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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Der Gespensterbräutigam

Vor langer, langer Zeit lebte in Boscean ein Bauer namens Lenine. Er hatte nur einen Sohn, der hieß Frank Lenine, und die Eltern ließen ihm allen Willen. So verliebte er sich denn in eine hübsche Magd am Bauernhöfe, Nancy Trenoweth, die zwar aus bescheidenen Verhältnissen stammte, aber von den Bauersleuten wie eine Tochter gehalten wurde. Eines Tages erklärte Frank, er wolle Nancy zur Frau haben, und seine Eltern waren sehr bestürzt; denn das schien ihnen unter der Würde ihres Geschlechts. So entließen sie Nancy kurz entschlossen aus dem Dienst und verboten ihrem Sohne, je wieder mit ihr zusammenzukommen. Aber selten nur folgen die Jungen den Geboten der Alten. Frank war häufiger als früher des Abends außer dem Hause, mißtrauisch begegneten ihm seine Eltern.

Kaum ein Abend verging, an dem sich nicht Frank und Nancy an einem entlegenen Orte trafen. Der Heilige Brunn war das beliebteste Stelldichein, und hier wurden die feierlichsten Schwüre getan. Haarlocken wurden ausgetauscht. Ein Ehering vom Finger eines Verstorbenen wurde gebrochen mit dem Gelöbnis, sie wollten lebend oder tot vereinigt bleiben. Ja, sie kletterten des Nachts sogar auf das Granitmassiv von Treryn und nahmen beim Logan Rock (Wiegenfels) dasselbe Versprechen auf sich.

Nancys Eltern merkten bald, daß die nächtlichen Zusammenkünfte beim Mondenschein nicht ohne Folgen blieben, und drangen um so mehr auf die Heirat der beiden. Aber der alte Lenine war nicht dazu zu bewegen; im Gegenteil, er nahm seinen Sohn mit nach Plymouth und verdingte ihn einem Indienfahrer. Nie wieder hörte Nancy von ihm; aber in ihrem Herzen blieb sie ihm stets vereint. Ihr ganzer Trost war das kleine Kindchen, das sie bald gebar. Als ihre Familie dann stärker in Not geriet, mußte sie wieder in Dienst gehn, und auf ihrer neuen Stelle machte sie Bekanntschaft mit den Töchtern der Kleinbauern ringsum, die noch voller Brauchtum und Aberglauben steckten.

Drei Jahre waren ins Land gegangen, keiner hatte Nachricht von Frank erhalten. Selbst die Lenines wurden besorgt und versöhnlicher.



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Sie hätten jetzt gern Nancy mit ihrem Kinde bei sich aufgenommen. Sie aber mochte nicht. Da forderten die Dorfmädchen sie auf, am Vorabend von Allerheiligen Hanfsamen säen zu gehn. Sie zögerte, aber schließlich ging sie mit. Zu dreien schlichen sie um Mitternacht auf den Marktplatz von Kimyall, um dort ihre Beschwörung vorzunehmen. Nancy als die Mutigste streute zuerst die Samen aus und sprach dabei:

Hanfkorn, ich säe dich ein,
Hanfkorn, nun wachse drein;
Wer will mein Allerliebster sein,
Tret' hinter mir ein
Und möge sichtbar sein.


***
Das wurde dreimal wiederholt, und als sie hinter sich über die linke Schulter sah, erblickte sie Lenine; aber er war so zornig, daß sie aufschrie vor Furcht und den Zauber brach. Eins der Mädchen wollte aber den Bann nochmals erproben, und das Ergebnis ihrer Bemühungen war die Erscheinung eines weißen Sarges. Alle befiel sie nun ein Grauen, und bekümmert gingen sie heim, ohne Ruhe in dieser Nacht zu finden.

Der November kam mit seinen schweren Stürmen, und in einer wilden Nacht wurde ein mächtiges Schiff gegen die Klippen geworfen. Fast die ganze Mannschaft ging zugrunde. Unter den Leichen, die ans Ufer gespült wurden, war Frank Lenine; aber man fand ihn noch halb lebend auf. Sein erster Wunsch war, man möge nach Nancy schicken, damit sie ihm angetraut werden könnte; man trug ihn auf einer Bahre weiter, aber noch unterwegs gab er seinen Geist auf. Seine Eltern waren trostlos und vergaßen, Nancy von der Rückkehr zu sagen, als er im Friedhof von Burian seine letzte Ruhe finden sollte.

