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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


32. Der Schürzenjäger (nsäni)

Ein Vater hatte drei Söhne. Von denen war der eine ein Holzschnitzer, der zweite ein Maurer, der dritte aber ein Nsäni (wir würden sagen "Schürzenjäger". Die Definition der Kabylen für Nsäni lautet: "ein Mann, dessen Geschäft die Liebe ist", oder noch plumper). Eines Tages starb der Vater der drei Burschen. Bald darauf starb auch die Mutter der drei Burschen. Die drei Burschen waren nun ganz allein. Sie waren noch alle drei unverheiratet.

Nachdem die Eltern gestorben waren, waren die drei Burschen allein im Hause. Der Nsäni war der klügste der drei Burschen. Der Nsäni sagte zu seinen Brüdern: "Meine Brüder, unser Vater und unsere Mutter sind gestorben. Wir haben nun in diesem Hause niemand mehr, der uns das Essen bereitet. Deshalb ist es hier nicht gut für uns. Wir wollen deshalb unsere Taschen umhängen, das Haus verlassen und unser Glück an einem anderen Orte versuchen." Die beiden Brüder waren einverstanden. Die Brüder packten alle drei ihre Taschen und begaben sich auf den Weg.

Nach einiger Zeit kamen die drei Brüder in einen anderen Ort und zu einem Agelith. Der Nsäni ging zu dem Agelith und sagte: "Wir sind drei Brüder. Unser Vater und unsere Mutter sind gestorben. Wir haben nichts zu essen. Gib uns Arbeit, damit wir etwas zu essen haben." Der Agelith sagte: "Welche Arbeit versteht ihr denn?' Der Nsäni sagte: "Mein einer Bruder ist Maurer, mein anderer Bruder ist Holzschnitzer. Ich selbst bin ein Nsäni." Der Agelith sagte: "Einen Maurer kann ich gebrauchen. Einen Holzschnitzer kann ich gebrauchen. Einen Nsäni, ja einen Nsäni? Ich weiß nicht, ob ich einen Nsäni gebrauchen kann. Ich werde es mir überlegen. Nachher werde ich zu dir schicken und dir sagen lassen, ob ich einen Nsäni und euch alle drei gebrauchen kann." Der Agelith wußte nämlich nicht, was ein Nsäni ist. Der Agelith ging in sein Haus.

Der Agelith war ein alter Mann, der eine junge Frau hatte. Der Agelith kam zu seiner jungen Frau und sagte: "Es haben mich drei Leute um Arbeit gebeten, ein Maurer, ein Holzschnitzer und ein Nsäni. Ich weiß nicht, was so ein Nsäni macht und ob man ihn



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gebrauchen kann." Die junge Frau wußte sogleich, was ein Nsäni ist, und sagte: "Ein Nsäni hat sich gemeldet? Das ist ausgezeichnet. Wenn ein Nsäni ein tüchtiges Arbeitswerkzeug hat, kann man ihn vorzüglich verwenden. Überlege es dir nicht lange, sondern nimm die drei Leute nur in Arbeit. Der Holzschnitzer und der Maurer können bei dir arbeiten und den Nsäni will ich schon so ausnützen, daß er sein Essen verdient. Spute dich und laß die Leute rufen." Der Agelith sagte: "Was kann der Nsäni nutzen?" Die junge Frau sagte: "So ein Nsäni gewinnt sein Gold im Schlafe. Richte ihm also ein gutes Schlafzimmer her. Für alles andere laß mich nur sorgen." Der Agelith ging.

Der Agelith ließ die drei Brüder kommen. Er gab dem Maurer und dem Holzschnitzer seine Arbeit. Er sagte zum Nsäni: "Ich habe dir ein Zimmer mit einem guten Bett herrichten lassen. Da kannst du deinem Berufe nachgehen." Der Nsäni wurde in ein Zimmer geführt, in dem ein gutes Lager aufgerichtet war. Als die junge Frau des Agelith hörte, daß der Nsäni im Hause war, ließ sie sogleich ein gutes Essen herrichten und sandte dies durch ihre Dienerin herüber.

Die Dienerin brachte das Essen in die Kammer des Nsäni, setzte die Schüsseln nieder und sagte: "Dies sendet dir die junge Frau des Agelith; genieße es!" Der Nsäni sah die Dienerin nicht an und zuckte nur mit den Achseln. Die Dienerin sagte: "Ja, willst du dies denn nicht essen ?" Der Nsäni sagte nichts und schüttelte nur die Achseln. Darauf nahm die Dienerin das Essen wieder auf, ging fort und kehrte mit den Schüsseln zur jungen Frau des Agelith zurück. Die Dienerin sagte: "Der Mann will nicht essen. Er hat mich nicht einmal von der Seite angesehen."

Die junge Frau des Agelith nahm der Dienerin die Schüsseln ab und sagte: "Ich will dem Manne selbst das Essen bringen." Die junge Frau des Agelith trat in die Kammer des Nsäni. Als der Nsäni die junge Frau des Agelith sah, lachte er ihr entgegen und grüßte sie. Die junge Frau des Agelith sagte: "Warum willst du denn nichts genießen? Wenn du ein tüchtiger Nsäni bist, mußt du doch viel essen; sonst taugt doch deine Arbeit nichts." Der Nsäni sagte: "Ich will schon genießen, was mir angenehm ist. Aber ich bin es nicht gewöhnt, von einer Dienerin bedient zu werden. Das Essen allein genügt nicht für meinen Beruf." Die junge Frau des Agelith sagte: "Du bist also ein Nsäni ?" Der Nsäni sagte: "Gewiß bin ich ein Nsäni!" Die junge Frau des Agelith sagte: "Und wie steht es mit deiner Arbeit? Kann man dir ein wertvolles Schmuckstück anvertrauen?"



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Der Nsäni sagte: "Versuche es und du wirst acht Tage lang vor Erstaunen darüber, daß du bislang nicht wußtest, was du Herrliches an dir hast, nicht zur Besinnung kommen."

Die junge Frau des Agelith sagte: "Wenn es so ist, mein Nsäni, so zeige nur gleich einmal, was du kannst." Der Nsäni sagte: "Lege dich hin und hole noch einmal tief Atem." Die junge Frau des Agelith legte sich auf das Lager. Der Nsäni legte sich neben ihr nieder. Nach einiger Zeit war die junge Frau des Agelith ohnmächtig. Als sie aus der Ohnmacht erwachte, sagte sie: "Mein Nsäni, bleibe recht lange bei meinem Manne. Denn mein Mann ist alt und gebrechlich." Der Nsäni sagte: "Das wird nicht gehen, denn ich habe noch anderweitige Aufträge zu erfüllen." Die junge Frau des Agelith sagte: "Ich habe eine goldene Henne, die legt goldene Eier. Die will ich dir schenken, wenn du noch einen Monat lang an meinem Schmuck arbeitest. Außerdem will ich dir noch dreihundert Duro in Gold schenken. Aber, ich bitte dich, bleibe noch einen Monat lang bei mir."

Der Nsäni willigte ein. Er blieb einen Monat lang bei der jungen Frau des Agelith. Die junge Frau des Agelith lag während dieses Monats meistenteils in Ohnmacht. Als der Monat verstrichen war, schenkte sie dem Nsäni die goldene Henne und die dreihundert Duro in Gold. Der Nsäni nahm von ihr Abschied und ging zu seinen Brüdern. Die beiden Brüder sagten zu dem Nsäni: "Wir wollen hier nicht länger bleiben. Wir haben hier gutes Essen, aber der Agelith gibt uns kein Geld." Der Nsäni sagte: "Ich habe meine Arbeit hier auch vollendet. Mir ist es also recht, wenn wir weiter gehen!"

Die drei Brüder machten sich auf den Weg und kamen nach einer langen Wanderung zu dem Orte eines anderen Agelith. Der Nsäni ging zu dem Agelith und sagte: "Wir sind drei Brüder, die haben Vater und Mutter verloren und suchen nun ein Haus, in dem sie ihr Essen erhalten. Wir bitten dich deshalb: gib uns Arbeit!" Der Agelith sagte: "Welche Arbeit könnt ihr denn?" Der Nsäni sagte: "Mein einer Bruder ist Holzschnitzer; mein zweiter Bruder ist Maurer. Ich aber bin ein Nsäni, der sein Geschäft ebensogut versteht, wie meine Brüder das ihrige." Der Agelith sagte: "Einen Maurer und einen Holzschnitzer kann ich gut gebrauchen. Was ich mit einem Nsäni anfangen soll, weiß ich nicht so recht." Der Agelith wußte nämlich nicht, was ein Nsäni ist. Der Nsäni lachte und sagte: "Du weißt nicht, was du mit einem Nsäni anfangen sollst? Nun, du hast doch eine Frau?" Der Agelith sagte: "Gewiß habe ich



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eine; sie ist aber eine alte Frau und läßt mir keine Ruhe; sie wird mich noch vorzeitig ins Grab bringen."

