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ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


DER DOKTOR PARAZELSUS UND DER TEUFEL

Als der Doktor Parazelsus noch in Innsbruck wohnte und dort studieren lernte, ging er einmal - wie er gerne tat — an einem heiligen Sonntag Morgen im Walde spazieren und hatte allerlei Gedanken, so daß er sich ganz vergaß und immer tiefer in den Wald hinein geriet. Plötzlich stand er still, denn es kam ihm vor, als hätte ihn jemand mit Namen gerufen; er mochte sich aber umsehen, wie er wollte, er konnte niemand erblicken. «Es sind wohl Raben in ihren Nestern oder Winde in den Felsklüften gewesen», sagte er zu sich selber und ging weiter. Aber bald hörte er wieder eine dumpfe Stimme rufen: «Parazelsus! Parazelsus!» und der Ton schien nicht eben von weit her zu kommen. Der Doktor schaute sich um: «Wer ruft da?» — «Ich», antwortete es ganz nahe an seinem Ohr aus einer alten Tanne, «erlöse mich aus dem verdammten Kerkerloch !» Parazelsus erschrak und sprang seitwärts, bald aber faßte er Mut und rief: «Wer ist der Ich?» — «Man nennt mich nur den Bösen», erwiderte die Stimme, «ich bin aber so schlimm nicht, als mich die Leute machen wollen. Das sollst du sehen, wenn du mich befreist!» — «Und wie kann ich das tun?» fragte der Doktor. — «Schau nur rechts am Stamm der Tanne hinauf, da ist ein Astloch, das mit einem Zäpflein vermacht ist, darauf drei Kreuze eingeschnitten sind. Dahinter bin ich eingezwängt von einem verfluchten Geisterbanner. Ich kann's von innen nicht herausstoßen.» —«Nun, was gibst du mir, wenn ich's herausziehe?» fragte Parazelsus. — «Was willst du?» — «Gib mir», gebot Parazelsus, «pro primo eine Arznei, die alle Krankheiten heut; pro secundo eine Tinktur, womit ich alles, was ich will, in Gold verwandeln kann, pro tertio - — —» — «Halt ein!» fiel ihm der andere ins Wort. Der Dinge drei sind mir verhaßt und lähmen meine Kunst und Kraft. Die kann ich dir nicht geben.



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Begnüge dich mit zweien, die sollen dir werden!» — «Wer steht mir aber dafür, daß du Wort hältst?» —«Ich, so wahr ich der Teufel bin!» rief die Stimme. — «Er wird mich doch nicht gar holen, wenn ich ihm den Willen tue», dachte Parazelsus bei sich selber und sagte dann laut: «Gut denn! ich will dich befreien.» Also nahm er sein Federmesser aus der Tasche und porzte damit das Zäpflein heraus. Dann trat er einen Schritt zurück, die Augen fest auf das Löchlein geheftet, und sah alsbald eine häßliche, schwarze Spinne daraus hervorkrabbein. Die lief gleitig am Stamm hinunter auf das Moos. Aber kaum berührte sie den Boden, so verschwand sie wie weggeblasen. Aber auf dem Flecke richtete sich - wie aus der Erde steigend - ein langer, hagerer Mann mit dünnen, dürren Gliedern vor Parazelsus auf, und schielte ihn mit roten Augen spottlich grinsend an und sagte ihm in wohlgesetzter Rede seinen Dank für den Dienst. Dabei schlug er den roten Mantel sorglich übereinander, wohl damit Parazelsus seine schmählichen Hahnenfüße nicht gewahren sollte. Aber der Mantel war zu kurz, und Parazelsus sah die scharfen Klauen und Krallen nur zu gut, und ein Schauder lief ihm über den Leib und die Haare standen ihm zu Berg, daß es ihm schier die Kappe auf dem Kopf lüpfte. Das machte dem Teufel rechten Spaß. Er zeigte seine gelben, spitzigen Zähne vor Lachen und sagte: «So, graut dir's? Du brauchst dich nicht zu fürchten. Dich hol' ich ja nicht!» Und er winkte ihm mit spitzigem Finger: «Komm mit, dort an den Felsen!» Der Parazelsus wäre lieber davongelaufen und hätte ihm gerne den Dank geschenkt. Aber er folgte ihm doch nach, so katzbang war ihm. Auf dem Wege brach sich der Teufel im Gebüsch eine Haseirute. Bald kamen sie zu einer Fluh, die hoch die höchsten Tannen überragte. Jetzt sprach der Teufel: «Wart hier ein Weilchen. Ich bin gleich wieder da», und schlug mit der Rute gegen das Gestein. Krachend barst der Fels auseinander, und der Teufel verschwand



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darin. «Meinethalben brauchst du nicht wieder kommen», murmelte Parazelsus in seinen Bart. Aber schon trat der Rotmantel wieder aus der Spalte hervor, in jeder Hand ein durchsichtiges Gefäß haltend, oben zugebunden wie die Arzneigläser. Diese reichte er Parazelsus dar. «Das gelbe da», sagte er, «ist die Goldtinktur, das weiße die Arznei.» Dann nahm er die Haselrute vom Boden auf, schlug damit wieder gegen das Gestein, und der Fels schloß sich, als ob er nie gespalten gewesen.

