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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Canonbie Dick und Thomas von Ercildoune

Vor langen Jahren lebte ein Pferdehändler im Süden Schottlands, nahe der Grenze, nicht sehr weit von Longtown. Man nannte ihn Canonbie Dick, und wenn er auf und nieder durch das Land zog, hatte er immer eine lange Reihe von Pferden hinter sich, die er auf dem einen Markt einkaufte und auf dem nächsten wieder losschlug, wobei er denn manchen guten Groschen in die Tasche steckte. Er war kein Hasenfuß und ließ sich nicht leicht ins Bockshorn jagen. Die Leute, die ihn kannten, pflegten zu sagen, wenn Canonbie Dick eine Sache scheute, dann brauchte man keinen anderen mehr aufzufordern.

Eines Abends kehrte er, weiter ab von seinem Heim, mit einem Paar Pferden zurück, die er nicht hatte verkaufen können, und ritt über das Bowden-Moor, das westlich von den Eildon-Hügeln liegt. Diese sind, wie jedermann weiß, der Schauplatz von einigen der bekanntesten Verkündigungen des Reimers Thomas; auch sagen die Leute, hier sei die Schlummerstätte König Arthurs und seiner Ritter, die unter den drei hohen Gipfeln ruhn und den Zauberruf erwarten, der sie wecken soll. Aber wenig kümmerte sich der Pferdehändler um Arthur und seine Ritter oder um den Reimer Tom. Er ritt dahin im Schneckengang, dachte nach über den Handel, den er an jenem Tage auf dem Markte abgeschlossen hatte, und war neugierig, wann er wohl seine beiden anderen Pferde loswerden würde. Da schreckte ihn plötzlich die Ankunft eines ehrwürdigen Mannes auf, mit weißem Haar und in alter Tracht, der fast aus dem Boden gestampft erschien; so schnell war er da. Als sie sich begegneten, blieb der Fremde stehn und fragte Canonbie Dick zu seinem größten Erstaunen, um welchen Preis er ihm wohl die beiden Pferde überließe. Der verschlagene Pferdehändler dachte, das wäre eine gute Gelegenheit für einen vorteilhaften Handel; denn der Fremde sah aus wie ein Mann von einigem Ansehen. So nannte er ihm eine schöne runde Summe. Der Alte suchte mit ihm zu feilschen. Da er aber merkte, das würde ihm nicht viel nützen -denn niemand konnte Canonbie Dick dazu überreden, sein Pferd für eine geringere Summe zu verkaufen,



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als er zuerst genannt -, stimmte er dem Kaufe zu, zog einen Beutel Gold aus der Tasche seiner seltsam geschnittenen Kniehosen und zahlte den Preis aus.

Dabei fuhr unserm Canonbie Dick wiederum der Schreck durch die Glieder; denn das Gold, das ihm der Fremde reichte, war nicht mehr gangbare Münze, sondern es waren die ältesten Dukaten, die einem Pferdehändler in seinen Geschäften nicht viel nutzen konnten. Immerhin war es Gold, reines Gold, und er nahm es gern; denn er wußte, daß er immer noch das Doppelte einbekam von dem, was die Pferde wirklich wert waren. >So werde ich wenigstens<, dachte er bei sich selbst, >bei diesem Handel nicht den kürzeren ziehn!<

Dann trennten sich die beiden, aber nicht, ohne daß der alte Mann Dick beauftragt hatte, ihm noch andere brauchbare Pferde zum gleichen Preis zu verschaffen. Als einzige Bedingung stellte er dabei, daß Dick sie immer an den gleichen Ort nach Eintritt der Dunkelheit bringen und sich stets allein dort einfinden sollte. Und im Verlauf der Zeit merkte der Pferdehändler, einen wie guten Kunden er sich hier erworben hatte. Kam er wieder an ein strammes Pferd, brauchte er es nur über Bowden-Moor zu führen, wenn die Nacht gekommen, und er konnte darauf rechnen, den geheimnisvollen, weißhäuptigen Fremden wiederzutreffen, der ihm immer für das Tier die altmodischen Dukaten zahlte.

Noch heute könnte er ihm Pferde verkaufen, hätte er nicht einmal darin versagt. Canonbie Dick hatte leicht eine sehr durstige Kehle, und seine gewöhnlichen Kunden, die das wußten, sorgten immer dafür, daß sie ihm etwas zum Trinken verschafften. Das tat der Alte nie. Er bezahlte eben sein Geld und führte seine Pferde weg, damit war die Sache erledigt.

