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ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


DER SCHUSTER VON KIPPEL

Zu Kippel im Lötschental saßen einmal drei Schuhmacher beisammen auf der Stör, und, daß ihnen die Arbeit leichter von der Hand gehe, schwatzten und plauderten sie eins und erzählten einander allerlei Bozengeschichten, die eine toiler als die andere. «Ja», sagte einer, «heut ist Tämpersamstag, da gehen die Bozen um. Wer von uns würd es heute abend wagen, auf die Gugginaip zu gehen!» — «Ich, meiner Seel, nicht», sagte der andere, «aber es gilt die beste Treichelkuh in Lötschen, wenn einer in's Trummernazis Hütte heut nacht einen Schuh bestechen darf. Dort haust ein Boz, ein ganz böser!» Der dritte hatte lange schweigend zugehört, jetzt sagte er: «Ist's Euch Ernst mit der Kuh? Ich gehe schon. Aber schafft mir drei Dinge: ein gesattelt Roß, einen schneidigen Säbel und eine geweihte Kerze!» Die beiden anderen Gesellen schlugen lachend ein; denn sie dachten, der komme nicht



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weit und sei bälder zurück als er fortgegangen. Aber, sagten sie, er müsse in der Hütte ein Zeichen zurücklassen, daß er dort gewesen sei.

Nach Feierabend packte der Schuster sein Werkzeug zusammen und ritt auf seinem Gaul Staubvomboden fort. Bis zur Tennmatten ging's im Galopp. Hier pfitzte ihm heftig ein Gretzlein ins Gesicht. Erschrocken schlug der Schuster mit seinem Säbel in die Dornstauden. Da raschelte, knisterte und knackte es, und ein gräßlicher Scheuel schrie schauerlich aus dem Strauch:

«Der Tag ist dyn,
Die Nacht ist myn.
Hettist du mich unter der Dornstuiden lassen sin!
Hettist hinad fit Ryßends und Byßends,
Gwichts und Gwachsts,
So tet ich dich hinad chlein zerschryßen.
Aber wenn d'denn chuist bis zum Chluiwstein,
Da will ich dich denn lern spinn rein!»

Der Schuster hört's und denkt: «Ja, ja hinad ist änmal der Rächt hiä!», gibt dem Roß eins in die Weichen und sprengt zu durch die nächsten Dörfer am Wege, die still im Schlafe liegen. Im Horoiw aber stand eine gewaltige Flammengestalt, die Beine wie ein Tor über die Wegenge spreizend von einem Chluiwstein zum andern hinüber. Je näher der Schuejer der Stelle kam, gesto größer und gräßlicher reckte sich das Ungetüm auf, so daß es ihm um die Herzgrube gramselte. Aber er gab sich einen Ruck und machte das Zeichen des Kreuzes. «He, änmal der lebendig Tifel würscht äs deich' nit sin!», rief er und gab dem Roß wieder eins in die Flanken, daß es mit einem Sprung durch das Tor setzte. Dem Schueni war's, als ob er durch Feuer ginge.



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Nun war der Weg zur Hütte, wo er die Schuhe nageln sollte, frei. Unlang, so war er am Ort und band das Roß vor der Türe an. Dann ging er mit festem Tritt hinein, zündete die Kerze an und stellte sie auf den Tisch. Auf der Treche machte er ein Feuer an, damit er besser sehe, und dann setzte er sich hinter seine Arbeit.

Wie unser Schuster nun so im besten Zuge ist, klopft's plötzlich ans Fenster, zuerst sachte, dann immer fester und stärker, daß zuletzt die Scheiben klirrten und tschätterten. Aufs Mal sprang der Flügel auf, und ein Boz lotzte zur Stube herein. Ein Gefräß hatte der wie ein Schweinsgrind, und zu den Augen aus hat's ihm geblitzt wie's bare Feuer. Eiskalt lief der Schauder dem Schuster über den Leib, und die Haare sträubten sich ihm wie Borsten auf dem Kopf. Aber er schusterte nur um so eifriger zu und tat, als merke er von allem nichts. Aber alsgemach lampte der Unhold mit seinem Saurüssel über den Tisch herein und fing an, ihm alles Werkzeug durcheinanderzumachen, und gröhlte und krächzte in einem



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fort: «Was ist das? Was ist das?» Dies wurde dem Schuejer zuletzt denn doch zu arg, er schlug ihn derb auf die Prazzen und sagte: «Das ist äs Gnyphölzli, und wenn du damit oich eis willt, so chaist nuh neher chon!»

Wie der Schueni mit seiner Arbeit zu Ende war und die Schuhe fertig genagelt hatte, stand er auf, packte seine sieben Sachen zusammen, und schlug noch zum Zeichen, daß er da gewesen sei, drei Nägel in die Tischplatte. Dann nahm er Käs und Brot aus dem Sack, um sich für den Heimweg zu stärken. Er saß ans Feuer und briet sich den Käse. Aufs Mal hockt der Boz neben ihm und hält seine Klauenfüße ans Feuer und röstet sich die Fersen und schneidet mit einem schartigen Hegel davon Streifen herunter, wie der Schuster Mocken von seinem Käse, und hält sie ihm hin: «Sä, willt oich?» Der schüttelt den Kopf und sagte: «Gsich du z'dyna und ich z'myna! Friß du dys und ich mys!» Aber der Scheuel gab nicht nach, sondern streckte ihm wieder seinen Fuß hin. Da nahm der Schuster unversehens seine Gnypn hervor und schnitt dem Unhold in die Tschaggen. Der heulte auf und schrie, durch Mark und Bein gellend, daß es nicht zum Hören war, rollte die Augen und fletschte die Hauer. Der Schuster nahm flugs die Kerze, war in einem Sprung und Schwung auf dem Roß und sprengte davon, daß die Funken stoben. Und hinter ihm drein kreischte das Gewimmer und Gejammer des Bozen. Der Schuster aber, schaute nicht um und ritt starrengangs heimwärts.

In Kippel erwarteten ihn seine Kumpane, die schlafend den Kopf in den Armen am Tische saßen. Sie hatten die Wette verloren und mußten ihm die versprochene Kuh geben. Aber der Gewinner hat sich seines Besitzes nicht lange freuen dürfen. Seit jener Nacht serbte und siechte er, und bald hat man ihn in den Totenbaum getan.


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