Der Nsäni sagte: "Wenn es so steht, so komme ich dir nur um so gelegener, ohne daß du es weißt. So frage nur deine Frau, ob sie Arbeit für einen Nsäni hat. Wenn du mir aber hundert Duro in Gold gibst, so will ich dafür sorgen, daß deine Frau dich bis an dein Lebensende in Ruhe läßt. Dies darfst du ihr aber nicht sagen, sonst wird sie dich nach dem Charakter der Frauen doppelt plagen." Der Agelith sagte: "Es soll mir recht sein. Warte hier: ich will sehen, ob ich euch eure Arbeit geben kann."

Der Agelith ging zu seiner Frau und sagte: "Da sind drei junge Leute, die suchen eine Stelle, wo sie jeder seine Arbeit verrichten können. Der erste Bruder ist Maurer. Der zweite Bruder ist Holzschnitzer." Die Frau sagte: "Was sollen wir mit den Leuten? Es ist alles in Ordnung und reichlich." Der Agelith sagte: "Das ist auch meine Ansicht. Der dritte Bruder ist ein Nsäni." Die Frau sagte: "Was sagst du? Ein Nsäni? Beim Halse meines Vaters, ich habe mir schon lange einen Nsäni gewünscht, der sein Handwerk versteht. Ja für den ist eine gute Menge Arbeit zu verrichten. Behalte auch den Maurer und Schreiner; sie können in deinem Hause noch manches arbeiten. Beaufsichtige sie nur gut und beobachte, soviel du kannst, ihre Arbeit, daß nichts Ungehöriges vorkommt oder dir Gehöriges fortkommt. Den Nsäni aber sende zu mir, ich will es auf mich nehmen, ihm viel Arbeit und eine gute Aufsicht zuteil werden zu lassen. Laß nur in der Kammer neben mir ein gutes Lager aufschlagen." Der Agelith sagte: "Fürchtest du denn nicht, daß der Nsäni dich belästigen könnte?" Die Frau lachte und sagte: "Man sieht, du bist alt, sonst würdest du wissen, daß man einen Nsäni, wenn er gute Arbeit verrichten soll, immer möglichst nahe bei den Frauen schlafen lassen muß, weil es sonst mit seiner Arbeit nichts wird."

Der Agelith ging zurück und sagte zu dem Nsäni: "Ich werde euch allen dreien Arbeit geben. Geh du nur zu meiner Frau; sie wird dir Arbeit geben und vergiß dein Versprechen nicht. Wenn du dein Versprechen hältst, will ich dich reichlich beschenken." Der Nsäni sagte: "Ist deine Frau sehr alt?" Der Agelith sagte: "Sie ist in dem Alter, in dem die Frauen am schlimmsten sind. Sie wird es dir schwer machen, deine Arbeit zu ihrer Zufriedenheit zu verrichten." Der Nsäni sagte: "Ich werde sehen, was ich machen kann."

Der Nsänj kam zu der Frau. Die Frau war nicht mehr jung. Die



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Frau begrüßte den Nsäni und sagte: "Du bist also ein Nsäni ?" Der Nsäni sagte: "Gewiß bin ich ein Nsäni." Die Frau sagte: "Ich komme in die Jahre, in denen eine Frau noch einmal Freude an ihrem Körper hat und sich danach sehnt, noch einmal zu wiederholen, was ihr im Leben Freude gemacht hat, ehe es aus ist. Willst du mein Nsäni sein? Wenn du mit mir alles wiederholst, was ich erlebt habe, so daß ich nachher keine Wünsche mehr habe, so will ich dir etwas schenken, was sehr kostbar ist. Ich habe ein Pferd (audin) aus Gold, mit goldenem Sattel (tharicht) und goldenem Zaumzeug (älgäm). Dies will ich dir dann schenken." Der Nsäni sagte: "Sieh zu, ob du für einen Monat genug Essen im Hause hast. Wenn das der Fall ist, schließe die Tür und komm."

Nach einem Monat öffnete die Frau die Tür ihres Hauses. Die Frau gab ihm das goldene Pferd mit dem goldenen Sattel und dem goldenen Zaumzeug und sagte: "Ich danke dir. In diesem Monat hast du mich alles noch einmal wiederholen lassen, was ich im Leben an Freude hatte. Du hast mich so müde gemacht, daß ich bis an mein Lebensende schlafen möchte. Mein Mann soll mir nicht wieder nahekommen. Du hast dein Geschenk reichlich verdient. Hab' Dank." Der Nsäni nahm Abschied und sagte: "Ich werde gehen, wenn es mir auch nicht leicht wird, denn du hast mehr von mir verlangt, als sonst viele Männer leisten können. Nun aber weiß ich auch, daß mir in meinem Berufe nichts mehr vorkommen kann, das ich nicht zu bewältigen imstande sein werde."