«Gehst du mit nach Innsbruck?» sagte der Teufel, «ich hole mir dort den Geisterbanner, der denkt gewiß auch nicht, daß ich los bin, er soll's mir büßen! Alle Knochen brech ich ihm im Leibe und das Gehirn verspritz ich ihm!» So gingen nun der Rotmantel und der Doktor schweigsam eine Weile nebeneinander fort. Allein Parazelsus hatte seine eigenen Gedanken dabei, denn er hatte großes Mitleid mit dem armen Geisterbanner und dachte: «Er ist meinesgleichen. Könnt ich ihn nur retten! Aber den Scheelaug bitten, wird nichts helfen. Und jenen voraus warnen, geht auch nicht; auch wüßt ich nicht einmal, wie er heißt und wo er wohnt.» So schritt Parazelsus, hin und wider sinnend, neben dem Hahnenfüßler einher und drehte dabei zwischen den Fingern das hölzerne Zäpfchen. Da roch's ihm plötzlich auf: «Ich will's probieren. Hilft's nichts, so schadt's auch nichts!» Nun waren sie nicht mehr weit weg von jener Tanne, worin der andere gesteckt hatte, da hub er an: «Traun, der Banner muß wohl ein übermächtiger Mann sein, daß er die Gewalt hatte, Euch in ein so winziges Löchlein hineinzuzwingen, und erst noch spinnengroß nur. Wahrlich, aus eigener Kraft hättet Ihr das schwerlich vermocht. Dazu gehört viel.» — «Unsereiner kann mehr, als ihr naseweisen Wichte euch nur träumt», entgegnete der Teufel giftig. «Hast du denn nicht mit eigenen Augen gesehen, wie ich als Spinne zu dem Loch herausgekrochen bin?» —



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«Oh, das war eitel Blendwerk», sagte der Doktor, «Ihr seid als Lügenmaul und Prahlhans wohlbekannt. Geht mir doch weg, Leuten Euren Schlages hat ein größerer Herr schon lang das Handwerk gelegt. Ja was gilt's, ich verwette Euch die zwei Wunderflaschen grad wieder, wenn nicht wahr ist, was ich sage.» —«Topp, es gilt!» rief der Teufel eifrig. «Schau her!» und im selben Augenblick war er verschwunden, und dieselbe häßliche, schwarze Spinne kroppelte wieder im Moose und lief gleitig am Stamm der Tanne hinauf und kroch in das Löchlein und die Stimme rief: «Jetzt sind die Flaschen wieder mein!» —«Nein, noch glaub' ich's nicht», schrie Parazelsus ins Loch hinab und steckte blitzgeschwind das Zäpflein wieder ein.

«Was soll der Scherz?» rief die Stimme von innen. «Ernst ist's», rief Parazelsus zurück, schlug mit einem Stein den Zapfen fest und schnitt mit seinem Messer drei neue Kreuzlein drüber. «Jetzt bist du am rechten Ort. Gehab dich wohl!» Da nützte kein Bitten und kein Drohen. Wie der Sturmwind rüttelte der betrogene Teufel den gewaltigen Stamm von der Wurzel bis zum Wipfel, daß die Tannenzapfen haufenweise von den Ästen auf Parazelsus herabprasselten. Der aber wandelte lachend davon.

Als er wieder aus dem dunkeln Walde in die sonnenhellen Wiesen hinaustrat, sprach er bei sich: «Jetzt will ich doch sehen, wie der Rotmantel mich genasführt hat», denn er hielt die Flüssigkeiten in den Fläschchen für bares Wasser. Also öffnete er das gelbe und ließ daraus ein Tröpflein fallen, und siehe da, es wurde schwer und schwerer in seiner Hand, und war pures Gold. Staunend machte er das Fläschchen gleich wieder zu, damit der kostbare Goldgeist nicht verdunste. «Das wäre gut», dachte er, «und jenes will ich grad an dem kranken Gemsjäger dort unten in der Hütte erproben.» Und als er in



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die Stube trat und dem Mann einen Tropfen davon eingab, sprang derselbe auf dem Flecke gesund aus dem Bett.

Der Parazelsus aber ist von selbiger Zeit an der berühmteste Doktor und der reichste Mann der Welt geworden und hat Arm und Reich gesund gemacht. Und denen, die's nicht vermochten, hat er oft noch zur völligen Genesung von seinem Golde dazugegeben. Aber just darum hat er auch viele Feinde bekommen, die ihm sogar ans Leben gegangen sind.

Der Teufel aber hockt noch immer in dem Löchlein, und wenig Hoffnung hat er, je loszukommen. Denn der Wald ist Bannwald und schirmt das Tal gegen die Lauenen und Rüfen, und darf drum nie gehauen werden. Die Tanne aber, die er zu Zeiten wütend schüttelt und rüttelt, daß die Wurzeln knarren und die Wipfel sausen und ein Hagel von Tannenzapfen niedergeht, heißt noch heute der Teufelsbaum.


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