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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Fionn im Lande der Riesen

Eines Tages begab sich Fionn an Bord des »Bunten Kuckucks«, um sich ein wenig zu belustigen. Nacht und Nebel überraschten ihn; er verirrte sich und hatte Hunger. Er sah eine Insel und landete dort. Sie war mit schönem Schnee bedeckt, und er sah die Spur eines menschlichen Fußes. Er streckte sich am Boden hin, so lang er war; aber obwohl er ein Mann von hoher Gestalt war, war die Fußspur doch länger als er.

»Gott behüte uns!« sagte er. »Jetzt oder nie ist es aus mit mir, wenn die Menschen, die auf dieser Insel wohnen, von solcher Art sind!«



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Dann schlich er sich an Hecken entlang und versuchte, sich zu verbergen und etwas Eßbares aufzutreiben.

Es war keine leichte Sache für den Riesen Seachrán Salfhada 1 , ihn zu bemerken; denn in des Riesen Augen war Fionn noch nicht einmal so groß wie ein dreijähriges Kind.

»Komm her, mein kleiner Bursche, und wärme dich!« Fionn näherte sich, aber recht langsam, denn er hatte Furcht vor dem Riesen. Dieser hatte soeben einen großen Stier gekocht und lud ihn ein, davon zu essen.

»Vielleicht hast du Hunger?«fragte er.

Der Riese sagte ihm dann, daß es in kurzer Zeit zu einem großen Kampfe kommen würde zwischen ihm und seinem Bruder Glunreamhar . Er sprach wahr. Der Bruder kam unverzüglich und sagte:

»Schurke, warum hast du diesen Stier getötet?«

Sie begannen zu kämpfen. Fionn erklärte, daß er, wenn es nötig wäre, denjenigen unterstützen würde, der ihm zu essen gegeben hatte. Er erhob sich und zog sein Schwert; aber es gelang ihm nicht, einen höher gelegenen Teil als die Wade von Glunreamhar zu treffen. Da dachte der Riese, daß eine Biene ihn gestochen hätte, und er gab Fionn einen Fußtritt, der ihn bis an den Himmel schleuderte. Erst wirbelte Fionn dort oben herum, dann stürzte er in das Horn des Tieres, das in seinem Fette schmorte. Wenn er nicht hätte schwimmen können, wäre er ertrunken.

Glunreamhar und seine Mutter haßten Seachrán schon lange. Dieser empfing schon am Abend des nächsten Tages die Einladung, zu ihnen zu kommen.

»Ich vermute, mein Kleiner«, sagte er zu Fionn, »daß du keine Lust hast, mit mir dort hinüber zu gehen?«

»Ich werde gehen«, sagte Fionn, aber er hatte keine Eile, sich auf den Weg zu machen. Schließlich brachen sie auf.

Tanz und Musik gab es und alles, was dazu gehört. Glunreamhar



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und die Mutter der beiden Riesen hatten im Speicher einen Bottich voll Schwefel, um Seachrán zu Tode zu bringen. Man tanzte. Da fuhr durch teuflische Macht und Zaubergewalt eine zottige Kralle herab, packte zu und riß jedermann mit sich fort.

Seachrán begriff, was das bedeutete, nämlich daß man ihn umbringen wollte. Er ließ die Musik nicht lange spielen, sondern stürzte sich auf die Kralle, und hopp! wurde er emporgehoben, und sobald er in der Luft schwebte, war seine Mutter auch schon bereit, ihn in den kochenden Schwefel zu stürzen.

Er sprang aus der Kralle und tat recht daran. Er ergriff die alte Hexe von Mutter und warf sie kopfüber in den Kessel.

Dann brachen Fionn und Seachrán auf, um nach Hause zurückzukehren. Glunreamhar verfolgte sie durch Magie und Zauberei in wildestem Zorn. Und Glunreamhar tötete Seachrán unterwegs auf dem Schiffe. Aber so wie er den Seachrán tötete, so tötete Fionn den Glunreamhar und warf ihn ins Meer. Den Leichnam von Seachrán aber nahm er mit. Bei der Abreise hatte Seachráns Weib Fionn befohlen, dasjenige Wimpel zu hissen, das anzeigen würde, daß ihr Gatte tot sei. Aber Seachrán hatte ihm geboten, es nicht zu tun.

