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ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


DIE VERWUNSCHENE ALP

Eine entlegene Alp ob Escholzmatt im Entlebuch war lange Zeit verrufen und geflohen; denn es war dort nicht geheuer. Jahr für Jahr hatte der Hirt Ungefäll mit seiner Ware. Immer wieder erfielen ihm Kühe, und zwar just die schönsten und melchigsten des ganzen Senntums. Mancher Älpler, der nicht ab der Alp fahren wollte, weil er meinte, es käme schon besser, kam um all seine Habe und ward ein armer Mann. Und so wollte am Ende niemand mehr sein Vieh dort sömmern. Und fortan lag die Alp das ganze Jahr verlassen und öde. Aber seltsam: die Sennen auf den anderen Alpen sahen aus der Ferne, wie alle Sommer auf dem gemiedenen Staffel die Sennenwirtschaft fortging; man hörte das Geläute der Glocken und Schellen, als wenn die Herde früh morgens auf die Weide gelassen und abends wieder eingetrieben würde; vom Hüttendach stieg blauer Rauch auf, als ob wie sonst gekocht und gekäst werde. Aber nie kam einem ein Mensch zu Gesicht, weder Senn, noch Hirt, noch Handbub.

Die Leute im Tal erzählten sich, die Alp sei durch einen bösen Fluch verwünschen, wer eine Nacht in der Hütte zubringe, der werde den Bann lösen und Alp und Herde mit allem Schiff und Gschirr zu eigen gewinnen und einen verborgenen Schatz dazu. Manch ein wackerer Bursche, der sich das Wagestück zutraute, ging hinauf. Keiner ist zurückgekommen.

Da kam eines Tages ein junger Melkerknecht ab einem anderen Berge ins Tal. Der hörte die unheimliche Sage. Aber er fürchtete sich nicht und sagte keck, er wolle das Glück versuchen, ob auch alle ihn bei Gottes Huld abmahnten, denn das junge frische Blut dauerte sie. Der Sami aber - so war der Melker geheißen - stieg getrost mutterseelenallein zu Berg. Wie er über die gemiedene Mark trat, war alles totenstill und



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regungslos: kein Lüftlein ging, kein Vogel flog, kein Ast an den Wettertannen, kein Hälmlein, keine Blume im Grase bewegte sich. Lautlos rieselte der Bach in seinem steinigen Bette und unhörbar fiel der Wasserstrahl aus dem Känel in den vollen Brunnentrog. Ja, er hörte den eigenen Tritt nicht auf dem harten Grund des Steiges. Da ward es ihm denn doch unheimlich zu Mute und bang um die Herzgrube. Um sich Mut zu machen, hub er aus vollem Hals an zu jauchzen und zu jodein. Aber kein Widerhall tönte zurück von Gräten und Wänden. Auch um die Hütte war alles still, nicht einmal eine Fliege lief über die Balkenwand. Da rief er laut zum offenen Fenster hinein, ob jemand daheim sei. Dann ging er zur Türe und pochte an. Lautlos sprang sie von selber auf. Er trat über die Schwelle in den Hüttenraum. Auf dem Herde brannte ein Feuer, aber kein Scheit knisterte und die Flammen flackerten nicht. Darüber hing zum Käsen gerüstet der Kessel. Jetzt rief der Sami nochmals, so laut er konnte, nach dem Sennen. Aber alles blieb still. Wart, dir will ich! dachte der Sami unwirsch und tat, als ob er den Gaumer hinter dem Kessel versteckt glaubte: «He, du dort hinten, du machst mir nicht Angst, komm nur hervor!» Aber nichts rührte sich. Da ging er zur Seitentür, um zu schauen, ob jemand im Nebenraum wäre. Sie sprang ohne Geräusch vor ihm auf, und er kam in eine saubere Stube. Der Tisch stand fertig gedeckt mit Näpfen, Löffeln und reichlicher Sennenkost. Abermals rief der Sami nach dem Meister im Haus. An der Wand stand ein großes Bett mit Umhängen. «Kommt Zeit, kommt Rat», dachte der Sami. «Der hier daheim ist, wird schon noch hervorkommen zur rechten Stunde.» Schloff in das Himmelbett unter die Decke, zog den Umhang vor und reckte und streckte sich behaglich. Kaum aber hatte er den Kopf recht aufs Kissen gelegt, um zu schlafen, da schlurfte es dumpf und schwer von draußen her gegen die Hütte, zur Tür und über die Schwelle



