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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


König Arthur in der Berghöhle

Einst ging ein Waliser auf der großen Londoner Brücke spazieren und sah verwundert dem drängenden Verkehr zu. Nach vielen Abenteuern mit Dieben und Landstreichern war er in die Stadt gekommen mit einer Herde von dunklem Waliser Vieh. Er hatte alles sehr vorteilhaft verkauft, und mit klingendem Golde in der Tasche ging er umher, um die Sehenswürdigkeiten zu besuchen.



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Er hatte einen Haselstock in der Hand; denn man muß wissen: Ein handfester Stock ist für einen Viehtreiber soviel wie die Zähne für seinen Hund. Er stand still, um sich in einem Laden einige Waren anzugucken; da sah er, wie ein Mann seinen Stock mit einem langen, prüfenden Blick betrachtete. Nach einer Weile trat der Fremde zu ihm heran und fragte, woher er käme. »Ich? Aus meiner Heimat«, sagte der Waliser ziemlich mürrisch; denn er sah nicht recht ein, warum man ihn danach fragte.

»Nehmt mir's nicht übel«, sagte der Fremde, »wenn Ihr nur meine Fragen richtig beantwortet und meinem Rate folgt, so wird Euch das größeren Segen bringen, als Ihr ahnt. Wißt Ihr noch, wo Ihr Euch diesen Stock geschnitten habt?«

Der Waliser blieb immer noch argwöhnisch und sagte: »Ist es so wichtig, wo ich ihn abgeschnitten habe?«

»Es ist wichtig«, sagte der andre, »denn an der Stelle, wo du den Stock geholt hast, ist ein Schatz verborgen. Wenn du dich an den Ort noch erinnern kannst und mich dahin führen willst, werde ich dir dort große Reichtümer verschaffen.«

Der Waliser begriff jetzt, daß er es mit einem Zauberer zu tun hatte, und er war verlegen, was er tun sollte. Auf der einen Seite lockte ihn die Aussicht auf Reichtum; andrerseits wußte er, daß der Zauberer seine Weisheit von Teufeln erworben hatte, und mit den Mächten der Finsternis wollte er nicht gern Bekanntschaft machen. Der schlaue Fremde gab sich die größte Mühe, ihn zu überreden, und entlockte ihm schließlich das Versprechen, die Stelle, wo er seinen Haselstock geschnitten hatte, zu zeigen.

Der Waliser und der Zauberer reisten zusammen nach Wales. Sie kamen an den Felsen bei Craig y Dinas, nicht weit von Pont Nedd Fechan, da wies der Waliser auf Stamm und Wurzel eines alten Haselstrauchs und sagte: »Hier habe ich mir meinen Stock geholt.«

»Dann wollen wir anfangen zu graben«, sagte der Zauberer.

Sie gruben, bis sie auf einen breiten, flachen Stein stießen. Als sie ihn hochgehoben hatten, entdeckten sie einige Stufen, die nach unten führten. Sie stiegen die Treppe abwärts und folgten einem schmalen Gange, bis sie an eine Tür kamen.



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»Bist du auch mutig genug«, fragte der Zauberer, »willst du mit mir eintreten?«

»Das will ich«, sagte der Waliser; denn die Neugier war schließlich doch größer als die Furcht.

Sie öffneten die Tür, und eine weite Höhle gähnte vor ihnen bis in die Tiefe. Ein mattrotes Licht breitete sich in ihr aus, und sie konnten so alles erkennen.

Das erste, was ihnen auffiel, war eine Glocke.

»Diese Glocke darfst du nicht anrühren«, sagte der Zauberer, »oder es ist um uns geschehn!«

Als sie nun weiter hineingingen, sah der Waliser, daß die Stätte nicht leer war. Da lagen Soldaten ringsherum im Schlafe, ja sogar Tausende von Soldaten, so weit das Auge nur blicken konnte. Jeder war in schimmernde Rüstung gekleidet, jeder hatte seinen stählernen Helm auf dem Haupte, jeder den glänzenden Schild über dem Arme, jeder sein Schwert nahe zur Hand, jeder hatte dicht dabei seinen Speer im Boden stecken; aber allesamt ruhten sie im tiefsten Schlafe. In der Mitte der Höhle war ein großer runder Tisch. Krieger saßen um ihn herum, deren edle Züge und kostbar gearbeitete Waffen bezeugten, daß sie nicht von gemeinem Blute stammten.

Aber auch sie alle ließen ihr Haupt niederhängen und schliefen fest. Drüben aber an dem runden Tisch ragte auf einem goldenen Throne ein König von riesenhafter Gestalt und wahrhaft gewaltiger Erscheinung. In der Hand hielt er ein mächtiges Schwert beim Griff gepackt; Scheide und Heft waren aus purem Golde, mit glitzernden Kleinodien reich geschmückt. Auf dem Haupte trug er eine Krone, und ihre kostbaren Edelsteine blitzten und blinkten wie Feuer-Speere. Aber auch über seine Augen gebot der Schlaf.

»Schlafen sie wirklich?«fragte der Waliser, der kaum seinen Augen traute.

»Einer wie der andre«, antwortete der Zauberer, »aber wenn du an jene Glocke rührtest, würden sie alle erwachen.«

»Wie lange schlafen sie schon?«

»Über tausend Jahre.«

»Und wer sind sie?«



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»König Arthurs Krieger. Sie warten auf kommende Tage, da werden sie alle Feinde der Kymren zerstreuen, die Insel Britannien wieder in Besitz nehmen und aufs neue ihren König in Caer Lleon zum Herrscher einsetzen.«

»Und wer sind die an der Tafelrunde?«

»Arthurs Ritter: Owain, Uriens Sohn; Cai, Cynyrs Sohn; Gwalchmai, Gwyars Sohn; Peredur, Efrawes Sohn; Geraint, Erbins Sohn; Trystan, Marks Sohn; Bedwyr, Bedrawds Sohn; Cilhwch, Celyddons Sohn; Edeyrn, Nudds Sohn; Cynon, Clydnos Sohn..

»Und auf dem goldenen Throne?« fiel ihm der Waliser ins Wort. ». Ist Arthur selbst, sein Schwert Excalibur in der Hand«, erwiderte der Zauberer.

Schließlich ungeduldig über die vielen Fragen, eilte der Meister zu einem großen Haufen gelben Goldes auf dem Boden der Höhle. Er nahm, soviel er tragen konnte, und hieß seinen Gefährten ein Gleiches tun. »Es ist Zeit für uns zum Aufbruch«, mahnte er dann, und er ging voran nach der Tür zurück, durch welche sie eingetreten waren.

Aber der Waliser war wie geblendet von dem Schimmer der vielen schlafenden Ritter in funkelnder Rüstung. >Wie gern sähe ich sie alle erwachen!< sagte er zu sich selbst. >Ich will die Glocke anrühren - ich muß sehen, wie sie alle wach werden.<

Als sie zu der Glocke kamen, schlug er daran, bis sie durch den ganzen weiten Raum erklang.

Sobald sie erscholl, siehe, da sprangen die Tausende der Krieger auf, und der Boden bebte unter dem Schall der stählernen Waffen. Und eine dröhnende Stimme stand in ihrer Mitte auf: »Wer schlug die Glocke? Ist der Tag erschienen?«

Der Zauberer war so erschrocken, daß er zitterte wie Espenlaub. Er schrie zur Antwort: »Nein, noch ist der Tag nicht erschienen. Schlaft weiter!«

Die mächtige Schar war in voller Bewegung, und dem Waliser wurden schier die Augen geblendet, als er über die funkelnden Waffen aus Stahl hinblickte, die wie mit Myriaden Feuergarben die Höhle grell erhellten.



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»Arthur«, hob die Stimme wieder an, »erwache! Die Glocke ist erklungen, der Tag bricht an. Erwache, Arthur der Große!«

»Nein«, schrie der Zauberer, »noch ist es Nacht. Schlaft weiter, König Arthur!«

Ein Geräusch kam von dem Throne her. Arthur war aufgestanden, und die Juwelen in seiner Krone leuchteten wie helle Sterne über der ungezählten Schar.

Seine Stimme klang kräftig und weich wie das Rauschen von Wasserfluten, und er sprach: »Meine Krieger, der Tag ist noch nicht gekommen, an dem der schwarze und der goldene Adler in den Krieg ziehen. Es war nur ein Goldsucher, der die Glocke läutete. Schlaft weiter, meine Krieger, denn noch nicht dämmerte der neue Morgen über unserm Land.«

Ein sanfter Laut wie ein fernes Meeresseufzen hallte durch den Raum, und im Nu lagen die Soldaten alle wieder im Schlafe. Der Zauberer drängte den Waliser aus der Höhle, wälzte den Stein an seinen Platz zurück und verschwand.

Noch oft versuchte der Waliser, den Weg zur Höhle zu finden, aber obwohl er jedes Fleckchen des Hügels umgrub, entdeckte er doch den Eingang niemals wieder.


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