Der Nsäni ging zu dem Agelith. Er sagte zu dem Agelith: "Gib mir das Geschenk, das du mir versprochen hast." Der Agelith sagte: "Du hast es verdient. In dem ganzen Monat hat meine Frau mich in Ruhe gelassen." Der Nsäni sagte: "Deine Frau wird dich überhaupt in Zukunft in Ruhe lassen." Der Agelith sagte: "Wie hast du das erreicht ?" Der Nsäni sagte: "Der Schmied und der Nsäni taugen nichts, wenn sie über ihr Handwerk sprechen." Der Agelith schenkte dem Nsäni zweihundert Duro in Gold und ließ ihn gehen.

Der Nsäni kam zu seinen Brüdern. Seine Brüder sagten zu ihm: "Wir wollen hier nicht länger bleiben. Wir erhalten vom Agelith unser Essen, aber nicht mehr." Der Nsäni sagte: "Ich bin mit meiner Arbeit fertig, also bin ich auch damit einverstanden, daß wir an einen anderen Ort gehen. Wir wollen aber unsere Wanderung gemächlich fortsetzen, denn die Arbeit an diesem Ort hat mich so erschöpft, daß ich mich unterwegs erholen muß." Die drei Brüder machten sich auf den Weg.



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Nachdem sie lange Zeit auf der Wanderschaft gewesen waren, kamen sie an einen Ort, in dem wohnte ein Agelith, der war ungeheuer reich und hatte eine Tochter, die wollte er keinem Manne zur Frau geben, weil er keinen Mann fand, der dem Agelith an Reichtum und Macht gleichkam. Der Agelith wollte gerade ein großes Haus für seine Tochter bauen lassen, als die drei Brüder ankamen. Der Agelith konnte aber keine Maurer und Holzschnitzer finden. Er bot hohe Bezahlung.

Der Nsäni kam zu dem Agelith und sagte: "Wir sind drei Brüder, deren Vater und Mutter gestorben sind. Nun suchen wir Arbeit und ein Haus, in dem wir essen können." Der Agelith sagte: "Welche Arbeiten versteht ihr ?" Der Nsäni sagte: "Mein einer Bruder ist Maurer: mein zweiter Bruder ist ein Holzschnitzer; ich bin ein Nsäni." Der Agelith sagte: "Deine Brüder sollen ihre Arbeit sogleich beginnen. Ich werde sie gut bezahlen. Und du? Du bist also ein Nsäni; ja Nsäni; was soll ich denn von dir machen lassen?" Der Agelith wußte nicht, was ein Nsäni ist. Der Nsäni sagte: "Die Arbeit der Nsäni wissen nur die Frauen sich zunutze zu machen. Frage also deine Tochter, ob sie für mich etwas zu tun hat."

Der Agelith ging zu seiner Tochter. Seine Tochter lebte in einem Hause, das war mit sieben Türen geschlossen. Der Agelith sagte zu seiner Tochter: "Meine Tochter, da ist ein Nsäni! Hast du Arbeit für ihn?" Die Tochter rief: "Was sagst du da? Ein Nsäni ist da? Du fragst, ob ich Arbeit für ihn habe? Gewiß habe ich Arbeit; soviel, als er ertragen kann. Du willst mich ja doch nicht verheiraten und so muß ich sehen, wie ich an anderen Dingen meine Freude habe. Schicke mir also den Nsäni, so werde ich ihm in meiner Wohnung seine Arbeit, sein Lager und sein Essen geben." Der Agelith ging und sandte den Nsäni zu seiner Tochter.

Die Tochter des Agelith begrüßte den Nsäni und sagte: "Was verstehtst du ?" Der Nsäni sagte: "Ich bin ein Nsäni und verstehe mein Handwerk." Die Tochter des Agelith sagte: "Wir wollen wetten, wer in einer Woche dein Handwerk besser versteht, du oder ich. Wenn du eher ermüdest, will ich dich töten lassen, wenn ich eher ermüde, werde ich dir eine goldene Puppe (thaäljitsch) und eine Kiste voll Gold schenken. Bist du hiermit einverstanden?" Der Nsäni sagte: "Ja, hiermit bin ich einverstanden. Zeige mir das Lager."

Die Tochter des Agelith bereitete dem Nsäni in einer Kammer neben ihrer eigenen ein gutes Lager. Dann sagte die Tochter des Agelith: "So, nun lehre mich dein Handwerk. Ich muß von vorne



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anfangen." Der Nsäni sagte: "Es handelt sich zuerst darum, den Anfang des Fadens in das Ohr der Nadel zu stecken. Wir werden das üben. Der Faden ist vierzehn Knoten (damit ist Handbreite gemeint) lang. Am ersten Tage nehmen wir einen Knoten, am zweiten zwei, am dritten drei. Wenn ich gleich alle vierzehn Knoten durch das Öhr ziehen würde, würdest du sterben. Nun lege dich nieder."

Am ersten Tage fiel die Tochter des Agelith in Ohnmacht. Am zweiten Tage stöhnte die Tochter des Agelith. Am dritten Tage sagte die Tochter des Agelith: "Noch einen Knoten." Am achten Tage rief die Tochter des Agelith: "Alle Knoten! Alle Knoten!" Der Nsäni sagte: "Laß das; ich würde dich töten." Am neunten Tage kam der Agelith und wollte sehen, wie es seiner Tochter gehe. Als er die zweite Türe öffnete, hörte ihn seine Tochter. Sie sprang auf und sagte: "Schnell, springe in diese Truhe" (sanduk oder sandung; natürl. arabisch). Die Tochter des Agelith ließ den Nsäni in die Truhe steigen und schloß über ihn dem Deckel. Der Agelith kam und sprach mit seiner Tochter.

Mittlerweile kam aber dem Nsäni die Angst an und er mußte sein Wasser abschlagen. Das Wasser lief unten aus der Truhe heraus und in die Mitte der Kammer. Der Agelith sagte: "Was ist dies für eine Flüssigkeit?" Die Tochter des Agelith sagte: "Es ist eine Flasche mit Parfüm zerbrochen und ausgelaufen." Der Agelith bückte sich, netzte seinen Finger mit der Flüssigkeit und führte ihn zur Nase. Der Agelith roch an der Flüssigkeit und sagte: "Es ist wahr; dies Parfüm riecht ausgezeichnet." Dann ging der Agelith.

Die Tochter des Agelith öffnete die Truhe und ließ den Nsäni heraussteigen. Die Tochter des Agelith sagte: "Ich habe dir das Leben gerettet." Der Nsäni sagte: "Komm nur; ich will dir auch das Leben retten." Die Tochter des Agelith sagte: "Ja, tue es; und wenn du mich jetzt nicht ohnmächtig machst, lasse ich dich töten." Nach einiger Zeit war die Tochter des Agelith ohnmächtig. Als sie wieder zu sich kam, war sie so schwindelig, daß sie nicht gehen konnte. Die Tochter des Agelith sagte: "Du hast gewonnen. Nimm die Puppe aus Gold und den Kasten mit Gold. Ich danke dir. Wenn mich nun mein Vater auch nicht verheiratet, so habe ich doch etwas, woran ich mit Freude zurückdenken kann. Hab' Dank."

Der Nsäni nahm die Puppe und den Kasten voll Gold. Er nahm von der Tochter des Agelith Abschied und ging zu seinen Brüdern. Er sagte: "Meine Brüder, wir haben an diesem Orte nun alle verdient.



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Wir wollen zusammen weiter gehen und sehen, wo wir unser Gold nützlich anlegen können." Die Brüder waren damit einverstanden. Sie packten das ihrige zusammen. Sie brachen auf und wanderten weit fort. Sie wanderten, bis sie an einen Kreuzweg (asmelin ibäthän) kamen. An dem Kreuzwege nahmen sie voneinander Abschied und jeder ging seinen eigenen Weg.

Nach einer langen Wanderung kam der Nsäni in eine große Stadt, in der war eine Frau die Thägeliths (thägeliths = Fürstin, weibliche Form von Agelith). Die Fürstin war noch sehr jung. Sie hatte vor einiger Zeit einen Agelith zum Manne genommen, dieser war aber in der Hochzeitsnacht gestorben und nun lebte die junge Thägeliths als Witwe (thätschelt). Die Leute erzählten dem Nsäni viel von der Schönheit und Jugend der Thägeliths.

