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Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Hans und Urschel

Im Bündnerland war einmal ein Mann, der war arm. aber stark und stämmig wie ein Baum, und einen schöneren Burschen fand man nirgends, weder zu Berg, noch zu Tal; an



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jedem Finger seiner beiden Hände hätte der Hans ein Maitschi haben können, aber er sah auf Geld und Gut und nicht auf Art und Tugend, denn Geld, meinte er, sei die beste Ware, die gelte Sommer und Winter, an der Fastnacht und an Ostern gleich viel - und so nahm er die Urschel, eine reiche Tochter, aber eine enge Schere und ein schmaler Kratten. Doch wer um Geld freit, der verkauft seine Freiheit, und so waren Geld und Weib sein Meister wie sieben Hunde eines Hasen, denn wer ein Weib nimmt um des Geldes willen, bekommt den Sack gewiß; wie es mit dem Geld steht, wird sich finden. Und so war's auch hier. Nun war der Hans auf Geld erpicht, nicht um viel zu haben, sondern um viel brauchen zu können; denn er war mildherzig und gebig, die Urschel aber, seine Frau war klebig und hebig und klemmte die Batzen so hart, um zu sparen, daß sie dem Hans kaum den Käs aufs Brot gönnte. Nie konnte er ihr zu viel arbeiten und zu wenig essen, ja die Nachbarsfrauen machten's ihren Hunden besser, als die Urschel dem Hans, denn der Geiz muß Hunger leiden, weil der Teufel den Schlüssel zum Geldkasten verloren hat. Sich selber aber ließ die Urschel nichts abgehen. Kein Wunder daß Kraft und Schönheit dem Hans entschwanden, wie welkes Laub von den Bäumen im Spätherbst, und die Urschel aufging rund und knusprig wie ein Ofenküchlein. Der Hans sah aus schier wie der Tod selber, man konnte ihm alle Knochen zählen, und trübselig war er wie ein Schatten vor Harm und Herzweh über sein böses Weib.

Eines Tages schleppte sich der Hans wieder einmal ungegessen in den Wald, um Holz zu schlagen für den Winter. «Ich bring dir dann z'Marend hinaus, wenn du geschafft hast», hatte die Urschel gesagt und ihn zur Tür hinausgestoßen. Und wacker hatte der Hans mit seinen schwachen Kräften viele Stunden geholzt und nicht aufgeschaut, um Hunger und Kummer zu vergessen. Endlich, als die Sonne schon hoch am Himmel stand, kam die Urschel munter daher und



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brachte ihm sein z'Marend, einen verschimmelten Brotranft und eine vertrocknete Käsrinde, eingewickelt in einen schmierigen zerrissenen Lappen. Sie warf ihm das Bündel vor die Füße, schaute mit bösen Augen rundherum und schnarzte: «Ist das alles, was du heute geschafft hast? Das zahlt mir nicht einmal dein Essen.» Der Hans schwieg still, was hätte es ihm auch geholfen zu widerreden; denn er wußte nur zu wohl, daß es leichter streiten ist wider den Teufel als wider ein böses Weib. Aber eine Träne so groß wie eine Haselnuß rollte ihm über die Wange auf die knochige Hand. Die Urschel aber lachte - es war grad als kläffe ein Hund -, kehrte ihm den Rücken und wackelte schwerfällig wie eine Mastgans nach Hause.

Der Hans nahm seufzend seinen z'Mittag von der Erde auf, setzte sich an den nahen Bach und erweichte den verschimmelten Brotranft und die steinharte Käsrinde. um besser kauen zu können; denn die Zähne waren ihm lose geworden im Mund. Da flog ein Rabe über ihm hin durch die Luft und heiser schrie er: rock rock kon. «Oh Urschel». rief da der Hans, «möchtest du nur für ein einzig Jahr in einen solchen Raben verwandelt werden, daß du erführest. was Hunger und Frost ist!» Kaum waren ihm diese Worte über die Lippen, als ein uraltes Weiblein vor ihm stand, ganz verschrumpfelt wie ein alter Tabaksbeutel. «Dein Wunsch, Hans, ist bereits erfüllt», sprach es freundlich, «sieh dort den Raben fliegen, der war dein Weib, das dich so quälte durch Zank und Hunger!» Der Hans blickte auf und hörte deutlich die Stimme der Urschel «Hans, ach Hans, vergib, vergib!» Das Weiblein aber blickte den Hans mit ihren Äuglein an - die waren so schwarz wie Heidelbeeren - und sagte: «Ein volles Jahr muß sie Rabe bleiben und Hunger und Frost erdulden. Aber wehe dir, wenn du weich würdest und sie einließest und ihr Nahrung gäbest, dann wäre sie erlöst, und du müßtest statt ihrer ein Jahr lang als Rabe fliegen im Wald.» Und damit verschwand das Weiblein.



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Bald kam der Winter von den Bergen herab. Stein und Bein gefror, Fluß und Ried waren fußdick mit Eis bedeckt. Die Vögel schwirrten um die Häuser und Hütten und suchten vergeblich ein Körnlein oder Brosamlein zu erhaschen. Da setzte sich auch ein großer hungriger Rabe auf Hansens Fenstersims und gebärdete sich gar jämmerlich. Da bewegte Mitleid sein Herz, und der Warnung des Weibleins vergessend, öffnete er dem Vogel das Fenster. Im selben Augenblick flog er selber als Rabe in die kalte Schneeluft hinaus, und die Urschel saß wieder leibhaftig in der warmen Stube. Und wie der Rabe draußen auch bat und bettelte. krächzte und klagte und mit den Flügeln schlug, die Urschel tat ihm nicht auf, und er mußte seine Zeit als Rabe bleiben.

Aber nachdem das Jahr verstrichen war, kam auch der Hans in seiner vorigen Gestalt wieder heim. Da aber ward's der Urschel denn doch warm ums Herz und sie tat hinfort ihrem Hans alles zu Liebe, was sie ihm nur an den Augen ablesen



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konnte, um wieder gutzumachen, was sie ihm früher angetan. Und so lebten sie ihr Lebtag in Glück und Eintracht, wie Mann und Frau es immer sollen.


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