Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES KÖNIGS 'OMAR IBN EN-NU'MÂN UND SEINER SÖHNE SCHARKÂN UND DAU EL-MAKÂN UND DESSEN, WAS IHNEN WIDERFUHR AN MERKWÜRDIGKEITEN UND SELTSAMEN BEGEBENHEITEN

Der König fragte: »Wie ist denn ihre Geschichte? «, und sie erwiderte: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß in Baghdad vor dem Kalifat des 'Abd el-Melik ibn Merwân ein König herrschte, der hieß 'Omar ibn en-Nu'mân; er gehörte zu den gewaltigen Recken, und er hatte die persischen Könige und die oströmischen Kaiser besiegt. Keiner konnte ihm nahen in seines Zornes Glühn; und niemand wagte es,



1000-und-1_Vol-01-501 Flip arpa

wider ihn auf den Kampfplatz zu ziehn; wenn er ergrimmte, sah man aus seinen Nüstern Funken sprühn. Er war König aller Länder, und Gott hatte ihm alle Menschheit unterstellt, und sein Befehl galt überall in der ganzen Welt. Seine Heere waren bis in die fernsten Länder vorgedrungen; Ost und West und die Länder, die dazwischen lagen, waren seiner Herrschaft untertan: das nahe und das fernere Indien, China, das Land des Hidschâz und das Land Jemen, die Inseln von Hinterindien und China, das Land des Nordens mit Mesopotamien, der Sudan und die Inseln des Weltmeeres und auch die weitberühmten Ströme der Erde, wie der Jaxartes und der Oxus, der Nil und der Euphrat. Er schickte seine Gesandten in die fernsten Hauptstädte, auf daß sie ihm getreulich Bericht erstatteten. Die kehrten dann heim und brachten ihm Nachricht vom Walten der Gerechtigkeit, von der Botmäßigkeit und Sicherheit und von den Gebeten für den Sultan 'Omar ibn en-Nu'mân. Es war, o größter König unserer Zeit, seine Abkunft von hochedler Vornehmheit; Geschenke, Kleinodien und Tribut wurden ihm gebracht von weit und breit. Nun hatte er einen Sohn namens Scharkân, der von allen Menschen seinem Vater am meisten ähnlich war; denn er wuchs heran als ein Schrecken der Zeit, besiegte die Männer der Tapferkeit und vernichtete die Gegner im Streit. Darum brachte ihm sein Vater eine so große Liebe entgegen, wie sie nicht übertroffen werden konnte, und machte ihn zum Erben des Königreiches nach seinem Tode. Dieser Prinz wuchs also auf, bis er das Mannesalter erreicht hatte und zwanzig Jahre alt war; und Gott unterwarf ihm alle Kreatur, da er wie ein gewaltiges Unwetter im Streite herniederfuhr. Sein Vater, 'Omar ibn en-Nu'mân, hatte vier Frauen, die ihm rechtmäßig angetraut waren; aber ihm war von ihnen kein Sohn geschenkt, außer allein Scharkân, den er mit der einen



1000-und-1_Vol-01-502 Flip arpa

von ihnen gezeugt hatte, während die anderen unfruchtbar waren und ihm kein einziges Kind schenkten. Ferner hatte er dreihundertundsechzig Nebenfrauen, nach der Zahl der Tage des koptischen Jahres, und die waren von allen Nationen. Einer jeden von ihnen hatte er ein eigenes Zimmer herrichten lassen; und diese Zimmer waren in dem Bezirk seines Palastes. Denn er hatte nach der Zahl der Monate zwölf Schlösser bauen und in einem jeden Schlosse dreißig Zimmer herrichten lassen; so waren es im ganzen dreihundertundsechzig Zimmer, und jene Nebenfrauen wohnten in diesen Zimmern. Er teilte einer jeden von ihnen eine Nacht zu, die er bei ihr verbrachte, und dann kam er ein volles Jahr nicht wieder zu ihr; in dieser Weise lebte er eine lange Zeit. Derweilen nun wurde Scharkân in aller Welt berühmt, und sein Vater freute sich über ihn; er nahm zu an Macht, Übermut und Stolz und eroberte alle Festungen und Städte. Nun wurde nach dem Beschluß der Vorsehung eine der Sklavinnen des 'Omar ihn en-Nu'mân schwanger; als ihre Schwangerschaft im Harem gemeldet wurde und der König davon erfuhr, war er hocherfreut und sprach: ,Hoffentlich werden alle meine Nachkommen und Sprößlinge männlich sein!' Er verzeichnete den Tag ihrer Empfängnis und begann sie freundlich zu behandeln. Doch als auch Scharkân davon erfuhr, wurde er besorgt und nahm sich die Sache zu Herzen; denn er dachte: ,Jetzt wird einer zur Welt kommen, der mir die Herrschaft streitig machen wird! ',und bei sich selber sagte er: ,Wenn diese Nebenfrau einen Knaben gebiert, so will ich ihn töten'; aber erhielt diese Absicht tief im Herzen verborgen. So also stand es um Scharkân. Mit dem Mädchen aber stand es so: Sie war eine Griechin, namens Sophia, und der König von Kleinasien und Herr von Cäsarea hatte sie dem König 'Omar als Geschenk geschickt, und mit ihr hatte er ihm viele kostbare



1000-und-1_Vol-01-503 Flip arpa

Geschenke übersandt. Sie war von allen Sklavinnen als die anmutigste und schönste anzuschauen, und sie hütete von allen am meisten die Ehre der Frauen; ihr Verstand war so durchdringend wie ihr Anblick bezwingend. Nun hatte sie, als sie den König in der Nacht, da er bei ihr weilte, bediente, zu ihm gesagt: ,O König, ich bete zum Gott des Himmels, daß er dir heute nacht von mir einen Knaben schenke, damit ich ihn vortrefflich erziehe und ihn an feiner Bildung und Ehrgefühl vollkommen mache!' Darüber hatte der König sich gefreut, und jene Worte hatten ihm gefallen. Sie aber fuhr so fort, bis ihre Monde erfüllet waren und sie auf dem Geburtsstuhle saß; während der ganzen Zeit ihrer Schwangerschaft übte sie Frömmigkeit, war immer eifrig im Gottesdienst und bat Gott, ihr einen frommen Sohn zu schenken und ihr die Geburt zu erleichtern. Und Gott erhörte ihr Gebet. Der Kalif hatte ihr aber einen Eunuchen zugewiesen, der ihm melden sollte, ob das Kind, das sie zur Welt bringen würde, ein Knabe oder ein Mädchen sei; und ebenso hatte Scharkân einen geschickt, der es ihm kundtun sollte. Als dann Sophia ihr Kind zur Welt brachte, untersuchten die Wehefrauen es, und sie fanden, daß es ein Mädchen war mit einem Antlitz, leuchtender als der Mond. Das meldeten sie allen, die da anwesend waren, und des Königs Bote ging hin und brachte ihm die Nachricht; auch Scharkâns Bote tat es ihm kund, und der freute sich sehr. Doch als die beiden gegangen waren, sprach Sophia zu den Wehefrauen: ,Wartet noch eine Weile bei mir; denn mir ist, als sei noch etwas in meinem Schoße.' Dann schrie sie auf, und von neuem packten sie die Wehen; aber Gott machte es ihr leicht, und sie gebar ein zweites Kind. Die Wehefrauen sahen es an, und sie fanden, daß es ein Knabe war, dem vollen Monde gleich, mit einer Stirne strahlend rein und Wangen von rosenrotem Schein. Da



1000-und-1_Vol-01-504 Flip arpa

war die Mutter hocherfreut und mit ihr die Eunuchen und Diener und alle, die zugegen waren; und während Sophia von der Nachgeburt entbunden wurde, drangen die Rufe der Freude durch den Palast. Die andern Nebenfrauen hörten es und beneideten sie; alsbald erreichte die Nachricht auch 'Omar ibn en-Nu'mân, und der freute sich über die Glücksbotschaft. Er erhob sich, ging zu ihr und küßte ihr das Haupt; dann sah er den Knaben an und beugte sich über ihn und küßte ihn, derweilen die Mädchen die Tamburine schlugen und Musikinstrumente spielten; und der König befahl, daß der Knabe Dau el-Makân' und seine Schwester Nuzhatez-Zamân 2 genannt werden sollte. Da führten sie seinen Befehl aus, indem sie sprachen: ,Wir hören und gehorchen!' Der König aber bestimmte zur Pflege von Mutter und Kindern Ammen, Eunuchen, Diener und Wärterinnen und setzte fest, was sie erhalten sollten an Zucker, Getränken, Salben und vielem andern, dessen Beschreibung die Zunge ermüden würde. Als nun das Volk von Baghdad hörte, daß Gott den König mit Kindern gesegnet hatte, schmückte es die Stadt und verkündete die gute Botschaft mit Pauken und Trompeten; und die Emire und Wesire und die Großen des Reiches kamen in den Palast und wünschten dem König 'Omar ibn en-Nu'mân Glück zu seinem Sohn Dau el-Makân und zu seiner Tochter Nuzhat ez-Zamân. Der König dankte ihnen dafür und verlieh ihnen Ehrengewänder, und darüber hinaus ehrte er sie durch andere Gnadenbeweise und bezeigte auch den Anwesenden, hoch und niedrig, seine Gunst. So tat er, bis vier Jahre verstrichen waren; und alle paar Tage schickte er einen Boten, um sich nach Sophia und ihren Kindern zu erkundigen. Am Ende der vier Jahre aber ließ er



1000-und-1_Vol-01-505 Flip arpa

ihr Juwelen, Schmuck, Gewänder und viel Geld überbringen und empfahl ihr, den beiden eine gute Erziehung und Ausbildung zu geben. Alles dies geschah, während Scharkân nicht wußte, daß seinem Vater 'Omar ibn en-Nu'mân auch ein Knabe geboren war; denn er hatte nur von der Geburt der Nuzhat ez-Zamân erfahren. Man enthielt ihm auch die Kunde von Dau el-Makân vor, bis Jahr und Tag verstrichen waren, während er nur daran dachte, mit den Helden zu streiten und gegen die Ritter zum Zweikampf zu reiten.

Nun traten eines Tages, als König 'Omar ihn en-Nu'mân in seinem Palaste saß, die Kämmerlinge zu ihm ein, küßten den Boden vor ihm und sprachen: ,O König, es sind Gesandte zu uns gekommen vom König von Griechenland, dem Herrn Konstantinopels, der mächtigen Stadt, und sie wünschen, zu dir einzutreten und vor dir stehend deine Befehle entgegenzunehmen: wenn der König ihnen erlaubt einzutreten, so werden wir sie hereinführen, und wenn nicht, so gibt es keinen Einspruch gegen seinen Willen.' Da erlaubte er ihnen einzutreten; und als sie kamen, wandte er sich ihnen zu und empfing sie höflich und fragte sie nach ihrem Befinden und nach dem Anlaß ihrer Reise. Sie küßten den Boden vor ihm und sprachen: ,O königliche Majestät, deren Herrschaft in weite Fernen geht! Wisse, der uns zu dir entsandte, ist König Afridûn, Herr der griechischen Meere und der christlichen Heere, der Herrscher, dessen Hauptstadt Konstantinopel, die Hehre; erläßt dir sagen, daß er jetzt einen grimmigen Krieg führt gegen einen hartnäckigen Tyrannen, den Fürsten von Cäsarea; und der Anlaß dieses Krieges ist der folgende: Einer der Könige der Araber war in vergangenen Zeiten bei seinen Eroberungszügen auf einen Schatz aus der Zeit Alexanders gestoßen und hatte unermeßlichen Reichtum davongeschleppt, und unter anderem



1000-und-1_Vol-01-506 Flip arpa

drei runde Juwelen, so groß wie Straußeneier, aus feinstem reinen und weißen Edelgestein, dergleichen sonst nie gefunden wird. Und auf jedem stand in griechischer Schrift eine geheimnisvolle Inschrift eingegraben, und sie haben viele nutzbringende Kräfte, und unter anderen die, daß ein neugeborenes Kind, dem man eins der Juwelen umhängt, von keinem Übel heimgesucht wird; solange es das Juwel trägt, wird es nicht klagen noch von Krankheit heimgesucht werden. Als nun der König der Araber sie erbeutete und ihr Geheimnis kennenlernte, da schickte er dem König Afridûn Geschenke, bestehend aus Kostbarkeiten und Gold, darunter auch die drei Juwelen. Er rüstete zu diesem Zwecke zwei Schiffe aus, von denen eins die Schätze tragen sollte und das andere Mannen, um die Geschenke zu hüten, wenn irgend jemand auf hoher See ihnen entgegenzutreten wagte; freilich war er überzeugt, daß niemand wagen würde, seine Schiffe zu kapern, da er doch König der Araber war und zumal der Kurs der Schiffe mit den Geschenken über Meere führte, die dem König von Konstantinopel unterworfen waren, zu dem sie ja auch fuhren; noch auch bewohnten jene Küsten andere Völker als Untertanen des großen Königs Afridûn. Als die beiden Schiffe ausgerüstet waren, stachen sie in See und segelten, bis sie sich unserem Lande zu nähern begannen; da aber fielen plötzlich Piraten aus jenem Lande über sie her und unter ihnen Truppen des Fürsten von Cäsarea; und sie raubten alles, was sich auf den beiden Schiffen an Kostbarkeiten, Gold und Schätzen befand, darunter auch die drei Juwelen, und erschlugen die Mannschaft. Als aber unser König davon hörte, da schickte er ein Heer gegen sie aus, doch sie schlugen es; und er entsandte ein zweites Heer, stärker als das erste, aber auch dieses warfen sie in die Flucht, so daß der König ergrimmte und schwor, er werde nur noch in eigener Person



1000-und-1_Vol-01-507 Flip arpa

und an der Spitze seiner ganzen Streitmacht gegen sie ausziehen; und er werde nicht eher aus ihrem Lande heimkehren, als bis er das armenische Cäsarea in Trümmer gelegt und das Land und alle Städte, über die ihr Fürst gebot, verwüstet habe. Jetzt bittet er den Herrn unseres Jahrhunderts und unserer Zeit, den König 'Omar ibn en-Nu'mân, den König von Baghdad und Chorasân, er möge uns mit einem Heere zu Hilfe kommen, auf daß ihm Ruhm zuteil werde; er hat auch durch uns einige Geschenke verschiedener Art entsandt, und er erbittet von des Königs Huld, daß er sie nehme und ihm freundwillige Hilfe leiste.' Dann küßten die Gesandten den Boden vor ihm. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 46. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Gesandten des Königs von Konstantinopel und ihr Gefolge, als sie vor König 'Omar ihn en-Nu'mân gesprochen und vor ihm den Boden geküßt hatten, ihm die Geschenke darbrachten. Die bestanden aus fünfzig der erlesensten Mädchen aus Griechenland und aus fünfzig Mamluken in Gewändern aus Brokat und mit Gürteln aus Silber und Gold; jeder Mamluk trug in seinem Ohr einen goldenen Ring mit einer Perle, die tausend Goldstücke wert war. Die Mädchen waren gleichfalls geschmückt, und sie trugen Stoffe, die sehr viel Geld wert waren. Als der König sie sah, nahm er sie erfreut an; und er befahl, daß die Gesandten ehrenvoll behandelt würden. Dann berief er seine Wesire, um sich mit ihnen über das zu beraten, was er nun zu tun habe. Und unter ihnen erhob sich ein Wesir, ein hochbetagter Mann, Dandân geheißen; der küßte vor dem König den Boden und sprach: ,O König, in dieser Sache läßt sich nichts Besseres tun, als daß du ein starkes Heer ausrüstest und deinen Sohn mit uns als seinen



