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Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Der dumme Hans

In Kandersteg wohnten in einem braunen Holzhaus hinten im Grachen ein Mann mit seiner Frau und drei Buben, und der jüngste hieß Hans. Den mochten aber die beiden älteren Brüder nicht leiden, weil er einfältig und fromm war, und sie nannten ihn bloß den dummen Hänsel und deuchten sich selber gar klug und immer klüger. Aber den Eltern waren alle drei gleich lieb.

Mit den Jahren wuchsen die Buben heran und waren nachgerade junge Burschen geworden, die anfingen, den Mädchen nachzugehen. Aber das Gütlein war klein und karg, und da nicht alle drei sich davon würden nähren können. so werweißten die Alten am Abend in der Schlafkammer oft miteinander, wem sie es einmal übergeben sollten. Eines Tages sprach der Vater: «So, Buben, jetzt wär's dann etwa an der Zeit, daß ihr weiben ginget. Aber alle drei könnt ihr nicht hier bleiben. Einer kann die Wirtschaft haben und alles was dazu gehört, und die anderen müssen halt in die Welt hinaus wandern, und sich ein Auskommen suchen. Aber wem von euch soll das Haus gehören?» Die Mutter aber, die eine kluge Frau war, dachte: «Ich weiß schon, wie ich das angattigen soll», und sie ging und holte



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drei Büschel Flachs und gab einem jeden eines davon in die Hand und sagte: «Wißt ihr was, geht jetzt damit zu euren Mädchen und laßt sie die Büschel spinnen. Wer mir das schönste Garn heimbringt, der bekommt zur Frau auch Haus und Hof.

Die beiden älteren Brüder dachten: «Ha, ich werd's schon b'reichen, denn mein Schatz spinnt am besten!» Und gingen schnurstracks zu ihren Mädchen. Der arme Hans aber, ja, der hatte halt keinen Schatz und wußte nicht, zu wem er gehen sollte. So schoppte er den Flachsbüschel in den Hosensack und lief durch das Ried dem Wald zu. Da hörte er aufs Mal eine Stimme aus dem Grase, die rief: «Hans, wo willst du hin?» Er schaute sich um, sah aber niemand. Das ist gewiß ein Vogel gewesen, dachte er und ging weiter. Da rief es zum zweiten Male: «Hans, wo willst du hin?» Da er aber wieder niemand gewahrte, dachte er: Schrei du nur zu - und ging weiter. Als es aber zum dritten Male rief: «Hans, wo willst du hin?» so laut und deutlich, als wär's beim Ohr zu, da blieb er stehen und schaute in die Nähe und in die Weite, und ging bedächtig einige Schritte zurück. Da sah er, daß es eine Kröte war, die unter Blatt und HaIm am Bachrand saß und ihn ausfragte. «Diesen Flachs gab mir die Mutter», sagte er und zog den Büschel aus dem Sack, «und eine Spinnerin soll ich suchen, die mir Garn daraus spinnt. Und wenn es schöner wird, als das der Brüder, dann bekomme ich den Hof. Aber ich werde keine finden, denn ich hab keinen Schatz.» «Gib mir den Flachs!» rief da die Kröte, «ich will ihn dir spinnen, und in drei Tagen kannst du wiederkommen und dir das Garn holen.» Da sagte der Hansel: «Ach, was willst auch du mit dem Flachs machen, du arme Kröte, aber nimm den Büschel immerhin, er wird mir doch nicht gesponnen», und er warf ihn ins Wasser. Plitschplatsch, da nahm die Kröte den Büschel und schon war sie damit fortgeschwommen. Der Hansel aber hat keinem Menschen ein Wörtlein davon gesagt, was ihm



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begegnet war, die Brüder mochten ihn fatzen und tratzen, so viel sie wollten.

Am dritten Tage danach gingen die Brüder ihr Garn holen. «Du magst derweilen dein Bündel schnüren, du «Löl», riefen sie dem Hansel auf der Schwelle zu, «denn du bekommst den Hof auf keinen Fall!» Hans aber schwieg fein still und sagte nichts dawider. Ich will doch gehen und sehen, dachte er bei sich, wie's um mein Garn bestellt sein mag. Wer weiß, vielleicht hat die Kröte ihr Wort wahr gemacht. —Und richtig, da hing ein Strang Garn im Gestäude am Bach, und war so rein und fein gesponnen, es schimmerte wie schiere Seide an der Sonne. Aber wie er es in die Hand nahm, da kam die Kröte angeschwommen. «Ja, Hans, bring das Garn deiner Mutter! Den Hof wirst du bekommen und das Geld im Bettkasten dazu. Dann aber geh zum Pfarrer und laß dich mit mir am Sonntag verkünden. Und wenn er nicht will, so laß nicht ab, sondern besteh darauf. Kauf dann für dich und mich ein Hochzeitskleid, und hänge meines in der Sakristei auf. Dann setze den Tag der Trauung fest. Ich werde zur rechten Stunde kommen. Zweifle nicht daran und sei nicht ungeduldig, auch wenn ich etwa ein Weilchen säumen sollte. Glaube meinem Wort und barre aus! Es soll dich nicht gereuen.» Der dumme Hans versprach der Kröte alles und brachte das Garn seiner Mutter. Da waren die Brüder schon da, jeder mit seinem Strang, und stritten miteinander um den Vorrang, denn jeder sagte, sein Garn sei das schönere, und ihm gebühre füglich der Hof. Die Mutter prüfte die drei Stränge sorgsam. «Meiner See!», sagte sie, «Hansel, deins ist das schönste, und du bekommst Haus und Hof! Und jetzt geh und laß dich mit deinem Schatz verkünden.» Da maulten und murrten die Brüder, aber was wollten sie machen! Voller Zorn und Neid warfen sie ihr Garn auf den Boden, zerstampften es und gingen denselben Tag noch davon, und haben Vater und Mutter nicht einmal Lebewohl gesagt.



