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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Der vierblättrige Klee

Vor wenigen Jahren lebte in Bosfrancan in St. Burien ein Bauer, der hatte eine sehr schöne rotrundweiße Kuh, die hieß Gänseblume. Die Kuh war immer glatt und rund, Wamme und Zitzen streiften bis ans Gras. Gänseblume hatte Milch von einem Kalb bis zum andern, ihr Euter war so groß wie ein Eimer, aber nie pflegte sie mehr Milch herzugeben als etwa vierundeinhalb Liter, obwohl man deutlich sehen konnte, daß sie noch die doppelte Menge besaß. Ganz plötzlich, wenn das Melken in vollem Gange war, pflegte sie sanft zu blöken, spitzte die Ohren, und im gleichen Augenblick blieb die Milch weg. Wenn die Milchmagd danach versuchte, noch etwas mehr zu bekommen, fing die Kuh an auszuschlagen, stieß den Eimer um, verschüttete die Milch, stand aber dann stocksteif und käute die ganze Zeit lang ihre Nahrung wieder. Jedermann würde die Kuh für verhext gehalten haben, wäre sie nicht immer dick und rund geblieben und hätte sie sich nicht das ganze Jahr hindurch melken lassen. Außerdem geriet dem Bauern sonst alles aufs beste, und alle anderen Kühe gaben mehr Milch als irgendeine der Nachbarn. Keiner wußte zu sagen, was zum Teufel mit Gänseblume eigentlich los war. Sie suchten sie zum Markt der Kirchstadt zu treiben, um sie loszuwerden; denn sie schien reif für den Schlächter. Aber alle Buben und Männer konnten sie nicht dahin bringen. So schnell man sie den ei-



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nen Weg heraufführte, so geschwind war sie auf dem anderen schon wieder hinunter und zurück ins Feld, bevor die Männer und Buben nur halbwegs wieder daheim waren.

Eines Mittsommerabends war die Magd später als gewöhnlich am Melken, da sie erst noch in der Nachbarstadt den Spielen und Lustbarkeiten zugesehen hatte. Die Sterne fingen schon an zu funkeln, als sie ihre Arbeit vollendete. Gänseblume war die letzte Kuh, die sie molk, und der Eimer war so voll, daß sie ihn kaum auf den Kopf heben konnte. Bevor die Magd von dem Melkschemel aufstand, rupfte sie sich eine Handvoll Gras und Klee, um damit ihren Hut zu füllen und den Eimer sicherer tragen zu können. Kaum hatte sie den Hut auf ihren Kopf gesetzt, als sie Hunderte und Tausende des kleinen Volkes in allen Richtungen um die Kuh herumschwärmen sah, und sie stippten ihre Hände in die Milch, holten sie heraus mit Kleeblüten und saugten sie auf. Gras und Klee in voller Blüte reichten bis an den Leib der Kuh. Hunderte der kleinen Geschöpfe kletterten aufwärts an den langen Grashalmen und Kleestengeln mit Hahnenfuß-, Kuckucksblumen-, Winden- und Fingerhutblüten, um die Milch aufzufangen, die Gänseblume aus ihren vier Zitzen wie einen Regenschauer strömen ließ. Gerade unter dem Euter der Kuh sah die Magd einen, der viel größer als die andern war, auf dem Rücken liegen, und er richtete seine Fersen auf gegen den Leib der Kuh. Sie sah, es mußte ein Haulemännchen sein; denn wenn es lachte, war seit Mund weit auf von einem Ohr bis zum andern. Die Kleinen eilten auf und ab an seinen Beinen, füllten ihre Becher und leerten sie aus in den Mund des Haulemännchens. Andere saßen zu Hunderten auf Gänseblumes Rücken, kratzten ihr die Kruppe und kitzelten sie an den Hörnern und hinter den Ohren. Andere glätteten die widerspenstigen Haare auf ihrem blanken Fell.

Die Magd war nicht so sehr erschrocken, als sie das alles sah; denn oft hatte sie von den Elfen gehört und wünschte sich gradezu, sie zu sehen. Stundenlang hätte sie dableiben und ihren Tänzen um den Klee zuschauen können, den sie kaum schwerer machten als die Tautropfen.

Die Kühe waren auf einem Felde dicht unterhalb des Hauses. Die



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Bäurin kam heraus in den Garten zwischen dem Haus und dem Felde und rief nach dem Mädchen, um zu hören, warum es so lange ausblieb. Als die Magd erzählte, was sie gesehen hatte, sagte ihr die Bäurin, sie könne ihr nicht glauben, es sei denn, sie hätte ein vierblättriges Kleeblatt gefunden. Da erinnerte sich die Dirne an die Handvoll Gras im Innern ihres Hutes. Sie musterte es durch beim Kerzenlicht, fand ein Bündel dreiblättrigen Klees und einen Stengel mit vier Blättern. Sie wußten, es war nichts Seltsames, daß sie das kleine Volk gesehen hatte, aber sie wußten nicht, welche Schritte sie tun sollten, um es loszuwerden und Gänseblumes Milch ungeteilt zu bekommen. Schließlich erzählte die Bäurin ihrer Mutter davon. Die Mutter war eine würdige alte Frau, die in der Kirchstadt lebte. Sie wußte genau Bescheid über Hexen, Feen und derlei Dinge, und sie war als klug und haushälterisch bekannt. Wenn ihr zufällig das Ohr ihrer Stopfnadel brach, brachte sie diese zum Schmied, damit er ihr ein neues Ohr einsetzte. Der Schmied nahm dafür jedesmal zwei Groschen. Das bezahlte sie lieber, als daß sie die Nadel wegwarf.

Unsere Betty erzählte nun ihrer Tochter, es sei jedermann kund, daß unser kleines Volk den Fischgeruch nicht ausstehen könnte, sowenig wie Salz- oder Fettgeschmack. Sie riete also dazu, das Euter der Kuh mit salzigem Fischwasser einzureiben, um das kleine Volk davonzutreiben. Schön, sie tat, wie ihr die Mutter geraten. Besser hätte sie es unterlassen. Von jenem Tage an gab Gänseblume ihre volle Milch her, aber sie hatte nicht halb, nicht ein Viertel soviel wie vorher und nahm ihr Euter hoch, so daß man es kaum noch unter den Flanken sehen konnte. Alle Abende, sobald die Sterne zu blinken anfingen, ging die Kuh um die Felder herum und brüllte und schrie so jämmerlich, als ob sie ihr Kalb verloren hätte. Sie wurde räudig und magerte zu Haut und Knochen ab vor dem nächsten Viehmarkt und mußte um ein Geringes an den ersten besten in der Kirchstadt verkauft werden. Ich weiß nicht, was später mit ihr wurde. Doch dem Bauern wollte nichts Rechtes mehr glücken, nachdem seine Frau das kleine Volk verjagt hatte.


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