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Märchen aus Italien Spanien und Portugal


Illustrationen


von Sabine Wilharm

Märchen europäischer Völker


Das Beil

Es war einmal eine Frau, die hatte eine Tochter. Die Tochter sollte heiraten, und am Abend vor der Hochzeit gaben die Eltern für den Bräutigam ein Essen. Als sie nun schon bei Tisch saßen, fiel ihnen ein, daß sie keinen Wein hatten. Die Mutter schickte die Tochter in den Weinkeller, den sie der Tochter in dem Haus, wo sie als Ehefrau wohnen sollte, vermacht hatten. Die Tochter stand auf, um den Wein zu holen.

Sie ging in den Keller, öffnete den Hahn des Fasses und stellte einen Krug darunter. Dann stieg sie nach oben in die Wohnung, in der sie vom nächsten Tag ab wohnen sollte. Sie bestimmte die einzelnen Zimmer, und in dem, das sie für sich bestimmt hatte, sah sie an der Decke ein Beil hängen.

Da dachte das Mädchen.

>Ich verheirate mich nun, und dann bekomme ich ein Kind; aber da hängt dieses Beil, das fällt dem Kind auf den Kopf und wird es töten.<

Und wie sie dies so dachte, verging die Zeit. Die Eltern und der Bräutigam, die allmählich des Wartens überdrüssig wurden, sagten:

»Unsere Tochter bleibt ja lange aus. Wir müssen nachsehen, was sie macht.«

Die Mutter ging geradewegs in den Keller und sah, wie der Krug voll war und der Wein schon auf den Boden floß. Doch anstatt den Hahn zuzumachen, ließ sie ihn offen und suchte ihre Tochter. Sie lief nun durch alle Räume und fand sie schließlich in dem einen Zimmer, wie sie das Beil betrachtete.

»Was machst du denn hier, Tochter? Wir alle warten ungeduldig bei Tisch auf dich, und du erscheinst nicht!«

»Hör mal, Mutter, morgen verheirate ich mich, dann bekomme ich ein Kind; hier richten wir unser Schlafzimmer ein, und da hängt nun dies Beil, das fällt dem Kind auf den Kopf und tötet es.«

»Ja, das ist wahr, Tochter, da hast du recht!«

Und so standen sie lange Zeit, bis auch dem Vater das Warten zu lange wurde und er zum Bräutigam sagte: »Jetzt will ich einmal hingehen und nachsehen.«



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Er ging geradeswegs in den Keller und sah, wie der Wein auf den Boden floß und der Hahn geöffnet war. Aber anstatt ihn zuzumachen, ging er auch fort und suchte Frau und Tochter. Nachdem er durch alle Räume gelaufen war, traf er sie in dem Zimmer, wo sie beide das Beil betrachteten.

»Was soll denn das, Frau? Alle warten wir, und der Wein fließt auf den Boden.«

»Hör mal, Mann, unsere Tochter verheiratet sich morgen; dann bekommt sie ein Kind; aber hier hängt nun dieses Beil, das fällt dem Kind auf den Kopf und tötet es.«

Der Mann betrachtete nun auch das Beil an der Decke, und so standen sie lange Zeit, bis dem Bräutigam das Warten zu lange wurde und er auch in den Keller ging. Als er dort hinkam, sah er den Wein herauslaufen und alles überschwemmen. Er ging an das Faß, machte den Hahn zu und suchte nun die anderen. Er fand sie in dem Zimmer, und sobald er eintrat, sprach der Vater der Braut zu ihm: »Hör mal, Schwiegersohn, wir dachten gerade darüber nach, daß sich morgen unsere Tochter verheiratet; dann bekommt sie ein Kind, und dann fällt das Beil, das da oben hängt, dem Kind auf den Kopf und tötet es. Dies ist meiner Tochter eingefallen. Sie ist immer so klug!«

»Das ist sie«, antwortete der Bräutigam, »aber behaltet sie nur; ich will mir eine andere suchen, und wenn ich keine klügere finde, heirate ich sie doch noch.«

Die Eltern und die Braut wurden sehr traurig darüber, und der Bräutigam ging fort. Auf seiner Reise sah er eine Alte mit einer Kerze in der Nase.

Da fragte er: »Warum hast du die Kerze in der Nase?«

»Ja, ich geh jeden Tag fort, und wenn ich abends nach Hause komme, mag ich nicht immer die Kerze suchen, die ich nie finden kann; deshalb trage ich sie in der Nase, dann hab ich sie abends immer zur Hand, wenn ich nach Hause komme.«

»Das laß nur gut sein, liebe Alte, ich will es dir in Ordnung bringen. Wenn du jetzt nach Hause kommst, steck die Kerze an einen Nagel hinter der Tür. Dann findest du sie immer wieder.«

Die Alte war sehr froh darüber, denn so etwas war ihr noch nie eingefallen.



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Der junge Bursche zog nun seines Weges weiter. Da sah er mehrere Männer, die warfen in großen Mengen Eier gegen eine Erdmauer. Er wunderte sich darüber und fragte sie, warum sie dies täten. Sie antworteten, sie wollten die Mauer umwerfen und würfen nun schon acht Tage Eier dagegen, ohne daß sie umfiele.

»Aber seid doch nicht dumm! Besorgt euch eine Hacke, dann fällt die Mauer in einem Augenblick.«

Dies taten sie; sie holten eine Hacke, und in einem Nu waren die Mauer dem Erdboden gleich.

Da waren die Männer sehr froh, und der junge Bursche wanderte weiter. Unterwegs sah er eine Alte mit einem Korb gehen. Als die Sonne auf sie schien, öffnete sie den Korb, und danach schüttete sie den Inhalt in eine Kiste. Da er nicht wußte, was das zu bedeuten habe, fragte er sie danach. Die Alte antwortete ihm, sie speichere Sonne für den Winter auf, weil ihre Wohnung im Winter kalt sei.

»Komm her, Alte«, sagte er, »ich bringe es schon in Ordnung, denn so hat es keinen Zweck. Ich will es einrichten, daß du das ganze Jahr über Sonne hast.«

Er stieg auf das Dach und deckte die Ziegel ab, und die Alte war sehr froh, denn nun hatte sie das Haus voller Sonne.

Und der junge Bursche wanderte weiter. Unterwegs sah er einen Mann und mehrere Frauen, die vergruben eine Menge Sardinen. Er ging auf sie zu und fragte sie, was sie machten.

»Ja, nun, hier gibt es im Winter keine Fische«, sagten sie, »und wir machen dies, damit wir dann welche haben.«

Da sagte der junge Bursche zu ihnen, es sei besser, einen Korb mit Salz zu holen und die Fische darin aufzubewahren, denn auf diese Art würden sie nicht verderben. Das taten sie dann auch und waren ihm für seinen guten Rat sehr dankbar.

Der junge Bursche ging weiter. Nach einiger Zeit sah er viele Leute um eine Kirche herumstehen. Er fragte sie, was diese Ansammlung zu bedeuten habe; man antwortete ihm, es sei ein Mädchen da, die solle verheiratet werden, aber da sie größer als die Tür sei, müsse man entweder der Braut den Kopf oder dem Pferd die Beine abschlagen.

»Das ist nicht nötig«, sagte er, »es genügt, daß die Braut sich tief duckt, um durch die Tür zu kommen.«



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Das Mädchen tat dies, und in dem Augenblick gab er dem Pferd einen Schlag auf den Rücken, so daß die Braut ohne Schwierigkeit in die Kirche kam. Da waren alle sehr froh, dankten ihm für seinen guten Rat, und er sah zu, wie die Braut verheiratet wurde. Dann kehrte er nach Haus zurück, und da dachte er, daß die Braut, die er im Stich gelassen hatte, doch gar nicht so dumm sei wie all die Leute, die er unterwegs getroffen hatte.

Und er ging zu ihrem Vater, bat ihn um Verzeihung und heiratete sie. Wegen des Beils, sagte er, solle sie sich keine Sorgen machen, denn er wolle es von der Decke herunterholen, damit es dem Kind nicht auf den Kopf falle.


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