Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Tamlane

Jung Tamlane war der Sohn des Grafen Murray, und Burd Janet war die Tochter Dunbars, des Grafen von March. Als die heranwuchsen, gewannen sie einander lieb und verlobten sich. Doch kurze Zeit vor ihrer Hochzeit verschwand Tamlane, und niemand wußte, was aus ihm geworden war.

Viele Tage nach seinem Verschwinden ging Burd Janet in den Wald von Carterhaugh, obgleich sie gewarnt worden war, ihn zu betreten. Und während sie so ging, pflückte sie Blumen von den Büschen. Zuletzt kam sie an einen Ginsterbusch und begann Zweige von ihm zu brechen. Sie hatte noch nicht mehr als drei genommen, als plötzlich Tamlane an ihrer Seite stand. »Oh, woher kommst du, Tamlane, Tamlane?« rief Burd Janet. »Und wo warst du so lange?«

»Ich komme aus dem Elfenland«, antwortete Jung Tamlane. »Die Elfenkönigin hat mich zu ihrem Ritter gemacht.«

»Doch wie kamst du dahin?« fragte Burd Janet.

»Ich war eines Tages auf der Jagd, und als ich um den Hügel herumritt, überfiel mich eine tiefe Müdigkeit, und als ich erwachte, ach, da war ich im Elfenland. Schön und heiter ist das Land, doch gern möchte ich heraus, um deinet- und einer anderen Sache willen. Alle sieben Jahre zahlen nämlich die Elfen ihren Zehnten an die Unterwelt, und die Königin gibt sich so viel mit mir ab -ich fürchte, daß ich nächstens in Zahlung gegeben werden soll.«

»Oh, kannst du dem nicht auf irgendeine Art entgehen? Sage es mir, wenn ich dich retten kann, Tamlane!«

»Nur eine Möglichkeit gibt es zu meiner Rettung. Morgen nacht ist Aufbruch, und der ganze Elfenhofstaat reitet dann durch England und Schottland, und wenn du mich aus dem Elf renreich zurückholen willst, mußt du in der Mitternachtsstunde am Kreuzweg bei Miles stehen, und mit Weihwasser mußt du einen Kreis ganz um dich herum sprengen.«

»Wie aber soll ich dich unter so vielen Rittern, die ich nie gesehen habe, herauskennen?«fragte Burd Janet.

»Den ersten Elfenzug, der vorüberkommt, laß dahinziehen. Den



Bd-11-149_Maerchen aus England Flip arpa

nächsten Zug mußt du auch unbeachtet vorbeilassen, aber bewege dich nicht und gib keinen Laut von dir. Doch der dritte Zug, das ist der Hauptzug, und an seiner Spitze reitet die Königin des Elf Und an ihrer Seite werde ich auf einem milchweißen Pferd reiten und werde einen Stern in meiner Krone haben. Sie wollen mich damit als christlichen Ritter ehren. Achte auf meine Hände, Janet, die Rechte wird bekleidet, die Linke bloß sein, daran kannst du mich erkennen.«

»Wie aber vermag ich dich zu retten, Tamlane?«fragte Burd Janet. »Du mußt plötzlich auf mich zuspringen, und ich werde zu Boden fallen. Dann ergreife mich schnell. Und was auch immer mit mir geschieht, denn sie werden alle ihre Zauberkünste anwenden, halte mich ganz fest, bis sie mich in rotglühendes Eisen verwandeln. Dann wirf mich in den geweihten Kreis, und ich werde in einen völlig nackten Mann zurückverwandelt werden. Wirf dann deinen grünen Mantel über mich, und ich gehöre dir und der Erdenwelt wieder.«

Burd Janet versprach, das alles für Tamlane zu tun, und in der folgenden Nacht stand sie am Kreuzweg von Miles und sprengte einen schützenden Kreis aus Weihwasser um sich.

Bald nahten die Elfen auf ihren Pferden. Als erste kam über den Wall daher eine Gruppe auf schwarzen Pferden, dann eine andere auf braunen. Doch in der dritten Gruppe, in der alle auf milchweißen Pferden ritten, sah sie die Elfenkönigin und an ihrer Seite einen Ritter mit einem Stern in seiner Krone, dessen rechte Hand bekleidet, die linke aber bloß war. Da wußte sie, daß dies ihr Tamlane war, und sprang vorwärts, griff die Zügel des milchweißen Pferdes und riß seinen Reiter herunter. Und sowie er die Erde berührte, ließ sie die Zügel los und nahm ihn in ihre Arme.

»Er hat gesiegt, mitten unter uns hat er gesiegt!«tobte die Schar der Elfen, und alle drängten sich um sie und trieben ihre Zauber mit Jung Tamlane. In Janets Armen verwandelten sie ihn erst in hartgefrorenes Eis, dann in eine riesige Flamme, die aus glühendem Feuer hochschoß. Dann verschwand das Feuer wieder, und eine Natter schlängelte sich in Janets Armen. Aber sie hielt fest. Danach verwandelten sie ihn in eine Schlange, die aufzüngelte, als wolle sie beißen,



Bd-11-150_Maerchen aus England Flip arpa

doch sie hielt inne. Nun, plötzlich, flatterte eine Taube in ihren Armen und wäre beinahe davongeflogen. Jetzt wurde er in einen Schwan verwandelt, doch alles war vergeblich, bis er zuletzt ein rotglühendes Eisenstück wurde. Das warf sie mitten hinein in das geweihte Wasser, und nun wurde er ein nackter Mann. Schnell warf sie ihren grünen Mantel über ihn, und Jung Tamlane gehörte nun Burd Janet für immerdar.

Die Elfen wandten sich und setzten ihren Zug fort, indes ein Lied der Elfenkönigin noch herüberklang:

»Die mir genommen Jung Tamlane,
Sich gewann den strahlenden Mann -
Sie nahm den wertesten Ritter mir -
Wie ich das verwinden kann?
Hätt ich gewußt, Tamlane, Tamlane,
Ein Weib entführte dich mir -
Ich hätte genommen dein Augenpaar grau,
Gab hölzernes dir dafür.
Hätt' ich gewußt, Tamlane, Tamlane,
Eh' ich aufs Roß mich schwang,
Wie ungetreu dein Herze mir -
Ein steinernes trügst jetzt du zum Dank.
Und hätt' ich gestern schon gewußt,
Was heute ich erst weiß —
Vernichtet wäre sie siebenmal,
Und mein wärst du als Preis.«


***
Der Elfenzug entschwand, und Burd Janet und Jung Tamlane gingen heimwärts, und bald fand ihre Trauung statt, nachdem Jung Tamlane noch einmal mit dem heiligen Wasser gesegnet und wieder zu einem Christen geworden war.

Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt