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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


41. Narren

Ein Mann hieß Alilindi. Alilindi war verheiratet und hatte eine Frau. Eines Tages ging Alilindi auf den Markt und kaufte bei dem Fleischer vier Ochsenfüße. Der Fleischer gab ihm dazu einen Ochsenschwanz (Schwanz =ajehanär). Alilindi brachte das Fleisch heim. Die Frau warf alles in einen Kochtopf und stellte den auf das Feuer. Das Fleisch war gar, der Mann aber noch nicht nach Hause gekommen. Die Frau nahm das Fleisch heraus und tat es auf einen Teller. Die Frau ward gierig. Sie nahm den Schwanz und aß ihn.

Alilindi kam nach Hause. Alilindi sah auf den Teller mit Fleisch. Alilindi fragte: "Wo ist der Schwanz?" Die Frau sagte: "Ich habe keinen Schwanz gesehen." Alilindi sagte: "Bring den Schwanz oder ich sterbe." Die Frau sagte: "Ich habe den Schwanz nicht." Alilindi sagte: "Bringe den Schwanz oder ich sterbe." Die Frau sagte: "Was soll ich tun, um dich zu beruhigen?" Alilindi sagte: "Bringe den Schwanz oder ich sterbe." Alilindi ließ sich hinfallen. Die Frau bemühte sich, ihn aufzuheben. Alilindi sagte: "Nun sterbe ich."

Die Frau weinte. Alle Leute kamen. Die Leute fragten: "Was gibt es hier?" Die Frau sagte: "Ich habe einen Ochsenschwanz verloren. Nun will Alilindi sterben." Die Leute sagten: "Alilindi, steh auf!" Alilindi sagte: "Ich sterbe." Die Frau weinte. Die Leute sagten: "Alilindi, sei kein Narr! Steh auf!" Alilindi sagte: "Begrabt mich. Ich bin gestorben." Die Leute sagten: "Es geht nicht anders, wir müssen Alilindi begraben."

Im Hause Alilindis waren zwei Ochsen. Der eine Ochse wurde für fünfzig Duro verkauft. Der andere ward für das Fest der Bestattung geschlachtet. Das Grab für Alilindi wurde hergerichtet. Alilindi wurde mit dem Totenkleid bedeckt. Man trug Alilindi heraus. Auf der Straße kam gerade der Fleischer. Der Fleischer blieb stehen und sagte: "Wer ist da gestorben? Wen begräbt man da?" Die Leute sagten: "Das ist Alilindi." Der Fleischer sagte: "Was, der Alilindi? Der Alilindi, dem ich gestern noch vier Ochsenfüße verkauft und einen Schwanz dazugab ?" Alilindi hörte das. Alilindi erkannte, unter dem Leichenkleid hervorschauend, den Fleischer. Alilindi sprang herab und auf den Fleischer zu. Alilindi rief: "Ja, du bist der Fleischer, von dem der Schwanz kam. Wo ist der Schwanz?" Alilindi packte den Fleischer am Kleid. Der Fleischer erschrak so, daß er tot hinfiel. Darauf legten sie den Fleischer unter das Totenkleid und bestatteten ihn in dem Grabe, das für Alilindi hergestellt war.



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Alilindi kam nach Hause. Er sagte zu seiner Frau: "Du hast gut gesehen (tha-therät ?) , wie der Fleischer, der mir die vier Ochsenfüße verkaufte und den Schwanz dazugab, starb?" Die Frau All-. lindis wurde böse und sagte: "Das kommt nur von deiner Narrheit!" Alilindi sagte: "Sei nicht böse! Sei nicht zornig! Du meinst, ich wäre närrisch? (amäghul = männlich; thämägult = weiblich). Ich glaube, du bist närrisch. Wenn du böse wirst, will ich herumgehen und sehen, ob ich noch andere Männer und Frauen finde, die so närrisch sind wie du und ich. Ich tue es, damit du nicht böse wirst." Alilindi packte sich Essen ein und ging von dannen.

