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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Mórín

Es war einmal vor langer Zeit eine arme Witwe. Wenn das der Fall war, so war es oft und kommt auch wieder vor. Diese hier hatte drei Töchter, von denen zwei schon erwachsene junge Weiber waren, die dritte aber noch kleiner und jünger. Ihr hatten sie den Namen Mórín gegeben. Sie mußte täglich die Ziegen weiden, die der alten Frau gehörten.

Die Mutter nun liebte Mórín viel zärtlicher als irgendeine andere der Töchter, und diese hegten deswegen Neid und Groll gegen die Jüngste sowohl wie gegen die Mutter. War diese nicht zu Hause, dann zankten sie mit der kleinen Schwester und schlugen sie. Die



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Mutter bekam das heraus. Es bekümmerte und betrübte sie tief. Allabendlich, wenn Mórín mit den Geißen heimkehrte, sah sie die Mutter weinen. Sie glaubte, daß die Schwestern sie ebenfalls schlecht behandelten. So hatten die beiden ein trauriges Leben und konnten sich nicht erinnern, je einmal ein freundliches Wort von den zwei älteren Mädchen bekommen zu haben. Diese wünschten, daß die alte Frau, ihre Mutter, stürbe und ihnen nicht mehr im Wege stünde.

Eines Tages beratschlagten sie, wie sie sie umbrächten. Es kam dazu, daß sie einen großen Kessel voll Wasser aufs Feuer setzten. Als die alte Mutter fragte, zu welchem Zweck sie das taten, antworteten sie, es geschehe, um sie zu waschen. Als das Wasser kochte, ergriffen sie die arme alte Frau und stießen sie hinein. Dann ließen sie den Kessel zugedeckt, bis sich Blut und Fleisch von ihren Knochen gelöst hatten. Darauf nahmen sie die Knochen heraus und versteckten sie hinten im Gärtchen beim Hause.

Am Abend kehrte Móirín mit den Geißen heim. Als sie eintrat, sah sie ihre Mutter nicht wie gewöhnlich in der Ecke sitzen. Sie blickte sich rings im Hause um, entdeckte aber keine Spur von ihr. »Wo ist die Mutter?«fragte sie ihre beiden Schwestern. »Das wissen wir doch nicht!« erwiderten sie. »Vor langer Zeit ging sie aus, irgendwohin.«

Móirín aß nun Abendbrot. Dann eilte sie gleich wieder hinaus, um nach der Mutter auszuschauen. Aber sie konnte sie weder unten noch oben, weder hinten noch vorn entdecken. Sie ging wieder ins Haus, um nochmals die Schwestern nach der Mutter zu fragen. Sie antworteten ihr barsch, daß sie es nicht wüßten und daß es ihnen gleich sei. Móirín fing an zu weinen und sagte, sie hätten der Mutter etwas Böses angetan. Sie gaben ihr zur Antwort, sie sollte lieber schweigen; es wäre möglich, daß sie mit ihr sonst dasselbe machten. Aus den Worten, die sie fallenließen, schloß Mórín, daß die Mutter grausam behandelt worden war. Sie ging überallhin, um nach ihr zu suchen. Und endlich, ganz zuletzt, da fand sie die von den Schwestern versteckten Knochen an der betreffenden Stelle. Nun zweifelte sie nicht mehr, daß dies die Knochen der Mutter waren. Sie las all



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die kleinen Knochen in ihre Schürze und trug 1 sie hinunter ins Gärtchen am Hause. Und dort weinte sie sich aus. Dann verwahrte sie sie. Kein Tag verging, an dem sie nicht den Ort aufsuchte und bei den Knochen Tränen vergoß. Eines Tages, als sie auch wieder getrauert hatte und die Knochen fortlegen wollte, sah sie plötzlich an deren Stelle in der Schürze ein junges Kätzchen liegen. Sie erschrak. Aber das Kätzchen sagte zu ihr: »Hab keine Angst. Ich tu dir nichts zuleide, ich will dir nur Gutes tun. Und nun«, sprach es weiter, »komm mit mir! Hier bei deinen Schwestern ist deines Bleibens nicht. Sie könnten dir auch Schlimmes zufügen wie deiner Mutter.« Beide machten sich auf den Weg. Als sie die Stadt lange hinter sich hatten, gelangten sie an das Haus eines Edelmannes.

»Hier sind wir!«sprach das Kätzchen. »Geh in das Haus jenes Edelmannes und verdinge dich dort als Magd, was für Lohn sie dir auch geben. Du wirst die Arbeit eines Aschen- oder Entenmädchens zu verrichten haben. Wenn du Rat brauchst, komm hierher, da wirst du immer welchen finden. Jedenfalls stelle dich diesen kommenden Freitag hier ein.«

Mórín ging und verdingte sich im Hause des Edelsmannes als Magd. Sie hatte die Asche auszuziehen und nach den Enten zu sehen. Sie tat schnell ihre Arbeit und stellte sich gut an. Jeder im Hause war freundlich zu ihr, besonders auch die andere Dienerschaft. Denn sie war gefällig und tat, was man ihr auftrug, wenn sie ihre Arbeit fertig hatte. So verging die Zeit bis zum Freitag. Da machte sie sich auf den Weg, um das Kätzchen zu treffen. Es erwartete sie schon an der Stelle, wo sie sich getrennt hatten.

»Nun?«fragte das Kätzchen. »Wie gefällt dir deine Stelle?« »Gut«, erwiderte Móirín, »sehr gut.«

»Nun also«, begann das Kätzchen, »morgen wird hier in der Nähe Markt sein und jeden zweiten Sonnabend darauf. Der Platz dazu ist ein großer, umfriedeter Anger mit Torwegen. Die Hausbewohner hier werden morgen allesamt zu Markte ziehen. Dich wird man daheim lassen, um das Haus zu hüten. Wenn sie nun ein Weilchen



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fort sein werden, kehrt der junge Herr noch einmal zurück und fragt nach seinen Handschuhen, die er vergessen hat. Er wird dir sagen, du sollst sie ihm geben. Nimm ein hübsches weißes Tuch, und darin gib sie ihm. Und wenn dies alles geschehen ist, komm zu mir!«

Alles traf so ein. Mórín ging ins Haus und besorgte ihre gewohnte Arbeit, die Asche und die Enten. Als der Sonnabend kam, machten sich die Hausbewohner für den Markt zurecht und brachen auf. Nur die arme Mórín blieb zurück. Der junge Edelmann war erst kurze Zeit fort, da kehrte er noch einmal zurück. Er hatte seine Handschuhe vergessen. Als er ins Haus trat, sprach er:

»Ach, Mórín, ich vergaß meine Handschuhe. Sieh doch, ob du sie für mich finden kannst.«

»Ja gewiß«, sagte sie, ging hin und holte ein hübsches weißes Leinentuch. Darin wickelte sie die Handschuhe und reichte sie ihm.

»Das ist nett von dir, Mórín«, sagte er, stieg aufs Pferd und ritt zum Markt. Als er ein Weilchen fort war, begab sie sich zum Kätzchen.

»Nun?«fragte dies. »War alles, wie ich es dir sagte?«

»Ja, genauso!«

»Und tatest du alles, wie ich dich hieß?«

»Ja.«

»Gut!«sprach das Kätzchen, ging hin, zog eine Binse aus einem in der Nähe liegenden Bündel und schuf daraus ein wunderschönes Kleid in Silberfarbe und alles, was zum Anzug sonst noch gehörte, vom Kopf bis zu den Füßen. Das Kätzchen befahl dann Móirín, die Sachen anzulegen, nahm eine zweite Binse und schuf daraus ein falbes Roß. Das war so schnell, daß es den vorausjagenden Wind einholte und nie vom Wind eingeholt werden konnte. Möirfn mußte nun aufs Pferd steigen. Das sollte sie zum Markte bringen und wieder heim, ohne eine Führung.

»Nimm nun den Weg zum Marktanger, und wenn du wieder ans Tor zurückkommst, wird dich der junge Herr dort erwarten und sagen: >Darf ich fragen, woher Ihr kommt?< Antworte ihm: >Aus Handschuhstadt!<und komm unverweilt heim! Ich will inzwischen das Haus bewachen, bis du zurück bist.«



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So geschah es. Mórín stieg auf, ritt fort und kam zum Markt. Als sie quer darüber ritt, blickte jeder auf sie hin. Keiner wußte, wer diese hübsche, vornehme Frau war. Besonders beobachtete sie der junge Herr, wie sie zum Tore hereinschritt und wieder hinaus. Er versäumte nicht, vor ihr am Tor zu sein und sie, als sie hindurchritt, zu fragen: »Woher kommt Ihr, wenn ich fragen darf?« — »Aus Handschuhstadt!« Und fort war sie! Der junge Edelmann sprang aufs Pferd und setzte ihr nach, um mehr von ihr zu erkunden. Doch das war umsonst. Sie war ihm aus den Augen, noch ehe er zu Pferde saß.

Mórín kam heim. Das Kätzchen erwartete sie und fragte, ob alles so ausgefallen wäre, wie es am Morgen vorhergesagt hatte. Mórín sagte ja. Das Kätzchen nahm ihr Pferd und Kleider ab und befahl ihr, wieder die alten Sachen anzuziehen. Keinem sollte sie verraten, daß sie auf dem Markte gewesen war.

Jetzt kehrten Diener und Herrschaft zurück. Der junge Edelmann war sehr niedergeschlagen, daß zwischen ihm und der vornehmen Jungfrau auf dem Markte keine Unterhaltung zustande gekommen war. Die Dienerschaft kam zu Móirín und berichtete ihr: »Ach, Mórín, wer heute nicht auf dem Markt war, der versäumte etwas!« »Was denn?«fragte sie.

»Wirklich«, sagten sie, »heut war die schönste und feinste Dame dort, die je ein Mensch sah, und keiner kann's sagen, wer sie war und woher sie kam. Und der junge Herr ließ kein Auge von ihr, solange sie da war!«

»So, wirklich«, meinte Móirín gleichgültig.

»Hör, Móirín«, sagten sie, »du mußt nächsten Sonnabend zum Markt und sie sehen. Eins von uns kann an deiner Stelle das Haus hüten.«

»Ich gehe sicher nicht hin«, antwortete Móirín. »Ich habe kein Verlangen nach eurem Markt.«

Jeder ging nun seiner Wege und seiner Arbeit nach, bis der Sonnabend herankam. Móirín hatte nicht vergessen, am Freitag das Kätzchen aufzusuchen. Es sagte: »So steht die Sache. Alle ziehen morgen wieder zu Markt und überlassen dir die Sorge fürs Haus. Der junge



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Herr wird diesmal die Sporen vergessen und danach umkehren. Tu alles wie am letzten Sonnabend und komm dann zu mir!«

So geschah es. Alle gingen zu Markte, nur nicht Mórín. Der junge Herr war kaum ein Stück vom Hause fort, so merkte er, daß er seine Sporen vergessen hatte. Er kam zurück und sagte zu Móirín: »Ach, Móirín, ich vergaß meine Sporen. Sieh doch, ob du sie finden kannst, sei so gut.«

»Gern«, sagte sie, suchte danach, nahm ein hübsches weißes Linnentuch, tat die Sporen darein und gab sie ihm. Er ritt nun zum Markt, und sie begab sich zum Kätzchen.

»Nun?«fragte dies. »Traf alles ein, wie ich gesagt hatte?« »Ja, genauso«, antwortete Mórín.

»Und tatest du, was ich dir auftrug?«

»Ja.

»Gut«, sagte das Kätzchen, ging zu einem Haufen Binsen, zog eine heraus und verwandelte sie in Gewänder, die noch viel schöner waren als die vom vergangenen Sonnabend.

»Nun zieh sie an!«

Und Mórín tat das gern! Das Kätzchen lief abermals zu dem Bündel und zog eine zweite Binse heraus. Davon machte es wieder ein falbes Roß. Das Kätzchen hieß Mórín aufsteigen und zu Markte reiten. Sie sollte sich verhalten wie am vergangenen Sonnabend. »Der junge Herr wird dir wieder am Tore begegnen und dich fragen: >Woher seid Ihr, wenn ich fragen darf?<Sage ihm: >Aus Sporenstadt!< und eile fort.

Mórín tat alles folgsam. Noch ehe sie auftauchte, schauten alle Augen nach ihr aus. Jeder wollte sehen, ob die vornehme Jungfrau vom vergangenen Sonnabend wiederkäme. Wer da nun alles aufpassen mochte oder nicht -jedenfalls blickte sich auch der junge Edelmann nach ihr um. Und bald sahen sie auch, daß eine vornehme Frau auf das Markttor zukam. Sie dünkte ihnen noch schöner zu sein als am vorigen Sonnabend. Sie ritt quer über den Markt hinweg. Und als sie wieder durchs Tor hindurch kam, verfehlte der junge Edelmann nicht, vor ihr dort zu sein, um sie anzureden: »Woher seid Ihr, wenn es erlaubt ist zu fragen?« — »Aus Sporenstadt!« war die Ant



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wort. Und fort war die Schöne und seinen Augen entschwunden. Er gab sich die größte Mühe, sie einzuholen und mehr von ihr zu erkunden. Doch umsonst. Er bekam sie nicht mehr ein. Mórín kehrte nach Hause zurück. Sie war schnell wieder da, und das war leicht für sie.

Das Kätzchen wartete schon, nahm ihr Pferd und Kleider ab wie am Sonnabend zuvor. Es befahl Móirín zu schweigen und ruhig ihrer Arbeit nachzugehen. Am nächsten Freitag sollte sie sich wieder bei ihm einstellen.

Die Zeit verging, bis die Dienerschaft vom Markte heimkehrte. Sie kamen auf Mórín zu:

»Nein, Móirín!« riefen sie. »Wer heut nicht auf dem Markte war, hat etwas versäumt! Eine vornehme Dame war wieder da. Noch schöner war sie als letzten Sonnabend! Nächstesmal mußt du hin, ob du willst oder nicht. Eins von uns bleibt dann für dich hier und hütet das Haus.«

»Wirklich, ich gehe nicht«, antwortete Mórín. »Mich verlangt gar nicht danach. Ein Mädchen wie ich ist auch kein schöner Anblick, zerlumpt wie ich bin! Redet mir nicht zu. Damit habt ihr kein Glück.«

Da ließen sie sie allein. Sie war ja so eigensinnig! Jeder ging seiner Arbeit nach, bis die Woche um war und der Freitag kam. Mórín suchte wie gewöhnlich das Kätzchen auf. Dies erzählte ihr, es würde alles so kommen wie am letzten Sonnabend. Nur morgen würde der junge Herr seine Peitsche vergessen. Sie sollte sie ihm reichen wie die Handschuhe und Sporen und dann wieder zu ihm hinkommen, nachdem er fort sei.

Mórín kehrte heim und tat ihre Arbeit bis zum Sonnabend. Alle außer ihr zogen zu Markte. Sehr bald kam auch der junge Herr wieder zurück und hatte die Peitsche vergessen.

»Ach, Mórín, sieh doch zu, ob du meine Peitsche finden kannst. Sei so gut!«

Móirín ging, nahm wieder ein Tuch und reichte ihm die Peitsche darin. Er ritt fort, und sie ging zum Kätzchen.

»Tatest du alles, was ich dir geheißen?« »Ja.«



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»Gut«, sprach das Kätzchen, lief zu einem Haufen Binsen, zog eine heraus und brachte Gewänder, die waren von Regenbogenfarbe. Mórín mußte sie anziehen.

Das Kätzchen nahm eine zweite Binse, und wieder hatte es daraus das falbe Roß geschaffen.

»Nun steig auf!« sagte das Kätzchen. »Begib dich zum Markte. Nimm wieder den Weg über den Anger. Und wenn du am Tore herauskommst, erwartet dich schon der junge Edelmann. Fragt er dich, woher du kommst, so sage ihm: >Aus Peitschenstadt!< —Er nahm sich vor, heut nicht von dir zu weichen, ohne bessere Kunde erlangt zu haben. Er wird versuchen, deinem Roß in die Zügel zu fallen. Doch das wird ihm mißlingen. Statt dessen aber wird er deinen Fuß fassen und deinen Schuh in der Hand behalten. Beachte das nicht weiter, sondern kehre so schnell wie möglich heim. Ich werde dich erwarten.«

So geschah alles. Móirín begab sich zum Markte, und bei ihrer Ankunft blickte jeder auf sie. Alle meinten, das wäre die allerschönste Frau, die sie je sahen. Besonders der junge Edelmann ließ kein Auge von ihr, wie sie über den Markt dahinritt. Er verfehlte nicht, sie am Tore zu erwarten. Er drängte sich dicht an sie heran und fragte: »Woher seid Ihr, wenn's erlaubt ist zu fragen?« — »Aus Peitschenstadt«, erwiderte sie im Weiterreiten. Indem sie zum Tore hindurchsprengte, versuchte er, ihrem Pferde in die Zügel zu fallen. Das gelang ihm nicht, sondern statt dessen hatte er ihren Fuß gefaßt und ihr den Schuh abgezogen. Sie entschwand und ließ ihn mit dem Schuh zurück. Er betrachtete ihn und sprach:

»Ich gelobe mir, keine andere Frau zu heiraten als diejenige, der dieser Schuh paßt!«

Mórín kam heim. Das Kätzchen erwartete sie und fragte: »Fiel alles aus, wie ich's gesagt habe?«

»Ja, genauso!« antwortete Mórín. Wie sonst nahm ihr das Kätzchen Pferd und Kleider ab. Die Zeit verging, die andern kehrten heim. Die Dienerschaft eilte zu Móirín.

»Nein, Mórín!«riefen sie, »heut versäumtest du etwas für allezeit.« —»Was denn?« —»Ach«, sagten sie, »heut war die schönste Frau auf



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dem Markte, die je ein Menschenauge erblickte. Und gerade als sie zum Tore hinausritt, versuchte der junge Herr ihr in die Zügel zu fallen. Aber das mißlang ihm, und statt dessen zog er ihr den Schuh ab. Und den hat er nun.« — »Meiner Treu! Was er wohl davon hat!« meinte Mórín achtlos und ging der Arbeit nach, die ihr aufgetragen war.

So war alles ganz gutgegangen.

Am nächsten Tage ließ der junge Edelmann ausrufen, alle jungen Mädchen der Umgegend sollten herbeikommen. Er wollte sehen, ob irgendeiner von ihnen der Schuh paßte. Die wollte er dann heiraten. Er setzte auch einen bestimmten Tag zu der Probe fest. So geschah es: Nur fünf oder sechs von ihnen kamen immer auf einmal. Sie hatten sich für den Tag vorbereitet. Einige hatten sich die Zehenspitzen abgeschnitten, andere die Hacken abgeschabt. Mit Mórín aber tat man folgendes: Man steckte sie in eine Truhe; denn da sie nur Lumpenkleider anhatte, wollte man sie nicht in dem Aufzuge sehen lassen. Das wäre für alle Hausbewohner eine Schande gewesen.

Bei der allgemeinen Anprobe stellte es sich im Verlaufe des Tages heraus, daß der Schuh für alle Frauen, die kamen, zu klein war. Als eine Weile vergangen war, hüpfte das Kätzchen auf die Truhe und rief:

»Miau! Miau!
Mórín in der Truhe
Paßt der Schuh genau!«


***
»Prügelt die elende Katze dort!« sagte jemand zu den Leuten des Hauses. Man schlug sie, und sie sprang von der Truhe. Als wieder jemand den Schuh anprobierte, sprang sie auf die Truhe und rief:
»Miau! Miau!
Móirín in der Truhe
Paßt der Schuh genau!«



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***
»Haut sie, die jaulende Katze!« sagte jemand. Der Katze wurde ein Tritt versetzt, und sie flüchtete in eine Ecke.

Die letzte der Frauen versuchte den Schuh anzuziehen. Aber vergeblich. Er war ihr zu klein. Indem sprang die Katze wieder auf die Truhe und rief:

»Miau! Miau!
Mórín in der Truhe
Paßt der Schuh genau!«


***
»Haut sie durch, die greuliche Katze dort!« sagte jemand zu den Hausbewohner n.

»Nein, tut das nicht!« sagte der Edelmann. »Ich höre der Katze schon eine ganze Weile zu. Vielleicht hat sie recht. Bringt einmal Mórín her und probiert ihr den Schuh an!«

Die Truhe wurde geöffnet.

»Komm her, Móirín! Versuche du, den Schuh anzuziehen!« Sie tat es. Aber es war ihr unangenehm. Sie schämte sich in ihren schlechten Kleidern vor den fremden Leuten. Aber sie hatte kaum den Fuß in den Schuh gesteckt, so saß er ihr wie angegossen. Jeder wunderte sich, daß er ihr paßte, und sehr viele junge Mädchen beneideten sie.

»Nun Móirín«, sprach der junge Edelmann, »dich will ich zur Frau haben, und ich schenke dir den Schuh. Und ihr alle«, wandte er sich an die andern, »geht nur nach Hause!«

Und so geschah es.

Am nächsten Morgen wollte der junge Edelmann, daß ihn Mórín begleitete. Sie sollten verheiratet werden.

