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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


37. Amar der Narr

Es war eine Alte, die hieß Sadia. Diese Saidia hatte einen Sohn Amar (oder Amara) mit Namen, der hatte einen Bart, der ihm bis zum Nabel reichte. Außerdem war dieser Amar ein Narr.

Eines Tages gab die Mutter Sadia dem Amar Geld und sagte: "Geh auf den Markt und kaufe Weizen oder Gerste." Amar setzte sich auf seinen Esel und ritt auf den Markt. Als er dort ankam, war noch niemand auf dem Markte. Amar stieg ab, band den Esel an den vier Füßen fest und legte sich neben ihn zum Schlafen hin.

Als Amar eingeschlafen war, kamen sieben Schüler (sewa-telba; sewa = Sieben; telba Schüler). Die sieben Schüler sahen Amar. Sie sahen, daß er eingeschlafen war. Sie machten sich daran und schnitten Amar den Bart ab. Dann lösten sie die Fußfesseln des Esels und machten sich mit dem losgebundenen Esel und dem abgeschnittenen Bart auf und davon.

Kurze Zeit darauf sammelten sich die Leute auf dem Markte. Amar schlief und merkte es nicht. Der Markt ging zu Ende. Die Leute verliefen sich. Es wurde Abend. Da erwachte Amar. Amar erwachte und sah sich nach seinem Esel um. Der Esel war nicht mehr da. Amar faßte sich an das Kinn. Am Kinn, im Gesicht Amars war kein Bart mehr. Amar sagte zu sich: "Bin ich Amar, oder bin ich nicht Amar? Nein, ich bin nicht Amar. Denn Amar hat einen Bart, der reicht ihm bis auf den Nabel. Ich habe aber keinen Bart. Amar hatte einen Esel. Der war neben ihm an den vier Beinen festgebunden. Hier neben mir ist kein Esel, also bin ich nicht Amar. Ich werde aber in Amars Haus gehen und sehen, ob Amar zu Hause ist."

Amar stand auf und begab sich auf den Heimweg. Amar sagte unterwegs bei sich: "Wo ist eigentlich Amar? Er ist doch mit dem Esel auf den Markt geritten, nun habe ich ihn auf dem Markt nicht mehr gesehen." Amar kam nach Hause. Amar trat in das Haus und rief: "Hai Amara! Hai Amara!" Die Mutter hörte den Ruf. Die Mutter



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rief zurück: "Amar ist nicht daheim. Amar ist heute morgen auf den Markt geritten und noch nicht zurückgekehrt."

Amar hörte die Mutter. Amar dachte nach. Amar sagte bei sich: "Dann bin ich doch wohl selbst Amar, wenn Amar noch nicht vom Markte zurückgekommen ist und da ich ihn dort auch nicht mehr gesehen habe. Wenn ich aber selbst Amar bin, so haben mir sicherlich die sieben Schüler einen Streich gespielt, haben mir meinen Bart abgeschnitten, meinen Esel abgebunden und sind mit Bart und Esel fortgelaufen. Ich werde das meiner Mutter sagen."

Amar ging zu seiner Mutter und sagte: "Ich denke, daß ich dein Sohn Amar bin. Auf dem Markte haben mir die sieben Schüler den Bart abgeschnitten, haben meinen Esel losgebunden und sind mit meinem Bart und meinem Esel fortgelaufen. Ich will aber nächste Woche meine Angelegenheit schon ordnen."

Als in der nächsten Woche wieder Markt war, machte Amar sich abermals auf den Weg. Unterwegs kaufte er einen Esel. Dem Esel steckte er einige Kupferstücke unter den Schwanz. Auf dem Markte waren auch die sieben Schüler. Als Amar die sieben Schüler sah, kniff Amar den Esel, so daß er vor Schmerz schrie und den Schwanz hob. Amar lief schnell hin und hielt sein Kleid (seinen Burnus) unter den Schwanz des Esels. Die Kupferstücke fielen in das untergehaltene Kleid.

Die sieben Schüler sahen es. Die sieben Schüler sagten zu Amar: "Amar schäme dich! Du fängst mit deinem Kleid den Mist des Esels auf!" Amar sagte: "Seht doch einmal her! Ist das etwa Mist oder sind das Kupferstücke? Der Esel hat noch nicht gefressen, deshalb sind es nur Kupferstücke. Wenn er aber gut gefressen hat, läßt er nicht wie andere Esel Mist, sondern Gold fallen. So ist es. Für Gold und auch für Kupfer ist mein Kleid aber gut." Die sieben Schüler traten heran. Sie sahen in Amars Kleid. Sie sahen die Kupferstücke. Sie kauften Amar den Esel für hundert Goldstücke ab.

Amar kam heim. Amar sagte zu seiner Mutter: "Mein erster Esel war kein Goldstück wert. Mein Bart war kein Goldstück wert. Ich habe noch einen Esel für ein Goldstück gekauft. Für den ersten Esel, für meinen Bart und für den zweiten Esel haben mir die sieben Schüler hundert Goldstücke gegeben. Die sieben Schüler haben mich gut bezahlt."

Eines Tages gab die Mutter dem Amar ein Viertel Goldstück und sagte: "Geh auf den Markt und kaufe eine Keule." Amar sagte: "Das werde ich tun." Amar machte sich mit dem Viertel Goldstück



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auf den Weg. Amar kam auf den Markt und kaufte für das Geld eine Keule. Dann begab er sich auf den Rückweg.

Auf dem Heimweg kam Amar über einen Bach. Amar sah auf den Bach. Amar hörte auf das Geräusch, das das Wasser des Baches machte. In dem Bach war ein Strudel. Amar sagte: "Was sprichst du ?" Der Strudel im Bache sagte: "Wu-u-u-u!" Amar sagte: "Was, du willst die Keule kaufen ?" Der Strudel des Baches sagte: "Wu-uu-u-u!" Amar sagte: "Du sagst, du wolltest mir ein halbes Goldstück für meine Keule geben ?"Der Strudel des Baches sagte: "Wu-u-u-u!" Amar sagte: "Es ist gut, aber zahle mir erst das halbe Goldstück." Der Strudel des Baches sagte: "Wu-u-u-u!" Amar sagte: "Du willst mich nächsten Sonnabend bezahlen. Nun, es soll mir auch recht sein. Aber versprich mir, daß du Wort hältst." Der Strudel des Baches sagte: "Wu-u-u-u!" Amar sagte: "Es ist gut. Nun halte dein Wort." Damit warf er die Keule in den Strudel des Baches und ging heim.

Amar kam nach Hause. Seine Mutter fragte ihn: "Hast du die Keule gekauft?" Amar sagte: "Ja, ich habe für ein Viertel Goldstück eine Keule gekauft, auf dem Heimweg habe ich sie aber für ein halbes Goldstück wieder verkauft." Die Mutter fragte: "An wen hast du die Keule verkauft?" Amar sagte: "Ich habe die Keule an den Bach verkauft. Der Bach wird mir das Geld am nächsten Sonnabend bezahlen." Die Mutter sagte: "Nun sehe ich erst recht ein, was für ein Narr du bist! Jeder andere weiß, daß das Wasser kein Fleisch kauft!" Amar sagte: "Meine Mutter, warte bis zum nächsten Sonnabend!"

Am nächsten Sonnabend ging Amar wieder zu dem Bache. Amar sagte zu dem Bach: "Nun gib mir mein halbes Goldstück!" Der Strudel des Baches sagte: "Wu-u-u-u!" Amar sagte: "Was sagst du? Du willst nicht? Du willst dein Versprechen nicht halten?" Der Strudel des Baches sagte: "Wu-u-u-u!" Amar sagte: "Warte, mein Bach, ich will dir zum Zahlen helfen."

Amar lief heim. Amar holte eine Hacke. Amar kehrte mit der Hacke zurück und begann den Bach abzuleiten. Ein wenig unterhalb des Baches wohnten ein Gärtner und ein Müller. Das Wasser des Baches bewässerte den Garten des einen und trieb die Mühle des anderen. Als Amar den Bach abgeleitet hatte, blieb das Wasser aus den Kanälen des Gärtners und von der Mühle des Müllers fort. Der Gärtner und der Müller kamen zu Amar und fragten ihn: "Was tust du diesem Bach? Sein Wasser fließt nicht mehr durch unseren Garten



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und über unsere Mühle. Was hast du mit dem Bache?" Amar sagte: "Der Bach hat mir vorigen Sonnabend eine Keule für ein halbes Goldstück abgekauft. Er wollte mir das Geld heute zahlen. Er hat aber sein Versprechen nicht erfüllt und nun helfe ich ihm zahlen."

Der Gärtner sagte (leise) zum Müller: "Daher kam die Keule, die vorige Woche den Bach herunterschwamm und die wir gemeinsam aßen. Wir wollen die Sache aus der Welt schaffen. Amar ist ein Narr, der uns nur aufhält." Der Gärtner und der Müller sagten zu Amar: "Der Bach hat das halbe Goldstück bei uns hingelegt, daß wir es dir geben. Hier nimm es, aber lasse den Bach nun in Ruhe." Amar nahm das Geld und sagte: "Ich wußte es, daß ich mich auf das Wort des Baches verlassen konnte."

Amar ging mit dem halben Goldstück nach Hause. Amar sagte zu seiner Mutter: "Sieh hier das halbe Goldstück, das ich für die Keule erhielt. Habe ich dir nicht gesagt, daß der Bach zahlen würde?!" Die Mutter sagte: "Ich sehe, daß du ein kluger Mensch bist. Du hast nun mein Vertrauen erworben. Gehe also auf den nächsten Markt und verkaufe einen Ochsen. Heute gehe hin und mache dir mit deinen Freunden einen fröhlichen Abend."

Als es Abend war, machte sich Amar auf den Weg in das nächste Dorf. Er traf seine Freunde auf dem Platze der Burschen. Er sprach mit ihnen. Er lachte mit ihnen. Die Burschen lachten über ihn. Als es spät war, machte er sich auf den Heimweg. Er kam durch einen Wald. Auf der anderen Seite des Waldes lag ein Garten mit Ölbäumen. Unter den Ölbäumen waren zwei Diebe dabei beschäftigt, das Gold, das sie einem reichen Manne gestohlen hatten, zu vergraben. Amar kam an sie heran, ohne daß sie es merkten. Amar trat zu ihnen und sagte: "Was macht Ihr hier ?" Die Männer sahen auf. Sie sagten (leise) zueinander: "Es ist nur Amar, der Narr!" Die Männer sagten (laut): "Der Kuckuck (tikuk) hat uns sein Gold gegeben und uns gebeten, es für ihn hier zu vergraben."Amar sagte: "Welcher Kuckuck war es ?" Die Männer sagten: "Das Gold gehört dem Kuckuck, der dort im Walde wohnt. Er hat uns aber gebeten, niemand etwas davon zu sagen, daß sein Gold hier vergraben wird, damit es ihm nicht jemand stiehlt." Amar sagte: "Ich wußte nicht, daß der Kuckuck so reich ist." Die Männer sagten: "Wie du siehst, ist es ein sehr reicher Kuckuck. Versprich es uns aber, daß du auch zu niemand davon reden willst, damit der Kuckuck nicht bestohlen wird." Amar sagte: "Ich bin Amar. Ich lüge nie. Ich verspreche,



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daß ich nichts vom Reichtum des Kuckucks reden werde. Aber ich werde den Kuckuck aufsuchen und ihn fragen, ob er mir einen Ochsen abkaufen will." Die Männer sagten: "Das ist recht. Sprich mit dem Kuckuck selbst, aber sonst mit niemand."Amar ging darauf nach Hause und legte sich schlafen.

Am nächsten Markttage machte sich Amar mit dem Ochsen auf den Weg. Als er ein gutes Stück Wegs gegangen war, kam er an den Wald. Im Walde hörte er einen Kuckuck (tikuk, Plur.: itikuken). Der Kuckuck ärgerte mit seinen Rufen die Tiere. Amar hörte den Kuckuck rufen: "Tikuk!" Amar blieb mit seinem Ochsen stehen und sagte: "Das muß der reiche Tikuk sein."

Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Was, du willst meinen Ochsen kaufen?" Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Was, du willst für meinen Ochsen fünfzehn Goldstücke zahlen?" Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Gut, du sollst ihn haben. Sage mir nun aber noch, wann du mir die fünfzehn Goldstücke zahlen willst!" Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Am Sonnabend nächster Woche willst du zahlen! Ich bin damit einverstanden. Nimm deinen Ochsen hin." Amar band den Ochsen los und ließ ihn durch den Wald davonlaufen. Dann begab sich Amar auf den Heimweg.

Amar kam zu seiner Mutter zurück. Amar sagte zu seiner Mutter: "Ich habe den Ochsen für fünfzehn Goldstücke verkauft."Die Mutter fragte: "Wem hast du den Ochsen verkauft?" Amar sagte: "Ich habe den Ochsen dem Kuckuck verkauft." Die Mutter fragte: "Wie soll dir der Kuckuck denn aber das Geld bezahlen?" Amar sagte: "Der Kuckuck wird mir das Geld geben. Der Kuckuck wird mir das Geld in der nächsten Woche geradesogut geben, wie der Bach mir das Schuldige in der vorigen gab." Die Mutter sagte: "Das möchte ich erleben."

Am nächsten Sonnabend machte sich Amar wieder auf den Weg. Amar kam in den Wald. Im Walde rief der Kuckuck: "Tikuk!" Amar rief: "Jawohl, mein Kuckuck, heute wird bezahlt." Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Wo sagst du? Dort im Garten?" Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Unter einem Ölbaum?" Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Unter diesem Baum?" Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Also unter den Wurzeln! Warte, ich will eine Hacke holen." Amar ging nach Hause.

Amar kam heim, nahm eine Hacke und kehrte in den Garten mit dem Ölbaume zurück. Amar begann unter den Wurzeln des Baumes



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zu hacken und die Erde beiseitezuschaffen. Amar fand das Gold, das die Diebe vergraben hatten. Es war eine große Menge von Goldstücken. Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Habe keine Sorge, mein Kuckuck, ich werde von deinem Golde nicht mehr nehmen, als mir zukommt. Ich habe dir den Ochsen für fünfzehn Goldstücke verkauft. Sieh her, ich nehme mir nur fünfzehn Goldstücke fort." Der Kuckuck rief: "Tikuk!" Amar rief: "Schau her, ich zähle!" Amar zählte die fünfzehn Goldstücke. Er steckte die fünfzehn Goldstücke ein und schüttete das Loch, in dem das übrige Gold war, wieder zu. Mit dem Golde im Beute! begab er sich auf den Heimweg.

Amar kam zu seiner Mutter zurück. Amar sagte zu seiner Mutter: "Habe ich dir nicht gesagt, daß der Kuckuck mir das Gold geben würde ?" Die Mutter sagte: "Hat der Kuckuck dir die fünfzehn Goldstücke gegeben? Ich habe nicht geglaubt, daß der Kuckuck so viele Goldstücke hätte." Amar sagte: "Es hat dem Kuckuck keine Schwierigkeit gemacht, mir die fünfzehn Goldstücke zu geben. Du kannst dir nicht denken, meine Mutter, wieviel Goldstücke der Kuckuck besitzt! Ich habe ihm aber nicht ein Goldstück mehr abgenommen, als er mir schuldig war." Die Mutter sagte: "Amar, du bist mein kluger Sohn, du solltest mir aber zeigen, wo der Kuckuck seine Goldstücke aufbewahrt." Amar sagte: "Meine Mutter, du willst den Kuckuck bestehlen." Die Mutter sagte: "Das will ich nicht. Sage mir, wo die Goldstücke liegen." Amar sagte: "Meine Mutter, du willst den Kuckuck bestehlen. Ich werde dir die Stelle, an der der Kuckuck sein Gold aufbewahrt hat, nicht zeigen." Die Mutter sagte: "Lieber will ich nicht stehlen. Aber zeige mir die Stelle. Dann sollst du auch ein sehr gutes Essen haben." Amar sagte: "Ich will dir die Stelle morgen zeigen."

In der Nacht bereitete die Mutter eine große Menge guten Essens. Sie kochte Bohnen und buk Kuchen. Am anderen Tage machte sich die Mutter und Amar auf den Weg zu dem Garten am Walde. Die Mutter ging vor Amar her. Von Zeit zu Zeit ließ die Mutter von dem Kuchen und den Bohnen etwas fallen. Bald ließ sie Kuchen fallen. Dann bückte sich Amar, las den Kuchen auf und aß ihn. Bald ließ sie Bohnen fallen. Dann bückte sich Amar, las die Bohnen auf und aß sie.

Die Mutter sagte zu Amar: "Mein Sohn Amar, was ist heute? Mein Sohn Amar, was regnet's heute?" Amar sagte: "Es regnet Bohnen und Kuchen." Die Mutter sagte: "So iß dich ordentlich satt,



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denn es regnet nicht alle Tage Bohnen und Kuchen." Dann ließ die Mutter wieder Bohnen und Kuchen fallen. Amar bückte sich, las Bohnen und Kuchen auf und aß sie.

Die Mutter kam mit Amar in den Garten. Amar sagte zu seiner Mutter: "Dies ist der Baum, unter dem der Kuckuck seine vielen Goldstücke vergraben hat." Die Mutter sagte: "So, das ist der Baum!" Dann begann die Mutter die Erde unter den Baumwurzeln aufzuhacken. Die Mutter schaffte die Erde beiseite. Die Mutter sah die Menge Goldstücke. Die Mutter hob die Goldstücke heraus und füllte sie in ihren Korb. Amar sah es. Amar rief: "Meine Mutter, du stiehist dem Kuckuck sein Gold! Meine Mutter, ich werde es allen Leuten erzählen!" Die Mutter sagte: "Mein Sohn, du irrst dich! Du kannst allen Leuten sagen, daß ich an dem Tage, an dem es Kuchen und Bohnen geregnet hat, dem Kuckuck auch nicht ein Kupferstück entwendet habe."

Als die Mutter alles Gold in ihren Korb gefüllt hatte, kratzte sie alle Erde wieder in das Loch, trat den Boden mit den Füßen fest und sagte zu Amar: "Nun komm, wir wollen heimgehen." Die Mutter ging Amar auf dem Rückwege wieder voran. Von Zeit zu Zeit ließ sie Kuchen und Bohnen fallen. Amar bückte sich dann, las Kuchen und Bohnen auf und aß sie. Die Mutter und Amar kamen wieder in ihrem Hause an. Die Mutter versteckte daheim das Gold.

Amar lief am anderen Tage in das Dorf. Amar lief in dem Dorf herum und schrie: "Meine Mutter hat dem Tikuk das Gold gestohlen! Meine Mutter hat dem Tikuk das Gold gestohlen." Die Leute hörten es. Die Leute kamen zu Amars Mutter und sagten: "Dein Sohn Amar läuft im Dorf umher und schreit: Meine Mutter hat dem Tikuk das Gold gestohlen. Sage uns, was daran ist!" Die Mutter sagte zu den Leuten: "So fragt denn auch meinen Sohn, an welchem Tage ich das getan habe." Die Leute gingen. Sie trafen Amar. Amar lief im Dorfe herum und schrie: "Meine Mutter hat dem Tikuk das Gold gestohlen." Die Leute sagten zu Amar: "Sage uns doch, an welchem Tage hat denn deine Mutter dem Tikuk das Gold gestohlen?" Amar sagte: "An dem Tage, an dem es Bohnen und Kuchen regnete." Die Leute kamen zu Amars Mutter zurück und sagten: "Amar sagte, es sei an dem Tage geschehen, da es Bohnen und Kuchen regnete." Die Mutter sagte zu den Leuten: "So fragt den Amar weiter, ob ich an dem Tage, an dem es Bohnen und Kuchen regnete, dem Tikuk auch nur ein Kupferstück entwendet habe." Die Leute sagten: "Wir werden Amar fragen."



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Die Leute trafen im Dorfe wieder auf Amar. Amar lief im Dorfe umher und schrie: "Meine Mutter hat dem Tikuk das Gold gestohlen." Die Leute sagten zu Amar: "Du sagst, deine Mutter hätte dem Tikuk an dem Tage, an dem es Bohnen und Kuchen geregnet hat, das Gold gestohlen. Nun sage uns genau: Hat deine Mutter an dem Tage, an dem es Bohnen und Kuchen geregnet hat, dem Tikuk auch nur ein Kupferstück entwendet ?" Amar sagte: "An dem Tage, an dem es Bohnen und Kuchen geregnet hat, hat meine Mutter dem Tikuk auch nicht ein Kupferstück entwendet." Amar lief weiter. Amar schrie laut im Dorfe: "Meine Mutter hat dem Tikuk sein Gold gestohlen! Meine Mutter hat dem Tikuk sein Gold gestohlen!" Die Leute hörten es; die Leute schüttelten den Kopf. Die Leute sagten: "Amar ist ein vollkommener Narr! Der Tag, an dem der Himmel Bohnen und Kuchen regnen läßt und an dem man Gold stehlen kann, ohne auch nur ein Kupferstück zu entwenden, muß erst noch kommen." Die Leute lachten.

