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Schweizer Märchen Sagen und Fenggengeschichten


Neu mitgeteilt von Curt Englert-Faye

1984

ZBINDEN VERLAG BASEL


Die verfluchte Prinzessin

Es war einmal ein junger König, der lebte mit seiner Königin in Herrlichkeit und Freuden. denn sie hatten alles, was ihr Herz begehren mochte, nur eines nicht, sie hatten keine Kinder, und so saßen sie oft traurig beieinander, weinend vor Herzeleid, denn wer keine Kinder hat, weiß nicht warum er lebt, und je mehr Kinder, je größer das Glück.

Tag für Tag betete die Königin, daß Gott ihr ein Kind bescheren möge. Aber der Himmel erhörte ihr Flehen nicht.



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Als sie wieder einmal in ihrem Gemach inbrünstig auf den Knien lag, da kam ihr Gemahl mißmutig von der Jagd nach Hause und rief, als er sie so liegen sah: «Was hattet uns all dein Beten! Wir werden in Gottes Namen nur mit dem Teufel ein Kind bekommen». Ob dieser Rede erschrak die Königin in tiefster Seele, aber wie sehr sie ihn bat, er blieb dabei und nahm das böse Wort nicht zurück.

Aber siehe da, unlang so fühlte sich die Königin guter Hoffnung, und als die Zeit um war, gebar sie ein Mägdlein, ein Kind so schön wie ein Engelein. Und das war ihr ganzes Glück und alle ihre Freude. An seinem ersten Geburtstag trug der König es auf seinem Arm und ging mit ihm in der Stube auf und ab, von ungefähr zu eben der Stunde, da es geboren war. Da tat es plötzlich den Mund auf und hub zu reden an: «Vater», sagte es. «Was willst du mein Kind?» antwortete der König zu Tode erschrocken, denn frühweise Kinder leben nicht lange. «Vater», sagte es wieder, «ich muß sterben; denn du hast mich verflucht, noch bevor ich geboren war. Laßt mir einen Sarg von Eisen machen, legt mich darein und stellt ihn auf in der Gruft vor dem Altar im Münster. Alle Abend aber stellt einen Soldaten als Wache an meinem Grabe auf. Sonst bringe ich Unglück auf Unglück über dich und dein Reich.» Voller Angst versprach der König alles. Und am selben Abend noch starb das Kind.

Die armen Eltern waren untröstlich. Es war ihnen, als wäre die Sonne für immer erloschen. Der König aber tat, wie er versprochen. Er ließ das tote Prinzeßlein in einem eisernen Sarge in der Gruft vor dem Altar im Münster beisetzen, und ein Soldat erhielt am Abend den Befehl, die Nacht über bei dem Grabe Wache zu stehen. Am Morgen aber, als der Mesmer kam, um zur Messe zu läuten, da fand er den Mann tot am Boden liegen. Die nächste Nacht trat ein anderer an, am anderen Morgen fand man auch ihn erwürgt. Und so ging das fort Tag und Tag durch zwanzig Jahre, jede Nacht kostete einem wackeren Soldaten das Leben.



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Die ganze Stadt, das ganze Land waren von Schrecken und Trauer geschlagen. Das Volk murrte, und die Soldaten begannen nachgerade den Gehorsam zu verweigern und verließen den Posten. Sie seien bestellt gegen Feinde zu kämpfen, nicht gegen Teufel, und es sei besser von Menschen erschlagen zu werden, als erwürgt von Geistern. Und der König wußte nicht mehr, was er tun sollte, um das große Unheil abzuwenden, das ihm angedroht war.

Da kam eines Tages ein junger Soldat aus der Fremde an den Hof, ein kecker Bursche, dem die Feder hoch am Hut stak, und bot dem König seine Dienste an. Der stellte ihn gleich ein und sagte, er müsse jede Nacht das Grab seiner Tochter bewachen. Tags über aber sei er von jeglichem Dienste befreit, und an reichlichem Sold solle es ihm überdies nicht fehlen. Das deuchte den Soldaten ein kommlicher Dienst, und er schlug auf der Stelle ein. Als die Sonne untergegangen war, führte ihn der König selber auf seinen Posten und verschloß die Kirchentür und versiegelte das Schloß noch mit seinem Ring. Aber als die Finsternis herein brach, da fing es den Burschen doch zu grauen an, er wußte nicht warum, denn er hatte schon manche Nacht an böseren Orten Wache gehalten. «Nein, da mag lieber ein anderer Wache stehen», dachte er bei sich, aber so mir nichts dir nichts davonlaufen, das wollte er auch nicht. Schließlich aber packte ihn eine solche Angst, daß er zu einem offenen Fenster hinausschlüpfte. Aber da stand ein graues Mandli davor, mit einem langen, weißen Bart und einer großen Warze auf der Nase, das hielt den Finger erhoben und sagte:

«Hans halt ein!
Dein Glück soll's sein.

Geh getrost auf deinen Posten zurück und verbirg dich ein Viertel vor zwölf Uhr auf der Kanzel oben. Dann wird dir nichts geschehen.» Da kehrte der Soldat um und tat nach dem Rat und duckte sich oben hinter der Kanzel nieder.