»Wartet ein Weilchen«, bat sie. »Ich muß mich vorbereiten. Ich denke, in den alten Kleidern darf ich doch nicht mit Euch zur Hochzeit gehen.«

»Ich weiß nicht, ob du etwas anderes hast«, meinte der junge Edelmann.

»Oh, ich habe ein paar hübsche Kleider«, sagte sie, »und ich glaube, sie dienen mir.«



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Nun ging Mórín zum Kätzchen. Es gab ihr zuerst die Schühchen:

»So, hier!« sagte es. »Jetzt kannst du zu deiner Hochzeit!«

»Ja«, sagte Mórín.

»Mag es dir wohl ergehen«, sprach das Kätzchen. »Ich freue mich, daß du endlich zu Glück und Wohlstand kommst.« Damit lief das Kätzchen zum Binsenhaufen, zog eine Binse heraus und machte daraus das Kleid, das Móirín am letzten Sonnabend getragen hatte, das wunderschöne regenbogenfarbige. Móirín mußte es anziehen, und das Kätzchen zog noch eine Binse heraus und gab ihr das falbe Roß.

»Und nun, Mórín«, sprach das Kätzchen, »weißt du, wer ich bin?« »Nein, sicher nicht«, sagte Móirín.

»Ich bin deine Mutter. Und von heute ab wirst du mich nie wiedersehen. Aber ich werde dir vielleicht noch beistehen, ohne daß du es merkst. Ich werde dir zwei Kräfte lassen, ehe ich von dir scheide. Dein Fingerhut wird täglich Honig tropfen und die Vogelschar dir täglich ein Lied singen. Und hier das falbe Roß und jenes Kleid schenke ich dir.«

Dann hieß sie Móirín aufs Roß steigen und sich zum Hause des jungen Edelmannes begeben. »Denn«, meinte sie, »er wird schon auf dich warten.«

Das Kätzchen wünschte ihr dann Heil und Segen, und Móirín nahm voll Trauer und Tränen Abschied. Sie ging und fand den jungen Edelmann schon bereit. Als er sie kommen sah, riß er die Augen auf vor Staunen. Er hatte nicht gemeint, daß Mórín die Frau war, der er an jenem Tage den Schuh ausgezogen hatte. Und jetzt, da er sie in derselben Kleidung und Ausrüstung erblickte, fielen ihm die Antworten jener vornehmen Fremden ein, die sie ihm bezüglich der Handschuhe, der Sporen und der Peitsche gegeben hatte. Nun wußte er, sie und Mórín waren dieselbe. Da war er glücklich. Sie gingen zusammen hin und ließen sich trauen. Dann kehrten sie heim und waren froh und glücklich fast das ganze Jahr hindurch. Da aber hörten Móiríns Schwestern, wie gut es ihr ging, und sie wurden von Neid erfüllt. Sie ließen sich nahe dem Orte, wo sie wohnte, nieder, hatten aber nichts Gutes im Sinn.



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Die Zeit verging. Und Móirín kam in die Wehen. Sie schickte an ihre Schwestern eine Botschaft. Die älteste von ihnen kam und ließ die Hebamme rufen. Der junge Edelmann sagte zur Schwägerin, er wollte auf der Wiese auf und ab gehen und warten, bis sie ihm Nachricht geben würde.

Mórín brachte einen hübschen Knaben zur Welt. Aber die Schwester kam und sagte der Hebamme, sie hätte das Kind irgendwie falsch behandelt. Und dann bestach sie sie, um den andern zu sagen, das Kind sei tot. Darauf ging die Schwester hin zum Edelmann. Er fragte, was sie für Botschaft brächte. »Ganz gute«, gab sie zur Antwort, »nur das Kind ist tot.«

»Das schadet ja nichts«, meinte er. »Solange es der Mutter gutgeht, ist mir das gleichgültig. Nehmt nun das Kind fort und bestattet es.« Die Schwester kehrte zurück und nahm das Kind, ohne daß es jemand sah. Nun war das Haus nahe am Meer gelegen, und da warf sie das Kind ins Meer. Eine Woche später ging sie heim.

Mórín war sehr bekümmert um das tote Kind. Ihr Mann versuchte sie aufzuheitern und sagte, statt bekümmert und traurig zu sein, sollte sie dankbar sein, daß sie gesund sei.

Nun geschah es, daß Mórín nach geraumer Zeit abermals in die Wehen kam. Die Schwester verfehlte nicht zu kommen und ließ auch die Hebamme rufen. Mórín bekam wieder einen Knaben, und die Schwester bestach die Frau wie beim erstenmal. Wie damals wartete der junge Edelmann draußen auf der Wiese auf Botschaft. Als die Schwester zu ihm trat und er sie fragte, wie es ginge, sagte sie: Ganz gut, aber das Kind sei tot. Wieder meinte er, daß sei ihm kein Kummer, solange es seiner Frau gutginge. »Und«, fuhr er fort, »nehmt das Kind fort und schafft es an einen stillen Ort!«

Darauf kehrte die Schwester zu Mórín zurück, nahm das Kind, ohne daß es wer im Hause merkte, und warf es auch ins Meer. Als Mórín wieder gesund war, kehrte die Schwester nach Hause zurück.

Soweit ging alles gut, bis Mórín abermals in die Wehen kam, und die Schwester verfehlte auch nicht, sich wieder einzustellen. Um nun die Geschichte kurz zu machen: Sie und die Hebamme verübten dieselbe



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Tat wie zuvor, und das dritte Kind ward ins Meer geworfen gleich den andern. Als der Edelmann die Nachricht erhielt, es sei tot, war er nicht verwundert. Er sagte nur, da wäre nichts zu machen, und da es der Mutter gutginge, sei es ihm auch gleichgültig.

Als die Schwester merkte, daß es ihr mißlang, den Mann und Mórín zu entzweien, überlegte sie, was sie noch versuchen könnte. Sie blieb eine Woche lang dort, bis Móirín aufstand und ziemlich wiederhergestellt war. Dann sagte sie eines Tages zu ihr: »Ich führe dich hinaus, und wir gehen unten am Meer spazieren. Das wird dir guttun.«

»Ja, mir ist's recht«, sagte Mórín, und beide machten sich auf den Weg zum Meere hinunter. Sie wandelten an der Küste entlang. Da trat die Schwester neben sie auf die Landseite, stieß sie gegen die Schulter und warf sie in die See hinab. Danach lief sie wie entsetzt von diesem Erlebnis zum Edelmann und rang klagend die Hände. »Was ist dir?«fragte er.

»O weh!« rief sie. »Ich wandelte mit der Schwester längs der Küste, bis wir auf die Klippe von Cordal kamen. Wir blickten ins Meer hinunter. Ein Schwindel packte sie, oder irgend etwas befiel sie, und sie stürzte in die See.«

Der Edelmann und alle, die ihm helfen wollten, eilten zur Klippe. Sie nahmen Boote und Kähne und suchten alles ringsum ab. Vergeblich! Von Móirín war nichts zu entdecken, sie war weder lebendig noch tot zu finden. Da mußten sie es aufgeben und heimkehren. Der Edelmann war unglücklich und voller Verzweiflung. Aber die Schwester ging nach Hause und war sehr mit sich zufrieden, daß mit Móirín ein Ende gemacht war. Es verging nun eine lange Zeit. Der Edelmann wurde ganz verstört von Unruhe. Da kam es ihm in den Sinn, ob er nicht besser täte, wieder zu heiraten. Er schickte der Schwester, die Móirín gepflegt hatte, Botschaft und ließ anfragen, ob sie gewillt sei, ihn zu heiraten. Sie gab wie zögernd ihr Jawort und sagte, sie wolle ihn heiraten wegen seiner großen Liebe zu Mórín. Er führte sie nun als seine Frau heim.

Die Sache schien soweit ganz gut. Einige Tage waren vergangen. Da ging einer der Knechte des Edelmanns ans Meer hinab. Und da erblickte er mitten auf dem Meere die Frau. Sie hielt ein Kind an der



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Brust, während zwei andere Knaben bei ihr Bälle übers Meer hinschleuderten. Der Bursche staunte. Das Weib aber sprach ihn an:

»Ach Knecht, du bester, den je einer hatte, sag mir's:
Tropft deiner Herrin Fingerhut Honig?
Singen die Vögel ihr Lieder?«


***
»Die Vögel singen ihr keine Lieder«, sprach er, »und meiner Herrin Fingerhut tropft nicht Honig.« Ehe er Zeit hatte, noch mehr hinzuzufügen, entschwanden sie seinem Blick. Er begab sich heim und berichtete seinem Herrn, was er soeben erlebt hatte. Er wiederholte auch die Worte der Frau.