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Der Hans aber ging derweil zum Pfarrer und bat ihn, am Sonntag auf der Kanzel dem Kirchenvolk seine Verkündung anzuzeigen. «Gut und wohl», sagte der Pfarrer, «aber, Hans, sag mir auch, wie heißt denn deine Braut?» «Eh, das weiß ich nicht», sagte Hans «es ist eine Kröte im Moosgrund.» Es ist kein Narr, der einem eine Narrheit zumutet, es ist ein Narr, der es tut, dachte der Pfarrer bei sich, und mit Narren muß man Geduld haben, denn ein Narr läßt sich nicht raten. «Hör, Hansel», sprach er, «mit ernsthaften Dingen darf man nicht spaßen, und würdige Leute soll man nicht zum Narren halten wollen. Ich bin gern ein Narr, aber der Narren Narr mag ich nicht sein. Die mögen sich selber zum Tanze pfeifen.» Hans aber sagte: «Gott behüte, daß ich scherze, Herr Pfarrer, es ist mir heiliger Ernst, am Sonntag über eine Woche soll die Hochzeit sein.» Als der Pfarrer den Hansel so ernsthaft reden hörte, da dachte er bei sich: Narrenspiel will Raum haben, denn dem Narren hilft weder Chrisam noch Taufe. Zwar reden Narren. was ihnen einfällt, aber Narren sagen auch etwa wahr, und haben mitunter mehr Fug als andere Leute. Und zum Hansel sprach er: «Nun so sei es denn in Gottes Namen!» Dann ging der Hansel geradewegs zum Meister Erny, dem Schneider, um für sich und seine Braut je ein Hochzeitskleid zu bestellen. Der Schneider fädelte eben eine Nadel ein, als Hans in die Werkstatt trat und sein Anliegen vorbrachte. Vor Staunen fielen ihm Nadel und Faden aus den Fingern. «Ei, Hanse!», rief er, «was soll das noch werden! Bist du ganz aus Saum und Naht!» Der aber sagte nur: «Meister, tu nur ungesäumt, was ich dir sage, damit alles zur rechten Zeit noch fertig wird, und hier hast du einstweilen ein Angeld. Und den Rest bekommst du, wenn ich die Kleider holen komme. Also spute dich und spar unnütze Worte!» «Schon recht, schon recht, du sollst mit mir zufrieden sein und nichts für ungut», sagte der Schneider, beschaute das Geld und machte sich kopfschüttelnd an die Arbeit.



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Am Sonntag nach dem Kirchgang standen die Leute zu Hauf auf dem Weg und vor den Häusern. «Habt ihr das gehört! Der Hanse! ist ganz hinterfür geworden», sagten sie. «Das wird eine rechte Gugelfuhr geben, wenn der Hochzeit macht. Was mag der für eine Frau aufgelesen haben!» Und am Sonntag drauf war die Kirche gestoßen voll. Hans saß in seinem neuen Festgewand im Stuhl. Das Brautkleid hing in der Sakristei. Und ein Genuschel und Getuschel war in der Kirche, ein Flüstern und Wispern, ein Kichern und Lachen, denn die Leute glaubten, das werde einen kapitalen Spaß geben. Jetzt aber trat der Hansel vor den Altar, damit der Pfarrer anfange. Da kam aufs Mal die Kröte durch das Chor gehopst und hüpfte in die Sakristei. Nach einem Weilchen - siehe da - neben dem Hans stand aufs Mal -niemand hat sagen können, wie's geschah - eine wunderhübsche Jungfrau, die ihn bei der Hand nahm und holdselig anschaute. Der Pfarrer gab sie zusammen und segnete sie ein. Die Leute aber machten große Augen und manch einer sprach diesen Tag auf dem Heimweg von der Kirche: «Die Dummen haben doch manchmal mehr Glück als unsereiner, aber wer weiß, vielleicht ist mancher gescheiter, als man meint.»


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