1000-und-1_Vol-01-508 Flip arpa

Hauptleuten an seine Spitze stellst. Dieser Rat empfiehlt sich mir aus zweierlei Gründen; zunächst, weil der König Griechenland deine Hilfe erbeten und dir Geschenke gesandt hat, die du angenommen hast; und zweitens, weil jetzt der Feind unser Land nicht bedroht. Wenn dann dein Heer dem König von Griechenland hilft und sein Feind besiegt wird, so wird das dir zum Ruhme angerechnet werden. Dann wird sich die Kunde davon in allen Gegenden und Ländern ausbreiten; und wenn insbesondere die Nachricht die Inseln des Ozeans erreicht und die Bewohner des Westlandes sie hören, so werden sie dir Gaben und Kostbarkeiten und Schätze bringen.' Als der König die Worte des Wesirs vernahm, gefielen sie ihm, und er billigte seinen Rat und verlieh ihm ein Ehrengewand und sprach zu ihm: ,Von deinesgleichen sollten die Könige sich Rates holen, und es erscheint mir angebracht, daß du die Vorhut des Heeres führest, während mein Sohn Scharkân die Nachhut befehligt.' Darauf schickte er nach seinem Sohn, und der kam, küßte vor ihm den Boden und setzte sich. Da erzählte der König ihm alles und berichtete ihm, was die Gesandten und der Wesir Dandân gesagt hatten; und er befahl ihm, das Kriegszeug zu holen und sich für den Feldzug auszurüsten und dem Wesir Dandân in seinem Tun nicht zu widersprechen. Er befahl ihm auch, aus seinem Heere zehntausend Reiter auszuwählen, vollgerüstet und gewöhnt an Sturm und Kriegesnot. Scharkân gehorchte dem Befehle seines Vaters, machte sich alsbald auf, wählte zehntausend Reiter aus seinem Heere aus und kehrte in den Palast zurück. Er musterte seine Schar und verteilte Geld unter sie und sprach: ,Ihr habt drei Tage Zeit.' Sie küßten die Erde vor ihm, in Gehorsam gegen seinen Befehl, gingen hin und begannen sich zu rüsten und mit Vorrat zu versehen. Scharkân ging darauf in die Waffenlager und nahm sich an



1000-und-1_Vol-01-509 Flip arpa

Rüstungen und Waffen, was er brauchte, und dann in die Stille, wo er sich gezeichnete Pferde und andere aussuchte. Als dann die drei Tage verstrichen waren, zog das Heer aus in die Vororte der Stadt Baghdad; und König 'Omar ibn en-Nu'mân kam heraus, um von seinem Sohne Scharkân Abschied zu nehmen; der küßte vor ihm den Boden und nahm von dem König sieben Beutel Geldes in Empfang. Nun wandte der König sich zu dem Wesir Dandân und empfahl das Heer seines Sohnes seiner Fürsorge; der Wesir küßte vor ihm den Boden und erwiderte: ,Ich höre und gehorche.' Zuletzt empfahl der König seinem Sohne, den Wesir in allen Angelegenheiten um Rat zu fragen; der versprach es. Der König kehrte in die Stadt zurück, und Scharkân befahl den Hauptleuten, ihre Truppen in Schlachtordnung zu mustern. Sie taten es, und es ergab sich die Zahl von zehntausend Reitern, außer dem Fußvolk und dem Troß. Darauf luden sie ihr Gepäck auf; die Kriegstrommel schlug, und die Trompeten schmetterten, und die Banner und Standarten wurden entrollt, während der Königssohn Scharkân zu Pferde stieg und neben ihm der Wesir Dandân, so daß die Banner über ihren Köpfen flatterten. So zog das Heer immer weiter, mit den Gesandten an der Spitze, bis der Tag vorüber war und die Nacht hereinbrach; da stiegen sie ab, ruhten aus und blieben die Nacht über dort. Und als Gott es Morgen werden ließ, saßen sie auf und eilten unaufhörlich weiter, geführt von den Gesandten, zwanzig Tage lang; dann, am Abend des einundzwanzigsten Tages, kamen sie zu einem Flußtal, geräumig und weit, voller Bäume und Büsche im Blätterkleid. Hier befahl Scharkân, abzusitzen und drei Tage haltzumachen; da stiegen die Soldaten ab, schlugen die Zelte auf und verteilten sich nach rechts und links. Der Wesir Dandân und die Gesandten des Königs Afridûn lagerten in der Mitte jenes Tales.



1000-und-1_Vol-01-510 Flip arpa

Scharkân aber blieb, als die Soldaten ankamen, eine Weile hinter ihnen zurück, bis alle abgestiegen waren und sich über die Hänge des Tals zerstreut hatten; dann ließ er seinem Rosse die Zügel schießen, da er das Tal auskundschaften und in eigener Person die Wache übernehmen wollte. Denn er dachte an die Ermahnung seines Vaters und daran, daß sie sich im Grenzgebiet des griechischen Landes und auf feindlichem Boden befanden. So befahl er seinen Mannschaften und seinen Leibwächtern, in der Nähe des Wesirs Dandân zu lagern, und ritt allein auf seinem Rosse dahin, am Rande des Tals entlang, bis ein Viertel der Nacht verstrichen war; da wurde er müde, und Schläfrigkeit überkam ihn, so daß er das Roß nicht mehr mit der Ferse anzuspornen vermochte. Nun war er es gewohnt, im Reiten zu schlafen, und als ihn die Müdigkeit übermannte, schlief er ein; aber das Pferd ging ruhig mit ihm weiter bis um Mitternacht. Da kam es in eins jener Dickichte, in denen üppiges Strauchwerk wuchs; doch Scharkân erwachte nicht eher, als bis das Pferd mit dem Huf auf den Boden schlug. Plötzlich fuhr er auf und fand sich inmitten der Bäume; der Mond war hoch über ihm aufgegangen und ließ sein Licht nach Osten und Westen hin erstrahlen. Scharkân erschrak, als er sich dort allein sah, und sprach den Spruch, der keinen, der ihn spricht, zuschanden werden läßt: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen!' Doch als er in der Furcht vor wilden Tieren weiterritt, siehe, da goß der Mond sein Licht über eine Wiese, die einer Wiese des Paradieses glich; und er vernahm liebliche Stimmen und lautes Gespräch und Lachen, wie es die Sinne der Männer gefangen nimmt. Da saß König Scharkân ab von seinem Rosse, band es an einen der Bäume und ging ein wenig weiter, bis er zu einem Bach mit fließendem Wasser kam und eine Frau auf



1000-und-1_Vol-01-511 Flip arpa

arabisch sagen hörte: ,Beim Messias, nein, das ist von euch nicht fein! Aber jede, die noch ein Wort spricht, werfe ich zu Boden und binde ihr die Hände auf dem Rücken mit ihrem eigenen Gürtel zusammen.' Währenddem ging Scharkân in der Richtung des Schalles weiter, bis er an den Rand des Dikkichts kam; und siehe da, ein Bach floß dahin, die Vöglein hüpften in munterem Sinn, Gazellen spielten in trautem Verein, Wildkühe grasten friedlich am Ram, und die Vöglein all sangen muntere Weisen von mancherlei Art mit frohem Schall. Der ganze Ort war wie mit einem bunten Blumenteppich bedeckt, wie ein Dichter es in diesen Versen beschreibt:

Die Erde ist nur schön in ihrem Blütenschmuck,
Wenn Wasser drüberhin in frohem Laufe eilt.
In seiner Allmacht schuf sie der erhabne Gott,
Der alle Gaben, alles Gute zuerteilt.

Als Scharkân dort umherschaute, erkannte er ein Kloster, aus dessen Mauern eine Burg hoch in die Lüfte im Mondenschein aufragte. Mitten im Kloster war auch ein Bach, der in jene Wiesen hinabfloß; dort saß eine Frau, und vor ihr standen zehn Mädchen, Monden gleich, angetan mit mancherlei Schmuck und Gewändern reich, wunderbar anzuschauen, alle Jungfrauen, wie sie in diesen Versen beschrieben sind:

Die Wiese strahlt in herrlichem Glanze
Der weißen, keuschen Jungfrauen dort.
Noch lieblicher wird ihre Schönheit und Anmut
Durch sie, der herrlichen Tugenden Hort.
Jede der Jungfrauen nimmt gefangen
Durch zarte Bewegung und Blicke so weich.
Sie lassen Haare herunterhangen
Dichten Trauben der Reben gleich.
Sie bezaubern mit ihren Augen,
Senden treffsichre Pfeile aus.



1000-und-1_Vol-01-512 Flip arpa

Sie schreiten dahin und sie besiegen
Mannenführer, erprobt im Strauß.

Scharkân sah jene zehn Mädchen an und erblickte unter ihnen eine Maid, die dem vollen Monde glich: mit lockigem Haar und einer Stirn, weiß und klar, mit dunklen, großen Augen und mit gekräuselten Schläfenlocken, vollendet in Wesen und Art, wie der Dichter von ihr sang in Versen zart:

Sie blickte mich strahlend an mit ihren leuchtenden Augen,
Und ihr herrlicher Wuchs beschämte den Schaft der Lanze.
Also stand sie vor uns mit ihren roten Wangen,
Darinnen jegliche Schönheit lag mit lieblichem Glanze.
Ihrer Locken Fülle erschien ob ihrem Gesicht
Wie die Nacht, wenn der Freudenmorgen aus ihrem Dunkel bricht.

Nun hörte Scharkân sie zu den Mädchen sagen: ,Kommt, auf daß ich mit euch ringe, ehe der Mond untergeht und der Morgen kommt!' Da trat eine nach der anderen von ihnen vor, und sie warf sie flugs zu Boden und fesselte sie mit ihren Gürteln. Sie hörte nicht eher auf; mit ihnen zu ringen und sie zu Boden zu werfen, bis sie sie alle besiegt hatte. Da aber wandte sich ein altes Weib, das vor ihr stand, an sie und sagte wie im Zorn zu ihr: ,Du Metze, freust du dich, wenn du die Mädchen zu Boden wirfst? Siehe, ich bin ein altes Weib, und doch habe ich sie vierzigmal geworfen! Was hast du also zu prahlen? Aber wenn du die Kraft hast, mit mir zu ringen, so tu es; dann werde ich dich fassen und dir den Kopf zwischen die Füße legen!' Da lächelte die Maid äußerlich, aber innerlich war sie voll Zorn, und sie sprang auf und fragte die Alte: ,Frau Dhâted-Dawâhi 1, beim Messias, willst du wirklich mit mir ringen, oder scherzest du?' Jene erwiderte: ,Ja.' — — «



1000-und-1_Vol-01-513 Flip arpa

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 47 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dhât ed-Dawâhi, als die Maid sie fragte: ,Beim Messias, willst du wirklich mit mir ringen, oder scherzest dw', erwiderte: ,Jawohl, ich will wirklich mit dir ringen!' Bei alledem sah Scharkân zu. Nun rief die Maid: ,Wohlan zum Ringkämpfe, wenn du die Kraft dazu hast!' Wie die Alte das hörte, geriet sie in heftige Wut, und die Haare auf ihrem Leibe richteten sich auf wie die Borsten eines Stachelschweins. Als dann die Maid ihr aufrecht entgegentrat, sagte die Alte zu ihr: ,Beim Messias, ich will mit dir nur ringen, wenn ich nackend bin, du Metze!' Dann holte die Alte ein seidenes Tuch, band sich die Hose auf, griff mit der Hand unter ihre Kleider und riß sie sich vom Leibe; das Tuch aber faltete sie zusammen und wand es sich um den Rumpf, so daß sie aussah wie ein kahlköpfiges Teufelsweib oder eine Schlange mit fleckigem Leib. Dann beugte sie sich vor und sagte zu der Maid: ,Tu du desgleichen!' Währenddem schaute Scharkân den beiden zu, sah sich die häßliche Gestalt der Alten an und lachte. Nachdem die Alte dies getan hatte, nahm die Maid gemächlich ein jemenisches Tuch und wand es sich zweimal um den Leib; und sie schürzte ihre Hose auf und zeigte zwei Schenkel aus Alabaster mit einem kristallenen Hügel darüber, glatt und rund, und einen Leib, der Moschus aus seinen Fältchen hauchte und wie ein Anemonenbeet war, und ihre Brust bot dem Blicke zwei Hügelchen dar, die glichen einem Granatapfelpaar. Wieder beugte die Alte sich vor, und nun packten die beiden einander; Scharkân aber hob das Haupt gen Himmel und betete zu Gott, daß die Schöne die Vettel besiegen möchte. Plötzlich neigte die Maid sich unter die Alte, packte sie mit der Linken



1000-und-1_Vol-01-514 Flip arpa

an dem Gürteltuch, mit der Rechten um Nacken und Hals und hob sie mit beiden Händen hoch; die Alte aber rang, um sich aus ihren Händen zu befreien, und dabei fiel sie auf den Rücken. Da ragten ihre Beine hoch in die Luft, und deutlich waren ihre Haare im Mondenschein zu sehen; und sie ließ zwei gewaltige Winde fahren, von denen der eine den Staub auf der Erde aufwirbelte, während der andere bis zum Himmel dampfte. Da lachte Scharkân, bis er zu Boden fiel. Dann sprang er wieder auf und zog sein Schwert und blickte sich um nach rechts und links; doch er sah niemanden als die Alte, die auf dem Rücken lag, und er sprach bei sich: ,Wer dich Dhât ed-Dawâhi nannte, hat nicht gelogen! Du kanntest doch ihre Kraft nach dem, was sie an den anderen getan hatte.' Dann trat er näher an sie heran, um zu hören, was zwischen ihnen vorging. Die Maid aber trat an die Alte heran, warf ihr einen dünnen Seidenschal über, zog ihr ihre Kleider wieder an und entschuldigte sich mit den Worten: ,Frau Dhât ed-Dawâhi, ich wollte dich nur zu Boden werfen, nicht all das andere, was dir passiert ist; aber du versuchtest dich meinen Händen zu entwinden. Doch Gott sei Dank ist alles gut gegangen!' Die aber gab keine Antwort, sondern stand auf und ging beschämt davon, bis sie dem Blicke entschwand. Als nun die Mädchen dort gefesselt am Boden lagen und die Maid allein dastand, sprach Scharkân bei sich: ,Jeder Zufall hat seinen Grund. Es war doch nur mein Glück, daß mich der Schlaf überfiel und das Roß mich hierher trug; vielleicht sollen diese Maid und die anderen, die bei ihr sind, noch meine Beute werden.' Also ging er zu seinem Pferd, saß auf und spornte es an; da schoß es mit ihm dahin wie ein Pfeil vom Bogen. Inder Hand hielt er sein Schwert, der Scheide entblößt, und er stieß den Kriegsruf aus: ,Allah ist der Größte!' Als die Maid ihn sah, sprang sie auf und faßte am



1000-und-1_Vol-01-515 Flip arpa

Ufer des Baches, der sechs volle Ellen breit war, festen Fuß und sprang mit einem einzigen Satz auf die andere Seite; dort richtete sie sich hoch auf und rief mit lauter Stimme: ,Wer bist du, Bursche, daß du unser Vergnügen störst, und das mit gezücktem Schwert, als griffest du ein Heer an? Woher kommst du, und wohin gehst du? Rede wahr, denn die Wahrheit wird dir mehr Nutzen bringen; lüge nicht, denn Lügen ist die Art gemeiner Kerle! Kein Zweifel, du bist heute nacht vom Wege abgeirrt, daß du an diesen Ort kamst, von dem das Entrinnen für dich die beste Beute wäre; denn du stehst hier auf einer Wiese, auf der uns viertausend Ritter zu Hilfe kommen, wenn ich nur einen einzigen Schrei ausstoße. Sag an, was willst du? Wünschest du, daß wir dich auf den rechten Weg bringen, so wollen wir es tun; oder wünschest du Hilfe, so wollen wir sie dir gewähren.' Als Scharkân ihre Worte hörte, erwiderte er: ,Ich bin ein Fremder und ein Muslim, und ich bin heute nacht allein ausgezogen, um nach Beute zu suchen. Doch keine schönere Beute konnte ich in dieser mondhellen Nacht finden als die zehn Mädchen da; die will ich nehmen und mit ihnen zu meinen Gefährten heimkehren.' Da sprach sie: ,Wisse, daß du keine Beute erreichst; die Mädchen sollen, bei Gott, niemals deine Beute werden. Sagte ich dir nicht, daß die Lüge gemein ist?' Er antwortete: ,Der Weise ist's, der sich an anderen eine Warnung nimmt.' Sie darauf: ,Beim Messias, fürchtete ich mich nicht davor, deinen Tod auf dem Gewissen zuhaben, ich stieße einen Schrei aus, der die Wiese mit Schlachtrossen und Helden wider dich füllen würde; aber ich habe Mitleid mit dem Fremdling. Wenn du jetzt also Beute willst, so fordere ich dich auf, von deinem Rosse abzusteigen und mir bei deinem Glauben zu schwören, daß du dich mir nicht mit irgendeiner Waffe nahen willst, und dann wollen wir ringen, ich und du. Wenn