In der Nacht der Beerdigung wollte Nancy wie gewöhnlich die Haustür verriegeln und lugte noch einmal in die Nacht hinaus. In dem Augenblick trabte in wilder Eile ein Reiter heran und grüßte sie mit einer Stimme, die ihr das Blut zum Sieden brachte. Es war



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Frank. Sie hatte ihn nie vergessen. Das Pferd aber, wie sie nun sah, war ihres Getreuen Lieblingsfüllen, auf dem er oft zur Nacht nach Alsia gesprengt war. Der Reiter war nur ungenau zu erkennen, sah aber vergrämt und bleich aus; trotzdem kannte ihn Nancy wieder. Er sagte ihr, er wäre gerade zu Hause angelangt und hätte den ersten freien Augenblick benutzt, um sein Pferd zu satteln und sie als Braut heimzuholen. Nancys Erregung war so groß, daß sie sich leicht überreden ließ, hinter ihm aufzusitzen, damit sie sein Heim noch vor Morgenanbruch erreichten.

Als sie Franks Hand nahm, durchrieselte sie ein kalter Schauer, und als sie ihn um den Leib faßte, um sicherer zu sitzen, wurde ihr Arm so starr wie Eis. Sie verlor ihre Sprache und litt schreckliche Angst, sie wußte selbst nicht warum. Der Mond war aufgegangen und brach nun mit voller Lichtflut durch die schweren Wolken, die ihn verfinstert hatten. Das Pferd setzte seinen Ritt mit größter Geschwindigkeit fort, und jedesmal, wenn es ermüdet an Eile nachließ, stachelte der Reiter mit seiner eigentümlichen Stimme die schläfrigen Kräfte von neuem an. Darüber hinaus wurde kein Wort gesprochen, seit Nancy hinter ihrem Liebsten aufgestiegen war. Sie kamen nun an den Trove Bottom, über den damals keine Brücke führte; sie platschten hinein in den Fluß.

Der Mond schien voll auf ihre Gesichter. Nancy blickte in den Strom und gewahrte, daß der Reiter in ein Leichentuch und andre Grabgewänder eingehüllt war. Nun wußte sie, daß sie von einem Geist davongetragen wurde, hatte aber keine Kraft, sich zu retten; ja nicht einmal den Willen dazu verspürte sie. Weiter jagte der Gaul in wütendem Trab, bis sie an die Schmiede von Burian kamen, und Nancy merkte an dem Licht, das auf die Straße fiel, daß der Schmied noch bei der Arbeit war. Da gewann sie ihre Sprache wieder. »Rette mich! Rette mich! Rette mich!« schrie sie mit allen Kräften. Der Schmied sprang aus der Tür der Schmiede, ein rotglühendes Eisen in der Hand, und als das Pferd vorübersauste, packte er die Frau bei den Kleidern und zog sie zu Boden. Aber auch das Gespenst ergriff Nancys Kleid mit einer Hand, und sein Griff war so fest wie ein Schraubstock. Das Pferd flog wie der Wind, und Nancy und der



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Schmied wurden bis zu den Armenhäusern am Kirchhof mitgerissen. Hier hielt der Gaul, und der Schmied brannte mit seinem glühenden Eisen den Fetzen Kleides durch, den der Reiter gepackt hatte. Nancy, mehr tot als lebendig, war gerettet. Der Reiter setzte über die Friedhofsmauer und verschwand in dem Grabe, in das Frank erst vor ein paar Stunden gelegt worden war.

Der Schmied nahm Nancy mit sich in sein Haus, und er weckte bald einige Nachbarn, die Nancy nach Alsia brachten. Die Eltern betteten sie auf ihr Lager. Sie sprach kein Wort, fragte nur nach ihrem Kinde und bat ihre Mutter, es den Lenines zu bringen. Sie selbst wollte in Franks Grabe beigesetzt werden. Bevor der Morgen dämmerte, hatte Nancy ihren letzten Atemzug getan. Ein Pferd sah man in jener Nacht durch St. Burian wie eine Musketenkugel flitzen. Am nächsten Morgen fand man Franks Füllen tot am Bernowhall-Kliff, der Schaum stand ihm vor dem Maule, die Augen waren aus dem Kopfe getreten, und die Zunge hing ihm weit aus dem Halse. Auf Franks Grab fand man noch den Fetzen von Nancys Gewand, der in des Gespenstes Hand verblieben war, als der Schmied sie mit dem Eisen von ihm trennte.

Man erzählt sich, ein oder zwei Seeleute, die den Schiffbruch überlebt, hätten nach dem Begräbnis berichtet, wie Lenine in jener Oktobernacht sich wie toll gebärdet habe. Sie konnten ihn kaum auf dem Schiffe halten. Er schien mehr träumend als wach, und nach mächtiger Erregung sank er wie tot auf Deck und lag so stundenlang. Als er wieder zu sich kam, erzählte er, er wäre nach dem Dorfe Kimyall geholt worden, und wenn er je die Frau, die den Zauber geübt, heiraten sollte, würde er es sie hart entgelten lassen, daß sie ihm die Seele aus dem Körper gezogen hätte.

Die arme Nancy wurde in Franks Grabe bestattet, und ihre Gefährtin im Hanf säen, die den weißen Sarg erblickte, ruhte innerhalb eines Jahres an ihrer Seite.


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