Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


DER TODESENGEL

Bei Escholzmatt wohnten einmal ein Mann und eine Frau. Es waren gar habliche Leute, und hatten nur ein einzig Kind. Das war aber den Eltern so lieb, daß nichts Lieberes für sie sein mochte auf der Welt als ihr Büblein. Kein Vaterunser konnten sie mehr recht beten, weder in der Kirche noch daheim. Ihr Herz war nur immer bei ihrem Kinde, nicht bei Gott im Himmel.

Da zog einst in selber Gegend ein armer Glasträger umher. Ihm gesellte sich unterwegs aufs Mal ein fremder Pilgersmann. Der schien ein gar frommer Mann, der weit gereist war in der Welt, und wußte von allerhand wunderbaren Dingen und seltsamen Begebnissen in fremden Ländern gar schön zu erzählen, so daß der Glaser vor lauter Lauschen es nicht achtete, wie sie von der breiten Landstraße unvermerkt auf einen Seitenweg abgekommen waren. Vom Gespräche benommen, kamen sie wie von ungefähr zu dem Hause jener reichen Leute, die ihr Kind so über die Maßen liebten. Und da der Abend schon dunkelte, baten sie um Herberge für die Nacht. Ehrfürchtig ward der Pilger empfangen, und seinetwegen hieß man auch den Glasträger lieber willkommen als sonst. Man stellte ihnen auf, was Küche und Keller zu bieten hatten, und bereitete beiden eine Schlafstatt in der Stube, da keine Kammer mehr zu vergeben war; denn es waren noch mehr Leute zu Gaste.

Um Mitternacht, als alles im tiefsten Schlafe lag, da weckte der Pilger seinen Gefährten auf und führte ihn an den Ort, wo das Kind des Hauses in seiner Wiege schlief, und sprach: «Dieses Kind werde ich jetzt erwürgen!» Der Glasträger öffnete seinen Mund, um die Leute aus dem Schlaf zu schreien, damit das Kind gerettet werde und der Mörder nicht ungerochen entrinne. Allein seine Stimme blieb tonlos, und seine Glieder waren wie gelähmt, und schon war die grause Tat geschehen. Das Kindlein lag tot. Der Unbekannte ging und



Alpensagen-201 Flip arpa

legte es wieder hin, wo er es genommen. Dann ergriff er den Glasträger, der nicht wußte, wie ihm geschah, und trug ihn wie durch Wunderkraft, leicht wie ein Federlein, zum Haus hinaus unter den offenen Himmel und wies seinen Blick zur Höhe. Und jener schaute, wie eben eine weiße Taube auf zum Himmel flog. «Das ist», sprach der Fremde, «des Kindleins reine Seele, auf ewig dem Heil erhalten, gerettet aus der Schuld seiner Eltern, durch deren eigensüchtige Liebe es dem Verderben anheimgefallen wäre. Selig ist es samt Vater und Mutter; sie werden in sich gehen und Buße tun, denn ihre Gesinnung ist gut. Wisse, daß ich des Kindes Engel bin, von Gott gesandt.»


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt