Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen aus Italien Spanien und Portugal


Illustrationen


von Sabine Wilharm

Märchen europäischer Völker


Doktor Grille

Eines Tages ging über die Brücke von Coimbra ein Kohlenhändler mit einem Esel, der mit Kohlen beladen war. Und er sah viele Studenten, die saßen auf der Brücke und aßen Kuchen, Bonbons und Mandeln. Der Kohlenhändler dachte bei sich: >Wenn man so schöne Dinge essen will, muß man wohl Student sein.<

Gesagt, getan. Er verkaufte die Kohlen und den Esel in der Stadt, zog sich die Kohlensäcke an und setzte sich auf die Brücke, um die Rinde vom Maisbrot zu essen, weil er nicht genug Geld hatte, um Kuchen zu kaufen. Die Studenten wunderten sich sehr über den neuen Kollegen und fragten ihn:

»Hallo, junger Fuchs, was studierst du eigentlich?«

Da antwortete er:

»Ich studiere die Wahrsagerei.«

Es waren einige Tage vergangen, da wurde bekannt, daß dem König von Portugal ein Schatz gestohlen worden war und daß er demjenigen einen hohen Lohn ausgesetzt habe, der den Dieb ausfindig mache. Die Studenten erzählten nun dem König, daß ein Student da sei, der Wahrsagerei studiere. Der König ließ ihn gleich zu sich ins Schloß kommen und sagte zu ihm, er wolle einmal sehen, ob er in der Wissenschaft, die er studiere, schon vorgeschritten sei. Nun hieß der Kohlenhändler X. Y. Grille. Der König ging mit geschlossener Hand auf ihn zu und fragte ihn:



Bd-12-306_Maerchen aus Portugal Flip arpa

»Was hab ich in der Hand?«

Da der Student ganz bestürzt war und nicht wußte, was er antworten sollte, seufzte er schwer und sagte:

»Ach, Grille, Grille, in welche Hand hast du dich hier begeben!«

Da machte der König die Hand auf und sagte, da er nicht wußte, daß der Student Grille hieß:

»Du hast richtig geraten; ich habe wirklich eine Grille hier.«

Der König war nun sehr zufrieden und der Student nicht weniger. Bald danach wollte der König erproben, ob der Student noch mehr raten konnte, und er ließ ein Schwein schlachten, füllte eine Flasche mit dem Blut, ging zum Studenten und fragte ihn: »Wessen Blut ist dies?«

Er wußte wieder nicht, was er sagen sollte, und antwortete: »Ja, hier muß man schon Schwein haben.«

Der König antwortete:

»Du hast richtig geraten; ich habe in der Flasche hier Schweineblut.«

Und dann sagte der König zu ihm:

»Ich gebe dir jetzt drei Tage Zeit, um die Diebe, die meinen Schatz gestohlen haben, ausfindig zu machen.« Zwei Diener des Königs gingen nun zu dem Studenten und sagten zu ihm:

»Wir geben Euch sehr viel Geld, wenn Ihr dem König nicht sagt, daß wir beide den Schatz gestohlen haben.«

Dies wollte der Student ja nur hören. Er ließ sogleich den König rufen und sagte: »Euer Majestät muß wissen, daß zwei von Euren Dienern den Schatz geraubt haben.«

Als der König die Wahrheit wußte, ließ er die Diener festnehmen, und sie gaben ihm den Schatz zurück. Und der König sagte zu dem Studenten, er wolle ihm nun eine gute Belohnung geben, und er möge doch noch einige Tage im Schloß bleiben. Während dieser Tage geschah es, daß der Königstochter beim Essen ein Knochen im Hals steckenblieb. Die Ärzte des Königs wagten nicht, ihn ihr herauszuziehen, und da wandte sich der König wieder an den Studenten und sagte ihm, er wolle ihn sehr reich belohnen, wenn er die Prinzessin rette. Der Student sagte nun zur Prinzessin, sie solle sich bäuchlings auf den Boden legen, und er begann, Butterkugeln auf sie zu werfen. Da mußte die Prinzessin loslachen, und als sie hell



Bd-12-307_Maerchen aus Portugal Flip arpa

auflachte, flog der Knochen plötzlich hinaus. Nun gab der König dem Studenten eine Menge Geld zur Belohnung und sagte zu ihm:

»Weil du so viel weißt, mache ich dich zum Arzt in meinem Krankenhaus und in meinem königlichen Schloß.«

In dieser Zeit herrschte in der Stadt eine furchtbare Epidemie, und der Arzt machte den Kranken seine Visite. Als er sie alle untersucht hatte, sagte er zu ihnen: »Wer von euch am kränksten ist, soll morgen aufgeschnitten werden, damit wir ihn einmal von drinnen sehen können.«

Als nun die Kranken dies hörten, standen sie alle auf, die einen auf Stöcke gestützt, die anderen auf Krücken. Sie verließen das Krankenhaus, denn sie mochten jetzt nicht mehr krank sein. Und es sprach sich in der Stadt herum, daß der neue Arzt so viel wußte, daß allein bei seinem Anblick die Kranken schon wieder gesund wurden. Als der Arzt dies vernahm, entschloß er sich nun, an der Universität Medizin zu studieren; nach einiger Zeit konnte er sich den Doktorhut aufsetzen und nannte sich nun Doktor Grille.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt