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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Das Nüsse knackende Käthchen

Es waren einmal ein König und eine Königin, so wie es sie in vielen Ländern gibt. Der König hatte eine Tochter namens Ännchen, und die Königin hatte eine namens Käthchen. Doch Ännchen war viel hübscher als die Tochter der Königin. Die beiden liebten sich innig wie richtige Schwestern. Die Königin war neidisch auf die Tochter des Königs, weil die so viel schöner als ihre eigene war, und sann darauf, diese Schönheit zu vernichten. Sie erbat eine Zauberin zur Hilfe. Zu der sollte sie das Mädchen am nächsten Morgen schicken, bevor es etwas gegessen hatte.

Drum sagte die Königin am nächsten Tag in der Frühe zu Ännchen: »Mein Kind, gehe gleich zur Zauberin in der Bergschlucht und bitte sie um ein paar Eier.« Ännchen machte sich auf; doch als sie durch die Küche ging, lag da eine Brotkruste, und Ännchen nahm sie und knabberte sie unterwegs auf. Als sie zur Zauberin kam, bat Ännchen um Eier, wie es ihr aufgetragen worden war. Die Zauberin sagte: »Nimm den Deckel von dem Topf da ab und schau nach!« Das Mädchen tat es, aber nichts geschah. »Geh heim zu deiner lieben Mutter und sage ihr, sie solle besser auf ihre Speisekammer aufpassen!« sagte die Zauberin. Also ging Ännchen nach Hause und richtete der Königin aus, was die Zauberin ihr aufgetragen hatte. Nun wußte die Königin, daß das Mädchen etwas gegessen hatte, paßte am nächsten Morgen scharf auf und schickte sie nüchtern fort. Aber Ännchen traf auf ihrem Wege einige Landleute, die Erbsen pflückten, und sprach freundlich mit ihnen, nahm eine Handvoll Erbsen und aß sie unterwegs.

Als sie zur Zauberin kam, sagte diese: »Heb den Deckel vom Topf, und da wirst du was sehen.« Ännchen hob den Deckel hoch, aber nichts geschah. Da wurde die Zauberin richtig böse und sagte zu Annchen: »Sag deiner Mutter, der Topf kann nicht kochen, wenn kein Feuer darunter brennt!« Ännchen ging heim und richtete das der Königin aus.

Am dritten Tag ging die Königin selber mit dem Mädchen zur Zaubenn. Nun, als Ännchen diesmal den Deckel abhob, fiel ihr eigener



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hübscher Kopf hinein, und heraus sprang statt seiner ein Schafskopf.

Jetzt war die Königin sehr zufrieden und wandte sich beruhigt nach Hause.

Ihre eigene Tochter indessen, Käthchen, nahm ein hauchfeines leinenes Gespinst, wickelte es um den Kopf ihrer Schwester, nahm diese bei der Hand, und sie gingen zusammen fort, um draußen in der Welt ihr Glück zu versuchen. Sie gingen und gingen und gingen, bis sie zuletzt zu einem Schloß kamen. Käthchen klopfte an und bat für sich und ihre kranke Schwester um ein Nachtlager. Sie wurden eingelassen und hörten, es sei das Schloß eines Königs, der zwei Söhne hatte, von denen der eine sterbenskrank dahinsieche und niemand mehr ein Heilmittel für ihn wisse. Und das Merkwürdige dabei war, daß, wer auch immer eine Nachtwache bei ihm hielt, niemals wieder gesehen wurde. Deswegen hatte der König jedem, der bei dem Prinzen wachen wollte, eine Menge Silber versprochen. Nun war Käthchen ein braves und furchtloses Mädchen und erklärte sich bereit, bei ihm zu wachen.

Bis Mitternacht ging alles gut. Doch als die Uhr zwölf schlug, erhob sich der Prinz, zog sich an und schlich die Treppe hinunter. Käthchen folgte ihm, doch schien er sie gar nicht zu sehen. Der Prinz ging zum Stall, sattelte sein Pferd, rief seinen Hund, sprang auf, und Käthchen sprang schnell hinter ihn.

Dahin ritt der Prinz und mit ihm Käthchen durch den lichten Wald. Im Vorbeireiten pflückte Käthchen allerlei Nüsse von den Bäumen und füllte sie in ihre Schürze. Sie ritten immerzu, bis sie zu einem grünen Hügel kamen. Der Prinz hielt an und rief: »Offne dich, öffne dich, grüner Hügel, und laß den jungen Prinzen herein mit seinem Pferd und seinem Hund!«Und Käthchen fügte schnell hinzu: »Und mit seinem Fräulein hinter sich.«

Sofort tat sich der grüne Hügel auf, und sie kamen hinein. Der Prinz betrat einen herrlich strahlenden Saal, und viele wunderschöne Feen umringten ihn, die ihn zum Tanz aufforderten. Käthchen, die von niemandem bemerkt worden war, verbarg sich inzwischen hinter der Tür. Von da sah sie den Prinzen tanzen und tanzen und tanzen,



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bis er nicht länger zu tanzen vermochte und ohnmächtig auf eine Lagerstatt fiel. Gleich fächelten die Feen ihm stets so viel Erfrischung zu, daß er wieder aufstehen und von neuem tanzen konnte.

Zuletzt krähte der Hahn, und der Prinz hastete zu seinem Pferd. Käthchen sprang wieder hinter ihm auf, und heimwärts ritten sie. Als die Sonne aufging, kam man in das Zimmer des Prinzen und fand das Käthchen am Feuer sitzen und Nüsse knacken. Sie sagte, der Prinz habe eine gute Nacht gehabt, doch sie wolle nur nochmals für ihn wachen, wenn man ihr dafür eine Menge Gold gäbe. Die zweite Nacht verging genau wie die erste. Der Prinz erhob sich um Mitternacht und ritt fort zu dem grünen Hügel zum Ball der Feen, und Käthchen ritt mit ihm und pflückte Nüsse, wenn sie durch den Wald kamen. Diesmal beobachtete sie den Prinzen nicht länger, denn sie wußte, er würde tanzen und tanzen und tanzen. Aber sie sah ein Feenkind mit einem Zauberstab spielen und erlauschte, wie eine der Feen sagte: »Drei Schläge mit diesem Zauberstab würden Käthchens kranke Schwester wieder so schön wie früher machen.« Daraufhin ließ Käthchen Nüsse zu dem Feenkind rollen und immer neue hinrollen, bis das Kind zuletzt doch hinter den Nüssen herlief und dabei den Stab verlor, den Käthchen schnell an sich nahm und in ihrer Schürze barg. Beim Hahnenschrei ritten sie wieder davon, und gleich als Käthchen in ihr Zimmer kam, berührte und schlug sie Ännchen dreimal mit dem Zauberstab, und der gräßliche Schafskopf fiel ab, und sie war wieder sie selbst, zart und schön. Noch eine dritte Nacht zu wachen, war Käthchen nur bereit, wenn man ihr den kranken Prinzen zum Gemahl geben wolle. Alles geschah wieder wie in den zwei Nächten zuvor. Diesmal spielte das Feenkind mit einem Vögelchen, und Käthchen erlauschte, wie eine der Feen sagte: »Drei Bissen von diesem Vögelchen würden den Prinzen wieder ganz gesund machen und unseren Zauber brechen.« Käthchen rollte alle Nüsse, die sie hatte, auf das Feenkind zu, bis es das Vögelchen hinwarf und Käthchen es schnell in ihre Schürze steckte.

Wieder brachen sie beim ersten Hahnenschrei auf. Aber anstatt wie sonst Nüsse zu knacken, rupfte Käthchen das Vögelchen und kochte es dann. Sofort verbreitete sich ein herrlicher Ruch. »Ach!« rief der



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kranke Prinz. »Ich wünschte, ich bekäme nur einen einzigen Bissen von diesem Vögelchen«, woraufhin Käthchen ihm einen Bissen gab —und er stützte sich auf seinen Ellbogen hoch. Bald rief er wieder: »Wenn ich doch nur einen Bissen von diesem Vögelchen bekäme!«, und Käthchen gab ihm einen zweiten Bissen - und er konnte im Bett aufrecht sitzen. Und wieder bat er: »Ach, wenn ich doch nur noch einen dritten Bissen von diesem Vögelchen hätte!« Nun gab Käthchen ihm auch den dritten Bissen - und er wurde sofort gesund und stark und zog sich an und setzte sich ans Feuer. Und als die Leute am nächsten Morgen nachsehen kamen, sahen sie, wie Käthchen und der junge Prinz miteinander Nüsse knackten.

Inzwischen hatte sein Bruder Ännchen gesehen und sogleich liebgewonnen, wie es ja jedem erging, der ihr schönes und helles Gesicht sah. So heiratete der kranke Sohn die gesunde Schwester, und der gesunde Sohn heiratete die kranke Schwester, und alle lebten sie glücklich.


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