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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


34. Kabylische Mißgunst

Z wei junge Männer waren immer eng befreundet. Sie gingen stets zusammen und taten nichts, was einer nicht vorher mit dem anderen besprochen hatte. Sie waren miteinander so befreundet, daß sie sich einander zuschworen, dereinst gleich schöne Frauen zu heiraten.

Die beiden Burschen heirateten am gleichen Tage. Die Frau des einen war aber sehr schön und die des anderen war häßlich. Eines Tages sah der Mann der Häßlichen die Frau, die sein Freund geheiratet hatte. Er sah, daß diese Frau sehr schön war. Er wurde zornig und mißgönnte dem Freunde die schöne Frau. Er suchte nun überall im Lande herum nach einer Frau, die an Schönheit der Frau seines Freundes glich. Er fand aber keine gleich schöne Frau.

Nun machte er sich auf und ging zu einem Amrar asemeni, einem weisen Manne, und trug diesem die ganze Sache vor. Der weise Mann sagte: "Es wäre mir lieber gewesen, du wärst in dieser Angelegenheit nicht zu mir gekommen, denn sie wird kein gutes Ende nehmen. Nun du aber durchaus einen Rat haben willst, höre mich: Reize deinen Freund und sage zu ihm, du wärst tapferer als er. Dein Freund wird zu jedem Beweise des Gegenteils bereit sein. Dann sage: So solle er seine Tapferkeit damit belegen, daß er auf dem Grabe einer soeben Gestorbenen die Nacht zubringe. Er soll seinen Maulesel auf dem Grabe anpflöcken und dann auf dem Grabe schlafen." Der Bursche ging.

Der Bursche sagte abends in der Versammlung zu seinem Freunde: "Du bist nicht so tapfer wie ich." Der Freund ward zornig. Der Freund sagte: "Was soll ich tun, um dir zu zeigen, wie tapfer ich bin ?" Der Bursche sagte: "Nimm deinen Maulesel, gehe heute nacht noch auf den Kirchhof. Pflöcke deinen Maulesel auf dem Grab desjenigen an, den wir heute begraben haben, und schlafe auf dem Grabe bis morgen früh." Der Freund sagte: "Das werde ich tun." Der Freund ging.



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Als es Nacht war, nahm der Freund seinen Maulesel und ritt auf den Kirchhof. Er ritt zu dem Grabe des Mannes, den sie am Tage vorher dort begraben hatten. An dem Grabe stieg er ab. Es war ganz dunkel. Er mußte umhertasten, um das Grab zu finden. Die frisch geworfene Erde war kalt und naß. Der Freund sah nur einige Umrisse der Zeugen (Steinstücke auf den Gräbern). Der Freund war unsicher. Er stieß den Pflock des Maulesels in die Erde. Er war so unsicher, daß er ihn unbemerkt durch sein eigenes Kleid stieß. Er saß. Nach einiger Zeit wollte er weggehen, um eine Sache zu verrichten. Er ging einen Schritt. Der Pflock hielt ihn. Der Freund glaubte, der Tote halte ihn fest. Der Freund erschrak stark. Er schrie vor Schreck. Er fiel neben dem Maulesel nieder und war tot. Am anderen Morgen kamen Leute und fanden den gestorbenen Freund. Man begrub ihn.

Der Bursche heiratete die schöne Frau seines Freundes. Er hatte nun die schönste Frau der Gegend. Niemand hatte eine Frau, die so schön war wie die seine. Sein Vater sah die Frau seines Sohnes. Er sah, wie schön sie war. Der Vater sagte: "Diese Frau ist zu schön für meinen Sohn. Ich will auch eine so schöne Frau haben wie mein Sohn."

Eines Tages war der Sohn abwesend. Der Vater rief sieben Freunde und sagte: "Versteckt euch unter diesen Ziegenhäuten. Erschreckt meinen Sohn ein wenig!" Es war nachts, als der Sohn heimkam. Die sieben Leute unter den Ziegenhäuten kamen ihm brummend aus allen Ecken des Hauses entgegen. Der Sohn erschrak. Er erschrak so, daß er ohnmächtig hinsank. Er war schwer krank. Nach einem Vierteljahr starb er. Da heiratete der Vater die schöne Frau und hatte nun die schönste Frau von allen Leuten.

Die Freunde des Vaters sahen eines Tages die junge schöne Frau. Sie sagten untereinander: "Dieser Frau wegen hat der Vater seinen Sohn so erschreckt, daß er starb." Die Freunde des Sohnes sagten: "Es ist nicht recht, daß eine so schöne junge Frau dem alten Manne gehört." Die Freunde erstachen den Vater. Die Söhne stritten mit den Freunden des Vaters. Das Dorf ging darüber zugrunde.


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