Der Nsäni hörte das alles und sagte bei sich: "Hier ist der beste Platz für mich. Hier werde ich bleiben." Der Nsäni mietete sich ein Haus, das lag mit der Rückwand neben dem Hause der Thägeliths. Als es Abend war, begann der Nsäni zu hämmern. Er hämmerte die ganze Nacht hindurch. Er hämmerte immer gegen die Mauer, hinter der auf der anderen Seite die junge Thägeliths schlief. Die junge Thägeliths konnte die ganze Nacht nicht schlafen.

Die Thägeliths rief am andern Morgen ihre alte Negerin und sagte zu ihr: "Gehe sogleich in das Haus auf der anderen Seite der Mauer und sieh zu, wer es gewagt hat, die ganze Nacht über so zu hämmern daß ich nicht schlafen konnte. Ich will den Mann schlagen." Die Negerin machte sich sogleich auf den Weg. Sie kam zu dem Nsäni. Als sie bei dem Nsäni eintrat, sah sie sogleich das goldene Huhn, das goldene Eier legen konnte. Die alte Negerin schlug die Hand vor den Mund und blieb sprachlos stehen.

Der Nsäni begrüßte die Negerin und sagte: "Nun, meine Mutter, was führt dich hierher?" Die alte Negerin sagte: "Die junge Thägeliths schickt mich; ich soll sehen, wer hier die ganze Nacht hindurch gehämmert hat, so daß sie nicht hat schlafen können." Der Nsäni sagte: "Das habe ich getan. Ich habe in dieser Nacht das goldene Huhn gemacht, das goldene Eier legen kann. Solche Arbeiten kann man nicht bei Tage machen. Das muß ich nachts machen." Die alte Negerin sagte: "Daß man solche Dinge überhaupt machen kann! Ich muß es der jungen Thägeliths erzählen."

Die alte Negerin kam zu der jungen Thägeliths zurück und erzählte ihr alles. Die alte Negerin sagte: "So etwas Schönes, wie dieses goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, gibt es auf der



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ganzen Welt nicht. Das goldene Huhn gehört in dein Haus und in kein anderes. Aber es wird schwer sein, es dem Manne abzukaufen, denn er ist reicher, als du bist." Die junge Thägeliths wurde begierig auf den Besitz des goldenen Huhnes, das goldene Eier legen konnte, und sagte zu der alten Negerin: "So gehe zurück und frage den Mann, was er für das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, haben will. Ich will es ihm abkaufen." Die alte Negerin kam zu dem Nsäni zurück.

Die alte Negerin sagte zu dem Nsäni: "Die junge Thägeliths will dir das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, abkaufen. Was willst du dafür bezahlt haben?" Der Nsäni sagte: "Das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, ist mir für Gold nicht feil. Ich will es aber der jungen Thägeliths schenken, wenn sie mir erlaubt, ihre Beine von den Zehen bis zu den Knien zu betrachten. Das ist alles. Erlaubt sie mir dies, so will ich ihr das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, schenken."

Die alte Negerin kam zu der jungen Thägeliths zurück und sagte: "Der Mann will dir das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, schenken, wenn du ihm erlaubst, deine Beine von den Zehen bis über die Knie zu betrachten." Die junge Thägeliths wurde wütend und rief: "Dies ist ein Unverschämter! Ich will ihn sogleich töten lassen." Die alte Negerin sagte: "Wenn du das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, gesehen hättest, würdest du nicht auf den Gedanken kommen, ihn töten zu lassen, sondern würdest ihm deine Beine zeigen. Was schadet und kostet dich dies?! Es hört ja kein Mensch. Und es ist das Schönste, was es auf der Welt gibt." Die junge Thägeliths sagte: "So sage dem Manne, er soll das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, hierherbringen und mir zeigen, aber kaufen will ich es nicht."

Die alte Negerin lief zurück und berichtete dem Nsäni. Der Nsäni nahm das goldene Huhn, das goldene Eier legen konnte, und ging zu der jungen Thägeliths hinüber. Die junge Thägeliths sah das goldene Huhn, das goldene Eier legen konnte, und sagte: "Du willst dies also verkaufen?" Der Nsäni sagte: "Ja, ich will es. Du kennst den Preis." Da entblößte die junge Thägelith ihre Beine bis über die Knie. Der Nsäni betrachtete die Beine der jungen Thägeliths, bedankte sich und kehrte dann ohne das goldene Huhn, das goldene Eier legen konnte, in sein Haus zurück.

Als es wieder Abend wurde, begann der Nsäni wieder an der Wand, hinter der die junge Thägeliths schlief, zu hämmern. Er hämmerte



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bis zum anderen Morgen, so daß die junge Thägeliths wieder die ganze Nacht nicht schlafen konnte und am anderen Morgen die alte Negerin schickte, um nachsehen zu lassen, was die Ursache der Störung sei. Als die alte Negerin zu dem Nsäni kam, sah sie die goldene Puppe. Die alte Negerin erschrak über die Schönheit der goldenen Puppe so, daß sie die Hand vor den Mund schlug, eine Zeitlang sprachlos stehenblieb und dann, ohne ein Wort zu sagen, wieder fortlief.

Die alte Negerin kam zu der jungen Thägeliths zurück und sagte: "Das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, ist sehr schön. Die goldene Puppe, die der Mann aber in dieser Nacht zurechtgefertigt hat, ist noch viele, viele Male schöner. Diese goldene Puppe mußt du haben." Die junge Thägeliths sagte: "So gehe herüber und frage den Mann nach dem Preise. Vielleicht will er wieder nur meine Beine sehen. Und ob ich ihm diese ein- oder zweimal zeige, ist gleichgültig."

Die alte Negerin kam zu dem Nsäni zurück und sagte: "Die junge Thägeliths will die goldene Puppe kaufen. Was willst du dafür haben?" Der Nsäni sagte: "Die goldene Puppe ist mir für Gold nicht feil. Wenn mir aber die junge Thägeliths ihren Oberkörper von oben bis über die Brust herab entblößt zeigen will, will ich ihr gerne die goldene Puppe schenken." Die alte Negerin lief zurück zur jungen Thägeliths und sagte: "Der Mann will dir die goldene Puppe schenken, wenn du ihm deinen Oberkörper bis unter die Brust herab entblößt zeigen willst." Die junge Thägeliths sagte: "Dieser Mann ist wahrhaftig gierig. Hältst du es aber für schlimm, wenn ich ihm jetzt den Oberkörper bis unter die Brust entblößt zeige, nachdem ich ihm vorher die Beine bis über die Knie nackt gezeigt habe ?" Die alte Negerin sagte: "Es ist keineswegs schlimmer, denn die goldene Puppe ist noch schöner als das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann." Die junge Thägeliths sagte: "So rufe den Mann, damit ich mir erst einmal die goldene Puppe ansehen kann."

Die alte Negerin lief zu dem Nsäni zurück und sagte: "Komme und zeige der jungen Thägeliths deine goldene Puppe." Der Nsäni nahm seine goldene Puppe und ging zu der jungen Thägeliths hinüber. Als die junge Thägeliths die goldene Puppe sah, entkleidete sie sogleich den Oberkörper bis über die Brust herab. Der Nsäni betrachtete den Oberkörper der jungen Thägeliths bis über die Brust herunter, bedankte sich, ließ seine goldene Puppe zurück und ging in sein Haus zurück.

Als es wieder Abend war, begann der Nsäni wieder an der Mauer,



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hinter der die junge Thägeliths schlief, zu hämmern und hämmerte die ganze Nacht hindurch, so daß die junge Thägeliths nicht schlafen konnte. Als es Morgen war, rief die junge Thägeliths die alte Negerin und sagte: "Schnell, lauf hinüber und berichte mir, was der Mann nun wieder gehämmert hat. Frage ihn auch sogleich, was er dafür sehen will."

Die alte Negerin lief in das Haus des Nsäni. Sie blieb in der Türe stehen. Der Nsäni hatte das goldene Pferd mit dem goldenen Sattel und dem goldenen Zaumzeug aufgestellt. Die alte Negerin wollte sogleich wieder fortlaufen. Dann fiel ihr ein, was die junge Thägeliths ihr gesagt hatte. Die alte Negerin sagte: "Was willst du für das goldene Pferd mit dem goldenen Sattel und dem goldenen Zaumzeug sehen ?" Der Nsäni sagte: "Die geöffneten Beine."

Die alte Negerin lief zurück zu der jungen Thägeliths und sagte: "Es ist ein goldenes Pferd mit einem goldenen Sattel und einem goldenen Zaumzeug. Das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann und die goldene Puppe sind ein Mist dagegen. Er will nur deine geöffneten Beine sehen." Die junge Thägeliths sagte: "Lauf schnell zurück und bring mir den Mann mit dem goldenen Pferd, dem goldenen Sattel und dem goldenen Zaumzeug." Die alte Negerin lief zurück zu dem Nsäni und sagte: "Nimm dein goldenes Pferd mit dem goldenen Sattel und dem goldenen Zaumzeug und komme mit zur jungen Thägeliths."

