube und fand Mutter und Tochter zu Hause. Er bat die Mutter um die Hand des Mädchens, er habe es vor kurzem am Brunnen gesehen und begehre kein anderes zur Frau. «Ach, nein, edler Herr». antwortete die Mutter. «das kann euer Ernst nicht sein. Wir sind arme Leute, und ich habe meiner Tochter nichts in die Ehe zu geben, als was sie am Leibe trägt. Gott verzeihe euch den Scherz, Herr.» Der Jüngling aber erwiderte: «Frau, bei meiner Ritterehre schwöre ich euch, daß ich eure Tochter von ganzem Herzen liebe und ohne sie nicht leben will.» Da sprach die Mutter: «Nun wohl, ist es euer beider Wille. so nehmt sie in Gottes Namen und der Herr segne euch!» Da nahm er das Mädchen bei der Hand und fragte es, ob es seine Frau werden wolle. Die Tochter sprach: «Ja, Herr, ich will euer eigen sein.» «Nun, so versprich mir auch», sagte der Jüngling, «in allen Stücken mir gehorsam zu sein, wie es dem Weibe gebührt, daß es dem Manne sei.» Sie versprach es ihm mit Herz und Hand. Da überreichte er ihr das Kleid und allen Schmuck. Sie zog es an, und es paßte ihr aufs beste. Dann führte er sie zum Wagen, und sie fuhren aufs Schloß und hielten Hochzeit, und es war ein Fest, als wäre die Braut eine Herzogin oder Fürstentochter gewesen.



Schw. Maerchen Sagen-103 Flip arpa

Die junge Frau und der Graf lebten glücklich miteinander, und niemand hätte vermutet, daß sie niedriger Herkunft war; es war, als hätte sie mit den Kleidern Gesittung und Leben gewechselt, als sie ihre Hütte mit dem Schloß vertauscht: denn sie benahm sich in allen Stücken so einnehmend und gewandt wie die vornehmste Edelfrau, so daß es alle wunder nahm, die sie zuvor gekannt, und vergaß doch nie, daß sie einfacher Leute Kind war: denn so freundlich und leutselig war sie zu jedermann, daß alle sich glücklich priesen, eine solche Herrin erhalten zu haben, und für sie beteten. Und um das Glück voll zu machen, gebar die Gräfin nach zwei Jahren zu ihrer beider höchsten Freude ein Töchterchen.

Da aber kam es den Grafen an. Gehorsam und Willfährigkeit seiner Gattin auf die Probe zu stellen. Als das Kindlein zwei Jahre alt war, trat er vor sie und sprach: «Du hast mir vor der Ehe versprochen, in allen Stücken stets mir gehorsam zu sein. Das Volk murrt, weil das Erstgeborene nicht ein Knabe ist. Drum ist es besser, es wird fortgeschafft. Frage nicht, wohin.» Die Frau neigte ihr Haupt und antwortete: «Was ich gelobt, ist mir heilig. Dein Wille geschehe, wenn es nicht anders sein kann.» Sie küßte ihr Kind, segnete es und gab es hin. Nach aber zwei Jahren gebar die Gräfin ein Söhnlein, und wieder war die Freude groß. Aber als das Kindlein zwei Jahre alt war, trat der Graf wieder vor seine Gemahlin und sprach: «Das Volk murrt und sie schelten deinen Sohn einen Bankert, weil du niedriger Geburt bist. Drum ist es besser, er wird fortgeschafft.» Die Frau neigte weinend ihr Haupt und sprach: «Tu, was du nicht lassen kannst», küßte das Kind, segnete es und gab es hin. Und wieder vergingen einige Jahre, da trat der Graf vor seine Gemahlin und sprach: «Das Volk murrt gegen mich, weil ich dich zur Ehe genommen habe. Ich will aber Frieden haben, wir müssen uns trennen. Geh du also zu deiner Mutter zurück, und ich will mich nach einer andern Frau umsehen,



Schw. Maerchen Sagen-104 Flip arpa

die meines Standes ist. Dann wird das Volk zufrieden sein.» Die Frau neigte ihr Haupt und sprach: «Nun wohl, wenn es deiner Ruhe gut und deiner Ehre förderlich ist, so will ich gehen, wie ich gekommen bin. Mein niedriger Stand schickt sich nicht für euren Adel. Lebe wohl und Gott schütze dich!» Dann ging sie hin und suchte aus der Truhe ihre alten Bauernkleider hervor, zog ihr schönes Kleid aus und legte das alte an. Dann ging sie stille zu Fuß nach ihrem Dorf. Und alle, die sie sahen, weinten. Als sie zu ihrer Mutter in die Stube trat, da seufzte diese und sagte: «Was hab ich gesagt? Es geht so lang, bis du ihm verleidet bist.»

Wieder verflossen einige Jahre. Da eines Tages ließ der Graf seine verstoßene Frau aufs Schloß entbieten und hieß sie das ganze Schloß kehren und fegen, denn er gedenke sich in Bälde mit einer vornehmen jungen Edeldame zu vermählen, und da müsse alles sauber sein und in bestem Stande, und niemand wisse besser Bescheid im Schloß als sie. Die Frau kam und kehrte und fegte das ganze Schloß von oben bis unten. Als sie damit fertig war, sprach der Graf: «So jetzt richte auch alles zur Hochzeitsfeier her, wie es sich gehört, und zum Lohn sollst du mir selber beim Mahle aufwarten.» Sie ordnete und bereitete alles aufs beste, und war besorgt, daß ja nichts fehle, ja sie schmückte am Vorabend noch alle Gemächer aufs schönste mit Tannengrün und Blumen aus.

Am Hochzeitstage saß dem Grafen zur Rechten ein blutjunges Kind, schön und unschuldsvoll wie ein Engel, und ihm zur Linken ihr Bruder, ein ebenso anmutiger Jüngling. Da fragte der Graf die Frau, die hinter seinem Stuhle stand, wie ihr seine Braut gefalle. «Ach Herr», sprach sie, «sie gefällt mir so wohl, daß ich wünsche, sie möchte euch glücklich machen bis an euer Ende. Aber um eines bitte ich für sie von ganzem Herzen: Tut ihr nicht an, was ihr mir angetan habt.» Da schloß der Graf die Frau weinend in seine Arme. «O du mein treues, heißgeliebtes Weib, wahrlich du



Schw. Maerchen Sagen-105 Flip arpa

hast die Prüfung der Duldsamkeit bestanden. Welcher andere Mann kann sich einer solchen Gattin rühmen! Sie hier unsere Tochter und unsern Sohn, die ich dir fortgenommen, um dich zu prüfen. Fortan bleiben wir vereint bis an den Tod.» Also sprach der Graf und die Hochzeitsfeier ward zum Fest des Wiedersehens und alles Leid hatte ein Ende.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt