Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_01-0004 Flip arpa

EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


42. Die törichten Eltern (Gekürzt wiedergegeben)

Ein Mann (Äascha mit Namen) und eine Frau (Tabuaischeth genannt) haben drei Töchter. Beide sind etwas Narren (mchh'allen). Sie verheirateten zunächst ihre drei Töchter. Die älteste an den Schafbock, die zweite an den Rebhahn, die dritte an die Eule (mearuf). Nach einem Jahre beschließen die Eltern, die drei Töchter



Atlantis Bd_01-241 Flip arpa

zu besuchen, um zu sehen, wie es ihnen geht. Die Mutter nimmt als Geschenk Wolle und Fleisch mit.

Auf dem Wege kommen sie an einem Teich vorbei, an dessen Ufer die Frösche (Frosch = ämkarrka) quaken. Sie hören zu. Die Frau fragt den Mann, ob er verstehe, was die Frösche sagen. Der Mann bejaht das und sagte, die Frösche wollten die Wolle haben, um sie zu waschen. Die Frau könne sie gewaschen in Empfang nehmen, wenn sie wieder zurückkomme. Die Frau wirft darauf die Wolle den Fröschen im Teiche zu.

Weitergehend kommen sie an einen Flußlauf, in dessen Steinbett in einem Felsenloch eine Schildkröte den Kopf immer heraussteckt und wieder einzieht. Die Frau glaubt zu erkennen, daß die Schildkröte ihre Bereitwilligkeit, das Fleisch weich zu klopfen, damit andeute und wirft ihr das Fleisch in den Fluß.

Sie kommen zum Haus des Schafbockes, der tagsüber draußen ist und abends als Nahrung auf jedem Horn aufgespießt je eine wilde Kartoffel (thakolemet) heimbringt. Der Schafbock ist zwar über den Besuch der Schwiegereltern sehr glücklich, die Mutter erkennt aber, daß die Tochter hier sehr schlecht aufgehoben ist, und beschließt, sie auf dem Heimwege aus diesem Hause heraus und wieder mit heimnehmen zu wollen.

Sie kommen dann zum Rebhahn. Hier gibt es einen glänzenden Empfang. Im Hause ist an Nahrung und Essen alles, was nötig ist. Die Mutter erklärt, die Tochter habe es hier sehr gut und solle bei ihrem Manne bleiben. Die Tochter selbst will aber nicht bleiben und so versprechen denn die Eltern, daß sie sie abholen wollen, wenn sie zurückkommen.

Sie kommen endlich zur Eule. Die tut nun vom Morgen bis zum Abend nichts, als auf einem Baume sitzen und schreien: hu! ho! hu! ho! Die Frau der Eule hat es sehr schlecht. Die Arme muß sich von Erde ernähren. Die Eltern machen also sogleich kehrt, nehmen die Frau der Eule mit und holen unterwegs auch die Frauen des Rebhahnes und des Schafbockes ab.

Auf dem Rückwege kommen sie zunächst am Fluß bei der Schildkröte vorüber. Die zieht sich schnell zurück, kommt aber nicht mit dem Fleisch und die Frau meint, das Warten dauere zu sehr. Sie beschließt, das Fleisch ein anderes Mal abzuholen. Sie gehen weiter.

Die Eltern und Töchter kommen dann an den Teich zu den Fröschen. Die Frau redet ihnen eindringlich zu, ihr schnell ihre Wolle



Atlantis Bd_01-242 Flip arpa

zu bringen. Jedesmal, wenn sie spricht, quaken die Frösche schneller und daraus hört die Mutter, daß die Wolle noch nicht fertig gewaschen ist.

Sie kommen heim. Die drei Töchter werden sogleich wieder verheiratet, und zwar diesmal an drei Männer. Die Männer nehmen ihre jungen Frauen gleich mit und nach einiger Zeit (angeblich einem Monat) machen der Mann und die Frau sich wieder auf den Weg, ihre drei Töchter zu besuchen. Die Mutter nimmt für die älteste in Öl gebackenen Kuchen (aschebäth), für die zweite Öl (ssith) und für die dritte Kleider (ischthillen) mit.

Auf der Wanderung - es ist heißer Sommer - kommen sie erst an ein Erdloch. Die Mutter behauptet, das Erdloch habe brennenden Durst und gießt ihr ganzes 01 hinein.

Sie kommen dann an den Brustbeerbaum (französisch: jujubier; kabylisch: tethguarth). Die Mutter findet, daß der Busch in den Strahlen fiebre und deckt, um ihm Schatten zu geben, die mitgebrachten Kleider über.

Sie kommen endlich an den Kadaver eines toten Schakals, dessen Unterkiefer weit herabhängt. Die Mutter sieht daraus, daß der Schakal schlimmen Hunger habe, und steckt die Ölkuchen herein.

Das Elternpaar kommt zur ersten Tochter. Hier ist gerade großer Jubel, denn ein Kind ist geboren worden. Am anderen Tage überläßt die Tochter, die Wasser holen will, die Pflege für kurze Zeit der Mutter. Das Kind schreit. Die Mutter tritt an die Wiege, faßt es an und entdeckt, daß der Kopf des Kindes noch ganz weich ist. Sie hält das für eine Krankheit, schilt über die abwesende Tochter, die eine schlechte Mutter, weil sie diese Krankheit ihres Kindes noch nicht bemerkt und behandelt habe, und sticht dann mit ihrer Haarnadel zur Kur so lange in den weichen Kinderschädel, bis das arme Geschöpf stirbt. Die Tochter kommt mit dem Wasser zurück. Sie bekommt von ihrer Mutter Schelte wegen ungenügender Fürsorge. Die Mutter ist stolz auf ihre Leistung. Das Unglück im Hause ist groß. Die Mutter zieht gekränkt weiter.

Das Elternpaar kommt zur zweiten Tochter. Bei der ist großer Reichtum. Der Mann hat mehr als zwanzig Kühe im Stall stehen. Am anderen Tage geht die Tochter einmal fort und bittet die Mutter, statt ihrer zu melken. Die Mutter macht das abkürzend in der Weise, daß sie allen Kühen die Euter mit der Sichel abschneidet (melken = thuthja). Großes Klagen. Die Mutter zieht gekränkt weiter.



Atlantis Bd_01-243 Flip arpa

Das Elternpaar kommt zur dritten Tochter. Hier sind alle Speicherkrüge (akufi) bis oben mit Butter, Mehl und Honig gefüllt. Am anderen Tage muß auch diese Tochter einmal das Haus verlassen und überläßt es der Mutter, Speise zu bereiten. Die Mutter mischt nun alles, was überhaupt im Hause ist, Butter, Honig, Korn usw. durcheinander, um der Tochter so die ganze Arbeit eines Jahres abzunehmen. Als alles vermengt und vertan ist, kommt die entsetzte Tochter wieder. Großes Jammern. Die Mutter zieht tiefgekränkt über die Undankbarkeit ihrer drei Töchter mit dem Manne wieder nach Hause.

Die drei Schwiegersöhne treffen sich aber. Sie erörtern den Fall und beschließen, um in Zukunft nicht wieder so schweren Unglücksfällen anheimzufallen und im Glück ihres Daseins gestört zu werden, die gute Tabuaischeth und den Aäscha totzuschlagen. Das führen sie denn auch aus und damit ist der Familienfrieden gesichert.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt