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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Esel, Tisch und Knüppel

Ein junger Mensch namens Jack war einmal sehr unglücklich zu Hause, weil sein Vater ihn schlecht behandelte, so daß er fortzulaufen beschloß und sein Glück draußen in der Welt suchen wollte. Er lief und lief, bis er nicht mehr weiter konnte und einer kleinen alten Frau fast in die Arme fiel, die Holz sammelte. Er war so außer Atem, daß er sich nicht einmal entschuldigen konnte, aber es war eine sehr freundliche Frau, die meinte, er wäre gewiß ein ordentlicher Bursche, und so wolle sie ihn in ihre Dienste nehmen und dafür gut bezahlen. Er war einverstanden, denn er hatte großen Hunger. Sie führte ihn zu ihrem Haus im Walde, wo er zwölf Monate und einen Tag diente. Als die Zeit um war, rief sie ihn zu sich und sagte, sie habe guten Lohn für ihn. Sie beschenkte ihn mit einem Esel aus ihrem Stall, und Jack brauchte nur Nells Ohren zu kraulen, damit dieser i-ah rief. Und wenn er so schrie, fielen aus seinem Maul silberne Sechspencestücke und halbe Taler und Golddukaten. Der Bursche war über diesen Lohn recht froh und wanderte weiter, bis



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er ein Wirtshaus erreichte. Hier bestellte er vom Besten, was es gäbe, und als der Wirt sich weigerte, ihm etwas zu bringen, wenn er nicht vorher bezahle, ging er in den Stall, kraulte seines Esels Ohren und hatte auch schon die Tasche voll Geld. Der Wirt hatte das alles durch einen Türspalt beobachtet, und in der folgenden Nacht vertauschte er einen seiner gewöhnlichen Esel mit dem kostbaren Neu des armen Jungen. Also machte sich Jack, der ja nichts von der Vertauschung wußte, am nächsten Morgen nach seines Vaters Haus auf den Weg. Nun muß ich aber noch berichten, daß in seiner Heimat eine arme Witwe mit ihrer einzigen Tochter lebte. Der junge Bursche und das Mädchen waren treue Freunde und Liebende, doch als Jack seinen Vater bat, das Mädchen heiraten zu dürfen, war die Antwort: »Du wirst niemals so viel Geld haben, um sie ernähren zu können.« — »Jetzt habe ich es, Vater!« rief der heimgekehrte Bursche, ging zu dem Esel und kraulte seine langen Ohren. Ja, er kraulte und kraulte —aber der Esel schrie zwar ein 1-ah nach dem anderen, ließ aber weder halbe Taler noch ganze Dukaten fallen. Der Vater griff nach einer Heugabel und jagte seinen Sohn aus dem Hause. Ich kann euch sagen, der ist aber gerannt! Er lief und lief, bis er gegen eine Tür knallte und hineinpurzelte, und das war nun eine Tischlerei.

»Du bist ein netter Bursche«, sagte der Tischler, »arbeite bei mir zwölf Monate und einen Tag, und ich will dich gut bezahlen.« Er war einverstanden und arbeitete bei dem Zimmermann ein Jahr und einen Tag.

»Nun sollst du deinen Lohn haben«, sagte der Meister und gab ihm einen Tisch mit der Erklärung, er brauche nur zu sagen: »Tischlein deck dich«, dann würde der Tisch mit einer Menge schönster Dinge zum Essen und Trinken bedeckt sein.

Jack packte sich den Tisch auf den Rücken und ging los, bis er zum Gasthof kam. »Los, Wirt«, rief er, »ein Essen, und zwar vom Besten!«

»Tut mir leid, aber es ist nichts im Haus als Schinken und Eier.« »Was, nur Schinken und Eier!« rief Jack aus. »Da kann ich Besseres leisten! —Komm, mein Tischlein, deck dich!«

Und eins, zwei drei, stand der Tisch voller Truthahn und Würsten,



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geröstetem Hammelfleisch, Kartoffeln und Gemüsen. Der Wirt riß die Augen auf, sagte aber kein Wort, nein, nicht ein einziges.

Inder Nacht aber holte er vom Boden einen Tisch, der dem von Jack ähnlich sah, und vertauschte die beiden. Jack, keineswegs klüger geworden, nahm sich am anderen Morgen den wertlosen Tisch auf den Rücken und schleppte ihn nach Hause. »Nun, Vater, darf ich jetzt meine Liebste heiraten?« fragte er.

»Nur wenn du sie ernähren kannst!« antwortete der Vater.

»Sieh denn hier, Vater!«rief Jack aus. »Ich habe einen Tisch, der alles auffährt, was ich verlange.«

»Zeig es mir«, sagte der alte Mann.

Der Bursche setzte den Tisch mitten in die Stube und verlangte, er solle sich decken. Aber vergeblich. Der Tisch blieb leer. Wütend riß der Vater die noch heiße Bratpfanne von der Wand herunter und wärmte damit den Rücken seines Sohnes derart, daß der Bursche heulend aus dem Hause floh und rannte und rannte, bis er einen Fluß erreichte, in den er sich hineinstürzte. Ein Mann holte ihn heraus und bat um seine Hilfe beim Bau einer Brücke über den Fluß. Der Bursche legte einen Baumstamm darüber, kletterte in den Baumwipfel und beschwerte ihn durch sein Gewicht, so daß, als der Mann den Baum umlegte, Jack und Baumwipfel auf die andere Uferseite fielen.

»Ich danke dir«, sagte der Mann. »Und nun sollst du auch für deine Arbeit bezahlt werden.« Damit brach er einen Ast von dem Baum und gab ihm mit seinem Messer die Form einer Keule. »Hier«, sagte er, »nimm diesen Knüppel. Und wenn du zu ihm sagst: >Los, Knüppel, schlag zu!<, wird er jeden niederschlagen, der dich erzürnt.« Über diesen Knüppel freute sich Jack ganz besonders, denn jetzt ging er sofort in jenes Wirtshaus zurück, und sobald der Wirt kam, rief Jack nur: »Los, Knüppel, schlag zu!« Und schon flog der Knüppel aus seiner Hand und verprügelte den Rücken des alten Bösewichts, schlug ihn auf den Schädel, sauste nur so seine Arme entlang, bearbeitete seine Rippen, bis er schreiend zu Boden fiel, und so lange ließ Jack den Knüppel auf den am Boden Liegenden herumtanzen, bis dieser ihm den gestohlenen Esel und Tisch wiedergab. Dann



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jagte Jack, den Tisch auf der Schulter, den Knüppel in der Hand, den Esel am Seil, heimwärts. Als er zu Hause anlangte, war sein Vater inzwischen gestorben. Er brachte den Esel in den Stall und kraulte ihm so lange die Ohren, bis die Krippe voller Geld lag.

Die Kunde, daß Jack im Geld schwimmend zurückgekommen sei, hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet, und alle Mädchen warfen nun ihre Netze nach ihm aus. »Nun«, sagte Jack, »ich will das reichste Mädchen von hier heiraten. Also stellt euch morgen alle vor meinem Hause auf mit eurem Geld in der Schürze.«

Am nächsten Morgen war die Straße voll von Mädchen mit umgebundenen Schürzen, in denen Gold und Silber lag. Auch Jacks Liebste war unter ihnen. Sie hatte aber weder Gold noch Silber, nichts als zwei Kupferpfennige. Das war alles, was sie besaß.

»Stell dich beiseite, Mädchen«, sagte Jack zu ihr in scheinbar barschem Ton. »Du hast weder Gold noch Silber, tritt zurück von den anderen.« Sie gehorchte, während ihr Tränen die Wange entlangliefen und ihre Schürze mit reinen Diamanten füllten.

»Los, Knüppel, schlag zu!« rief Jack, und der Knüppel sprang los und raste die Mädchenreihe entlang und schlug sie, bis sie bewußtlos zu Boden fielen. Jack nahm all ihr Geld und gab es seiner Treugeliebten. »Nun, Liebste«, rief er, »du bist die reichste, und nur dich will ich heiraten.«


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