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ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


WIE EINER DAS GEIGEN LERNTE

Auf einer Alp im Nanzertal sömmerten ein Senn und ein Hirte ein Senntum Kühe nebst Schweinen und Schmalvieh. Der Hirte -Christen hieß er - war ein frommer Bursche, der seine Arbeit fleißig tat. Der Senne aber, ein roher Mann, fluchte und schwor den lieben langen Tag, tat selber wenig oder nichts und jagte den Hirten nur so herum, und wie der's auch machen mochte, nie war's recht getan, und dann setzte es obendrein böse Worte oder gar Schläge. Wenig und schlecht war die Kost, die der arme Bube bekam, aber das Ärgste war: allemal wenn er abends beim Zunachten sein Gebet sprechen wollte, dann lachte der Meister ihn nur aus und spottete mit spitzigen Stichelreden.

Als sie nun im Spätsommer von dem Obersäß auf den niederen Staffel fuhren, blieb beim Aufbruch im Vergeß ein Melkstuhl in der Hütte stehen. Obwohl es schon spät am Abend war und eben dämmerte, befahl der Senn dem Hirten, den weiten Weg wieder hinaufzusteigen und den Stuhl diese Nacht noch heimzuholen. Der Bube fürchtete sich zwar sehr, denn die Schatten langten schon hoch die Halden hinauf, aber ohne zu murren lief er wieder zu Berg, und bald war es stockfinstere Nacht geworden.

Wie er zur Hütte kam, tat er die Türe auf. Da aber war in der Stube eine lustige Gesellschaft beisammen, ein ganzer Schwarm Sennen und Älpierinnen, alle in altmödigen Gewändern. Die taten, als ob sie hier zu Hause wären. Der Hirte erschrak, daß ihm eine Hühnerhaut den Rücken abfuhr, man hätte Käs dran reiben können, und wollte wieder davonlaufen. Aber einer der Männer, der älteste, ein eisgrauer Greis, hielt ihn zurück und sagte: «Komm nur herein, hab keine Angst. Es geschieht dir nichts. Warum aber bist du heraufgekommen?» —«Mein Meister hat den Melkstuhl vergessen,



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und den soll ich heut nacht noch holen.» —«So, so», sagte der Alte, «der Stuhl ist dort. Aber sitz jetzt nur ab und ruh dich ein wenig aus!» Derweil hatten die andern einen Haufen Holz in die Feuergrube geworfen, Funken geschlagen und angezündet, und den Kessel übergehangen, und fingen nun zu käsen an, obwohl kein Tröpflein Milch mehr im Keller war. Der Christen tat keinen Schnauf auf seinem Hock und zog die Füße an vor Staunen, denn jenen ging alles glatt und rasch durch die Hände, wie er's noch nie gesehen. Als sie fertig waren, stellten sie eine Mutte voll Schotte auf den Tisch und sprachen: «So komm und iß mit uns!» Der Bub wagte nicht, nein zu sagen, und Hunger hatte er auch von dem weiten Weg, und so saß er mit großen Augen mit den andern zu Tisch und griff wacker zu, so unheimlich ihm auch zumute war. Als er genug gegessen hatte, wischte er sich den Mund und dankte. Dann räumten sie ab, und hernach gingen alle hinaus vor den Staffel. Da spielten einige lustige Weisen zum Tanz auf, während die andern sich in zierlichen Reigen schwangen und künstliche Tänze traten. Der Christen aber stand wie versteinert und lauschte den Tönen. Ihm war's, als höre er die Engel im Himmel musizieren. Da trat aufs Mal jener Alte zu ihm und fragte, ob er lieber Singen oder Geigen lernen wollte. Der Bube sagte, lieber singen, er sei doch zu arm, sich eine Geige zu kaufen. «Nun, nun, deß mag schon Rat werden», sagte der Alte und reichte ihm eine prächtige Geige. «So, jetzt spiel mit den andern!» Und ehe der Christen wußte, wie ihm geschah, hatte er seine Geige schon angesetzt und strich die Saiten, man hätte meinen mögen, das Fiedeln sei immer schon sein Geschäft gewesen. Und so hurtig ging das Spiel, und immer schneller und schneller, daß ihm zuletzt ganz schwindlig wurde und er nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf stand. Da erlosch aufs Mal Feuer und Licht wie ausgeblasen, und alle waren verschwunden, als hätte der Erdboden



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sie aufgenommen. Der Christen aber legte sich auf die Tril und schlief vor lauter Müde auf dem Flecke ein.

Wie der Tag lauterte, erwachte er aus einem tiefen Schlaf, rieb sich die Augen von dem wunderlichen Traum, aber da lag ja die Geige neben ihm samt dem Bogen. Gleich nahm er sie unter den Arm, hängte den Melkstuhl über die Achsel und stieg singend und jodelnd den Berg ab, heller trillernd als Bergfink und Amsel, und dazu fiedelte er fröhlich, daß es weithin sang und klang. Als er zur Melkzeit auf den untern Staffel kam, liefen ihm die Kühe nach, die Plumpen schüttelnd, und ihnen nach die Kälber, Schafe und Schweine. Von dem Getöse erwachte der Senne, der noch tief im Schlafe lag. «Chunnst endli emol, du glampete Hösi!» schnarzte er den Christen an. Der aber hörte gar nicht, was jener sagte, und spielte fort. Das nahm den Sennen denn doch wunder, und er fragte ihn, wo er die Geige her habe, und wer ihn so schön spielen gelehrt. Der Christen erzählte ihm alles der Reihe nach, was ihm begegnet war. Da meinte der Senn, eine so gute Gelegenheit, Geigen zu lernen, wolle er auch nutzen; das deuche ihn die schönste Musik. Und am Abend spät stieg er heimlich ohne Grund zum Obersäß hinauf. Und richtig fand auch er die Gesellschaft vor, und alles ging gleich wie beim Hirten. Als sie ihn aber fragten, was er lieber lernen wolle, Singen oder Geigen, da sagte er Geigen.

Am Morgen drauf vermißte der Hirte den Sennen. Er suchte und suchte überall im Gelände, und fand ihn nirgends. Zuletzt kam es ihm, der Meister möchte zum Oberstaffel hinaufgestiegen sein. Da ging er hinauf und fand in der Hütte den Sennen tot auf dem Boden liegen, auf der Brust das Bild einer Geige eingebrannt.


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