Sie kehrten also ins Schloß zurück. Und Fionn betrauerte Seachrán und war untröstlich. Er besaß die Macht, alle Dinge zu erkennen, indem er sich einfach in den Daumen biß. Auch damals biß er sich in den Daumen, um zu erkunden, ob es außer dem Beistande Gottes ein Mittel gäbe, Seachrán ins Leben zurückzurufen.

Er erfuhr auf diese Weise, daß es nur ein Mittel gäbe, nämlich dreimal über einem bestimmten Ringe zu trinken 1 , und daß nur Diarmuid Donn diesen Ring holen könnte. Diarmuid war zu Hause geblieben, und Fionn ließ ihn holen.

Diarmuid machte sich auf die Reise, mit seinen Kleidern und seiner Rüstung versehen und mit seinem Schwerte bewaffnet. Er machte halt in einer Hütte, die er am Wege fand. Dort wohnte eine vortreffliche Frau. Sie kam ihm zu Hilfe, indem sie ihn unterrichtete, wie er den Ring finden könnte.



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Diarmuid ging nun an Bord des »Bunten Kuckucks« und fuhr ab. Aber er konnte sich nur bis auf eine Entfernung von sieben Meilen der Küste nähern wegen der Menge von Schiffen, die schon da waren. Da verließ er den »Bunten Kuckuck«und machte ihn am nächsten Schiffe fest mit einer Tauschlinge, die ein Jahr und einen Tag Widerstand leisten sollte. Er ging über die Verdecke der andern Schiffe hinweg nach Sliabh-na-Fideoige 1 . Nachdem er über alle andern Schiffe gegangen war, schwang er sich über die Körper der andern Krieger nach dem Menhir und zu dem weiblichen Regenpfeifer, der den Ring unter der Pfote hatte.

Der Vogel stimmte einen Gesang an, dessen Melodie die süßeste auf der Welt war, und versuchte so, Diarmuid zu berücken, wie er die andern Krieger berückt hatte. Diarmuid fürchtete, ihr Schicksal zu erleiden durch die Wirkung der zauberhaften Süße dieser Musik, aber er steckte sein Schwert in seine Wade zwischen Fleisch und Knochen und bemühte sich, an den Regenpfeifer heranzukommen. Das gelang ihm.

Er stürzte mit seinem Schwert auf den Regenpfeifer los. Der Vogel stieß einen Schrei aus, den man in der ganzen Welt hätte hören können. Diarmuid ergriff den Ring und brachte ihn in Sicherheit, indem er ihn in die Tasche steckte. Kaum hatte er es getan, als alle Krieger, die bis dahin unter dem Zauberbanne gewesen waren, sich erhoben, als ob ihnen nie etwas geschehen wäre.

Daraufhin entspann sich ein Kampf unter ihnen allen. »Du hast den Ring!«schrie einer den andern an. Diarmuid hieb nach allen Seiten um sich und rief auch: »Du hast den Ring!«, indem er sich nach dem Verdeck des »Bunten Kuckucks«aufmachte; denn dieses Schiff war berühmt dafür, daß es von keinem andern eingeholt werden konnte, wenn es nur einen Augenblick Vorsprung hatte. Die Krieger sahen den »Bunten Kuckuck« sich entfernen und schrien, daß der kleine Mann mit dem Ringe auf und davon gehe. Sie verfolgten ihn in Massen, aber sie richteten nichts aus; denn das Schiff war vor ihrer Verfolgung bald in Sicherheit.



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Diarmuid kam zur Burg des Seachrán. Fionn und das Weib des Seachrán fragten ihn: »Hast du den Ring? — »Ich habe ihn«, sagte er, »aber was nützt mir das, da ja hinter mir das Meer schwarz von Menschen ist, die mich töten wollen, mich und alle, die hier sind!«

»Ich nehme sie auf mich«, sagte Seachráns Weib. Sie stieg auf die Zinne der Burg und blickte ins Weite. Sie sah das Meer schwarz von Schiffen. Durch irgendein Zauberkunststück versenkte sie alle Schiffe, große und kleine.

Man ließ nun Seachrán drei Schluck über dem Ringe trinken. Sofort richtete er sich auf und war so frisch und munter wie früher.


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