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herein. «Aha, das wird jetzt wohl der Meister sein», dachte der Sami und setzte sich auf. Da sah er durch ein Loch im Umhang eine schaurige Gestalt zur Stube hereinkommen, eher einem Tier gleich als einem Menschen: Pferdebeine und Hufe hatte das Ungetüm und einen Kopf wie ein Roß und spie Feuerflammen aus dem Maul. Sein ganzer Leib war mit borstigen Zotten bedeckt und sah aus, als wäre er eben aus der Erde genommen worden, und statt der Hände hatte es Pratzen mit scharfen Krallen. Der Unhold trat an den Tisch, zählte die Teller und gröhlte mit hohlem Rust: «Es ist fertig getischt, es fehlt nur der, der dort im Bette liegt!» Und nun kam das Ungetüm mit Donnergepolter zu dem Bette hin gepütscht, riß den Umhang fort, das Bettgehäuse schütterte, daß der Bub darin zwirbelte, wie eine Kartoffel im Korbe - es packte den Sami am Arm, daß ihm war, das Fegefeuer fahre ihm ins Knochenmark: «Steh auf und iß!» schrie der Scheuel



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und schleifte den Sami zum Tische. Der dachte bei sich: «Jetzt gilt's» und sagte mit fester Stimme: «Ich habe nichts eingebrockt und brocke nichts aus.» Da saß der Unhold selber zu und löffelte den Napf aus. Dann stampfte er hinaus und brachte ein Licht, einen Pickel und eine Schaufel, warf alles dem Sami mit Gekrache vor die Füße und brüllte: «Heb's auf und trag's in' Keller!» — «Ich habe nichts heraufgetragen, und trag auch nichts hinunter!» sagte der Sami und hat sich nicht verrodt. Da nahm der Geist die Geräte selber auf und krächzte: «Komm mit!» — «Ja», sagte der Sami, «aber du gehst voran!» Da schlarpte der Grüsel voraus und tappte über die Stege ab in den Keller. Dort deutete er, am ganzen Leibe lottelnd, auf eine Stelle am Boden, nahm einen faustgroßen Stein auf und zerrieb ihn zwischen seinen Pratzen zu Grus, machte böse glühige Augen und grunzte heiser: «Da, grab' auf!» — «Ich habe nichts vergraben, und grab auch nichts auf!» sagte herzhaft der Sami und blieb stehen, wo er stand. Da machte sich jener selber an die Arbeit und hackte und grub, was Zeug hielt, bis ein großer Kessel zum Vorschein kam. «Heb' ihn heraus!» schrie das Gespenst, so daß das Gemäuer dröhnte. «Ich hab' nichts hineingetan, und heb' auch nichts heraus!» antwortete unentwegt der Sami. Nun hob jener mit einem Ruck den schweren Kessel selber aus dem Loche. «Trag's hinauf!» schrie er den Sami an. «Ich hab' nichts heruntergetragen, und trag' auch nichts hinauf!» sagte dieser. Da nahm der Geist den Kessel auf den Nacken, schleppte ihn nach oben, stellte ihn auf den Tisch, daß er tschätterte, und brummte: «Lüpf den Deckel ab!» — «Ich habe nichts zugedeckt, und decke auch nichts ab!» sagte der Sami. Da nahm jener den Deckel ab: Bis zum Rande war der Kessel voller Silbertaler. Jetzt leerte der Wandler mit einem gräßlichen Gelächter alles auf die Tischplatte, machte drei gleichgroße Haufen von dem Gelde und sagte zum Sami, der mit großen Augen



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zuschaute: «So, nun wähle dir einen Haufen! Triffst du den rechten, so ist dir dein zeitliches Glück und mir das ewige Heil gewonnen! Sonst zerreib' ich dich zu Staub, und werde meiner Pein nicht frei und muß weiter umgehn, bis einmal der Rechte kommt. Ein Haufe nämlich ist dein, einer den Armen, die hier ihre Habe verloren, einer den Witwen und Waisen der Toten, die ich erwürgt habe. Nun wähle den rechten!» Flugs griff der Sami mit beiden Händen über den Tisch und fegte alle drei Haufen zu sich: «Einer wird der rechte sein», rief er, «und den Armen und Verlassenen geb' ich selber, was ihnen gehört.»

Da tat es einen Klapf, daß alle Wände wankten, und das Dach sich hob. Aber wie das Getöse verhallt war, stand vor dem Sami ein schöner, junger Senn, der ihn selig anlächelte. «Jetzt bin ich erlöst! Und Alp und Senntum sind dein eigen!» sprach er mit sanft lautender Stimme, wandte sich um und schritt schwebenden Ganges in einem hellen Schein zur Türe hinaus.

Der Sami aber stieg noch am selben Tag mit der Milchtause voller Taler von seinem Staffel zu Boden und tat nach des Geistes Geheiß, und das Glück ist ihm sein lebelang hold geblieben. Die Leute aber sagten: «Ja, so geht's: wer wagt gewinnt, und dem Mutigen gehört die Welt.»


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