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Schlag zwölf aber krachte und dröhnte es mit solcher Gewalt, daß der ganz Dom wankte und schwankte. Der Deckel des Sarges sprang ab und fiel mit Donnergepolter auf den Boden. Die Prinzessin stieg aus der Gruft empor schwarz wie die Nacht und übermenschengroß. Sie fuhr tobend in der Kirche herum und suchte den wachthabenden Soldaten. Und als sie im Schiff niemand fand, warf sie alle Bänke und Stühle übereinander. Dann suchte sie den Chor ab und zuletzt stieg sie zur Kanzel hinauf. Aber als sie eben den Hans gewahr wurde und nach ihm langen wollte, da schlug die Uhr eins, und die Prinzessin entwich in die Gruft. Der Sarg schloß sich von selber wieder über ihr. Und Bänke und Stühle standen wieder, wie sie zuvor gestanden. Und so still war's, der Hans hörte sich selber schnaufen. Dann stand er mit bloßem Säbel die Nacht über Wache. Als der König am andern Morgen kam, da wunderte er sich nicht wenig, seinen Soldaten gesund und munter anzutreffen, und lobte ihn über die Maßen für seinen Mut. Der Hans aber dachte: «Ja, ja, schon recht, der redet auch, wie er Verstand hat. Nein, heut Nacht, steh ich nicht mehr Wache.»

Und als er gegen Abend wieder auf seinem Posten stand, und der König fortgegangen war, da schlüpfte er in der Dämmerung wieder zum Fenster hinaus, um gleich das Weite zu suchen. Da stand aber selbig Mandli wieder da, hob seinen Finger auf und sprach:

«Hans halt ein!
Dein Glück soll's sein.

Geh auf deinen Posten zurück, und versteck dich ein Viertel vor zwölf unten in der Gruft hinter dem Sarg. Dann wird dir nichts geschehen.» Und der Hans gehorchte noch einmal, und kauerte hinter dem Sarg. Schlag zwölf kam die Prinzessin wieder aus der Gruft, und ein solcher Lärm war, es sprengte dem Hans schier die Ohren. Und wieder begann die Prinzessin nach dem Soldaten zu suchen, und zwar zu-



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erst auf der Kanzel. Und als sie ihn nirgendwo fand, da tat und tobte sie noch ärger als die vorige Nacht. Sie riß die Kanzel herunter und warf die Standbilder der Heiligen von ihren Sockeln. Endlich witterte sie den Soldaten hinter dem Sarg und stürzte auf ihn zu. Da schlug die Glocke eins, und sie legte sich wieder in den Sarg. Der Deckel schlug dröhnend zu. und totenstill war's in der Kirche. Die Kanzel war wieder heil und ganz, und die Heiligen standen unversehrt wieder in ihren Nischen. Als der König am Morgen kam, da hatte wenig gefehlt und er hätte den Soldaten vor Freude umarmt, daß er noch am Leben war. Der aber dachte: «Nein, das war das letzte Mal, daß ich meinen Hals gewagt hab! Das Mandli mag sagen, was es will, heut abend hau ich ab.»

Aber wie er sich am Abend durchs Fenster ließ, da stand das Mandli wieder da und sprach:

«Hans. halt ein!
Dein Glück soll's sein.»

«Nein, beim Eid», sagte da der Soldat, «heut mag Wache stehen, wer will, ich geh nicht, sag mir was du willst!» «Hans. sei kein Tor, bleib auf deinem Posten und du hast dein Glück für immer gemacht. Stell dich ein Viertel vor zwölf mit bloßem Säbel auf den Altar, und wenn die schwarze Prinzessin kommt, so bleib stehen und weiche keinen Schritt, wie schrecklich der Scheuel sich auch gebärden mag, dann wird dir nichts geschehen.» Da faßte der Soldat wieder Mut und ging in die Kirche zurück und stellte sich auf dem Altar auf. Schlag zwölfe kam die Prinzessin aus der Gruft hervor, und diesmal krachte und dröhnte es, als berste die Hölle selber, und die Prinzessin fuhr in der Kirche herum und wütete, als wollte sie alles in Trümmer schlagen. Der Soldat stand unbeweglich auf dem Altar, den bloßen Säbel in der Hand. Jetzt gewahrte sie ihn und fuhr mit entsetzlichem Gebrüll auf ihn los. Doch der Hans stand fest und rührte kein Glied. Da blieb sie stehen und schrie:



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«Stich mir dreimal ins Herz. um der drei Wunden Christi willen!» Der Soldat zückte den Säbel und stach zu, und siehe, da stand eine Jungfrau vor ihm, licht und schön wie ein Engel. Sie winkte ihn mit ihrer lilienweißen Hand zu sich herab und sprach: «Hans, komm zu mir, daß ich dir danke, du hast mich erlöst.» Der Soldat zögerte zuerst ein wenig; denn ihm war noch ganz sturm im Kopf von all dem Lärm und Getümmel, grad wie nach einer großen Schlacht, dann aber stieß er seinen Säbel in die Scheide und trat zu ihr. Sie aber nahm ihn bei der Hand. und sie küßten und herzten einander. Dann knieten sie beide vor dem Altar nieder und beteten die ganze Nacht.

Als der König am andern Morgen in die Kirche kam, umarmte er beide, die Prinzessin und den Hans, als seine Kinder, und führte sie gleich zu der Königin. Den Hans erhob er in den Adelsstand und machte ihn zum General. Und bald danach ward die Hochzeit gefeiert, und als der König starb, ist der Hans König geworden.


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