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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


35. Said zerstört Mohammeds Vermögen

Die moralische Begründung des Anfangsabsatzes finde ich nur bei einem Erzähler. Die anderen kennen sie nicht

Es waren zwei Vettern. Mohammed war älter und faul. Said war jünger und fleißig. Said mußte für Mohammed arbeiten. Mohammed tat nichts. Er wurde durch die Arbeit Saids reich. Mohammed hatte zwei Ochsen. Said hatte einen Ochsen. Said mußte die Ochsen hüten. Eines Tages sagte Said für sich: "Weshalb soll ich meinen Vetter Mohammed noch weiter fett machen. Bis jetzt wurde er fett und ich arbeitete. Von jetzt an soll er arbeiten und ich will fett werden." Said band die beiden Ochsen Mohammeds an einer dürren Stelle unter einem Baum an und trieb seinen eigenen Ochsen auf die gute Weide. Am anderen Tage machte er es ebenso. Er machte es nun alle Tage so.

Eines Tages trieb er die Ochsen am Männerplatze vorbei nach Hause. Die Männer sahen die vorüberziehenden Ochsen und sagten: "Der Ochse Saids wird alle Tage fetter, die beiden Ochsen Mohammeds werden alle Tage magerer." Mohammed war unter den Männern. Mohammed hörte, was sie sagten. Mohammed ward zornig. Am anderen Tage stand Mohammed früh auf und folgte dem Said, als er die Ochsen auf die Weide trieb. Said sah nicht, daß ihm Mohammed folgte. Als Said mit den Ochsen auf dem Weideplatz ankam, gingen die beiden Ochsen Mohammeds nach ihrer Gewohnheit an den trocknen Platz unter dem Baum. Den eigenen Ochsen weidete Said aber im guten Grase. Mohammed ging, ohne daß Said ihn gesehen hatte, nach Hause.

Am anderen Tage stand Mohammed früh auf und sagte zu Said: "Heute will ich die Ochsen hüten." Said sagte: "Es ist mir recht." Mohammed färbte nun alle drei Ochsen schwarz und trieb sie auf die Weide. Mohammed band nun aber Saids Ochsen am Baume an der dürren Stelle an und trieb seine Ochsen in das gute Gras. Nach einiger Zeit kam auch Said an die Weide. Mohammed sah ihn kommen, band den Ochsen Saids ab und ließ ihn zwischen seine beiden Ochsen weiden. Said hatte es aber gesehen. Er kam heran. Er schlug mit seinem Beil seinen Ochsen tot und sagte: "Ich weiß so mehr Geld zu verdienen." Mohammed sagte: "Wieso denn?" Said sagte: "Das wirst du sehen. Hüte in Zukunft deine Ochsen allein."

Said zog darauf seinem Ochsen die Haut ab. Er breitete die Haut



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nicht aus, sondern ließ sie zusammengerollt im Schatten liegen. Die Haut des Ochsen begann zu stinken. Als die Haut seines Ochsen stinkend geworden war, ging er damit auf den Markt und bot sie aus. Die Leute lachten ihn aus. Niemand wollte für die stinkende Ochsenhaut einen guten Preis zahlen. Endlich verkaufte er die stinkende Ochsenhaut für ein kleines Silberstück. Er nahm das kleine Silberstück und machte in die Mitte ein Loch hinein.

Said ging nun auf dem Markt umher. Er kam an einen Händler, der sagte zu einem anderen: "In diesem Beutel müssen fünfhundert Duro sein." Said hörte es im Vorübergehen. Der Händler setzte sich in einen Winkel und öffnete den Beute!, um seine Duros zu zählen. Als er einmal zur Seite sah, warf Said unbemerkt sein kleines durchbohrtes Silberstück dazwischen. Dann trat er von der anderen Seite auf den Mann zu, blickte auf den Beutel und schrie weit auf den Marktplatz hin: "Dies ist mein Beute! und mein Geld! Dies ist mein Beute! und mein Geld!" Sofort kamen eine Menge Leute dazu, standen herum und hörten zu. Der Händler sagte: "Das ist mein Beute! und mein Geld." Said sagte: "Das ist mein Beute! und mein Geld!"

Die Leute sagten: "Der, dem der Beutel und das Geld gehören, der muß wissen, wieviel Geld in dem Beutel ist." Der Händler sagte: "In meinem Beutel sind fünfhundert Duro!" Said sagte: "Nein, es sind fünfhundert Duro und ein kleines durchlöchertes Silberstück darin. Und wenn es so ist, dann ist es mein Beute! und mein Geld." Der Händler sagte: "Das ist nicht wahr. In meinem Beute! sind nur fünfhundert Duro, nicht mehr, nicht weniger!" Said sagte: "Dann mögen diese Leute zählen. Wenn es mein Beute! ist, dann muß noch ein kleines durchlöchertes Silberstück darin sein."Die Leute zählten. Sie fanden fünfhundert Duro und darunter das kleine durchbohrte Silberstück. Die Leute sagten zu dem Händler: "Du siehst selbst, daß der Beute! und das Gold Said gehören. Denn in dem deinen sind nur fünfhundert Duro, in diesem ist aber noch das kleine durchbohrte Geldstück."Said erhielt den Beutel mit den fünfhundert Duro und dem kleinen durchbohrten Silberstück und ging damit heim.

Said kam nach Hause und zeigte seiner Frau und den Leuten von dem Gelde. Die Leute sprachen davon. Die Leute sagten: "Said ist mit einem Male ein wohlhabender Mann." Mohammed hörte es. Mohammed kam zu Said und sagte zu ihm: "Du hast viel Geld. Wie bist du dazu gekommen? Kann ich nicht das gleiche machen, um auch wohlhabend zu werden ?"Said sagte: "Sicherlich, Mohammed,



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kannst du das gleiche tun. Ich habe meine fünfhundert Duro für die stinkende Haut meines Ochsen erhalten. Schlägst du nun deine zwei Ochsen tot, läßt die Haut noch stinkender werden als die meine, dann kannst du über tausend Duro gewinnen und hast noch das Fleisch für deine zwei Frauen. Außerdem sparst du die Arbeit des Hütens." Mohammed sagte: "Du hast recht."

Mohammed nahm das Beil und schlug seine beiden Ochsen tot. Dann zog er beiden die Haut (achulim) ab. Die Häute bedeckte er mit Mist (lochba) und warf einen Misthaufen (aghusu oder achusu) darüber. So ließ er sie einige Wochen liegen. Er nahm sie heraus. Die Häute stanken furchtbar. Mohammed ließ Said rufen. Mohammed fragte Said: "Sind die Häute so recht?" Said sagte: "Sie sind so ausgezeichnet. So trage sie auf den Markt. Wenn du nun auf den Marktplatz kommst, werden die Leute dich der Haut wegen beschimpfen und ausspeien. Dies ist dann nur ihre Wut darüber, daß sie sie nicht kaufen können, weil sie nicht wohlhabend genug sind, den hohen Wert zu bezahlen. Warte dann nur bis zum Abend. Je weniger die Leute dir dafür bieten, desto mehr sind sie wert. Du mußt nur so lange warten, bis sie sich nicht mehr versteckt halten und miteinander um den wahren Wert in Streit geraten."

Mohammed ging mit den beiden stinkenden Häuten auf den Markt. Als Mohammed auf den Markt kam, beschimpften ihn die Leute. Sie spien ihm ins Gesicht. Mohammed sagte: "Said hat recht, die Häute müssen sehr wertvoll sein." Said kam auch auf den Markt. Er ließ sich von seinem Vetter nicht sehen. Said sah, wie die Leute Mohammed der Häute wegen anspien und beschimpften. Said ging wieder nach Hause. Said freute sich.

Mohammed ging mit seinen stinkenden Ochsenhäuten bis zum Abend über den Markt. Da war er müde. Ein Mann zahlte ihm zehn Kupferstücke. Mohammed nahm die zehn Kupferstücke und ging nach Hause. Mohammed kam zornig nach Hause. Mohammed wollte Said überfallen und schlagen. Said floh.