1000-und-1_Vol-01-516 Flip arpa

du mich nieder wirfst, so setze mich auf dein Roß und nimm uns alle als Beute; aber wenn ich dich werfe, so habe ich Gewalt über dich. Schwöre mir das, denn ich fürchte deinen Verrat, und es ist ein bekannter Spruch: Wo Verrat ist angeboren, da ist jedes Vertrauen verloren. Wenn du also schwören willst, so will ich hinüberkommen und zu dir treten.' Scharkân, der schon begierig war, sie zu fangen, sprach bei sich: ,Sie weiß nicht, daß ich ein gewaltiger Held bin.' Und so rief er ihr zu: ,Nimm mir einen Eid ab, wie du ihn willst und für bindend hältst, daß ich dir mit nichts nahe, bis du bereit bist und sagest: Tritt herzu, auf daß ich mit dir ringe! Dann erst werde ich dir nahen. Wenn du mich nieder wirfst, so habe ich Geld, um mich loszukaufen; und wenn ich dich werfe, so ist mir das die schönste Beute 'Das Mädchen sprach: ,Ich bin es zufrieden!' Scharkân aber erstaunte darüber und sagte: ,Beim Propheten - Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, auch ich bin es zufrieden!' Da sprach sie: ,Schwöre mir bei Ihm, der das Leben in den Körper gegeben und von dem die Menschheit ihre Gesetze bekam, du wollest, wenn du mir mit Bösem nahest, außer zum Ringkampf, sterben ohne den Glauben des Islam!' Scharkân erwiderte: ,Bei Allah, wenn mich ein Kadi vereidigte, und wäre er auch der Oberkadi, er würde mir keinen solchen Eid auferlegen!' Dann schwor er es ihr bei allein, was sie verlangte, und band sein Roß an einen Baum; doch er war versunken in ein Meer von Gedanken und sprach zu sich selber: ,Preis sei Ihm, der sie aus einem Tropfen verächtlichen Wassers' schuf!' Darauf gürtete er sich und machte sich bereit zum Ringkampf und rief der Maid zu: ,Komm über den Fluß zurück!' Sie rief darauf: ,Nicht an mir ist es, zu dir zu kommen; wenn du willst, so



1000-und-1_Vol-01-517 Flip arpa

komme du zu mir!' ,Das kann ich nicht', sprach er; und sie: ,O Jüngling, ich komme zu dir.' Dann schürzte sie ihren Saum und sprang zu ihm auf die andere Seite des Flusses hinüber; und er trat zu ihr und beugte sich vor und klatschte in die Hände. Doch ihre Schönheit und Lieblichkeit machte ihn verwirrt; denn er sah eine Gestalt, die durch die Hand der Allmacht mit den Farbblättern der Feen gefärbt und von der Hand der Vorsehung gepflegt war, die der Zephir des Glückes geküßt und deren Geburt einst ein glücklicher Stern begrüßt. Nun trat die Maid zu ihm und rief ihn an: ,O Muslim, herbei, und laß uns ringen, ehe der Morgen anbricht!' und streifte den Ärmel von einem Arm in die Höhe, der frischem Rahm gleich war, so daß die ganze Wiese durch seine Weiße hell ward; und Scharkân war geblendet. Doch wieder beugte er sich vor und klatschte in die Hände; sie tat das gleiche, und so packten sie einander. Beide umfaßten und umschlangen einander und rangen. Doch als seine Hand auf ihren schlanken Rumpf glitt und seine Fingerspitzen die weichen Falten ihres Leibes berührten, da wurden seine Glieder schlaff, er stand da wie vom Unglück gerüttelt, sein Leib war wie vom Fieber geschüttelt, er begann zu zittern wie das persische Rohr im brausenden Sturm. Da hob sie ihn auf und warf ihn zu Boden und setzte sich auf seine Brust, mit Hinterbacken, die Sandhügeln glichen; und seine Seele verlor die Herrschaft über seinen Verstand. Sie fragte ihn: ,O Muslim! Christen zu töten gilt bei euch als erlaubt; was sagst du nun dazu, wenn ich dich töte?' Er entgegnete: ,O Herrin, was du davon sagst, du könntest mich töten, ist unerlaubt; denn Mohammed, unser Prophet, —Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —hat uns verboten, Frauen und Kinder, Greise und Mönche zu erschlagen!' ,Wenn eurem Propheten solches offenbart ist,' sprach sie, ,so ziemt es sich,



1000-und-1_Vol-01-518 Flip arpa

daß wir Gleiches mit Gleichem vergelten. Stehauf! Ich schenke dir dein Leben. Denn eine Wohltat ist nicht verloren an denen, die vom Weibe geboren.' Dann erhob sie sich von seiner Brust; Scharkân stand auf und schüttelte den Staub von seinem Kopfe gegen die Geschöpfe aus der krummen Rippe.' Doch sie neigte ihr Haupt und sprach zu ihm: ,Schäme dich nicht! Wie aber ist es möglich, daß einer, der in das Land der Griechen zieht auf der Suche nach Raub und der Königen wider Könige helfen will, nicht Kraft genug hat, um sich gegen ein Geschöpf der krummen Rippe zu wehren?' Darauf entgegnete er: ,Das geschah nicht aus Mangel an Kraft bei mir! Du hast mich nicht durch deine Kraft zu Boden geworfen, nein, deine Schönheit hat mich besiegt. Wenn du mir einen zweiten Gang gewähren willst, so wäre das ein Geschenk deiner Gunst.' Sie lachte und sprach: ,Ich erfülle dir diesen Wunsch; aber die Mädchen da sind lange gefesselt gewesen, und ihre Arme und Seiten sind müde, und es ist nur recht, daß ich sie löse, denn der neue Gang wird vielleicht länger dauern.' Darauf trat sie zu den Mädchen, löste ihre Fesseln und sagte zu ihnen in griechischer Sprache: ,Geht an einen sicheren Ort, bis dieses Muslims Verlangen nach euch sich legt!' Jene gingen davon, während Scharkân ihnen nachsah; aber sie blieben da, wo sie den beiden zuschauen konnten. Dann traten die beiden Gegner aufeinander zu, und er stemmte seine Brust gegen ihre, doch als sein Leib ihren Leib berührte, da verließ ihn seine Kraft; und als sie das merkte, hob sie ihn schneller als der blendende Blitz und warf ilm zu Boden. Er fiel auf den Rücken, und sie sprach zu ihm: ,Steh auf! Ich schenke dir dein Leben zum zweiten Male. Das erste Mal verschonte ich dich um deines Propheten willen, da er



1000-und-1_Vol-01-519 Flip arpa

nicht erlaubt hat, Frauen zu töten; das zweite Mal tue ich es um deiner Schwäche und deiner jungen Jahre willen, und weil du ein Fremdling bist; aber ich fordere dich auf, wenn es in dem muslimischen Heere, das 'Omar ibn en-Nu'mân ausgesandt hat, um dem König von Konstantinopel zu helfen, einen gibt, der stärker ist als du, so schicke ihn zu mir und sage ihm von mir; denn im Ringkampf gibt es verschiedene Arten, Künste und Kniffe, wie die Finte, den Vorgriff, den Armgriff, den Fußgriff, den Schenkelbiß, den Fußstoß und den Beinverschluß.' Da rief Scharkân, während ihm der Zorn gegen sie schwoll: ,Bei Allah, meine Herrin, wäre es Meister es-Safadi oder Meister Mohammed Kaimâl oder Ibn es-Saddi in seiner Glanzzeit, ich würde diese Künste, von denen du sprichst, nicht beachten. Doch du, o Herrin, hast mich bei Gott nicht durch deine Kraft besiegt, sondern als du mir durch dein Gesäß die Sinne bestricktest; denn wir Männer aus Mesopotamien lieben den vollen Schenkel sehr, und so blieb mir weder Verstand noch Einsicht. Aber wenn du willst, so sollst du jetzt mit mir ringen, während ich meinen Verstand bei mir habe; dies ist nun der letzte Gang für mich nach den Regeln der Kunst; auch habe ich nun meine Frische zurückgewonnen.' Als sie seine Worte hörte, sprach sie: ,Was erwartest du noch von diesem Ringen, Besiegter? Komm nur; doch wisse, dies ist der letzte Gang!' Dann beugte sie sich vor und forderte ihn zum Kampfe heraus; auch Scharkân beugte sich vor, und er rang mit allem Ernst und nahm sich vor dem Unterliegen in acht; so rangen die beiden eine Weile. Die Maid spürte eine Kraft in ihm, die sie vorher nicht bemerkt hatte, und sprach: ,O Muslim, jetzt bist du auf der Hut.' ,Ja,' erwiderte er, ,du weißt, mir bleibt nur dieser eine Gang mit dir, und danach wird ein jeder von uns seines Weges gehen.' Da lachte sie, und auch er lachte ihr



1000-und-1_Vol-01-520 Flip arpa

ins Gesicht; als das geschah, griff sie ihm über den Schenkel, packte ihn unversehens und warf ihn zu Boden, so daß er auf dem Rücken lag. Jetzt verhöhnte sie ihn mit den Worten: ,Bist du ein Kleiefresser? Oder eine Beduinenkappe, die bei jeder Berührung fällt, oder ein Vater der Winde', den ein Lufthauch umbläst? Pfui, Erbärmlicher!' Dann fügte sie noch hinzu ,Geh zurück zum muslimischen Heere und schicke uns andere, als du bist; denn dir fehlt die Kraft. Laß unter den Arabern und Persern, den Türken und Dailamiten ausrufen, wer Kraft in sich spüre, der solle zu uns kommen!' Darauf sprang sie auf die andere Seite des Flusses und rief Scharkân lachend zu: ,Die Trennung von dir wird mir schwer, o mein Herr! Geh vor Sonnenaufgang zu deinen Gefährten, damit dich die Christenritter nicht finden und auf die Speere spießen. Du hast nicht die Kraft dich gegen Frauen zu wehren, wie könntest du dich gegen mannhafte Ritter halten?' Scharkân rief ihr bestürzt nach, während sie, ihm abgewandt, auf das Kloster zu ging: ,O meine Herrin, willst du fortgehen und den armen Fremdling verlassen, den Sklaven der Liebe, dem das Herz brach?' Da wandte sie sich lachend um und rief: ,Was willst du? Ich will dir deine Bitte erfüllen.' ,Nachdem ich den Fuß in dein Land gesetzt und die Süße deiner Huld gekostet habe, wie könnte ich da heimkehren, ohne von deiner Speise zu genießen? Sieh, ich liege als Sklave zu deinen Füßen!' Sie erwiderte: ,Nur der Gemeine weigert die freundliche Güte. Beehre uns in Gottes Namen, das sei dir herzlich gern gewährt! Steig auf dein Roß und reit mir gegenüber am Flusse entlang, denn jetzt bist du mein Gast.' Da freute Scharkân sich, eilte zu seinem Pferde, stieg auf und ritt ihr gegenüber dahin, während sie auf der anderen Seite



1000-und-1_Vol-01-521 Flip arpa

weiterging, bis sie zu einer Zugbrücke kamen, gebaut aus Pappelholz, die an stählernen Ketten in Rollen hing und mit Haken und Schlössern befestigt war. Als Scharkân auf die Brücke schaute, siehe, da waren dort die zehn Mädchen, mit denen sie gerungen hatte, und warteten auf ihre Herrin. Als diese zu ihnen kam, sagte sie zu einer von ihnen in griechischer Sprache: ,Geh hin und fasse die Zügel seines Pferdes und führe ihn herüber ins Kloster!' So ritt Scharkân über die Brücke, von ihr geführt. Er war aber verwirrt von alledem, was er sah, und sprach bei sich selber: ,O, wäre nur der Wesir Dandân hier bei mir, damit seine Augen diese schönen Mädchen sehen könnten!' Dann wandte er sich zu der Maid und sagte: ,O Wunder der Lieblichkeit, jetzt habe ich ein doppeltes Anrecht an dich; zunächst das Anrecht der Kameradschaft, und zweitens weil ich in dein Haus gekommen bin und deine Gastfreundschaft empfangen habe. Ich stehe jetzt unter deinem Befehl und deiner Leitung; möchtest du mir noch die eine Gunst gewähren, mit mir in das Land des Islams zu ziehen; dort sähest du manchen Ritter, wie Löwen kühn, und du würdest erfahren, wer ich bin.' Als sie aber seine Worte vernahm, zürnte sie ihm und sprach: ,Beim Messias, du hast dich an mir als ein Mann von scharfem Witz erwiesen; aber jetzt habe ich erkannt, welches Unheil in deinem Herzen lauert. Wie kannst du dich vermessen, Worte auszusprechen, die deine verräterische Absicht offenbaren? Wie könnte ich das tun, da ich doch weiß, daß ich nie wieder frei werde, wenn ich zu eurem König 'Omar ihn en-Nu'mân komme? Denn wahrlich, er hat nicht meinesgleichen in den Mauern seiner Festen, noch auch in seinen Palästen, wenn er gleich Herr von Baghdad und Chorasân ist, er, der sich zwölf Schlösser erbaut hat, nach der Zahl der Monate des Jahres, und in jedem Nebenfrauen hat nach der Zahl der Tage



1000-und-1_Vol-01-522 Flip arpa

des Jahres! Wenn ich zu ihm käme, so würde er gegen mich keine Zurückhaltung üben; denn nach eurem Glauben stände ich zu eurer Verfügung, wie es in euren Schriften geschrieben steht, wo es heißt: Oder solche, die eure rechte Hand als Sklavinnen hält. Wie also kannst du so zu mir sprechen? Und wenn du sagst, ich solle die Helden der Muslime sehen, —beim Messias, so sprichst du die Unwahrheit; denn ich habe euer Heer gesehen, als es in unser Land einzog, vor zwei Tagen. Als ihr kamt, habe ich nicht bemerkt, daß ihr einherzogt wie ein königliches Heer, sondern wie Horden, die sich zusammengerottet haben. Und wenn du weiter sagst, ich solle erfahren, wer du bist, —so wisse, ich erweise dir keinerlei Freundlichkeit, um dich zu ehren, sondern ich tue es nur aus Stolz. Deinesgleichen sollte so nicht zu meinesgleichen reden, und wärst du auch Scharkân, der Sohn des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân, der sich als der Held unserer Zeit hervorgetan!' ,Kennst du Scharkân?' fragte er; und sie erwiderte: ,Ja, und ich weiß, daß er mit einem Heere kommt, das zehntausend Reiter zählt; und daß er von seinem Vater gesandt ist, um mit dieser Streitmacht dem König von Konstantinopel zum Siege zu helfen.' ,O meine Herrin,' sprach er, ,ich beschwöre dich bei deinem Glauben, sage mir, was all dies bedeutet, damit ich das Wahre vom Falschen scheiden kann und weiß, wer daran schuld ist.' ,Bei deinem Glauben,' erwiderte sie, ,fürchtete ich nicht, es könne von mir bekannt werden, daß ich zu den Töchtern der Griechen gehöre, so würde ich es wagen und allein ausziehen gegen die zehntausend Reiter, und ihren Führer erschlagen,



1000-und-1_Vol-01-523 Flip arpa

den Wesir Dandân, und ihren Helden Scharkân besiegen. Und dabei würde ich mich nicht zu schämen brauchen; denn ich habe die Bücher gelesen und die Regeln feiner Bildung in arabischer Sprache mir angeeignet. Doch ich brauche dir meine Tapferkeit nicht zu beschreiben, zumal du meine Kunst und Geschicklichkeit im Ringkampf und meine Überlegenheit selbst erfahren hast. Wäre Scharkân heute nacht an deiner Statt hier gewesen und wäre ihm gesagt: Spring über diesen Bach! —er hätte es nicht gekonnt; ich wollte nur, daß der Messias ihn in meine Hände gäbe, in ebendiesem Kloster, dann träte ich in Manneskleidung ihm entgegen und würde ihn gefangennehmen und in Fesseln legen.' - — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 48. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scharkân, als die Christenmaid so sprach und er vernahm, sie träte, wenn er in ihre Hände fiele, ihm in Manneskleidung entgegen und wolle ihn in Fesseln und Ketten legen, nachdem sie ihn vom Sattel heruntergerissen -, daß er nach diesen Worten von Stolz und Ehrgefühl und ritterlicher Eifersucht gepackt war. So verlangte es ihn, sich ihr zu erkennen zu geben und sie zu ergreifen; doch ihre Anmut hielt ihn zurück, und er sprach die Verse:

Und hat die Schöne einen einz'gen Fehl begangen,
So treten ihre Reize als tausend Fürsprech ein.

Dann ging sie hinauf, und Scharkân folgte ihr; da blickte er auf den Rücken der Maid und sah ihre Hüften, die wogten hin und her wie die Wellen im rollenden Meer, und er sprach diese Verse:

In ihrem Antlitz ist ein Fürsprech, der löscht ihre Schuld
Aus den Herzen und gewinnt durch seinen Spruch aller Huld.
Als ich sie kaum gesehen, rief ich: O wunderbar,



1000-und-1_Vol-01-524 Flip arpa

Der Mond ist aufgegangen, der Vollmond, hell und klar.
Und sollte selbst der Dämon der Bilkîs' mit ihr ringen,
Sie wurde im Augenblick seine Riesenkraft bezwingen.

Und die beiden gingen weiter, bis sie zu einem Tor gelangten, über dem sich ein rnarmorner Bogen wölbte. Sie öffnete das Tor und führte Scharkân in eine lange Halle, überdeckt von zehn untereinander verbundenen Bogen, und in jedem Bogen hing eine kristallene Lampe, die wie ein Feuerfunke glitzerte. Am oberen Ende traten ihr die Dienerinnen entgegen, wohlriechende Wachskerzen in den Händen und auf den Köpfen Stirnbänder, eingelegt mit Edelsteinen aller Art; die gingen vor ihr her, und Scharkân folgte ihr, bis sie das Innere des Klosters erreichten. Dort sah er Ruhebänke rings an den Wänden, immer eine der anderen gegenüber, alle mit goldgestickten Vorhängen überhangen. Der Boden des Klosters war gepflastert mit vielfarbigem Marmormosaik, und in der Mitte stand ein Becken mit vierundzwanzig goldenen Speibrunnen, aus denen, geschmolzenem Silber gleich, das Wasser rann; am oberen Ende aber sah er einen Thron, belegt mit seidenen Stoffen, wie sie sich nur für Könige ziemen. Da sprach die Maid zu ihm: ,0 mein Herr, steig auf diesen Thron!' Scharkân stieg auf den Thron hinauf, doch die Maid ging weg und blieb eine Weile fort. Als Scharkân die Dienerinnen nach ihr fragte, gaben sie ihm zur Antwort: ,Sie ist in ihr Schlafgemach gegangen; doch wir werden dich bedienen, wie sie es befohlen hat.' Dann setzten sie Speisen von seltener Art vor ihn hin, und er aß, bis er gesättigt war; schließlich brachten sie ihm eine goldene Schale und eine silberne Kanne, und er wusch sich die Hände. Seine Gedanken aber schweiften zu seinem Heere, denn



1000-und-1_Vol-01-525 Flip arpa

er wußte nicht, was dem in seiner Abwesenheit widerfahren war; und er dachte auch daran, daß er seines Vaters Ermahnungen vergessen hatte; so überkam ihn Unruhe und Reue über das, was er getan, bis schließlich der Morgen graute und der Tag erschien. Da klagte er und seufzte über sein Tun und versank im Meer der Sorgen und sprach:

Es fehlt mir nicht an Festigkeit, allein
Ich bin verwirrt und weil) nicht aus noch ein.
Nähm' einer von mir meine Leidenschaft,
Ich würd' gesund durch meine eigne Kraft.
Mein Herz ist, ach, vom Liebeswahn betroffen -
Auf Gott nur kann in meiner Not ich hoffen.

Wie er diese Verse gesprochen hatte, siehe, da kam ihm ein wunderbar schöner Reigen entgegen: mehr als zwanzig Mädchen, Mondsicheln gleich; die umgaben jene Maid wie die Sterne den vollen Mond und hüteten sie. Ihr Kleid war aus Brokat, wie er für Könige paßt; um den Leib trug sie einen feingewebten Gürtel, der mit vielerlei Edelsteinen besetzt war und sie eng umgab, so daß ihre Hüften hervortraten; die glichen einem kristallenen Hügel unter einem silbernen Schaft, über dem die Brüste wie ein Granatäpfelpaar prangten. Als Scharkân sie ansah, da war er vor Freuden fast von Sinnen; er vergaß sein Heer und seinen Wesir. Und er erblickte ihr Haupt, auf dem ein Perlennetz lag, besetzt mit mancherlei Edelsteinen. Und Dienerinnen trugen rechts und links ihre Schleppe, während sie im Stolze der Schönheit anmutig sich neigend einherschritt. Er aber sprang auf, da er ihre Schönheit und Lieblichkeit sah, und rief: ,Hab acht, hab acht vor dieses Gürtels Pracht!' Dann sprach er diese Verse:

Mit schweren Hüften, ein schwankendes Reis,
Mit zarten Brüsten geht sie dahin.
Sie birgt das Verlangen, das in ihr wohnt:



1000-und-1_Vol-01-526 Flip arpa

Ich verheimliche nicht, was in meinem Sinn.
Die Sklavinnen schließen sich hinter ihr an,
Der Fürstin, die lösen und binden kann.

Sie aber sah ihn lange an und immer wieder, bis sie ihrer Sache sicher war und ihn erkannt hatte. Da trat sie herzu und sprach zu ihm: ,Fürwahr, der Sitz wird geehrt und erleuchtet durch dich, o Scharkân. Wie hast du die Nacht verbracht, o Held, nachdem wir gegangen waren und dich allein gelassen hatten?' Dann fügte sie hinzu: ,Wahrlich, die Lüge ist bei Königen gemein und eine Schande, vor allem bei den großen Königen im Lande! Du bist Scharkân, der Sohn des Königs 'Omar ihn en-Nu'mân; mache denn hinfort kein Geheimnis mehr aus dir und deinem Rang, und laß mich jetzt nur noch die Wahrheit vernehmen! Denn die Lüge zeugt nur Haß und Feindschaft. Dich durchbohrte des Schicksals Pfeil, drum ist jetzt stille Ergebung dein Teil!' Als sie so gesprochen hatte, konnte er nicht mehr leugnen, und so bekannte er die Wahrheit und sagte: ,Ich bin Scharkân ibn 'Omar ihn en-Nu'mân, den das Schicksal geschlagen und an diesen Ort getragen. Verfahre mit mir jetzt nach deinem Behagen!' Lange senkte sie den Kopf zu Boden; dann wandte sie sich ihm zu und sagte: ,Sei guten Mutes und getrost! Denn du bist mein Gast. Brot und Salz haben uns verbunden; so stehst du unter meinem Schutz und Schirm und kannst sicher sein. Beim Messias, wenn die Leute dieses Landes dir ein Leids tun wollten, sie würden nicht an dich herankommen, es sei denn, daß um deinetwillen das Leben meinen Leib verlassen hätte: du stehst unter dem Schutz des Messias und meinem Schutz.' Und sie setzte sich ihm zur Seite und scherzte mit ihm, bis seine Besorgnis wich und er einsah, daß sie ihn in der vorigen Nacht getötet hätte, wenn sie das hätte tun wollen. Dann sprach sie in griechischer Sprache zu einer ihrer Dienerinnen,



1000-und-1_Vol-01-527 Flip arpa

die auf kurze Zeit davonging und alsbald mit einem Becher und einem Tisch voll Speisen zurückkam; Scharkân aber zögerte zu essen, da er sich sagte: ,Vielleicht hat sie etwas in jene Speisen hineingetan.' Sie erriet seine Gedanken, wandte sich zu ihm und sprach: ,Beim Messias, so steht es nicht! In diesen Speisen ist nichts von dem, was du argwöhnst! Hätte ich dich töten wollen, ich hätte es längst getan!' Dann trat sie an den Tisch und aß von jeder Schüssel einen Bissen; da aß Scharkân auch. Die Maid freute sich und aß mit ihm, bis sie beide gesättigt waren; dann wuschen sie sich die Hände. Daraufstand sie auf und befahl einer Dienerin, süßduftende Kräuter zu bringen, Trinkbecher aus Gold, Silber und Kristall und Weine von verschiedenen Farben und Arten. Die Dienerin brachte das alles. Dann füllte die Maid den ersten Becher und trank ihn aus, ehe sie ihm reichte, genau wie sie es mit den Speisen getan hatte; darauf füllte sie einen zweiten und reichte ihm den. Er trank ihn aus, und sie sagte: ,O Muslim, schau, wie du hier in aller Freude und Lust des Lebens weilest!' Und sie trank weiter mit ihm und schenkte ihm ein, bis er die klare Besinnung verlor. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 49. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Maid weiter mit Scharkân trank und ihm einschenkte, bis er die klare Besinnung verlor durch den Wein und den Liebesrausch. Nun sprach sie zu der Dienerin: ,O Mardschâna, bringe uns Musikinstrumente!' ,Ich höre und gehorche', sprach die Dienerin, ging einen Augenblick fort und kehrte zurück mit einer Damaszener Laute, einer persischen Harfe, einer tatarischen Flöte und einer ägyptischen Zither. Und die Maid griff in die Laute, stimmte die Saiten und



1000-und-1_Vol-01-528 Flip arpa

begann zu ihrem Spiel mit sanfter Stimme zusingen, weicher als des Zephirs Schwingen, süßer als die Wasser, die im Paradiese springen, und aus freiem Herzen ließ sie diese Verse erklingen:

Verzeihe Gott deinen Augen, die so viel Blut vergossen,
Und deinen feurigen Blicken, die so viel Pfeile geschossen!
Ich preise den Liebenden, der gegen den Liebenden hart,
Dem alle Milde und alles Mitleid verwehret ward.
Heil dem Auge, das schlaflos um deinetwillen wacht,
Und wohl dem Herzen, das du zum Sklaven der Liebe gemacht!
Du hast mir den Tod verhängt, mein Gebieter! Zum Lösegeld
Geb ich mein Leben dem Richter, der dieses Urteil gefällt.

Dann nahm ein jedes der Mädchen ein Instrument zur Hand und spielte und sang Verse in griechischer Sprache. Scharkân aber war ganz bezaubert. Dann sang auch die Herrin, und sie fragte ihn: ,O Muslim, verstehst du, was ich sage?' Er antwortete: ,Nein, ich bin durch die Schönheit deiner Fingerspitzen bezaubert.' Da lachte sie und sprach: ,Wenn ich arabisch vor dir sänge, was würdest du dann tun?' Er darauf: ,Ich würde nicht mehr Herr meines Verstandes sein.' Sie aber griff zu einem Instrument und begann in anderem Rhythmus zu singen:

Der Trennung Geschmack ist bitter!
Wie kann ich das ertragen?
Dreierlei hat mich betroffen:
Verstoßung, Fernsein, Entsagen.
Ich liebe den Schönen; er fing mich
Durch Schönheit. Ach, Trennung bringt Klagen!

Als sie ihr Lied beendet hatte, sah sie Scharkân an; doch der war dem Leben entrückt, und lange lag er zwischen den Mädchen dahingestreckt. Dann kam er wieder zu sich, dachte an den Gesang und neigte sich vor Entzücken. Und nun kehrten beide zum Weine zurück und scherzten und spielten immerdar, bis der Tag sich zur Neige wandte und die Nacht ihre



1000-und-1_Vol-01-529 Flip arpa

Fittiche ausspannte. Da ging die Maid in ihr Schlafgemach, und als Scharkân nach ihr fragte, da sagte man ihm: ,Sie ist in ihr Schlafgemach gegangen'; und er erwiderte: ,Unter Gottes Schutz und Hut!' Doch als es Morgen ward, kam eine Dienerin zu ihm und sagte: ,Meine Herrin entbietet dich zu sich!' Da erhob er sich und folgte ihr, und als er sich ihrem Aufenthalt nahte, da begrüßten die Dienerinnen ilm mit Zimbeln und Flöten und führten ihn zu einer großen Elfenbeintür, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt war. Dann traten sie in eine weite Halle, an deren oberem Ende eine breite Estrade war, belegt mit seidenen Decken von mancherlei Art und umgeben von offenen Gitterfenstern, durch die man auf Bäume und Bäche sah. Rings um den Saal aber standen in Menschengestalt geschnitzte Figuren, und wenn der Wind durch sie hinstrich, so gerieten Instrumente in Schwingung, die darin verborgen waren, und der Beschauer vermeinte, sie sprächen. Dort saß die Maid, versunken im Anschauen der Figuren; doch als sie Scharkân erblickte, da erhob sie sich und ergriff ihn bei der Hand und ließ ihn neben sich sitzen und fragte ihn, wie er die Nacht verbracht hätte. Er dankte ihr mit einem Segenswunsch, und beide setzten sich, um zu plaudern. Dann fragte sie ihn: ,Weißt du irgend etwas über Liebende und Sklaven der Liebe?' Er antwortete: ,Ja; ich kenne einiges in Versen.' ,Laß mich hören!' bat sie, und er sprach:

Heil und gesund und fern vo;: aller quälende;: Krankheit
Sei 'Azza, wenn sie es nicht für recht hielte, mich zu scheuen!
Allein bei Gott, wenn ich nahe, ist sie in die Ferne entschwunden.
Grausam: je mehr ich verlange, je weniger will sie mich freuen.
Ach meine Liebe zu 'Azza! Hab ich einmal beseitigt,
Was zwischen uns war, und sie ging dann beiseite schon,
Sogleich ich de::: Wandrer, der auf den Schatten der Wolke hoffet,
Doch tritt er dort ein, zu ruhen, dann ist die Wolke entfloh;:.



1000-und-1_Vol-01-530 Flip arpa

Als sie das hörte, sprach sie: ,Wahrlich, Kuthaijir sprach schön und war keusch, und er pries 'Azza am höchsten in diesen Versen:

Wenn 'Azza die Morgensonne, die strahlende, eutböte
Zum Richter über die Schönheit, er teilte den Preis ihr zu.
Wohl kamen Frauen zu mir gelaufen, um sie zu tadeln;
Doch deren Wangen machte Gott für 'Azza zum Schuh.'

Dann fuhr sie fort: ,Man sagt, 'Azza sei ein Wunder an Schönheit und Anmut gewesen', und fragte Scharkân: ,O Prinz, wenn du noch ein paar Verse des Dschamîl an Buthaina weißt, so trage sie uns vor!' Er antwortete: ,Gewiß; ich kenne sie besser als irgendein anderer', und begann:

Sie sagen: Zieh aus, Dschamîl, zum heiligen Krieg auf Beute! Doch welcher Krieg wäre jemals außer mit Schönen mein Ziel?
Jedem Geplauder mit ihnen winkt allerzarteste Freude;
Und ein Märtyrer ist ein jeder, der bei ihnen fiel.
Frage ich: ,O Buthaina, was ist diese quälende Liebe?'
,Die ist beständig und wächst noch immerdar!' antwortet sie.
Sage ich: ,Gib mir zurück ein Teilchen Verstand, um zu leben
Bei den Menschen!', so sagt sie: ,Das erreichest du nie.'
Du wünschest meinen Tod, du wünschest nur ihn allein;
Und doch kann ich keinem anderen Ziele als dir mich weihn.

Als sie das hörte, sagte sie: ,Du hast schön gesprochen, o Königssohn, und auch Dschamîl sprach schön. Was aber mag Buthaina ihm haben antun wollen, daß er diesen Halbvers dichten konnte:

Du wünschest meinen Tod, du wünschest nur ihn allein.

,O meine Herrin,' erwiderte Scharkân, ,sie wollte ihm antun, was du mir antun willst, und auch das kann dir noch nicht genügen.' Da lachte sie ob seiner Worte, und sie tranken weiter, bis der Tag entschwand und die Nacht erschien in des Dunkels Gewand. Da stand sie auf und ging in ihr Schlafgemach und legte sich zum Schlummer nieder; und Scharkân schlief, wo



1000-und-1_Vol-01-531 Flip arpa

er war, bis der Morgen dämmerte. Doch als er erwachte, kamen die Dienerinnen wie sonst zu ihm mit den Zimbeln und anderen Musikinstrumenten; und sie küßten den Boden vor ihm und sagten: ,Im Namen Gottes, komm mit uns, unsere Herrin entbietet dich vor sich!' Scharkân erhob sich und ging mit den Dienerinnen, die ihn umringten, ihre Zimbeln schlugen und auf ihren Instrumenten spielten, bis sie jenen Saal verlassen hatten und in eine andere, noch geräumigere Halle eintraten; darin waren Bilder und Figuren von Vögeln und Tieren, so schön, daß man sie nicht beschreiben kann. Da staunte Scharkân über all die Kunst, die er dort sah, und sprach:

Es ließ mein Wächter pflücken von den Früchten des Halsbands
Eine Perle der Brust, gefaßt in reines Gold.
Sie hat eine Stirn, die glänzet so hell wie Barren von Silber;
Im topasgleichen Antlitz die Rosenwangen so hold!
Der Farbe des Veilchens gleichen die Augen, die dunkelblauen;
Mit Spießglanz reich gefärbt sind ihre Wimpern und Brauen.

Als die Maid Scharkân sah, da stand sie ihm zu Ehren auf, nahm ihn bei der Hand und ließ ihn neben sich sitzen und fragte: ,O Sohn des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân, bist du gewandt im Schachspiele' ,Ja,' erwiderte er, ,aber sei du nicht so, wie der Dichter gesagt hat:

Ich redete, doch die Leidenschaft wühlte in meinem Innern;
Ein Trank von den Honiglippen nur konnte den Durst mir stillen.
Ich saß am Schachbrett mit ihr, die ich liebte, und sie spielte
Mit schwarzen und weißen Figuren, ohn meinen Wunsch zu erfüllen.
Es war, wie wenn der König nahe beim Turme stände
Und suchte nach einem Zuge hin zu den Königinnen.
Aber wenn ich den Sinn ihrer Augen ergründen wollte,
Machte das Spiel ihrer Blicke, ihr Leute, mich ganz von Sinnen.'

