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ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


DER HEXENRITT

Ein Meister Schmied hatte zwei Gesellen - ein frischer, munterer Bursch der eine, mit harten, warmen Armen und mächtigen Fäusten, der andere ein feiner, zarter Knabe, schüchtern und still. Der wurde von Tag zu Tag immer schweigsamer und bleicher, ohne eigentlich krank zu sein. Es war, wie wenn ein geheimes Ubel an ihm zehre, und zuletzt war er so blaß und mager wie der Tod. Da meinten die Leute, es komme daher, weil der Starke faul und träge sei, und alle Arbeit dem schwächeren Kameraden aufbürde. Und weil die Leute immer auch sagen, was sie meinen, so kam es dem Fröhlichen zu Ohren und verdroß ihn sehr. «Höre», sagte er eines Tages zu dem Mageren, «du weißt, was die Leute sagen und wie sehr sie mir Unrecht tun. Wir arbeiten beide gleich viel und haben ein rechtes Essen. Woher kommt es nur, daß du so bleich und mager bist?» Aber lange wollte jener nicht mit der Sprache heraus. Endlich redete er doch und sagte: «Das ist eine schlimme Geschichte: Alle Nacht, wenn ich in meinem Bette liege und eingeschlafen bin, dann kommt eine Hexe herein und wirft mir einen Halfter über. Und im selben Augenblicke bin ich ein Roß. Sie führt mich ins Freie hinaus und reitet dann auf mir die ganze Nacht bis zum Morgengrauen über Stock und Stein und Berg und Tal in der Welt herum. Dann sprengt sie mich heim, nimmt mir den Halfter ab, und ich liege, am ganzen Leib zerschlagen, wieder wie ein anderer Mensch in meinem Bette. Ich will meinen Dienst aufsagen und anderswo Arbeit suchen, denn wenn das so fortgeht, liege ich auf der Totenbahre, ehe das Jahr um ist.» — «Höre», sagte da der Muntere und blickte ganz ernsthaft drein, «laß mich nur machen. Heute abend gehe ich in deine Kammer und lege mich in dein Bett, und du gehst in meine Kammer und legst dich in mein Bett. Sag aber niemandem kein Wort!» Wie gesagt,



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so getan. Der Geselle legte sich zum Scheine ins Bett und tat, als ob er fest schlafe. Unlang knarrte die Tür, und die Hexe kam leise herein, Zaum und Zügel und eine Peitsche in der Hand. Wie sie ans Bett trat, um dem Schlafenden den Zaum anzulegen, sprang der Bursche gleitig auf, nahm ihr blitzgeschwind den Zaum aus den Händen und warf ihn der Frau über. Und sie ward auf der Stelle in eine Stute verwandelt. Er führte sie gleich zur Schmiede, wo sein Geselle schon alles gerüstet hatte, und sie beschlugen das Tier wie ein anderes Roß, so ungebärdig es auch tat. Dann bestiegen sie es beide und ritten die ganze Nacht darauf herum, indem sie es weidlich spornten und mit Peitschenhieben trieben, bis sie es beim ersten Frührot, über und über von Schaum bedeckt, mit zitternden Flanken in den Stall stellten.

Am Morgen traten beide vor den Meister und begehrten ihren Abschied. Der aber, ein rechtschaffener Mann, verlor die tüchtigen Gesellen nur ungern. Aber da sie durchaus fortwollten, so mußte er sie gehen lassen, so leid es ihm war. Aber ein Abschiedsmal mußten sie noch miteinander halten. Er rief seiner Frau, damit sie das Essen rüste. Die aber gab keine Antwort und kam nicht. Endlich ging der Meister ins Haus, um nachzusehen, wo sie stecke. Er fand sie in der Schlafkammer schwer krank im Bette liegen, die Decke bis ans Kinn heraufgezogen, und als er sie abdeckte, da war sie an Händen und Füßen mit Hufeisen beschlagen.


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