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Märchen aus Italien Spanien und Portugal


Illustrationen


von Sabine Wilharm

Märchen europäischer Völker


Der Zwerg

Ein Student machte einem sehr schönen Mädchen den Hof. Doch ihre Eltern verboten ihr den Verkehr mit ihm, weil er arm war. Eines Nachts nun verabredete sich das Mädchen mit ihrem Freund und beschloß, das elterliche Haus zu verlassen und sich mit ihm in einer kleinen Kapelle zu vermählen, die oben auf einem Berg stand. Und



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zur abgemachten Stunde ging das Mädchen auf den Balkon und sah im Schatten einen Jüngling, der hielt ein Pferd am Halfter. Und da sie glaubte, es sei ihr Geliebter, sagte sie: »Komm näher und nimm den Koffer.«

Der Jüngling nahm den Koffer, und das Mädchen ließ sich an einem Strick hinunter, stieg auf das Pferd und ritt gemeinsam mit dem Jüngling davon.

Sie wunderte sich sehr, daß ihr Geliebter kein Wort zu ihr sprach. Aber als es dämmerte, sah sie, daß der Jüngling gar nicht ihr Geliebter war, sondern ein fremder Bursche, der gerade in dem Augenblick an ihrem Haus vorbeigekommen war, als sie auf dem Balkon gestanden.

Da sagte sie zu ihm:

»Um Gottes willen, bringt mich nicht weiter, laßt mich hier!« Der Bursche hielt an, und sie setzte sich auf den Koffer. Bald kamen Hirten vorbei, die sagten:

»Was für ein wunderschönes Mädchen! Schön wie die Jungfrau Maria!«

Und sie nahmen es mit sich. Und im Dorf, in dem die Hirten wohnten, lebte ein Ehepaar, das hatte keine Kinder, und es nahm das Mädchen bei sich auf und behandelte es sehr gut; nicht einmal arbeiten durfte es. Doch es bestand darauf, mit den Hirtinnen der Gegend die Schafe zu hüten, und so verbrachte es die Tage bei der Herde.

Es gefiel ihr nicht in dem Dorf, weil alle Welt dort in Angst und Schrecken lebte wegen der Dinge, die sich im königlichen Schloß zutrugen. Jede Nacht mußte ein Untertan, der durch das Los dazu bestimmt wurde, in dem Gemach der Prinzessin schlafen und wurde am nächsten Morgen tot aufgefunden. Eines Tages fiel das Los auf die Familie, in der das Mädchen lebte, und als es davon hörte, sagte es:

»Ich will nicht, daß irgend jemand aus diesem Haus in dem Gemach der Prinzessin schläft. Ich werde selber hingehen!«

Und das Mädchen ging ins Schloß. Als der König es sah, sprach er: »Ich gestatte nicht, daß ein so schönes Mädchen sterben soll. Es soll der in dem Gemach der Prinzessin schlafen, den das Los dazu bestimmt hat.«



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Das Mädchen bat aber so inständig darum, daß der König schließlich ihrem Flehen nachgab. Sie legte sich in dem Gemach der Prinzessin schlafen, aber obwohl sie bald eine große Müdigkeit befiel, gelang es ihr, sich wach zu halten.

Und kurz nach Mitternacht trat ein Zwerg in das Gemach, der stieß der Prinzessin hinter dem Ohr eine große Nadel in den Kopf. Und die Prinzessin schrie:

»Weh, man versengt mich! Weh, man verbrennt mich!« Einen Augenblick schwieg sie, dann sagte sie zu dem Zwerg: »Ich bitte dich bei Gott, töte das junge Mädchen nicht, das hier liegt!«

»Es bleibt mir nichts anderes übrig, als sie zu töten.«

»Bei Gott, töte sie nicht, denn sie ist so schön!«

Der Zwerg betrachtete sie und sagte:

»Ja, sie ist sehr schön; deswegen will ich sie auch erst töten, wenn es Tag wird.«

Und der Zwerg stieß die Nadel noch tiefer in den Kopf der Prinzessin und ging weg.

Da das Mädchen sich wachgehalten hatte, stand sie auf und folgte dem Zwerg. Er machte in einem Gemach halt und begann dort, Zettel zu schreiben. Dann las er sie und warf sie in einen Kessel. Jedesmal, wenn er die Zettel in den Kessel warf, schlugen blaue Flammen empor, und die Prinzessin schrie: »Weh, man versengt mich! Weh, man verbrennt mich!«

Der Zwerg hörte auf zu schreiben und schlief ein. Da ergriff das Mädchen den Kessel und goß den Inhalt über ihn, daß er verbrannte.

Als sie ihn getötet hatte, lief sie zu der Prinzessin und zog ihr die Nadel aus dem Kopf, und sogleich wurde sie gesund. Am nächsten Morgen kamen die Diener des Königs und wollten die Leiche des jungen Mädchens aus dem Gemach holen. Da sahen sie, daß es noch am Leben war.

Es dauerte nicht lange, so wußte man im ganzen Königreich, daß der Zwerg, der die Prinzessin bisher gemartert hatte, von dem Mädchen getötet worden war. Und diese Nachricht kam auch dem Studenten zu Ohren, der das Mädchen im ganzen Land gesucht hatte. Und sobald er erfuhr, wo sie war, ging er zu ihr, und nach einigen Tagen heirateten sie.



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Und an ihrem Hochzeitstag schenkte der König dem Mädchen große Reichtümer und erwies ihr große Ehren, und sie wurde glücklich mit ihrem Mann ihr Leben lang.


Copyright: arpa, 2015.

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