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ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


DREIERLEI MILCH

Vor Zeiten hütete alle Sommer auf der Bahlisaip im Hasli ein Senn sein Vieh. Res hat er geheißen. Allabend aber, wann die Sonne zu Gold ging, zaurte und jauchzte er durch die Volle, daß es rundum in den Felsen und Flühen schaute und hallte. Aber rauh war sein Gesang und ungefüge, und schrill und gell sein Ton, denn noch war dazumal die schöne Jodlerweise nicht in den Bergen erklungen.

So ging der Res eines Abends, als die Sonne hinter den Gräten versunken war, nach seinem Juhen und Huien auch wieder einmal zum Staffel ein, stieß den Saren vor, räbbelte auf die Gasteren hinauf und streckte sich auf die Lischen. Müde von des langen Tages harter Arbeit war er bald friedlich eingeschlafen und lag in tiefem Schlummer; aber nicht für lange. Mitten in der Nacht weckte ihn aufs Mal ein Geräusch. Es war ihm, als höre er drunten im Hüttenraum das Feuer sprazzeln. Er rieb sich die Augen und schnellte gleitig von seinem Gliger auf - und geschaut! Aber ebenso jäh fuhr er, starr vor Staunen, wieder zurück. Herr Jent, Herr Jent, was mußte er sehen! Stehen da, bei Gott, drei fremde Mannen, die eben angefeuert haben und dabei sind, den großen Käskessel an den Turner zu hängen und über das hell lodernde Feuer in der Wellgrube zu rücken, um die Milch zu erwellen, und doch war die Tür fest mit dem Riegel verrammelt. «Was habt ihr fremden Bursche da zu schaffen?» wollte der Res gerade rufen - denn der erste Klupf war dem Zorn gewichen — da sah er erst, was das für Gesellen waren. Der eine war ein großer, fester Mann, bäumig wie ein Riese, mit einem Bart, struppig wie ein Tannengrotz und zündfeuerrot, und hatte ein Hirtenhernd an wie ein Küher. Der stand am Herd und richtete den Kessel. Der zweite trug Wasser und Holz zu, schob Scheiter ins Feuer und schürte es von Zeit zu Zeit,



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daß Flammen und Funken flogen. Der war ein hoher, hagerer Mann mit schwarzem Haar und einem großen Schnauzbart, und trug ein grünes Wams wie ein Jäger, und über die Achsel ab hing ihm eine Weidtasche. Der dritte, ein feiner, blasser Knabe mit schneeweißem Gesicht und falbem Haar und Augen, so blau wie der Himmel, half dem Großen alles rüsten, trug aus dem Gaden die Gebsen voll blanker Milch herbei und leerte sie in das Kessi, bis es voll war. Dann drehte der Rote den gyrenden Turner übers Feuer, daß es kroste und krachte, als wollte das Dach einstürzen. Da aber kroch dem Res, wenn er auch sonst nicht grad klupfig war, der kalte Schauder den Rücken ab, und der Schopf stand ihm vom Scheitel gradauf, steif wie Föhrennadeln: wie's nämlich Zeit war, die Milch dick zu legen, winkte der Große dem Hageren, und er nahm seine breite, bauchige Gutter hervor und fleußte — der Donner schieß! — ganz blutrotes Käslab drein, und der große Küher rührte mit dem Brecher aus Leibeskräften um, daß die Hütte bebte.

Unterweilen aber schritt der Blasse zur Tür hinaus - die tat sich von selber lautlos vor ihm auf - und trat hinaus vor den Staffel. Und alsbald hörte der Res Töne und Weisen, Singen, Jauchzen, Juhen und Johlen, wie er es sein Lebtag nie gehört, noch für glaublich gehalten: hoholiohu holihe hoholiloba tönte es von der Hüttenwand ins Dunkle hinaus, dröhnte es mächtig von den Flühen und Wänden wieder, bald hochhinauf schwebend, bald tief, bald sachte, bald laut, daß es weit drüben her von den Firnen und Gletschern widerhallte, als wäre es eine ganze Schar von Sängern, die da jauchzte. Es war grad, als ob alles rundum sänge und klänge, und drein schallte das volle Geläute der Kuhglocken und das helle Klingen der Schellen. Und dem Res wurde so wohl und so wehe ums Herz, daß ihm das Augenwasser kam. So wie ich sage, ist's gewesen.



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Dann kam der Helle wieder herein. Er ergriff ein langes, geschwungenes Horn, von Weiden und Wurzeln umwunden, das er da in einer Ecke hatte stehen gehabt. Das nahm er und stellte sich damit noch einmal vor die Hütte und ließ nochmals die gleiche Weise langsam in die sternenhelle Nacht ergehen, aber diesmal durch das Horn. Das tönte und schallte, sang und klang und jauchzte und juhte, ich kann's nicht sagen, wie seltsam und schön. Das eine Mal hat's gedröhnt und gebebt und gezittert, wie wenn der Föhnluft durch die Schindeln saust und die Balken biegt, dann wieder, wie wenn der Bergwind durch die rauschenden Wipfel des Hochwalds streicht, und dann wieder war's, als wenn im Frühling alle Quellen springen und klingen, und Wässer und Bäche sprudeln und rauschen, oder wie tosender Wassersturz von hoher Fluh. Das andere Mal, als ob's zur Kirche läute, oder wie wenn eine ganze Herde lober Kühe mit Glocken und Treicheln beieinander wäre und stille weidete. — Und abermals



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hörte er das Senntum nah und näher zum Staffel kommen, und wie die Tiere stille standen, um zu losen. Da ergriff es ihn, als wollt es ihm das Herz zersprengen. Und die Tränen rannen ihm über die Wangen ab vor Wonne und süßem Schmerz.

Derweilen war der Große mit seinem Geschäft fertiggeworden. Er schöpfte und schüttete die Schotte in drei bereitstehende Gebsen. Aber, o Wunder, da war die Milch in der einen rot wie Blut, in der andern grün wie Gras, und in der dritten weiß wie Schnee. Aber im selben lugte der Riese ob sich und rief dem Res mit rauhem Rust: «Gleitig, Bub, komm herab und wähl, was du willst, dir und uns zum Heil!» Dem Res fuhr's durch Mark und Bein, und das Blut gefror ihm schier in den Adern. Aber da trat eben der Weiße mit seinem Horn wieder in die Hütte und blickte ihn hellen Auges an. So nahm denn der Res sein Herz in beide Hände und glitt von seinem Lager hinab auf den Boden zu den drei unheimlichen Gesellen. «Aus einer von diesen Mutten mußt du trinken, aus welcher du willst. Bedenk dich wohl und wähle gut!» sprach der Rote mit einem Laut wie Donnerklang. «Hier, sieh, die rote, trinkst du davon, so wirst du stark all deine Tage und mutig dazu, daß keiner dir widerstehen kann. Allen magst du Meister, die auf Erden sind, und nimmst dir mit Gewalt, was du willst, und keiner kann dir dawider sein und dir's wehren. Dein Wille allein wird Herr sein und Richter. Und obendrein geb ich dir noch hundert lobe, rote Kühe — morgen schon weiden sie auf deiner eigenen Alp - und blanke, braune Rosse, und im Tal einen großen schönen Hof mit Acker und Wiesland, Wald und Obstgarten. Nun wähle, und dann greif zu!» Dem Res ruckte und zuckte es in allen Gliedern bei diesen Worten. Da trat der Grüne mit dem Schnauzbart vor und sprach - und seine Stimme tönte wie ein Harsthorn: «Trink aus der grünen Gebse! Bist du nicht so schon stark genug und legst im Hosenlupf die stärksten



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Schwinger auf den Rücken! Und was wolltest du auch mit den hundert Kühen machen, wird dir erst eine bresthaft, so gehst du bald mit der letzten zum Markt! Ich biete dir bleibendes Gut. Ich gebe dir, daß du alles grad kaufen kannst und haben, wonach dich gelüstet. Und der Reichste sollst du sein im Land, und dazu geehrt wie keiner. Und der beste Schütze sollst du werden weitherum in den Tälern und ein gefürchteter, ruhmreicher Krieger in fernen Ländern; fremde Fürsten werden buhlen um deine Gunst. Die ganze Welt ist dein. Da schau nur her und hör, wie's tut!» Und dann leerte der Grüne seinen Sack aus: lauter rote, funkelnde Goldstücke und harte, blanke Silbertaler klangen durcheinander, daß dem Res ganz irr und wirr wurde in Augen und Ohren. Und es zog ihn an allen Haaren.

Der Blonde hatte derweil im Dunkel gestanden, auf sein Horn gelehnt, als wie im Traum verloren. Jetzt hub er die Augen auf und sprach mit einem Laut so rein und voll wie silberheller Glockenton - und seine Wangen röteten sich wie die Alpenrosen an der Fluh und seine Augen leuchteten: «Trinkst du aus der weißen Gebse, so gebe ich dir meine Stimme, meinen Gesang und mein Horn. Und morgen früh, wenn die Sonne aufgeht, wirst du den Kuhreihen so schön singen, jodeln und blasen können, wie du es zuvor von mir vernommen. Und wer dich wird singen und spielen hören, dem wird das Herz von den Klängen und Tönen also erfreut, daß er es nimmer vergißt, solange er lebt. Du aber wirst Gott und allen Menschen lieb sein!» — «Der wyße bin j mi gwennt», sagte der Res, hub die Mutte leicht an den Mund; frische, würzige Milch war, was er trank. «Du hast gut gewählt», sprach der Helle, «hättest du anders getan, du wärest des Todes gewesen. Hundert und aberhundert Jahre wären vergangen, ehe ich meine Gabe den Menschen wiederum hätte darreichen dürfen. Gott ist mit dir gewesen und hat dein Herz beseelt.»



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Und da waren die Dreie auf einen Schlag verschwunden. Das Feuer in der Wellgrube erlosch, und unversehens lag der Res wieder auf der Lischen und schlief, wie wenn nichts gewesen wäre. Als aber die Sterne erblichen und die Vögel zwitscherten und pfiffen und die Sonne kam, da erwachte er und meinte, das alles habe ihm bloß geträumt. Aber da lag das Horn, das ihm der Weiße nächten gegeben hatte. Und flugs ging der Res hinaus vor die Hütte, stellte sich mitten auf die Alpmatte, wo das Vieh weidete, und hub an aus voller Brust zu singen und zu jodeln und zu blasen. Aber da liefen alle Kühe von selber herzu und reihten sich in Ordnung ein und die wildeste wurde zahm und ließ sich melken. Und wie er's auch versuchte, ob leis oder laut, er konnte singen und jodeln und blasen, wie nächten der Blauäugige. Und von Berg zu Tal scholl sein Gesang, so wundersam rauschend wie Quellen und Bäche, sausend wie in den Wäldern der Wind, brausend wie tosende Wasserstürze in Kluft und Schluft der Berge, so daß die Menschen, die den Klang vernahmen, es nimmer vergaßen.

Also hat sich der Kuhreihen vererbt von Geschlecht zu Geschlecht bis auf den heutigen Tag, und die Sennen haben die Weise, das Jauchzen und Spielen nimmer verlernt.


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