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Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Nedeibriet

Gen Abend trieb ein Hirtenbüblein seine Geißen ein. Wie er sie überzählte, fehlte ein weißes Geißli, das einem rohen Bauern gehörte. «Wart, du Nichtsnutz, dich schlag ich krumm und krüpplig», schrie der Mann, «wenn du mir die Geiß nicht heut noch heimbringst!» Und was wollte da der Bub anders machen, er mußte in den Wald zurück und das Tier suchen.

Es dunkelte schon, und da brach zu allem noch ein Unwetter



Schw. Maerchen Sagen-079 Flip arpa

los, und es wurde mit einem Schlage stockfinstere Nacht, und der Regen schlug nieder wie Geißelschnüre. Dem armen Büblein wurde himmelangst so allein im dunkeln Wald, wo er weder Steg noch Weg mehr sah, und er lief, was er konnte, um heim in Schermen zu kommen, aber er geriet nur immer tiefer in den Wald. Aufs Mal sah er vor sich in der Ferne ein Lichtlein schimmern. Er lief darauf zu und kam vor eine Hütte. Er klopfte an die Türe. Eine alte bucklige Frau tat ihm auf. Die hatte eine Nase, die hing ihr bis über den Gürtel herab, und Ohren hatte sie, so groß wie Suppenteller. «Eh, sieh das Bürschlein!» krächzte sie, «du kommst uns gerade recht.» Und sie packte ihn am Kragen und sperrte ihn in das Ställi nebenzu. Da saß er nun am Trockenen.

Am andern Morgen brachten ihm die beiden Töchter der Alten zu essen. — und die waren nicht schöner als die Mutter -, lauter Leckerbissen, mehrmals am Tage, denn das magere Büblein sollte groß und feist werden, damit sie ihn dann schlachteten und brieten, wenn es so weit wäre. Das ging so drei Wochen, und das Büblein ward alsgemach rund und ründer. Da kam die Alte und krächzte:

«Büebli, Büebli chly und fy
Zeig mer au dys Fingerli!»

Der Bub streckte ihr ein Hölzlein heraus. «Nein, du bist noch zu mager», sagte sie, und die Mädchen mußten ihm noch mehr gute Sachen zum Essen bringen. Als wieder drei Wochen vergangen waren, kam die Alte wieder und sprach:

«Büebli, Büebli chly und fy
Zeig mer au dys Fingerli!»

Der Bub streckte wieder ein Hölzlein heraus, und noch immer war er nicht fett genug.



Schw. Maerchen Sagen-080 Flip arpa

Weitere drei Wochen vergingen, da kam die Hexe wieder und sprach:

Büebli, Büebli chly und fy
Zeig mer au dys Fingerli!»

Da streckte der Bub den Finger heraus, denn nun war es ihm verleidet, immer in dem finstern Stall eingesperrt zu sein. Der Finger deuchte die Hexe fett genug. Sie ging hin und hing den großen Kassel übers Feuer und rüstete alles zur Mezgete. Die Töchter aber schickte sie in den Wald nach Holz. Dann holte sie den Buben aus dem Stall, und der war groß und stark geworden. Sie ging mit ihm zum Kessel. Jetzt wollte sie nachsehen, ob das Wasser schon siede, und beugte sich über den Rand des Kessels. Da aber hatte sie der Bub schon bei den Füßen gepackt und kopfüber in das brodelnde Wasser gestürzt. Als die Töchter mit ihren Reiswellen aus dem Walde zurückkamen, lag die Mutter tot in der Brühe, und der Bub war fort. Da liefen sie heulend in den Wald zurück und schrien in einem fort: «Nedelbriet! Nedeibriet!» Aber sie haben ihn nicht mehr gefunden. Und der Bub? —Ja, der war längstens wieder daheim, aber ohne das verlorene Geißlein.


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