»Ach, sei doch vernünftig«, sprach der Herr. »Dich haben irgendwelche Fieberphantasien befallen.«

Am nächsten Tage geschah es, daß der Knecht denselben Weg ging. Und da erblickte er Weib und Kinder an derselben Stelle wie am Tage zuvor. Wieder stellte ihm die Frau jene Fragen, und der Knecht gab ihr die gleiche Antwort. Dann entschwanden sie seinem Blick. Er begab sich heim und berichtete seinem Herrn, was er gesehen und gehört hatte. »Und«, fügte er bei, »ich sah nie jemand, der Mórín so ähnlich war wie diese Frau.«

»Ach, schweig und sei verständig, du Tor!« sagte sein Herr. Der Knecht ging seiner gewohnten Arbeit nach und kam am dritten Tage an dieselbe Stelle am Strande. Da erblickte er abermals die Frau mit den Kindern draußen auf dem Meere wie die beiden Tage vorher. Wieder redete sie ihn an und stellte jene zwei Fragen, und er gab die gleiche Antwort. Dann kehrte er heim und erzählte seinem Herrn, was er gesehen und gehört hatte. »Und«, sagte er, »ich schwör's beim heiligen Buch: Es war Mórín.«

»Nun«, sagte der Herr, »vielleicht sahst du wirklich etwas. Ich will dich dorthin begleiten, wo du Frau und Kinder erblicktest.« Er eilte hinab. Als er sie sah, wußte er genau: Es war Mórín! Sie begrüßte ihn. Da nahm er ein Boot oder irgendein Fahrzeug und fuhr ins Meer hinein. Er zog sein Weib und seine drei Söhne aus dem Wasser und brachte sie an Land.



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Auf dem Heimwege fragte er Móirín, wie es kam, daß sie nicht ertrunken war. »Und«, fragte er, »sind denn hier deine drei Kinder, von denen mir gesagt war, sie seien tot, wieder ins Leben zurückgekehrt?«

»Ja«, sagte sie. »Ich habe dir eine lange Geschichte zu erzählen, von Anfang bis zu Ende. Sie ist zu lang für den Weg. Zu anderer Stunde erzähle ich dir alles.«

»Ich will nicht nach Hause, bis du es mir erzählt hast.«

Da begann sie und erzählte ihm alles, wie die Schwestern sie behandelt hatten, als sie noch zu Hause war, wie sie ihre Mutter schrecklich umgebracht hatten, und zuletzt von dem Kätzchen. »Nun weiß ich«, sagte sie, »meine Schwestern haben mich immerwährend verfolgt, bis mich die eine oben von der Klippe ins Meer hinabstieß.«

»Halt!« rief er. »Was sagst du da? Deine Schwester stürzte dich ins Meer, wahrhaftig?«

»Ach, es ist so wirklich«, sagte Móirín, »und meine Söhne vor mir, die alle drei lebten und . .

»Oh! Oh!«rief er. »Warte eine Weile. Ich bleibe keine Sekunde fort von dir.«Und er eilte ins Haus. Móirín meinte schon, er sei wahnsinnig geworden und könnte unterwegs etwas anstellen.

Im Hause angelangt, befahl er, die Schwester zu fesseln und ins Meer zu stürzen, von derselben Klippe, von der sie Mórín warf. Zugleich befahl er, die andere Schwester holen zu lassen und mit ihr dasselbe zu tun. Denn er befürchtete, auch sie könnte ihnen noch Unheil zufügen. Man tat nach seinem Befehl. Dann kehrte er zurück zu seiner Frau und seinen drei Söhnen und holte sie heim.

Nicht lange, so verbreitete sich das Gerücht über Mórín und ihre zwei Schwestern in der ganzen Gegend, und als die Hebamme von dem Schicksal der beiden Schwestern Móiríns hörte, verließ sie so schnell, wie sie konnte, die Gegend und wurde dort nie mehr gesehen, nicht lebendig und nicht tot.

Und von da an lebte der Edelmann mit Móirín gesund und glücklich, ohne Kummer und Herzeleid. Und nie wurde er müde zuzuhören, wenn Móirín erzählte, wie sie und ihre drei Söhne im Meere gerettet wurden.


Copyright: arpa, 2015.

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