Dann brachte sie das Schachbrett und spielte mit ihm; aber wenn Scharkân auf ihre Schachzüge blicken wollte, so blickte



1000-und-1_Vol-01-532 Flip arpa

er auf ihr Antlitz, und er setzte den Springer statt des Läufers und den Läufer statt des Springers. Da lachte sie und sprach: ,Wenn du so spielst, so verstehst du nichts.' ,Dies ist ja unser erstes Spiel,' versetzte er, ,nach ihm darfst du nicht urteilen.' Und als sie ihn geschlagen hatte, da stellte er die Figuren wieder auf und spielte noch einmal mit ihr; aber sie schlug ihn zum zweiten und dritten und vierten und fünften Male. Da wandte sie sich zu ihm und sagte: ,Du bist in allem geschlagen'; und er erwiderte: ,Ach, meine Herrin, wie sollte jemand, der mit deinesgleichen spielt, nicht geschlagen werden?' Darauf ließ sie Speisen bringen, und sie aßen und wuschen sich danach die Hände; schließlich trug man den Wein für sie auf, und sie tranken. Nun griff sie zur Zither, denn ihre Hand war gewandt im Spiel, und sie sang zu der Begleitung diese Verse:

Unser Schicksal schwankt zwischen Enge und zwischen Weite;
Bald scheint es, als geh es vor, und bald, als geh es zurück.
Drum trinke auf seine Schönheit, solange das dir vergönnt ist,
Auf daß du nicht von mir scheidest mit unbefriedigtem Blick!

Dann tranken sie weiter, bis die Nacht hereinsank; und dieser Tag war noch schöner gewesen als der Tag vorher. Als es dann dunkel ward, ging die Maid in ihr Schlafgemach und ließ ihn mit den Dienerinnen allein; er überlegte sich nieder und schlief bis zum Morgen, bis daß die Dienerinnen wie immer mit den Zimbeln und Musikinstrumenten kamen. Als er das sah, sprang er eilig auf, und sie führten ihn zu ihrer Herrin. Wie die ihn erblickte, erhob sie sich, nahm ihn bei der Hand und ließ um neben sich sitzen. Und auf ihre Frage, wie er die Nacht verbracht habe, antwortete er, indem er ihr langes Leben wünschte; sie aber nahm die Laute und sang aus dem Stegreif diese Verse:

Denke nicht an das Scheiden!
Ach, es bringt bitteres Leiden:



1000-und-1_Vol-01-533 Flip arpa

Auch die sinkende Sonne
Erbleicht vor Schmerzen im Scheiden.

Während sie sich also die Zeit vertrieben, da erhob sich plötzlich ein großer Lärm, und ein Haufe von Christenrittern und Knechten stürzte herein, gezückte, blinkende Schwerter in den Händen, und sie riefen in griechischer Sprache: ,Du bist uns in die Hände gefallen, o Scharkân, also sei des Todes gewiß!' Als er das hörte, sagte er zu sich selber: ,Bei Allah, diese Maid hat mich in eine Falle gelockt und mich hingehalten, bis ihre Mannen gekommen sind. Dies sind die Ritter, mit denen sie mir drohte; aber ich habe mich selber in solche Not gestürzt.' Dann wandte er sich ihr zu, um ihr Vorwürfe zu machen; doch er sah, wie ihr Antlitz verändert und erblaßt war. Sie aber sprang auf und fragte die Menge: ,Wer seid ihr?' ,O huldreichste Prinzessin und unvergleichliche Perle,' entgegnete der Anführer der Ritter, ,weißt du nicht, wer jener Mann da bei dir ist?' ,Nein' erwiderte sie, ,ich kenne ihn nicht. Wer ist er denn?' Jener Ritter aber rief: ,Das ist der Verwüster der Länder, der Führer der Reiterscharen, das ist Scharkân, Sohn des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân! Er ist es, der die Burgen bezwang, der in jede unnahbare Feste drang! Nachricht von ihm erreichte deinen Vater König Hardûb durch die alte Herrin Dhât ed-Dawâhi; und dein Vater, unser König, hat sich von der Wahrheit des Berichtes der Alten überzeugt. Siehe, du hast das Heer der Griechen gerettet, indem du diesen gefährlichen Löwen gefangen nahmst.' Als sie aber dies hörte, sah sie den Ritter an und fragte ihn: ,Wie lautet dein Name?' Und er versetzte: ,Ich heiße Masûra, der Sohn deines Sklaven Mausûra, des Sohnes des Kaschardah, der Ritter aller Ritter.' ,Und wie', fragte sie, ,wagst du ohne Erlaubnis vor mich zu treten?' Er antwortete: ,O Herrin, ich trat ans Tor heran, doch weder Kämmerling noch



1000-und-1_Vol-01-534 Flip arpa

Pförtner hielt mich an, sondern alle Türhüter standen auf und gingen wie immer vor uns her; wenn jemand anders kommt, freilich, so lassen sie ihn am Tore stehen und fragen, ob sie ihn einlassen dürfen. Aber dies ist nicht die Zeit für lange Reden, denn der König wartet, daß wir wiederkehren mit diesem Prinzen, dem Stachel des Heeres der Muslims, damit er ihn töte und seine Leute zurücktreibe, dahin, woher sie kamen, ohne erst schwere Schlachten mit ihnen zu kämpfen.' ,Das sind keine guten Worte,' entgegnete die Prinzessin; ,Frau Dhât ed-Dawâhi hat gelogen und eitles Zeug geschwätzt, dessen Wahrheit sie nicht kennt. Beim Messias, dieser, der da bei mir ist, ist nicht Scharkân, noch auch ist er gefangen, sondern er ist ein Fremder, der zu uns kam und uns um Gastfreundschaft bat, und die haben wir ihm gewährt. Wären wir aber auch des gewiß, daß er Scharkân in eigener Person ist, und wäre es uns bewiesen, daß er es ohne Zweifel ist, so würde es doch meiner Ehre übel anstehn, wenn ich den in eure Hände gäbe, der unter meinen Schutz trat. Drum macht mich nicht zum Verräter an meinem Gast und zur Schmach unter den Menschen! Du also kehre zurück zum König, meinem Vater, küsse den Boden vor ihm und tu ihm kund, daß die Sache sich anders verhält, als Frau Dhât ed-Dawâhi berichtet hat.' ,O Abrîza,' erwiderte Ritter Masûra, ,ich kann zum Könige nicht ohne seinen Feind zurückkehren.' Da rief sie zornig: ,Du da, kehre mit meiner Antwort zu ihm zurück, und es soll kein Tadel auf dich fallen!' Doch Masûra sagte: ,Ich kehre nur mit ihm zurück!' Da verfärbte sich ihr Antlitz, und sie rief ihm zu: ,Mach nicht soviel törichte Worte! Denn wahrlich, dieser Mann wäre nicht zu uns gekommen, wäre er nicht seiner selbst gewiß, daß er allein hundert Reitern gegenübertreten könnte! Wenn ich zu ihm sagen würde: Du bist Scharkân, der Sohn des Königs 'Omar



1000-und-1_Vol-01-535 Flip arpa

ibn en-Nu'mân, so würde er entgegnen: Ja. Aber ihr seid nicht imstande, ihm in den Weg zu treten; denn wenn ihr es tut, so wird er nicht von euch lassen, bis er alle erschlagen hat, die in diesem Raume sind. Ja, da steht er bei mir! Ja, ich will ihn vor euch treten lassen, Schwert und Schild in seiner Hand!' ,Wäre ich auch sicher vor deinem Zorn,' erwiderte Ritter Masûra, ,so bin ich doch nicht sicher von dem deines Vaters, und wenn ich ihn sehe, so gebe ich den Rittern ein Zeichen, daß die ihn gefangen nehmen, und dann führen sie ihn mit Schimpf und Schande vor den König!' Als sie das hörte, sprach sie zu ihm: ,So soll es nicht sein, denn das wäre grelle Torheit. Dieser ist nur ein einzelner Mann, und ihr seid hundert Ritter: wenn ihr ihn also angreifen wollt, so tretet einzeln vor, auf daß der König sehe, wer von euch der Tapferste ist.' — —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 50. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Prinzessin Abrîza zu dem Ritter sagte: ,Dieser ist nur ein einzelner Mann, und ihr seid hundert: wenn ihr ihn also angreifen wollt, so tretet einer nach dem anderen vor, damit der König erkenne, wer von euch der Tapferste ist.' Da antwortete Ritter Masûra: ,Beim Messias, du sprichst recht, und kein anderer als ich selber soll als erster ihm gegenübertreten.' Sie erwiderte: ,Wartet, daß ich zu ihm gehe, ihm kundtue, was wir besprochen haben, und höre, welche Antwort er darauf hat. Willigt er ein, so soll es sein! Doch wenn er sich weigert, so könnt ihr auf keine Weise an ihn kommen; denn ich und meine Dienerinnen und alle, die im Kloster sind, treten dann für ihn ein.' Dann ging sie zu Scharkân und berichtete ihm alles; da lächelte er und erkannte, daß sie niemandem etwas von ihm gesagt hatte, sondern daß die Kunde von ihm im



1000-und-1_Vol-01-536 Flip arpa

Lande sich verbreitet hatte, bis sie gegen ihren Willen auch zum König gedrungen war. Und er machte sich nochmals Vorwürfe und sprach: ,Wie konnte ich mein Leben aufs Spiel setzen im Land der Griechen?' Doch als er den Vorschlag der Prinzessin hörte, sprach er: ,Würden sie mir alle einzeln entgegentreten, so wäre das eine Belästigung für sie. 'Wollen sie nicht zu je zehn mit mir kämpfen?' ,Solche Vermessenheit wäre unrecht,' erwiderte sie; ,nein, einer gegen einen!' Als er das hörte, sprang er auf und eilte mit dem Schwert und in Kriegsrüstung hinaus; da sprang auch Ritter Masûra auf und stürzte auf ihn los. Aber Scharkân trat ihm wie ein Löwe entgegen und hieb ihm mit dem Schwert auf die Schulter, so daß ihm die Klinge glitzernd zum Rücken und zu den Eingeweiden herausfuhr. Als die Prinzessin das sah, da wuchs Scharkâns Kraft in ihren Augen, und sie erkannte, daß sie ihn im Ringkampf nicht durch ihre Stärke, sondern durch ihre Schönheit und Anmut besiegt hatte. Dann wandte sie sich zu den Rittern und rief ihnen zu: ,Nehmt Rache für euren Führer!' Nun trat der Bruder des Erschlagenen hervor, ein trotziger Recke, und er stürzte auf Scharkân zu; doch der zögerte nicht und hieb ihm mit dem Schwert auf die Schulter, so daß die Klinge ihm glitzernd aus den Eingeweiden herausfuhr. Da rief die Prinzessin: ,Auf, ihr Diener des Messias, rächt euren Gefährten!' So griffen sie ihn ohne Unterlaß an, einer nachdem anderen; doch Scharkân ließ sein Schwert gegen sie tanzen, bis er von ihnen fünfzig Ritter erschlagen hatte; und die Prinzessin sah ihm derweilen zu. Nun hatte Allah einen solchen Schrecken in die Herzen der übrigen geworfen, daß sie sich vorn Einzelkampf zurückhielten und ihm nicht mehr einzeln entgegenzutreten wagten, sondern ihn insgesamt auf einmal überfielen. Er aber stürzte los auf sie mit einem Herzen, fester als Felsen, bis daß er sie zermahlen und



1000-und-1_Vol-01-537 Flip arpa

zerdroschen und ihnen Sinne und Leben geraubt hatte. Da rief die Prinzessin laut ihren Dienerinnen zu: ,Wer ist noch im Kloster?' Sie erwiderten: ,Niemand außer den Torwächtern.' Dann trat die Prinzessin zu Scharkân und zog ihn an ihre Brust, und er kehrte mit ihr in den Palast zurück, nachdem er den Kampf beendet hatte. Nun waren aber noch ein paar Ritter übrig, die sich vor ihm in den Klosterzellen verborgen hielten. Als die Prinzessin jene gewahrte, da erhob sie sich von Scharkâns Seite; dann kehrte sie zu ihm zurück, gekleidet in einen engmaschigen Ringpanzer, und in der Hand ein indisches Schwert. Und sie sprach: ,Beim Messias, ich will meinem Gast gegenüber nicht mit mir geizen, noch will ich ihn im Stiche lassen, ob ich auch dadurch im Lande der Griechen zur Schmach werde.' Dann musterte sie die Toten und fand, daß achtzig der Ritter erschlagen und zwanzig von ihnen entflohen waren. Und als sie sah, wie mit den Mannen verfahren war, da sprach sie zu ihm: ,Ein Mann wie du ist der Ritter Ruhm; Preis sei, o Scharkân, deinem Heldentum!' Dann stand er auf, wischte das Blut der Erschlagenen von seiner Klinge und sprach diese Verse:

Wie viele Scharen hab ich im Kampfe geschlagen
Und ihre Helden den Wölfen zum Fraß gelassen!
Fraget nach mir und ihnen, wie ich daher fuhr
Anfall das Volk, am Tage, da Kämpfer sichfassen!
Ich ließ ihre Leuen im Kampfe auf heißem Sande
Dahingestreckt dort liegen im weiten Lande.

Als er sein Lied beendet hatte, trat die Prinzessin lächelnd zu ihm und küßte ihm die Hand; und sie legte den Harnisch ab, den sie trug, und er fragte: ,O Herrin, weshalb legtest du die Rüstung da an und zogst dein Schwert?' ,üm dich vor jenen Elenden zu schützen', antwortete sie. Dann ließ sie die Torwächter rufen und fragte sie: ,Wie kamt ihr dazu, des Königs



1000-und-1_Vol-01-538 Flip arpa

Ritter ohne meine Erlaubnis in meine Wohnstätte einzulassen?' Sie erwiderten: ,O Prinzessin, es war nicht unsere Gewohnheit, daß wir dich bei den Boten des Königs erst um Erlaubnis bitten mußten, und besonders nicht, wenn der Oberste der Ritter dabei ist.' Da sprach sie: ,Ich glaube, ihr wollt mir nur Schande und meinem Gast den Untergang bringen'; und sie hieß Scharkân ihnen die Köpfe abschlagen. Während er das tat, rief sie ihren übrigen Dienern zu: ,Wahrlich, sie hatten noch mehr als das verdient!' Dann wandte sie sich Scharkân zu mit den Worten: ,Jetzt, da dir offenbar geworden ist, was verborgen war, will ich dir meine Geschichte kundtun. Wisse denn, ich bin die Tochter des Königs Hardûb von Kleinasien; ich heiße Abrîza, und die Alte, die da Dhât ed-Dawâhi heißt, ist meine Großmutter von des Vaters Seite her. Sie ist es, die meinem Vater von dir erzählt hat, und sicherlich wird sie eine List ersinnen, um mich zu Tode zu bringen, zumal du auch meines Vaters Ritterschaft erschlagen hast und es bekannt ward, daß ich mich von den Meinen getrennt habe und für sie zu den Muslimen verloren gegangen bin. Darum wäre es klüger, wenn ich nicht mehr hier bliebe, solange Dhât ed-Dawâhi auf meiner Spur ist; und ich verlange von dir die gleiche Freundlichkeit, wie ich sie dir erwiesen habe; denn es wird sich alsbald um deinetwillen zwischen mir und meinem Vater Feindschaft erheben. Drum versäume nichts von dem, was ich dir sage; all dies ist ja nur durch dich gekommen.' Als Scharkân ihre Worte hörte, ward er fast von Sinnen vor Seligkeit, und seine Brust ward ihm vor Freuden weit; und er rief: ,Bei Allah, dir soll niemand nahe kommen, solange noch Leben in meiner Brust ist! Aber hast du den Mut, die Trennung von deinem Vater und deiner Sippe zu ertragen?' ,Ja!' erwiderte sie, und Scharkân schwur ihr, und die beiden schlossen ein Gelöbnis darauf. Da sagte sie: ,Jetzt ist



1000-und-1_Vol-01-539 Flip arpa

mein Herz beruhigt; aber noch bleibt eine andere Bedingung für dich.' ,Wie ist die?' fragte er, und sie erwiderte: ,Du mußt mit deinem Heer in dein Land zurückkehren.' Er aber sagte darauf: ,O Herrin, siehe, mein Vater 'Omar ibn en-Nu'mân hat mich ausgesandt, um gegen deinen Vater Krieg zu führen, wegen des Schatzes, den er geraubt hat, und bei dem sich die drei großen Juwelen von hohen Wunderkräften befinden.' Nun sprach sie: ,Sei guten Muts und getrost! Ich will dir die ganze Geschichte erzählen sowie den Grund unseres Zwistes mit dem König von Konstantinopel. Wir feiern nämlich alljährlich ein Fest, das heißt das Klosterfest, und bei ihm versammeln sich die Könige aus allen Gauen wie auch der Vornehmen und Kaufherren Töchter und Frauen; die Gäste bleiben dort sieben Tage lang zusammen. Und früher gehörte ich immer zu ihnen; aber als sich zwischen uns Feindschaft erhob, verbot mir mein Vater für den Zeitraum von sieben Jahren, daran teilzunehmen. Da traf es sich in einem der Jahre, daß mit den Töchtern der Vornehmen, die sich wie gewöhnlich von fern her zu dem Feste ins Kloster begaben, auch die Tochter des Königs von Konstantinopel dorthin kam, ein schönes Mädchen namens Sophia. Sie blieben sechs Tage lang im Kloster und gingen am siebenten Tage ihrer Wege; aber Sophia sagte: Ich will nur zu Wasser nach Konstantinopel kehren. So rüstete man ihr ein Schiff aus, in dem sie sich mit ihrem Gefolge einschiffte; als sie nun Segel gesetzt hatten und abgefahren waren, faßte sie unterwegs ein widriger Wind und warf das Schiff aus seinem Kurs. Dort traf es nach dem Willen des Schicksals und Verhängnisses auf ein christliches Fahrzeug, das der Kampferinsel kam und eine Mannschaft von fünfhundert bewaffneten Franken trug, die schon lange umher gekreuzt waren. Als diese die Segel des Schiffes sichteten, in dem Sophia mit ihren



1000-und-1_Vol-01-540 Flip arpa

Frauen war, stürzten sie in aller Hast darauf los, und in weniger als einer Stunde holten sie es ein und legten die Enterhaken an und nahmen es ins Schlepptau. Dann hielten sie mit allen Segeln auf ihre eigene Insel; und sie waren ihr schon sehr nahe gekommen, als plötzlich der Wind umschlug. Dieser Gegenwind aber jagte sie einem Rufe zu und warf sie mit zerrissenen Segeln auf unsere Küste gegen ihren Willen. Da fuhren wir zu ihnen hinaus, und weil wir sie als eine Beute ansahen, die das Schicksal uns zutrieb, so nahmen wir sie in Besitz; wir töteten die Mannschaft und fanden jene Schätze und Kostbarkeiten sowie auch vierzig Mädchen, und unter ihnen die Tochter des Königs, Sophia. Wir nahmen die Schätze und schleppten die Prinzessin mit ihren Frauen vor meinen Vater; doch wußten wir nicht, daß sich die Tochter des Königs Afridûn von Konstantinopel unter ihnen befand. Mein Vater wählte zehn von ihnen für sich, darunter auch die Prinzessin; den Rest verteilte er unter seine Umgebung. Dann sonderte er fünf Mädchen aus, und unter ihnen des Königs Tochter, und schickte sie als Geschenk an deinen Vater 'Omar ihn en-Nu'mân nebst Manteltuchen, wollenen Stoffen und griechischen Seidenstoffen. Dein Vater aber nahm sie an, und er wählte aus den fünf Mädchen für sich Sophia, die Tochter des Königs Afridûn. Zu Beginn dieses Jahres schrieb ihr Vater einen Brief an meinen Vater in Worten, die ich hier lieber nicht wiederhole, und drohte ihm und machte ihm Vorwürfe: ,Vor zwei Jahren habt ihr eins unserer Schiffe erbeutet, das sich in der Gewalt von Räubern aus einer fränkischen Piratenbande befand und in dem meine Tochter Sophia mit ungefähr sechzig Mädchen war. Ihr habt mir nun keinen einzigen Boten gesandt, um mich davon zu benachrichtigen; ich aber konnte doch die Sache nicht öffentlich bekanntmachen, da ich fürchtete, es könnte auf meine Ehre bei den Königen ein



1000-und-1_Vol-01-541 Flip arpa

Schatten fallen, wenn ich meine Tochter bloßstellte. So verbarg ich denn meinen Verlust bis zu diesem Jahre, und jetzt habe ich an einige fränkische Seeräuber geschrieben und sie gebeten, sie möchten sich bei den Königen der Inseln über meine Tochter erkundigen. Die haben mir sagen lassen: Bei Gott, wir haben sie nicht aus deinem Reich entführt; doch wir haben gehört, daß König Hardûb sie einigen Piraten abnahm. Und sie haben mir den Hergang berichtet.' Dann fügte er in seinem Schreiben an meinen Vater hinzu., ,Wenn ihr nicht wünscht, mit mir in Zwist zu geraten, und wenn ihr mich nicht entehren und meine Tochter bloßstellen wollt, so werdet ihr meine Tochter, sowie meine Botschaft euch erreicht, an mich zurücksenden. Wenn ihr aber mein Schreiben mißachtet und meinem Befehl nicht gehorcht, so will ich euch euer schmähliches Verfahren und euer schlechtes Gebaren entgelten lassen.' Als dies Schreiben bei meinem Vater eingetroffen war und er es gelesen und seinen Inhalt begriffen hatte, war ihm die Angelegenheit sehr peinlich, und er bedauerte, daß er Sophia, die Tochter des Königs Afridûn, unter jenen Mädchen nicht erkannt und ihrem Vater zurückgeschickt hatte; und er war in Verlegenheit, was er tun sollte, denn nach so langer Zeit konnte er nicht mehr an König 'Omar ibn en-Nu'mân schreiben, um sie sich wiedergeben zu lassen, zumal wir nach kurzer Zeit vernommen hatten, daß ihm durch seine Sklavin, die man Sophia, die Tochter des Königs Afridûn, zu nennen pflegte, Nachkommen geschenkt seien. Als wir nun all das bedachten, da erkannten wir, daß dieser Brief sehr großes Unglück bedeutete. Und mein Vater fand keinen Ausweg als den, daß er dem König Afridûn eine Antwort schrieb, in der er sich bei ihm entschuldigte und ihm unter Eiden beteuerte, er habe nicht gewußt, daß seine Tochter unter der Schar der Mädchen auf jenem Schiffe ge



1000-und-1_Vol-01-542 Flip arpa

wesen sei; dann setzte er ihm auseinander, daß er sie dem König 'Omar ibn en-Nu'mân geschickt habe, und daß dieser durch sie mit Nachkommen gesegnet worden sei. Als das Schreiben meines Vaters bei König Afridûn in Konstantinopel eintraf, da sprang er auf; setzte sich wieder, tobte, schäumte und rief: ,Was! Hat er meine Tochter gefangen genommen und sie mit Sklavinnen auf eine Stufe gestellt, sodaß sie von Hand zu Hand weitergegeben und Königen als Gabe gesandt ist, die ohne Ehevertrag bei ihr liegen? Beim Messias und beim wahren Glauben,' sprach er, ,ich will nicht ruhen, bis ich Blutrache genommen und meine Schande getilgt habe; wahrlich, ich will eine Tat tun, von der man nach meinem Tode singen und sagen soll!' Nun wartete er seine Zeit ab, bis er einen Plan ersonnen und große Ränke geschmiedet hatte; da schickte er eine Gesandtschaft zu deinem Vater 'Omar ibn en-Nu'mân und ließ ihm sagen, was du gehört hast. Schließlich rüstete dein Vater dich und das Heer mit dir aus und schickte dich dem König Afridûn zu Hilfe, der nun dich und dein Heer dazu gefangen nehmen will. Was er aber deinem Vater von den drei Edelsteinen sagen ließ, als er ihn um seine Hilfe bat, daran war kein wahres Wort, denn sie waren im Besitz seiner Tochter Sophia; mein Vater nahm sie ihr ab, als er sie und ihre Mädchen gefangen nahm; er gab sie mir zum Geschenk, und ich habe sie noch. Also geh du zu deinem Heere und sende es zurück, ehe es noch tiefer ins Land der Franken und Griechen eindringt; denn wenn ihr ins Innere geratet, werden sie euch die Wege einengen, und ihr werdet euch aus ihren Händen nicht retten können bis zum Tage der Vergeltung und der Rache. Ich weiß, deine Truppen halten noch an ihrer Lagerstatt, weil du ihnen drei Tage Rast anbefahlest; doch sie haben dich die ganze Zeit her vermißt und wissen nicht, was sie tun sollen.' Als aber



1000-und-1_Vol-01-543 Flip arpa

Scharkân diese Worte hörte, da versank er eine Weile in Gedanken; dann küßte er der Prinzessin Abrîza die Hand und sagte: ,Preis sei Gott, der dich mir in seiner Gnade sandte und dich zur Ursache meiner Rettung und der Rettung aller machte, die mit mir sind! Doch es wird mir schwer, mich von dir zu trennen, und ich weiß nicht, was dir widerfahren wird, wenn ich fort bin.' ,Geh jetzt zu deinem Heere', erwiderte sie, ,und laß es umkehren. Wenn aber die Gesandten noch dort sind, so halt sie fest, auf daß euch die Wahrheit offenbar wird. Das muß geschehen, solange ihr noch in der Nähe eures Landes seid. Nach drei Tagen werde ich euch einholen, und wir wollen alle gemeinsam in Baghdad einziehen.' Als er sich dann wandte, zu gehen, sagte sie zu ihm: ,Vergiß das Gelöbnis nicht, das zwischen mir und dir besteht!' Darauf erhob sie sich und trat zu ihm, um ihm Lebewohl zu sagen und ihn zu umfassen und das Feuer des Verlangens erlöschen zu lassen; so nahm sie denn Abschied von ihm, schlang ihm die Arme um den Hals, weinte bitterlich und sprach die Verse:

Ich sagte ihr Lebewohl: meine Rechte wischte die Tränen,
Die Linke umschlang sie und preßte sie an das Herze mein.
Sie fragte: ,Fürchtest du nicht die Schande?' ,Nein!' gab ich zur Antwort,
,Der Tag des Abschieds ist der Liebenden Schande allein.'

Dann trennte Scharkân sich von ihr und ging hinab aus dem Kloster. Man brachte ihm sein Roß, und er stieg auf und ritt fort in der Richtung der Brücke; dort angelangt, ritt er über sie und kam in den, Baumgarten. Wie er auch den hinter sich hatte und über die Wiese ritt, da erschienen plötzlich drei Reiter; auf der Hut vor ihnen, zog er sein Schwert und ritt vorsichtig weiter. Doch als sie nahe anilin herangekommen waren und sie einander genauer ansahen, da erkannten sie ihn; und er blickte auf sie, und siehe, einer von ihnen war der Wesir Dandân



1000-und-1_Vol-01-544 Flip arpa

und die anderen beiden zwei Emire, die ihn begleiteten. Als sie ihn aber erblickt und erkannthatten, stiegen sie vor ihm ab und grüßten ihn, und der Wesir fragte nach dem Grunde seiner Abwesenheit; da erzählte er ihnen alles, was zwischen ihm und der Prinzessin Abrîza vorgefallen war, von Anfang bis zu Ende. Und der Wesir dankte Allah dem Erhabenen für all seine Gnade. Dann sprach er zu Scharkân: ,Laß uns sofort dies Land verlassen; denn die Gesandten, die mit uns kamen, sind davongegangen, um dem König unser Nahen zu melden, und vielleicht werden sie bald über uns herfallen, um uns gefangen zu nehmen.' Da befahl Scharkân seinen Leuten, aufzubrechen; sie taten es, und alle zogen ohne Unterbrechung eiligst dahin, bis sie die Sohle des Tals erreichten.

Inzwischen waren die Gesandten wirklich zu ihrem König gezogen und hatten ihm Scharkâns Nahen gemeldet; und Afridûn rüstete sofort ein Heer aus, um ihn und alle, die ihn begleiteten, zu ergreifen. Lassen wir die aber vorläufig und kehren wir zu Scharkân, dem Wesir Dandân und den beiden Emiren zurück! Als die vier zu ihrem Heere zurückgekommen waren, riefen sie ihm laut zu: ,Auf, auf zum Marsch!' Sofort wurde aufgebrochen, und sie zogen den ersten und zweiten und dritten Tag hindurch und unaufhörlich weiter, bis sie nach fünf Tagen in ein wohlbewaldetes Tal gelangten, wo sie ein wenig rasteten. Danach brachen sie von neuem auf und zogen fünfundzwanzig Tage lang, bis sie an die Grenze ihres eigenen Landes kamen. Und da sie sich hier für sicher hielten, so machten sie halt, um auszuruhen; und das Landvolk brachte Gastgeschenke, Futter für die Tiere und Proviant. Dort lagerten sie zwei Tagelang; während nun die übrigen wieder aufbrachen, um in die Heimat zu ziehen, blieb Scharkân mit hundert Reitern hinter ihnen zurück, nachdem er dem Wesir Dandân den



1000-und-1_Vol-01-545 Flip arpa

Oberbefehl übergeben hatte, damit das Hauptheer unter ihm heimkehre.

Einen Tag nach dem Aufbruch des Heeres beschloß Scharkân, weiterzuziehen, und so saß er mit seinen hundert Rittern auf. Als sie etwa zwei Parasangen zurückgelegt hatten, kamen sie in eine Schlucht zwischen zwei Bergen, und siehe, da erhob sich vor ihnen eine Wolke von Sand und Staub. Nun hielten sie ihre Renner eine Weile an, bis die Wolke zerstob: da traten hundert Reiter aus ihr heraus, die sahen wie grimme Löwen aus, mit eisernen Panzern gerüstet zum Strauß. Sobald sie an Scharkân und seine Leute herangekommen waren, riefen sie: ,Bei Johannes und Maria, wir haben erreicht, was wir wünschten! Wir sind euch in Eilmärschen gefolgt, Tag und Nacht, bis wir euch an dieser Stelle überholt haben. Nun steigt ab, liefert uns eure Waffen aus und gebt euch selbst gefangen, auf daß wir euch das Leben schenken.' Als Scharkân das hörte, da traten ihm die Augen aus dem Schädel, und seine Wangen wurden rot, und er rief: ,Was, ihr Christenhunde, ihr wagt es, in unser Land zu kommen und unseren Boden zu betreten? Und genügt euch das noch nicht, so daß ihr auch noch euer Leben aufs Spiel setzet und uns so anzureden euch erkühnt? Denkt ihr, ihr werdet unserer Hand entrinnen und je in eure Heimat zurückkehren?' Dann rief er seinen hundert Reitern zu: ,Auf diese Hunde! Denn sie sind euch gleich an Zahl!' Und darauf zog er sein Schwert und stürzte sich mit den Seinen auf sie; doch die Franken traten ihnen entgegen mit Herzen, fester als Felsen: nun traf Mann auf Mann, und Ritter stürmte auf Ritter heran; es entbrannte ein heftiger Strauß, voll Ungestüm zog einer gegen den andern hinaus; da mehrte sich Schrecken und Graus, und mit vielem Gerede war es aus; sie fochten und stritten ohn Aufenthalt, sie kreuzten die Klingen mit voller Gewalt, bis der



1000-und-1_Vol-01-546 Flip arpa

Tag entschwand und die Nacht kam in des Dunkels Gewand. Da zogen sie sich voneinander zurück, und Scharkân sammelte seine Leute und fand, daß keiner verwundet war außer nur vieren, und auch die hatten nur leichte Wunden davongetragen. Nun sprach er zu ihnen: ,Bei Allah, mein Leben lang watete ich in des Kampfes tosendem Meer, und ich kämpfte mit manchem tapferen Mann: doch nie fand ich einen standhafter im Kampf und in der Männerschlacht als jene Helden in ihrer Macht. ',Wisse,' sagten sie, ,o Prinz, unter ihnen ist ein fränkischer Ritter, der ist ihr Führer, ein tapferer Held, dessen Speere durchdringen. Doch bei Allah, er schont uns allesamt, groß und klein; denn wer in den Weg kommt, den läßt er gehn und bekämpft ihn nicht. Bei Allah, hätte er es gewollt, er hätte uns alle erschlagen.' Als Scharkân hörte, was der Ritter getan hatte und in wie hohem Ruf er stand, war er bestürzt und sprach: ,Morgen früh wollen wir uns in Schlachtreihe aufstellen und Mann gegen Mann kämpfen, denn wir sind hundert gegen ihre hundert; und wir wollen vom Herrn der Himmel den Sieg über sie erflehen.' So ruhten sie in jener Nacht mit diesem Entschluß. Doch auch die Franken sammelten sich um ihren Führer und sprachen: ,Wahrlich, heute haben wir an ihnen unser Ziel nicht erreicht'; und der erwiderte ihnen: ,Morgen früh wollen wir uns in Schlachtreihe aufstellen und Mann gegen Mann kämpfen.' Da ruhten auch sie mit diesem Entschluß. Beide Lager hielten Wache, bis Allah der Erhabene das Licht des Morgens sandte. Da saßen Prinz Scharkân und seine hundert Reiter auf und ritten mitsamt zur Walstatt hinab, wo sie die Franken in Schlachtordnung fanden; und Scharkân sprach zu seinen Leuten: ,Unsere Feinde stehen schon wieder bereit; also auf und greifet sie an!' Nun trat ein Herold der Franken hervor und rief: ,Heute soll keine allgemeine Schlacht