Aber eines Nachts, als Dick noch durstiger war als sonst, machte er ihm eine Andeutung, er würde ihn gern nach Hause begleiten und eine kleine Erfrischung zu sich nehmen; denn er war gewiß, sein geheimnisvoller Freund müsse in der Nachbarschaft daheim sein, da er ihn immer durch die Höhen wandern sah, wenn jedermann sonst im Bette lag.

»Wer mit mir nach Hause gehen will, muß schon ein tapferer Kerl



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sein«, erwiderte der Fremde, »aber wenn du magst, so kannst du mir folgen. Nur merke dir: Wenn dir der Mut versagt bei dem, was du zu sehen bekommst, so wird's dich dein Leben lang gereuen.«

Canonbie Dick lachte laut und schallend. »Mein Mut hat bisher noch nie versagt«, rief er. »Hol' mich die Pest, wenn es mir jetzt daran fehlte! Nur vorwärts, alter Mann, ich will dir schon folgen.« Ohne ein Wort wandte sich der Fremde und begann, einen schmalen Pfad zu ersteigen; der führte zu einem seltsamen kleinen Hügel, den man wegen seiner Gestalt im Volksmunde »das Häschen« nannte. Es war wohl ein Lieblingsplatz der Hexen, und in der Regel schlug niemand diesen Weg im Dunkel ein, wenn er es nur irgend vermeiden konnte. Canonbie Dick fürchtete sich nicht vor Hexen, und so folgte er seinem Führer mit festen Schritten hügelan. Aber es muß zugegeben werden, daß es ihm etwas merkwürdig zumute war, als er ihn auf den Eingang einer Höhle zugehen sah, obwohl er sich gar nicht entsinnen konnte, dort je zuvor eine Öffnung im Berggelände bemerkt zu haben.

Er zögerte einen Augenblick, sah sich bestürzt ringsum, verwundert, wohin man ihn noch bringen würde. Sein Führer blinzelte etwas verächtlich zu ihm hinüber: »Du kannst noch umkehren, wenn du willst! Ich habe dir ja gleich gesagt, es sei eine Reise, die deinen Mut auf die höchste Probe stelle.« Es war ein höhnischer Klang in seiner Stimme, der Dicks Stolz herausforderte.

»Wer sagt denn, daß ich ängstlich bin?«fragte er zurück. »Ich wollte mir nur einprägen, wo dieser Durchgang in den Bergen liegt, damit ich ihn einmal wiederfände.« Der Fremde zuckte mit der Schulter: »Zeit genug, sich darum zu kümmern, wenn du wiederkommst.« Und dann setzte er seinen Weg fort, und Dick folgte ihm dicht auf den Fersen.

Nach den ersten ein oder zwei Ellen waren sie ins finsterste Dunkel gehüllt, und dem Pferdehändler wäre es schwerlich gelungen, sich in seines Führers Nähe zu halten, hätte nicht der andere ihm seine Hand hingestreckt. Aber nach einer kleinen Weile dämmerte ein schwacher Lichtschimmer auf, der immer klarer und klarer wurde, bis sie sich zuletzt in einer ungeheuren Höhle befanden, die von lodernden



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Fackeln erleuchtet wurde. Die steckten hier und da in Haltern an den Felsenwänden, und wenn sie auch Licht genug zum Sehen gaben, warfen sie doch so geisterhafte Schatten auf den Boden, daß sie die Düsterkeit nur zu vermehren schienen, die über dem weiten Raume lag.

Und das Merkwürdige an dieser Höhle war, daß an einer Seite eine lange Reihe von Pferdeständen entlanglief, grade so wie man sie in einem Stalle findet, und an jedem Platz stand ein kohlschwarzes Streitroß, gesattelt und gezäumt und gleichsam kampfbereit. Und auf dem Stroh zur Seite jedes Pferdes lag die stattliche Gestalt eines Ritters, von Kopf zu Fuß mit einer kohischwarzen Rüstung bewehrt und mit dem gezogenen Schwert in der gepanzerten Faust. Doch nicht ein Pferd regte sich, nicht eine Kette klirrte. Ritter und Gäule waren beide schweigsam und unbewegt, sahen aus, als ob irgendein seltsamer Zauber sie befallen und überraschend in schwarzen Marmor verwandelt hätte.