Said floh und lief über das Land. Said sah von ferne einen Hirten mit seiner Herde. Said begann zu weinen. Der Hirt sah ihn und fragte ihn: "Weshalb weinst du?" Said sagte: "Mein Vetter Mohammed gibt ein großes Fest. Er hat mich eingeladen und nun muß ich hingehen. Ich liebe aber diese Feste meines reichen Vetters nicht." Der Hirt sagte: "Ich will dir einen Vorschlag machen. Hüte du die Schafe, und ich will statt deiner zu deinem Vetter gehen. Gib mir nur das Thausa (d. i. das übliche Gastgeschenk von zwanzig bis dreißig



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Doppelsousstücken)!" Said lachte und sagte: "Das ist ein guter Vorschlag. Hier nimm das Thausa!" Der Hirt nahm das Thausa und ging fort, um sich umzukleiden. Said trieb die Herde dahin, wo er wußte, daß er Mohammed treffen würde.

Mohammed sah Said mit der großen Schafherde und fragte Said: "Said, wo hast du die vielen Schafe her." Said sagte: "Diese Schafe hat mir das Meer geschenkt." Mohammed sagte: "Das Meer? Wie hast du das gemacht?" Said sagte: "Ich habe mich in das Meer gestürzt. Als ich bei ihm war, sah ich solche Mengen herrlicher Schafe, daß mir nicht möglich war, auch nur einige der besten herauszusuchen. Ich nahm, was ich gerade vor mir hatte, bedankte mich beim Meer und ging." Mohammed fragte: "Kann ich das auch machen?" Said sagte: "Du kannst es ebenso machen. Du kannst aber sehr viel mehr Schafe nach Hause treiben und sie besser aussuchen. Denn ich war ganz allein. Ich habe keine Frau und habe keine Hunde. Du aber hast zwei Frauen und zwei Hunde." Mohammed sagte: "Ich sehe, daß du recht hast. So werde ich es machen. Ich will nach Hause gehen und meine beiden Frauen und Hunde holen. Dann geh mit uns an das Meer und zeige mir die Stelle, wo man hineingeht." Said sagte: "Es ist recht, so wollen wir es machen. Ich treibe meine Schafe schon langsam dahin voraus."

Mohammed lief nach Hause. Er rief seine zwei Hunde. Er rief seine zwei Frauen. Er kam mit seinen Hunden und Frauen. Er kam mit Said zu einem Felsen am Meere. Said sagte: "Nun wirf zuerst deine beiden Hunde hinab." Mohammed warf zuerst die beiden Hunde hinab. Die beiden Hunde schwammen eine lange Zeit emsig umher, bald hierhin, bald dorthin. Sie konnten an dem schroffen Felsenufer nicht heraufkommen. Said sagte zu Mohammed: "Sieh, wie deine Hunde über die vielen Schafe im Meere vergnügt sind. Sie sehen so viele, daß sie sich nicht entscheiden können, wo sie sich auf sie stürzen sollen, um sie herauszutreiben." Mohammed sagte: "Ich sehe, du hast recht."

Said sagte: "Nun wirf deine zwei Frauen herunter, damit sie die Schafe aussuchen, die die beste Wolle für die Burnusse haben." Mohammed warf seine beiden Frauen herunter. Die beiden Frauen gingen sogleich unter. Said sagte: "Deine Frauen können nicht schnell genug zum Geschäft kommen. Sieh, wie sie sich eilen." Mohammed sagte: "Ich sehe, du hast recht." Mohammed und Said warteten eine lange Zeit. Mohammed sagte: "Die Frauen kommen ja gar nicht wieder!" Said sagte: "Ja, das ist so recht die Art der



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Frauen, sie können sich nie schnell entschließen, sie handeln und tauschen und wählen immer lange und werden nie eher fertig, als bis ein Mann kommt und Kürze befiehlt. Da unten sind aber so viele schöne Schafe, daß ihnen die Auswahl schwer fällt. Es wird besser sein, wenn du selbst einmal nachsiehst." Mohammed sagte: "Ich sehe, daß du recht hast." Mohammed sprang ins Wasser und ging unter.

Said ging nach Hause. Er zog aus seinem kleinen Hause in das große Haus Mohammeds und erbte so alles, was er für Mohammed erarbeitet hatte.


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