Der Nsäni nahm das goldene Pferd mit dem goldenen Sattel und dem goldenen Zaumzeug und ging mit der alten Negerin zu der jungen Thägeliths. Die junge Thägeliths sah das goldene Pferd mit dem goldenen Sattel und dem goldenen Zaumzeug und sagte: "Sieh dir an, was du willst." Der Nsäni blickte zwischen die geöffneten Beine der jungen Thägeliths, schüttelte den Kopf und sagte: "Wie schade!" Die junge Thägeliths sagte: "Was ist schade ?" Der Nsäni sagte: "Es ist schade, daß deine Ischenfiren (Vagina) verdreht sitzt. Es müßte umgearbeitet werden. Sieh dir es selbst im Spiegel an." Danach bedankte sich der Nsäni, ließ das goldene Pferd mit dem goldenen Sattel und dem goldenen Zaumzeug bei der jungen Thägeliths zurück und ging in sein Haus.

Die junge Thägeliths sprang auf und holte einen Spiegel. Sie legte ihn auf die Erde und trat mit gespreizten Beinen darüber. Die junge Thägeliths erschrak. Sie sah ihre Ischenfiren umgekehrt im Spiegel. Sie erschrak so, daß sie sich auf das Bett werfen mußte und weinte. Die alte Negerin kam herein und fragte: "Was weinst



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du?" Die junge Thägeliths sagte: "Meine Ischenfiren sitzt umgekehrt. Der geschickte Mann hat es auch gesehen und gesagt, meine Ischenfiren müßte umgearbeitet werden. Wer kann mir nun aber meine Ischenfiren umarbeiten?"

Die alte Negerin sagte: "Wer das kann? Der geschickte Mann, der das goldene Huhn, das goldene Eier legen kann, die goldene Puppe und das goldene Pferd mit dem goldenen Sattel und das goldene Zaumzeug machen konnte, der kann dir sicherlich auch deine Ischenfiren umarbeiten." Die junge Thägeliths sagte: "Du hast recht; geh hinüber zu dem geschickten Manne und frage ihn, ob er es tun will."

Die alte Negerin kam zu dem Nsäni und fragte ihn: "Die junge Thägeliths läßt dich fragen, ob du ihre verdrehte Ischenfiren umarbeiten kannst und willst." Der Nsäni sagte: "Das kann ich schon. Das ist aber eine Arbeit, zu der ich acht Tage brauche. Frage die junge Thägeliths, ob ihr das nicht zu lange ist. In kürzerer Zeit kann es niemand machen." Die alte Negerin sagte: "Komm nur gleich mit und besprich es mit meiner Herrin."

Der Nsäni ging zur jungen Thägeliths. Die junge Thägeliths weinte und sagte: "Antworte nur schnell, ob du meine verdrehte Ischenfiren umarbeiten willst, und dann fange an." Der Nsäni sagte: "Ich kann es." Der Nsäni begann die junge Thägeliths zu streichen und zu reiben (Massage elzeph). Die junge Thägeliths sagte: "Das ist angenehm." Dann fiel die junge Thägeliths in Ohnmacht. Die junge Thägeliths stöhnte in der Ohnmacht und sagte nur: "Noch mehr! Noch mehr!" Der Nsäni lag acht Tage bei der jungen Thägeliths. Da erwachte sie und sagte: "Ist die Ischenfiren denn nun richtig herumgedreht ?" Der Nsäni sagte: "Das kannst du daran sehen, ob der Deckel auf den Korb paßt." Die junge Thägeliths sagte: "So decke schnell noch einmal den Deckel auf den Korb." Die junge Thägeliths stöhnte und sagte: "Ach, wie gut der Deckel auf den Korb paßt!"

Die junge Thägeliths heiratete den Nsäni. Der Nsäni wurde der Agelith der Stadt. Die junge Frau liebte ihren Mann über alles. Sie sagte: "Ich habe ein goldenes Huhn, das goldene Eier legen kann; ich habe eine goldene Puppe; ich habe ein goldenes Pferd mit einem goldenen Sattel und goldenem Zaumzeug. Dann habe ich aber auch noch einen Korbdeckel. Und der ist das Beste von allem."

Der Agelith gewordene Nsäni saß oft zu Gericht. Eines Tages führte man ihm zwei Männer vor, die verarmt und verkommen



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waren, weil sie es mit ihrer Arbeit zu nichts gebracht hatten. Es waren seine beiden Brüder, der Maurer und der Holzschnitzer. Der Nsäni nahm sie in die Stadt auf und gab ihnen gute Frauen.


Copyright: arpa, 2015.

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