Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH


BLÜEMLISALP

Voreinst lebte im Urnerland ein reicher Bauer mit seiner Frau. Sie hatten in Haus und Hof, in Stall und Stadel, auf Anger und Acker des Lebens Notdurft in Hülle und Fülle. Nur ein Gut fehlte ihnen: lange Jahre hatten sie keine Kinder. Spät erst gebar die Frau ein Söhnlein. In ihrer übergroßen Freude verhätschelten und verpäppelten die Eltern das Kind und vergaßen sich also sehr im Übermaß ihrer blinden Liebe, daß sie an ihm die guten Gaben Gottes eitel verschwendeten. Denkt nur! Nicht in der Schotte, nein, in der puren, reinen Milch haben sie den Buben gebadet! Aber das tat kein gut an dem Knaben. Ja, großen Leibes ward er und starken Armes, aber wilden und ungebärdigen Gemütes, hoffärtig und roh in seinem Herzen. Von jung auf plagte er Tiere und Menschen bis aufs Blut und tat allenthalben allerlei Schandwerk. Wollten Vater und Mutter ihm wehren, so lachte er sie nur aus und trieb es nur ärger denn je. Vor Harm und Gram ergrauten die Eltern früh, und bald starb der Vater.

Jetzt ward der ungeratene Sohn Herr und Meister auf dem schönen Hofe und über die weiten Gebreite, darunter eine herrliche Alp mit grasreichen Weiden, blumigen Wiesen und sprudelnden Quellen, Blüemlisalp geheißen, darauf melchige Kräutlein gar saftig gediehen, so daß den Kühen dreimal am Tage die lötige Milch gemolken wurde.

Im Sommer fuhr der Sohn zur Alp mit seinem ganzen Senntum lauber Kühe, darunter die rote Treichelkuh Brändli sein Lieblingstier war, und mit seinem wilden Hunde Ryn. Und seine Buhle Kathrin kam auch mit ihm. Die war eben so schön als eitel und übermütig, und toll trieb sie auf dem Berge alle Hoffart, die Gott verboten hat. Ihr zuliebe belegte der Bursche den kotigen Weg von der Hütte zum Käsgaden mit lauter schönen Käsen, die Fugen mit Butter verstrichen, damit sie



Alpensagen-045 Flip arpa

sich ihre feinen Tanzschuhe mit den silbernen Schnallen nicht besudle. Und mit frischer, süßer Milch wurde der Steig alltäglich gescheuert. Und sündhaft, wie der gottlose Meister, so trieben's auch die Sennen bis zum Handbuben herab. Was der Segen des Himmels nur Gutes bot, es wurde vergeudet. Die Glut des Herdfeuers wurde mit purer Butter genährt, und Ryn, der Hund, und Brändli, die Kuh, wurden mit Leckereien gefüttert, indes die arme alte Mutter des jungen Meisters drunten im Tale darbte.

Eines Tages aber stieg die Mutter zu Berg, um zu sehen, wie es dem Sohne ergehe. Aber als sie müde anpochte, empfing der Sohn sie gar unwirsch: nicht bot er ihr Willkomm, nicht hieß er sie sitzen, und als die Mutter, durstig vom Wege, um einen Trunk bat, da reichte er ihr statt kühler Milch und Zieger, alte Schotte mit Gülle vermengt. Und ein Brot, mit Kuhmist statt mit Butter gestrichen. Wortlos ging die Mutter hinaus auf die Weide und stieg zu Tal. Aber siehe, die ganze



Alpensagen-046 Flip arpa

Herde folgte ihr nach, nur nicht die Kuh Brändli. Und als sie eine Strecke weit gegangen war, kehrte die Frau sich um und rief, die Arme gen Himmel erhoben: «Ihr Firne und Felsen, fallet nieder auf die Frevler!» Und kaum war das Wort gesprochen, da ward aufs Mal der Himmel nachtschwarz, und ein Wirbelwind brach heulend aus Schlüften und Klüften, Regen troff, Hagel schlug, Schnee fiel, und tosend erschollen alle Flühe. Der Gletscher brach donnernd los, stürzte zu Tal und begrub die blühende Alp unter Eis und Schnee. Vom Berge rollten Rüfen und Lauenen und schütteten zu mit Schutt und Geschiebe, mit Grus und Grien, was noch bar war von Eis, und den Sennen damit samt seiner Buhle, der Kuh und dem Hunde. So ward dem Frevel die Buße.

Aber zu Zeiten in mondlosen Nächten, wenn der Sturm braust, hört man aus dem Firn ganz deutlich den Sennen zauren, die Buhle blänggen, die Kuh blaaren, den Hund bellen und die Schelle klingen:

Ich und's Chueli Brändli, myn Hund Ryn und myn Buol Kathrin

Müeßen immer und ewig z'Blüemlisalpen sin!

Aber allemal am Karfreitag, wenn die Passion gelesen wird, oder am Christfest in der heiligen Nacht, da geht auf dem Trümmerfeld oder in der Eistrift eine schwarze Kuh um, und ein schwarzer Hund läuft hinter ihr drein. Die Kuh hat stets bresch, sieben Meichter voll Milch gäbe sie, aber das Euter ist aus Erz, und die Strichen sind dornig und schwarzägget die Milch. Doch wenn ein mutiger Küher sie ganz sauber bis auf Tropf und Tran ausmelkt, so daß sie wieder weiße Milch gibt, ohne ein Wörtlein dabei zu sprechen, dann werden das Tier und die armen Seelen erlöst, und der Firn schwände, und die Alp stünde wieder grün und blühend wie vordem.



Alpensagen-047 Flip arpa

Einmal versuchte es ein mutiger Küher. Mit einem großen Eimer, dem Melkstuhl, die Hände voll Melchschmutz, ging er an die Kuh, die ganz zahm dazu stand, und hub an zu melken. Das Euter war warm und schwarz die Milch. Bald wurde das Euter noch wärmer, die Milch braunrot, dann heiß, und rot die Milch, und als das Euter glühte, da war die Milch schon rosenrot; der Melchschmutz an den Fingern war ihm zerronnen, aber tapfer hielt er aus und freute sich schon. Doch da kam aufs Mal der schwarze Hund und strich dem Melker wedelnd um die Beine, schlich schnuppend zum Eimer und fing an, von der Milch zu lappen. «Nu, nu Hundli», brummte der Melker, und im selben waren Hunde und Kuh und Milch verschwunden. Und noch immer harren die armen Seelen unter dem Firn ihrer Erlösung.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt