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Märchen aus Italien Spanien und Portugal


Illustrationen


von Sabine Wilharm

Märchen europäischer Völker


Die schwarze Ziege

Es war einmal ein junger Bursche, der machte einem braven Mädchen, der schönsten des Dorfes, den Hof. Er hatte ihr das Versprechen gegeben, sie zu heiraten, doch wollte er schon vorher mit ihr schlafen.

Eines Tages, es war am Vorabend der Kirmes, verabredete der Bursche sich mit dem Mädchen, dorthin zu gehen, doch wollte er schon sehr früh mit ihr dort sein, schon bei Tagesanbruch, bevor noch jemand auf der Festwiese wäre, wo die Wallfahrtskapelle der Heiligen stand, die man feierte.

Der Bursche sagte, sie wollten so früh hingehen, um die ersten zu sein, die zu der Heiligen beteten; doch Gott wußte wohl, daß seine Absichten nicht diese, sondern ganz andere waren. Sie hatten miteinander verabredet, daß er sie bei Tagesanbruch von ihrem Haus abholen wolle. Am nächsten Tag stand er auf, als der Mond noch am Himmel stand, und ging los, um das Mädchen abzuholen, doch traf er sie schon auf dem Weg, denn aus Freude darüber, daß sie mit



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ihrem Verlobten auf das Fest gehen durfte, konnte sie die ganze Nacht kein Auge schließen, so daß sie eher als er aus dem Haus gegangen war und ihn abholen wollte. Sie sagten sich guten Tag und gingen plaudernd ihren Weg. Bevor sie auf die Festwiese kamen, mußten sie einen Fluß überschreiten. Der war aber angeschwollen, da es in den letzten Tagen viel geregnet hatte, und der Strom überspülte die Brücke, eine Brücke, die zwar aus dünnen Ästen gebaut, aber doch stark genug war, um Leute hinüberzutragen. Als er nun sah, daß sich hier eine gute Gelegenheit für seine Absichten bot, sagte er, er wolle sie über den Fluß tragen, da sie ja sonst nicht auf das andere Ufer kommen könnten. Sie wollte anfangs nicht, doch da er sehr darum bat, ließ sie sich zu guter Letzt darauf ein. Als sie nun die Mitte des Flusses erreicht hatten, dort, wo er am tiefsten war, blieb der Bursche stehen und sagte zu dem Mädchen: »Wenn ich dich drüben nicht haben kann, werfe ich dich jetzt in den Fluß.« Das Mädchen, das ärmste, hielt das für einen Scherz und schenkte den Worten ihres Verlobten keine Beachtung, doch er fing immer wieder von neuem damit an und sagte, daß es kein Spaß sei, sondern daß er es bitter ernst meine. Da begann sie zu weinen und sagte, vor der Hochzeit täte sie so etwas nicht. Er drang weiter mit Bitten in sie, doch sie sagte zu allem nein. Als sie aber sah, daß er Anstalten machte, sie in den Fluß zu werfen und es auch wirklich ausführen wollte, da gab sie ihm schließlich ihr Wort, drüben zu tun, was er wollte. Er befahl ihr, das zu beschwören, und sie schwor.

Als sie am andern Ufer ankamen, legte der Bursche das Mädchen auf die Erde und bedeckte ihr Gesicht mit dem Kopfschleier, doch als er dann nach unten sah, erblickte er plötzlich Ziegenbeine an ihr mit vielen langen, schwarzen, furchterregenden Haaren darauf. Er zog ihr den Schleier weg, da fand er einen Kopf vor sich wie den einer schwarzen Ziege mit Hörnern und allem und einem Maul, das ihm eine Menge großer, häßlicher Zähne zeigte. Mein Gott, war das furchtbar anzusehen! Zu Tode erschreckt lief der Bursche fort, so schnell er konnte.

Bevor er zu Hause ankam, traf er auf dem Weg einen seiner Vettern, der, als er ihn so bleich und zitternd sah, fragte, was ihm geschehen sei. Der Bursche erzählte ihm, was ihm mit seinem Mädchen begegnet war, und sagte, daß er sie in eine schwarze Ziege verwandelt am



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Fluß liegen gelassen habe. Während er dies noch erzählte, verschwand der, der sein Vetter war, wie durch ein Wunder, und statt seiner sah er wieder die Ziege, die um ihn herumsprang und ihre schwarzen Zähne zeigte und ihre schwarze Zunge, so schwarz wie eine Winternacht, und die sagte: »Sieh hier dein Mädchen! Magst du denn jetzt nicht tun, was du wolltest?«

Man sagt, der Bursche sei vor Entsetzen gestorben, und jene Ziege sei der Teufel in eigener Person gewesen. Und so wird es auch sein, denn nur der Teufel ist solcher Dinge fähig. Und dies Märchen, das nicht wie ein Märchen aussieht, kann sich wirklich ereignet haben und eine Strafe Gottes gewesen sein für den Burschen, der das schönste Mädchen des Dorfes verderben wollte.


Copyright: arpa, 2015.

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