Alilindi kam an ein Wasser. An dem Wasser stand eine Frau. Die Frau wusch die Füße und den Kopf eines Schafes. Dabei hielt sie den Kopf des Schafes so tief, daß die Schnauze unter dem Wasser war. Die Frau lockte die anderen Schafe. Alilindi fragte: "Was machst du da? Weshalb lockst du die anderen Schafe?" Die Frau sagte: "Beim Waschen habe ich die Schnauze dieses Schafes verloren. Deshalb kann ich die Schnauze nicht mehr sehen. Ich locke nun die anderen Schafe heran, die sollen die Schnauze dieses Schafes suchen helfen." Alilindi sagte: "Hm!" Alilindi ging weiter und sagte: "Jetzt habe ich eine Frau gefunden, die ist ebenso töricht wie meine Frau."

Alilindi ging weiter. Alilindi kam an einen Ort, in dem wurde ein Fest gefeiert. Eine junge Frau kam aus, dem Orte. Sie hatte mitgefeiert. Sie hatte alle ihre Schmucksachen in einem Sack. Sie war so müde, ihn zu tragen. Die junge Frau sah Alilindi, sie sagte: "Ich kenne dich. Ich bin es müde, diese Schmucksachen zu tragen. Nimm meinen Sack mit zu dir nach Hause. Ich werde eines Tages meinen Bruder oder meinen Mann zu dir schicken und die Schmucksachen abholen lassen. Wie heißt du ?" Alilindi sagte: "Ich heiße Alilindi." Die junge Frau gab Alilindi den Sack und ging ab. Ahlindi sagte: "Hm!" Er nahm den Sack und ging weiter.

Die junge Frau kam nach Hause. Ihr Mann fragte sie: "Wo hast du den Sack mit deinen Schmucksachen?" Die junge Frau sagte: "Ich war müde, ihn zu tragen, ich habe ihn einem Manne zu tragen gegeben." Der Mann sagte: "Wie heißt der Mann?" Die junge Frau sagte: "Der Mann heißt Alilindi" (ilindi = "vergangenes Jahr"). Der Mann fragte: "Wo ist Alilindi hingegangen?" Die junge Frau zeigte die Richtung und sagte: "Alilindi ist dorthin gegangen."

Der Mann stieg auf seinen Maulesel und ritt schnell hinter Alilindi her. Alilindi war noch nicht sehr weit gegangen, da wandte er sich



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um und sah den Mann auf dem Maulesel schnell daherkommen. Alilindi trat vom Wege weg in ein benachbartes Weizenfeld. Er gab sich den Anschein, als ob er da Vogelfallen stelle. Nach einiger Zeit kam der Mann auf dem Maulesel daher. Er sah den Mann im Weizenfeld und sagte: "Hast du nicht einen Menschen vorbeigehen sehen?" Alilindi sagte: "Ja, ich sah einen Menschen vorbeigehen." Der Mann auf dem Maulesel sagte: "Kann ich den Mann einholen?" Alilindi sagte: "Wenn du zu Fuß gehst, kannst du ihn ergreifen. Vom Maulesel aus kannst du ihn nicht fassen." Der Mann stieg vom Maulesel und sagte: "Wie heißt du?" Alilindi sagte: "Ich heiße Ilindi." Der Mann sagte: "Ich bitte dich, Ilindi, bewache meinen Maulesel, bis ich zurückkomme." Der Mann ging zu Fuß weiter.

Der Mann ging ein gutes Stück weit. Er ging, bis er müde war. Der Mann sagte: "Dieser Alilindi ist doch schneller, als ich es war. Es ist nutzlos. Ich werde wieder heimkehren." Der Mann kehrte um. Er kam an die Stelle, wo er seinen Maulesel bei Alilindi zurückgelassen hatte. Er kam an das Feld. Er sah Alilindi nicht. Der Mann ging auf das Feld und sagte: "Ich werde auf dem Felde warten. Ilindi ist von seinem Felde fortgegangen. Ilindi wird zu seinem Felde zurückkehren." Der Mann zündete auf dem Felde ein Feuer an und wartete. Der Inhaber des Feldes sah aus der Ferne das Feuer. Der Inhaber wurde zornig. Er kam in der Nacht heran und schlug den Mann tot.

Inzwischen hatte Alilindi den Maulesel bestiegen und ritt mit dem Sack voll Schmucksachen und dem Maulesel heim. Er kam zu seiner Frau, zeigte ihr die Schmucksachen und den Maulesel und sagte: "Ich habe Frauen gefunden, die närrischer sind als du. Ich habe Männer gefunden, die närrischer sind als ich. Wir können beieinander bleiben."


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