Das Haus der Mutter des Amar lag neben der Moschee. Ganz früh an jedem Morgen schrie der Marabut zum Gebet. Sowie der Marabut zum Gebet schrie, erhob sich Amars Mutter, um ihr Gebet zu verrichten. Dadurch wurde Amar im Schlafe gestört. Amar wurde jeden Morgen in aller Frühe im Schlafe gestört. Amar wurde böse. Amar wurde jeden Tag böser auf den Marabut. Eines Tages wurde Amar so zornig, daß er schwur: "Morgen werde ich diesem Marabut, der jeden Tag in aller Frühe meine Mutter zum Gebet herausruft, das Schreien verbieten." Die Mutter sagte: "Mein Amar, du kannst es ihm nicht verbieten, denn es ist sein Amt. Solange er einen Kopf auf dem Leibe hat und den Mund benutzen kann, wird er morgens zum Gebet rufen." Amar sagte: "Wie du willst, meine Mutter."

Am anderen Morgen stand Amar ganz früh und so leise auf, daß seine Mutter noch im festen Schlafe lag und ihn nicht hörte. Amar ging aus dem Hause. Amar ging durch das Dorf. Er traf den Marabut, der nach der Moschee ging. Amar sagte zu dem Marabut: "Ist es wahr, was meine Mutter sagt?" Der Marabut sagte: "Was sagt deine Mutter?" Amar sagte: "Meine Mutter sagt, daß ich dir das Rufen am frühen Morgen nicht verbieten kann, daß dieses Rufen dein Beruf ist, daß du so lange rufen wirst, als du einen Kopf auf dem Leibe hast." Der Marabut sagte: "Was deine Mutter gesagt hat, ist wahr. Mein Kopf müßte im Brunnen liegen, statt auf meinem Körper zu sitzen, um zu schweigen." Als der Marabut das gesagt hatte, zog Amar ein langes Messer heraus, schlug dem Marabut



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den Kopf ab und warf den Kopf in einen Brunnen. Darauf ging er heim.

Als Amar in das Haus kam, erwachte seine Mutter. Die Mutter erwachte und sagte: "Der Marabut wird bald zum Gebet rufen." Amar sagte: "Der Marabut wird nicht mehr zum Gebet rufen. Du sagtest mir, ich sollte ihm den Kopf abschlagen, sonst könne er nicht schweigen. Ich fragte ihn, ob ich das tun solle. Der Marabut sagte, damit er schweigen könne, müsse ihm der Kopf abgeschlagen und dieser in einen Brunnen geworfen werden. Ich habe ihm also den Kopf abgeschlagen und diesen in einen Brunnen geworfen. Wenn ihr beide, der Marabut und du, recht habt, wird er heute nicht rufen."

Die Mutter Amars erhob sich. Die Mutter fragte Amar: "In welchen Brunnen hast du den Kopf des Marabut geworfen ?"Amar sagte: "In den Brunnen neben der Moschee." Die Mutter ging hinaus. Die Mutter schnitt einem Schafbock den Kopf ab. Sie ging mit dem Kopf des Schafbockes zum Brunnen neben der Moschee. Im Brunnen fand sie den Kopf des Marabut. Sie nahm den Kopf des Marabut heraus und legte den Kopf des Schafbockes an seine Stelle. Den Kopf des Marabut trug sie hinaus vor das Dorf und legte ihn in ein Grab. Hierauf kehrte sie zurück in ihr Haus.

Als es hell war, lief Amar in das Dorf. Amar rief im Dorfe: "Auf Anordnung meiner Mutter und auf seinen Wunsch habe ich dem Marabut den Kopf abgeschlagen und den Kopf in den Brunnen bei der Moschee geworfen." Die Leute kamen zur Mutter Amars und sagten: "Sage uns, was an dem wahr ist, was dein Sohn im Dorfe ausruft!" Die Mutter Amars sagte: "Ich will mit euch zusammen zum Brunnen neben der Moschee gehen. Da könnt ihr euch ja selbst überzeugen, ob etwas von dem wahr ist, was mein Sohn Amar im Dorfe ausruft."

Die Leute gingen mit Amars Mutter zum Brunnen neben der Moschee. Ein Mann stieg hinab und holte heraus, was darin lag. Die Leute sagten: "Das ist allerdings nicht der Kopf unseres Marabuten, sondern der Kopf eines Schafbockes." Die Mutter sagte zu den Leuten: "Mein Sohn Amar ist, wie ihr wißt, ein Narr. Denkt an den Tag, an dem der Himmel Bohnen und Kuchen regnen ließ." Die Leute sagten: "Das ist richtig. Du hast recht. Dein Sohn Amar ist ein Narr."


Copyright: arpa, 2015.

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