Es war etwas so Unheimliches in diesen stillen, kalten Gestalten und in der unirdischen Lautlosigkeit, die über allem lastete, daß Canonbie Dick, sonst so unbekümmert und draufgängerisch, seinen Mut schwinden und seine Knie unter sich zittern fühlte. Trotz dieser Empfindungen folgte er dem alten Manne die Halle hinauf bis zum weit entfernten Ende, wo sich ein Tisch von altem Handwerk erhob, auf den man ein glitzerndes Schwert und ein seltsam gearbeitetes Horn gelegt hatte. Als sie diesen Tisch erreichten, wandte sich der Fremde an ihn und sagte mit großer Feierlichkeit: »Freund, du hast doch schon gehört von Thomas von Ercildoune -Tom dem Reimer, wie man ihn nennt -, der eine Zeitlang bei der Elfenkönigin wohnte und von ihr die Gaben der Wahrheit und der Verkündigung erhielt?«

Canonbie Dick nickte. Doch als der Name des wunderbaren Propheten an seine Ohren drang, klopfte ihm vollends das Herz und wollte ihm die Zunge am Gaumen kleben bleiben. War er dorthin gebracht worden zu einer Unterredung mit Tom dem Reimer, so war er allen Zaubermächten der Finsternis preisgegeben. »Ich bin's, der mit dir redet«, fuhr der Weißbärtige fort. »Und ich



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habe dir deinen Willen gelassen und dich mitgenommen, um zu erfahren, aus welchem Schrot und Korn du stammst. Vor dir liegt ein Horn und ein Schwert. Wer das eine blasen oder das andere ziehen kann, soll König über ganz Britannien sein, wenn ihm der Mut nicht fehlt. Ich, Tom der Reimer, habe dir das gesagt, und wie du weißt, meine Zunge kann nicht lügen. Aber merke dir, was herauskommt, hängt ab von deiner Tapferkeit. Es wird eine leichte oder eine schwere Aufgabe sein, je nachdem du zuerst zum Schwert oder zum Horn greifst.«

Nun war Dick erfahrener im Schlägeausteilen als im Musikmachen, und seine erste Regung war, nach dem Schwerte zu greifen. Dann hatte er, komme was wolle, wenigstens etwas in der Hand zu seiner Verteidigung. Aber gerade als er es ziehen wollte, kam ihm der Einfall: Wenn der Ort voller Geister war, wie er es für sicher hielt, so konnte sein Tun als Herausforderung gedeutet werden und jene veranlassen, sich gegen ihn zusammenzurotten.

So änderte er seinen Sinn, hob das Horn mit zitternder Hand und blies hinein, aber so schwach und kraftlos, daß man es kaum am andern Ende des Saales hörte.

Was nun folgte, konnte auch das kühnste Herz in Schrecken setzen. Donner rollte in krachenden Schlägen durch die weite Halle. Die verzauberten Ritter und ihre Pferde erwachten im Augenblick aus ihres Schlafes Bann. Die Ritter sprangen auf, packten ihre Schwerter und schwangen sie um ihr Haupt, während ihre mächtigen Rappen stampften und schnoben und ihre Zäume kauten, als ob sie eilends frei sein wollten. Und wo kurz zuvor noch Friede und Eintracht geherrscht hatte, tobte jetzt wilder Lärm und Aufruhr.

Jetzt war es Zeit für Canonbie Dick zu beweisen, was ein Mann ist. Hätte er das getan, sein ganzes Leben hätte eine andere Wendung genommen. Aber da versagte ihm der Mut, und er verlor sein Glück. Entsetzt, als er so viele drohende Gesichter sich gegen ihn wenden sah, ließ er das Horn fallen und machte einen schwachen, unentschiedenen Versuch, das Schwert aufzunehmen. Aber ehe er dazu kam, ertönte irgendwo in der Halle eine geheimnisvolle Stimme, und das waren die Worte, die sie sprach:



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»Wehe dem Feigling, weh ihm, daß er geboren,
Der nicht das Schwert zog, eh er das Horn erkoren!«


***
Und bevor Dick sich besinnen konnte, was um ihn geschah, brach ein wilder Wirbelwind von kalter, rauher Luft durch die Höhle und riß den unglückseligen Pferdehändler mit sich. Er fegte ihn den schmalen Gang hinunter, durch den er gekommen, und setzte ihn ungestüm ab auf einem Lager von losen Steinen und Schiefer. Er fiel derb auf den Boden, und am nächsten Morgen fanden ihn einige Schafhirten, beinahe leblos. Er hatte nur gerade noch Kraft genug, ihnen die Geschichte von seinem verhexten, schaurigen Abenteuer zuzuflüstern.

Copyright: arpa, 2015.

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