1000-und-1_Vol-01-547 Flip arpa

zwischen uns sein, sondern nur Zweikampf: je ein Kämpfer von euch trete vor gegen einen von uns!' Da stürmte ein Reiter aus Scharkâns Reihen hervor, ritt in die Mitte zwischen beiden Reihen und rief: ,Wer tritt auf den Plan? Wer wagt sich heran? Doch mir komme heute kein träger noch schwächlicher Mann!' Kaum aber hatte er ausgeredet, so ritt ein Ritter von den Franken gegen ihn aus, bewaffnet von Kopf bis zu Fuß und angetan mit einem goldgewirkten Mantel; er ritt ein graues Roß, und seine Wangen zeigten keinen Flaum. Und er lenkte sein Roß bis zur Mitte des Schlachtfelds, und die beiden begannen den Kampf mit Hieb und Stich. Doch es dauerte nicht lange, so hatte der Franke den Muslim mit der Lanzenspitze getroffen und warf den aus dem Sattel; und er nahm ihn gefangen und führte den Niedergeschlagenen davon. Da freuten die Seinen sich ihres Gefährten; doch sie hielten ihn zurück, nochmals auf den Kampfplatz zu ziehen, und schickten einen anderen aus, dem ein zweiter Muslim entgegentrat, ein Bruder des Gefangenen. Beide ritten auf die Walstatt und kämpften eine Weile miteinander; da wandte der Franke dem Muslim den Rücken zu, um ihn irrezuführen, traf ihn mit dem unteren Lanzenende, warf ihn vom Roß und nahm ihn gefangen. Dann ritten die Muslime einer nach dem andern vor, und die Franken nahmen sie gefangen, ohne Unterlaß, bis der Tag entschwand und die Nacht kam in des Dunkels Gewand. Da hatten sie zwanzig Reiter der Muslime gefangengenommen; und als Scharkân das bemerkte, war er bekümmert, sammelte seine Leute und sprach: ,Was für ein Unheil hat uns da befallen! Morgen früh will ich selber auf den Kampfplatz reiten und ihrem Führer Einzelkampf anbieten und erfahren, weshalb er in unser Land eingebrochen ist, und ihn warnen, mit uns zu kämpfen. Wenn er nicht nachgibt, so bekämpfen wir ihn; doch



1000-und-1_Vol-01-548 Flip arpa

ist er friedfertig, so schließen wir Frieden mit ihm.' So nächtigten sie, bis Allah der Erhabene das Licht des Morgens sandte; da saßen beide Seiten auf und zogen zur Schlacht zuhauf. Und Scharkân wollte zur Walstatt reiten, aber siehe, mehr als die Hälfte der Franken saß ab und ging zu Fuß vor einem Ritter her, bis sie die Mitte des Schlachtfeldes erreichten. Nun sah Scharkân sich jenen Ritter an, und siehe, es war ihr Führer. Er war bekleidet mit einem Mantel aus blauem Atlas; und sein Gesicht war wie der volle Mond, wenn er aufgeht. Er trug einen engmaschigen Kettenpanzer, und in der Hand hielt er ein indisches Schwert; und er ritt ein schwarzes Roß mit einer Blesse auf der Stirn, wie ein Dirhem so groß; auf den Wangen jenes fränkischen Ritters aber zeigte sich kein Flaum. Er trieb nun sein Roß an, bis er in der Mitte des Feldes stand. Dort winkte er den Muslimen zu und rief in gewähltem Arabisch: ,O Scharkân! O Sohn des 'Omar ibn en-Nu'mân! O du, der du die Festen bezwungen und die Länder zu Wüsten gemacht, auf zum Kampf und zur Schlacht! Jetzt auf, zum Zweikampf geeilt gegen den, der das Feld mit dir teilt! Du bist der Fürst deines Volks, ich bin der Fürst meines Volks; und wer von uns seinen Gegner überwindet, dem sollen des anderen Mannen huldigen!' Kaum aber hatte er geendet, so sprengte Scharkân daher, das Herz vom Zorne schwer, und er trieb sein Roß bis nahe an den Franken auf den Plan und fiel ihn gleich einem wütenden Löwen an. Da trat ihm der Franke standhaft entgegen und bekämpfte ilm wie ein erfahrener Degen. Und sie begannen zu stechen und zu schlagen, und sie ließen nicht ab von Ansturm und Abwehr, von Hieb und Gegenhieb, wie zwei Berge, die aufeinanderfallen, oder zwei Meere, die zusammenprallen. Und sie hörten nicht auf zu kämpfen, bis der Tag entschwand und die Nacht kam in des Dunkels Gewand.



1000-und-1_Vol-01-549 Flip arpa

Da erst ließen sie voneinander ab und kehrten zu ihrem Volk zurück. Doch als Scharkân bei seinen Gefährten war, sprach er: ,Noch nie habe ich einen Ritter gesehen wie diesen. Nur habe ich eine Eigenschaft an ihm bemerkt, die ich noch bei keinem gefunden habe, nämlich diese: wenn er an seinem Gegner eine Blöße für den Todesstoß sieht, so kehrt er seine Lanze um und stößt mit dem unteren Ende! Wahrlich, ich weiß nicht, was aus ihm und mir werden wird; aber ich wollte, wir hätten in unserem Heere einen wie ihn oder Leute wie die Seinen.' Darauf legte Scharkân sich zur Ruhe. Doch als es Morgen wurde, da zog der Franke gegen um aus und ritt mitten auf den Plan, und ihm entgegen trat Scharkân. Nun begannen sie wieder den Streit und zogen die Ringe des Kampfes weit, und sie reckten ihre Hälse gegeneinander und hörten nicht auf zu kämpfen und zu ringen und mit den Lanzen aufeinander einzudringen, bis der Tag zur Neige ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing. Dann trennten sie sich und kehrten zu ihrem Volk zurück; und jeder erzählte seinen Gefährten, was ihm im Zweikampf widerfahren war; schließlich sagte der Franke zu seinen Mannen: ,Morgen soll die Entscheidung sein!' Nun ruhten sie beide in jener Nacht bis zum Tagesanbruch; dann saßen sie auf, und sie stürmten aufeinander ein und hörten bis zum Mittag nicht auf zu kämpfen. Da wandte der Franke eine List an; er jagte das Roß vorwärts und hielt es dann plötzlich mit dem Zügel zurück, so daß es strauchelte und seinen Reiter abwarf. Rasch beugte Scharkân sich über ihn und wollte ihn mit dem Schwerte erschlagen aus Furcht, noch länger kämpfen zu müssen; aber da rief ihm der Franke zu: ,O Scharkân! Das steht den Rittern nicht an! So handelt der von Frauen besiegte Mann !'Als Scharkân von jenem Ritter solche Worte hörte, da hob er die Augen auf zu dem Franken, und als er ihn genau anschaute, erblickte



1000-und-1_Vol-01-550 Flip arpa

er in ihm Prinzessin Abrîza, mit der er jenes Abenteuer im Kloster erlebt hatte. Sowie er sie erkannt hatte, warf er das Schwert aus der Hand, küßte den Boden vor ihr und fragte sie: ,Was trieb dich zu solchen Taten?' Sie erwiderte: ,Ich wollte dich im Felde erproben mit List und schauen, ob du im Kampf und im Turniere standhaft bist. Diese dort bei mir sind meine Dienerinnen, und sie alle sind Jungfrauen; und doch haben sie im offenen Kampf deine Reiter besiegt; und wäre nicht mein Roß mit mir gestrauchelt, du hättest meine Kraft im Kampfe erkannt.' Da lächelte Scharkân ob ihrer Worte und sprach zu ihr: ,Preis sei Allah für die Rettung und für die Wiedervereinigung mit dir, o herrliche Königin unserer Zeit!' Dann rief sie ihren Dienerinnen zu, sie sollten hinreiten und die zwanzig Gefangenen von den Leuten des Scharkân loslassen und danach absitzen. Sie gehorchten ihrem Befehle; dann traten sie herzu und küßten den Boden vor ihr und vor Scharkân, und der sagte zu ihnen: ,Euresgleichen bewahren Könige sich für die Stunde der Not.' Darauf winkte er seinen Gefährten, daß sie die Prinzessin begrüßen sollten; alle sprangen ab und küßten den Boden vor ihr, denn sie wußten, was geschehen war. Dann saßen die zweihundert Ritter auf und zogen dahin, Tag und Nacht, sechs Tage hindurch, bis sie sich der Heimat näherten. Nun bat Scharkân die Prinzessin Abrîza und ihre Dienerinnen, ihre fränkischen Gewänder abzulegen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 51. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scharkân die Prinzessin Abrîza und ihre Dienerinnen ihre fränkischen Gewänder ablegen und die Kleidung der Töchter Griechenlands anziehen ließ. Als sie das getan hatten, entsandte er eine Abteilung seiner Gefährten nach



1000-und-1_Vol-01-551 Flip arpa

Baghdad, um seinen Vater 'Omar ibn en-Nu'mân von seiner Ankunft zu benachrichtigen und ihm zu melden, daß er begleitet werde von der Prinzessin Abrîza, der Tochter des Königs Hardûb, des Fürsten von Kleinasien; das geschah, damit er Leute schicke, um sie zu empfangen. Zur selbigen Stunde saßen sie ab an der Stelle, an der sie waren, und ruhten bis zum Morgen; und als Allah der Erhabene den Morgen dämmern ließ, da saßen Scharkân mit den Seinen und Prinzessin Abrîza mit den Ihren auf und ritten zur Stadt. Und siehe, unterwegs kam ihnen der Wesir Dandân entgegen, der auf besonderen Befehl des Königs 'Omar ihn en-Nu'mân mit tausend Reitern ausgezogen war, um Scharkân und Abrîza zu empfangen. Und als sie sich den beiden näherten, gingen sie auf sie zu und küßten vor ihnen den Boden; dann stiegen sie wieder auf und geleiteten sie als ihr Gefolge, bis sie in die Stadt einzogen und zum Palaste kamen. Scharkân ging sofort zu seinem Vater hinein; der erhob sich ihm entgegen, umarmte ihn und fragte ilm nach dem Stande der Dinge. Da berichtete er ihm alles, was Abrîza ihm gesagt hatte und was zwischen ihnen vorgefallen war, und wie sie sich von ihrem Vater und von ihrem Lande getrennt habe. ,Ja,' so erzählte er, ,sie hat sich entschlossen, mit uns zu ziehen und bei uns zu bleiben. Der König von Konstantinopel hatte wegen seiner Tochter Sophia Arges gegen uns im Sinn; denn der Fürst von Kleinasien hatte ihn mit ihrer Geschichte bekannt gemacht und ihm berichtet, warum er sie dir geschenkt hatte; er, der Fürst von Kleinasien, habe ja nicht gewußt, daß sie die Tochter des Königs Afridûn von Konstantinopel sei; und hätte er es gewußt, so hätte er sie dir nicht gegeben, sondern sie ihrem Vater zurückgeschickt.' Dann schloß Scharkân den Bericht an seinen Vater mit den Worten: ,Wir sind aus diesen Gefahren nur durch diese Maid, durch Abrîza, errettet, und wir



1000-und-1_Vol-01-552 Flip arpa

haben noch nie einen tapfereren Helden gesehen als sie.' So schilderte er seinem Vater von Anfang bis zu Ende alles, was sich zwischen ihnen begeben hatte, von den Ringkämpfen an bis zu der Einzelschlacht. Als König 'Omar die Erzählung seines Sohnes Scharkân gehört hatte, stand Abrîza in seinen Augen hoch und herrlich da, und er wünschte sie zu sehen; deshalb verlangte er nach ihr, um sie zu befragen. Da ging Scharkân hinaus zu ihr und sagte: ,Der König ruft dich'; und sie erwiderte: ,Ich höre und gehorche.' So führte er sie hinein zu seinem Vater, der auf seinem Throne saß und, da er seine Würdenträger entlassen hatte, nur noch seine Eunuchen bei sich hatte. Nachdem die Prinzessin eingetreten war, küßte sie den Boden vor dem König 'Omar ibn en-Nu'mân und begrüßte ihn in gewähltester Rede. Er aber staunte ob ihrer Beredsamkeit, dankte ihr für das, was sie an seinem Sohne Scharkân getan hatte, und hieß sie sich setzen. Sie also setzte sich nieder und entschleierte ihr Antlitz; und als der König sie ansah, da war er wie verwirrt durch ihre Schönheit. Dann ließ er sie nähertreten, bezeigte ihr seine Gunst, schenkte ihr einen eigenen Palast für sich und ihre Mädchen und bestimmte ihnen Jahresgelder. Nun begann er sie nach jenen drei juwelen zu fragen, von denen früher erzählt ist, und sie erwiderte: ,Ich habe sie bei mir, o König unserer Zeit!' Sofort erhob sie sich, ging in ihr Gemach und öffnete ihr Gepäck und zog eine Schachtel daraus hervor und aus der Schachtel eine goldene Büchse. Und sie öffnete die Büchse und nahm die drei Juwelen heraus, küßte sie und gab sie dem König. Doch als sie davonging, nahm sie sein Herz mit sich.

Kaum aber war sie fort, so ließ der König seinen Sohn Scharkân rufen und gab ihm eins von den drei Juwelen; und als Scharkân nach den beiden anderen fragte, erwiderte er: ,Mein



1000-und-1_Vol-01-553 Flip arpa

Sohn, eins will ich deinem Bruder Dau el-Makân geben und das andere deiner Schwester Nuzhat ez-Zamân.' Als aber Scharkân hörte, daß er einen Bruder hatte, der Dau el-Makân hieß, während er bisher nur von einer Schwester gewußt hatte, da wandte er sich zu seinem Vater und fragte ihn: ,O König, hast du außer mir noch einen Sohne' Der König antwortete: ,Gewiß, er ist jetzt sechs Jahre alt', und er fügte hinzu, daß er ihn Dau el-Makân, und seine Schwester Nuzhat ez-Zamân genannt habe und daß die beiden Zwillingsgeschwister seien. Das kam Scharkân hart an; doch er bewahrte seine innersten Gedanken und sagte zu seinem Vater: ,Der Segen Allahs des Erhabenen liege auf ihnen!' Das Juwel aber warf er aus der Hand und schüttelte den Staub von seinen Kleidern. Da sprach der König zu ihm: ,Wie kommt es, daß ich dein Wesen so verändert sehe, nachdem du dies gehört hast, obgleich du nach mir der Erbe des Königreichs bist? Denn die Truppen haben dir den Eid geleistet, und die Emire des Reiches haben dir die Nachfolge zugeschworen, und dieses eine der drei Juwelen ist dein.' Da neigte Scharkân das Haupt zu Boden, denn er schämte sich, mit seinem Vater zu streiten; deshalb nahm er das Juwel und ging davon, aber er wußte vor dem Übermaß des Ingrimms nicht, was er beginnen sollte. Er machte erst halt, als er in den Palast der Prinzessin Abrîza eingetreten war. Und als er auf sie zuging, da kam sie ihm entgegen, dankte ihm für alles, was er getan hatte, und fichte Segen auf ihn und seinen Vater herab. Dann setzte sie sich und ließ ihn sich neben sie setzen; doch als er saß, da merkte sie den Grimm in seinem Antlitz und befragte ihn, und er erzählte ihr, daß sein Vater von Sophia zwei Kinder erhalten habe, einen Knaben und ein Mädchen, und daß er den Knaben Dauel-Makân und das Mädchen Nuzhat ez-Zamân genannt hätte, und fügte hinzu: ,Die



1000-und-1_Vol-01-554 Flip arpa

beiden anderen Juwelen hat er für sie behalten und für mich hat er nur eins hergegeben; und so wollte ich es liegen lassen. Bis jetzt habe ich von alledem nichts gewußt, erst in diesem Augenblick habe ich es gehört; und die beiden sind jetzt schon sechs Jahre alt. Als ich das erfuhr, da packte mich der Grimm. Nun habe ich dir den Grund meines Zorns gesagt und dir nichts verborgen; aber jetzt fürchte ich, mein Vater könnte dich zur Frau nehmen, denn er liebt dich, und ich sah an ihm die Zeichen des Verlangens nach dir: was wirst du dann sagen, wenn er solches wünscht?' Sie antwortete: ,Wisse, o Scharkân, dein Vater hat keine Gewalt über mich, und er kann mich nicht ohne meine Einwilligung nehmen; wenn er mich aber mit Gewalt nimmt, so gebe ich mir selber den Tod. Was jedoch die drei Juwelen angeht, so wollte ich gar nicht, daß er irgendeines davon einem seiner Kinder geben sollte, und ich dachte nicht anders, als daß er sie in seine Schatzkammer zu seinen anderen Kostbarkeiten legen werde; aber jetzt erhoffe ich von deiner Güte, daß du mir das Juwel, das er dir gab, zum Geschenk machst, wenn du es angenommen hast.' ,Ich höre und gehorche', erwiderte Scharkân und gab es ihr. Und sie sprach: ,Fürchte nichts!', und plauderte eine Weile mit ihm und fuhr fort: ,Ich fürchte, mein Vater wird hören, daß ich bei euch bin, und er wird meinen Verlust nicht geduldig ertragen, sondern versuchen, mich wieder zu gewinnen. Zu dem Zwecke wird er sich vielleicht mit dem König Afridûn über dessen Tochter Sophia einigen; dann werden beide mit Heeren über dich herfallen, und es wird großen Aufruhr geben.' Als Scharkân diese Worte hörte, da sprach er zu ihr: ,O Herrin, wenn es dir gefällt, bei uns zu bleiben, so denke nicht an sie, ob sich auch alle wider uns versammeln, die auf dem Lande und auf dem Meere sind.' ,Hoffentlich geht alles gut,' erwiderte sie; ,wenn ihr gut



1000-und-1_Vol-01-555 Flip arpa

an mir handelt, so bleibe ich bei euch, doch wenn ihr schlecht an mir handelt, so ziehe ich davon.' Dann befahl sie ihren Sklavinnen, Speise zu bringen; die setzten den Tisch vor sie hin, und Scharkân aß ein wenig. Doch bald ging er voll Sorgen und Gram in sein eigenes Haus.

Lassen wir ihn dort und wenden wir uns wieder seinem Vater 'Omar ibn en-Nu'mân zu! Der stand auf, als sein Sohn Scharkân ihn verlassen hatte, und ging mit den beiden anderen juwelen zu seiner Sklavin Sophia; als sie ihn erblickte, erhob sie sich und blieb stehen, bis er sich setzte. Alsbald kamen auch seine beiden Kinder, Dau el-Makân und Nuzhatez-Zamân; wie er die sah, küßte er sie und hängte einem jeden eins der Juwelen um den Hals. Die beiden freuten sich darüber und küßten ihm die Hände. Und sie gingen zu ihrer Mutter, die sich mit ihnen freute und dem König langes Leben wünschte. Nun sprach er zu ihr: ,Weshalb hast du mir all die Zeit her nicht gesagt, daß du die Tochter des Königs Afridûn bist, des Herrn von Konstantinopel? Ich hätte dich noch mehr geehrt und deine Würde gemehrt und erhöht. 'Als Sophia dies vernahm, erwiderte sie: ,O König, was sollte ich mir denn Größeres oder Höheres wünschen als diesen Rang, den ich bei dir einnehme? Du überhäufest mich ja mit deiner Gunst und deiner Wohltat, und Allah hat mich durch dich mit zwei Kindern gesegnet, einem Sohn und einer Tochter.' Ihre Antwort gefiel dem König, und als er sie verlassen hatte, da bestimmte er für sie und ihre Kinder einen wunderbar schönen Palast. Auch ernannte er Eunuchen und Diener für sie und Rechtsgelehrte, Philosophen, Astrologen, Ärzte und Chirurgen, deren Obhut er sie anvertraute; er ehrte sie noch mehr und ließ ihnen die höchsten Gunstbezeigungen zuteil werden. Dann kehrte er in den Palast seiner Herrschaft zurück und in die Halle, in der er für seine Untertanen Recht sprach.



1000-und-1_Vol-01-556 Flip arpa

So stand es also um sein Verhalten zu Sophia und ihren Kindern; wie er sich aber zur Prinzessin Abriza stellte, werden wir jetzt sehen. Der König 'Ornat ibn en-Nu'mân war ja in Liebe zu ihr entbrannt, und das Verlangen nach ihr quälte ihn Tag und Nacht. Jeden Abend ging er zu ihr und plauderte mit ihr und machte ihr Andeutungen mit Worten; aber sie ging nicht darauf ein, sondern sagte nur: ,O König unserer Zeit, ich habe gegenwärtig kein Verlangen nach einem Manne.' Und als er sah, daß sie sich ihm versagte, da erstarkte in ihm die Leidenschaft, und noch heftiger kam über ihn der heißen Liebe Kraft, bis er dessen müde wurde und seinen Wesir Dandân rufen ließ; dem vertraute er an, welche Liebe zu der Prinzessin Abrîza, der Tochter des Königs Hardûb, in seinem Herzen verborgen war, und er sagte ihm, daß sie seinen Wünschen nicht nachgeben wollte und daß ihn das Verlangen nach ihr fast getötet habe, da er nicht ihre Gunst gewinnen könne. Als der Wesir diese Worte hörte, sprach er zu dem König: ,Sowie die dunkle Nacht gekommen ist, nimm ein Stück Bendsch, etwa im Gewicht eines Mithkâls 1, geh zu ihr und trinke etwas Wein mit ihr. Und wenn die Zeit naht, da das Gelage endet, so fülle ihr den letzten Becher, wirf das Bendsch hinein und gib ihn ihr zu trinken; und ehe sie ihr Schlafgemach erreicht, wird das Gift an ihr seine Wirkung tun. Dann gehe du ihr nach und bleibe bei ihr und stille dein Verlangen nach ihr! Dies ist der Rat, den ich dir gebe.' ,Was du mir anrätst, ist vortrefflich', sprach der König, und er begab sich in seine Schatzkammer und holte ein Stück von starkem Bendsch heraus, von dessen Geruch sogar ein Elefant von einem Jahr ins andere geschlafen hätte. Er tat es in die Tasche auf seiner Brust und wartete, bis ein kleiner Teil der



1000-und-1_Vol-01-557 Flip arpa

Nacht verstrichen war; dann ging er zu der Prinzessin Abrîza in ihren Palast. Als sie ihn erblickte, erhob sie sich vor ihm; er aber hieß sie sich setzen. Sie setzte sich also, und er setzte sich neben sie und begann, mit ihr vom Wein zu plaudern; da richtete sie den Trinktisch her und stellte die Becher und Krüge vor ihn hin. Auch zündete sie die Kerzen an und befahl, Naschwerk, Süßigkeiten und Früchte zu bringen und alles, was zum Trinken gehört. Dann begannen sie zu trinken; und der König trank ihr so lange zu, bis ihr die Trunkenheit inden Kopf stieg. Als er das bemerkte, nahm er das Stück Bendsch aus der Tasche, und indem er es zwischen den Fingern hielt, füllte er ihr mit eigener Hand einen Becher und trank ihn aus. Dann füllte er ihn zum zweiten Mal und sagte: ,Auf deine Freundschaft!' Damit ließ er das Stück in den Becher fallen, ohne daß sie es bemerkte. Sie nahm ihn und trank ihn aus; dann ging sie in ihr Schlafgemach. Als noch keine Stunde vergangen war, da war er sicher, daß der Schlaftrunk seine Wirkung ausgeübt und sie der Besinnung beraubt hatte, und so ging er zu ihr und fand sie auf ihrem Rücken liegend; sie hatte die Hose ausgezogen, und ein Lufthauch hob den Saum ihres Hemdes. Wie der König sie so daliegen sah und zu ihren Häupten eine brennende Kerze fand und zu ihren Füßen eine zweite, die da beleuchtete, was ihre Lenden umschlossen, da verließ ihn sein Verstand, Satan führte ihn in Versuchung, und er konnte sich nicht mehr beherrschen; sondern er zog das Kleid aus, fiel über sie her und nahm ihr die Mädchenschaft. Dann stand er auf, ging zu einer ihrer Frauen, Mardschâna mit Namen, und sagte: ,Geh zu deiner Herrin; sie läßt dich rufen!' Die Sklavin lief hinein und fand ihre Herrin bewußtlos auf dem Rücken liegend, während ihr das Blut an den Beinen herabrann; da nahm sie eins von ihren Tüchern und wischte ihr das Blut ab und blieb die Nacht



1000-und-1_Vol-01-558 Flip arpa

hindurch bei ihr. Doch als Allah der Erhabene den Tag grauen ließ, da wusch die Sklavin Mardschâna ihrer Herrin das Gesicht, die Hände und die Füße; dann brachte sie Rosenwasser und wusch ihr damit das Gesicht und den Mund. Da plötzlich nieste Prinzessin Abrîza, gähnte und würgte das Stück Bendsch herauf, so daß es aus ihrem Inneren herausfiel wie eine Pastille. Dann wusch sie sich Hände und Mund und sprach zu Mardschâna: ,Sage mir, was mir widerfahren ist!' Da erzählte sie ihr alles das, was vorgegangen war. Die Prinzessin wußte nun, daß der König 'Omar ibn en-Nu'mân bei ihr gelegen und seinen Anschlag gegen sie ausgeführt hatte. Tiefbetrübt darüber zog sie sich in ihre Gemächer zurück und sagte zu ihren Mädchen: ,Haltet jeden zurück, der zu mir kommen will, und sagt, ich sei krank, bis ich sehe, was Gott mit mir vorhat.' Die Nachricht von ihrer Krankheit erreichte auch den König, und er schickte ihr Scherbette und Zuckergebäck. So lebte sie einige Monate lang in der Einsamkeit, und unterdessen kühlte das Feuer des Königs sich ab, und sein Verlangen nach ihr erlosch, so daß er sich ihrer enthielt.

Nun hatte sie von ihm empfangen, und als die Monate dahingingen, wurde ihre Schwangerschaft sichtbar; ihr Leib schwoll an, und die Welt ward ihr zu eng. So sprach sie zu ihrer Dienerin Mardschâna: ,Wisse, nicht die Welt hat unrecht an mir gehandelt, sondern ich habe mich gegen mich selbst versündigt, weil ich meinen Vater und meine Mutter und mein Land verlassen habe. Jetzt bin ich des Lebens überdrüssig, denn mein Mut ist gebrochen, und mir bleibt weder Kraft mehr noch Mut. Wenn ich früher auf mein Roß stieg, so bezwang ich es; jetzt aber bin ich außerstande zu reiten. Wenn ich hier bei ihnen niederkomme, so werde ich vor meinen Dienerinnen entehrt sein, und jeder im Palaste wird wissen, daß der König



1000-und-1_Vol-01-559 Flip arpa

mir auf dem Wege der Schande das Mädchentum nahm; und wenn ich heimkehre zu meinem Vater: mit welchem Gesicht soll ich ihm entgegentreten, und mit welchem Gesicht soll ich überhaupt zurückkehren? Wie ie recht spricht der Dichter:

Gibt es Trost fur den, der kein Land und keine Heimatstatt,
Keinen Freund und keinen Becher, ja auch kein Dach mehr hat?'

Mardschâna antwortete: ,Du hast zu befehlen, und ich gehorche'; und Abrîza sprach: ,Ich möchte diese Stadt sofort heimlich verlassen, so daß niemand von mir weiß als du, und zu meinem Vater und meiner Mutter heimkehren; denn wenn das Fleisch stinkend geworden ist, so bleibt ihm nichts als seine eigene Sippe, und Gott soll mit mir tun, was er will.' ,O Prinzessin,' erwiderte Mardschâna, ,was du tun willst, ist trefflich.' Dann machte Abrîza alles bereit, bewahrte ihr Geheimnis und wartete ein paar Tage, bis der König auf die Jagd auszog und sein Sohn Scharkân sich zu den Burgen begab, um dort eine Zeitlang zu bleiben. Da ging sie zu Mardschâna und sprach zu ihr: ,Ich möchte heute nacht aufbrechen; wie aber soll ich gegen das Schicksal kämpfen? Schon fühle ich die Wehen der Geburt, und wenn ich noch vier oder fünf Tage bleibe, so werde ich hier niederkommen und außerstande sein, die Reise in mein Land zu machen. Aber dies war mir auf der Stirn geschrieben.' Dann überlegte sie eine Weile und sprach: ,Suche uns einen Mann, der mit uns geht und der uns unterwegs bediene; denn ich habe nicht die Kraft, die Waffen zu tragen.' ,Bei Gott,' erwiderte Mardschâna, ,meine Herrin, ich weiß keinen als einen schwarzen Sklaven namens el-Ghadbân'; der gehört zu den Sklaven des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân und ist ein tapferer Kerl, und er hält Wache am Tore unseres Palastes.



1000-und-1_Vol-01-560 Flip arpa

Der König ernannte ihn zu unserem Dienst, und wir haben ihn mit unserer Gunst überschüttet; daher will ich hingehn und mit ihm darüber reden. Ich will ihm etwas Geld versprechen und ihm sagen, wenn er bei uns bleiben wolle, so würde ich ihm die Frau geben, die er sich wünsche. Er hat mir früher einmal erzählt, er sei ein Wegelagerer gewesen; und wenn er bereit ist, so werden wir unser Ziel erreichen und in unser Land gelangen.' Sie entgegnete: ,Rufe ihn zu mir, daß ich mit ihm rede!' Da ging Mardschâna hin und rief: ,O Ghadbân, Gott gebe dir Glück, wenn du einwilligst in das, was meine Herrin dir sagen wird.' Und sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu der Prinzessin. Als er sie sah, küßte er ihr die Hände; doch als sie ihn erblickte, da erschrak ihr Herz vor ihm, und sie sprach bei sich selber: ,Wahrlich, die Not gibt ihr eigenes Gesetz.' Und sie trat zu ihm, um mit ihm zu reden; und obwohl ihr Herz vor ihm erschrocken war, sprach sie dennoch zu ihm: ,O Ghadbân, sprich, willst du uns gegen die Tücke des Schicksals helfen und mein Geheimnis bewahren, wenn ich es dir entdecke? 'Wie der Sklave sie nur anschaute, wurde sein Herz von ihr gewonnen, und er entbrannte sofort in Liebe zu ihr; so konnte er nur entgegnen: ,O Herrin, wenn du mir etwas befiehlst, will ich davon nicht weichen.' Da sprach sie: ,Ich will, daß du noch in dieser Stunde mich und diese meine Dienerin nimmst, daß du uns zwei Kamele sattelst, und zwei von des Königs Pferden, und daß du auf jedes Pferd eine Satteltasche mit Geld und Zehrung legst und mit uns ziehest in unser Land; und wenn du dann bei uns bleiben willst, so will ich dich mit einer meiner Sklavinnen verheiraten, die du dir aussuchen sollst. Wenn du aber lieber in dein eigenes Land zurückkehren willst, so wollen wir dich verheiraten und dir geben, was du verlangst; dann kannst du in dein Land heimkehren,



1000-und-1_Vol-01-561 Flip arpa

nachdem du so viel Geld erhalten hast, daß du damit zufrieden bist.' Als el-Ghadbân diese Worte hörte, freute er sich sehr und sprach: ,O Herrin, ich will euch beiden herzlich gern dienen und mit euch ziehen; die Pferde will ich gleich satteln.' So ging er freudig fort und sprach bei sich selber: ,Ich werde schon meinen Willen an ihnen durchsetzen; und wenn sie mir nicht zu Willen sind, dann töte ich sie beide und nehme ihr Geld.' Diese Absicht verbarg er tief in seinem Innern, ging dahin und kehrte alsbald mit zwei Kamelen und drei Pferden zurück, von denen er eines selber ritt. Dann trat er zur Prinzessin Abrîza und brachte ihr ein Pferd, und sie stieg auf und ließ Mardschâna auf das dritte Pferd steigen. Aber die Prinzessin litt große Schmerzen durch die Wehen und konnte sich vor übergroßer Qual kaum noch beherrschen. Nun zog der Sklave mit ihnen dahin, Tag und Nacht, durch das Land zwischen den Bergen, bis nur noch ein einziger Tagesmarsch zwischen ihnen und ihrem Lande lag. Da aber kamen die Wehen über die Prinzessin, und sie konnte sie nicht mehr zurückhalten; so sprach sie zu el-Ghadbân: ,Laß mich absteigen, denn die Wehen haben mich gepackt'; und der Mardschâna rief sie zu: ,Steig ab und setze dich zu mir und entbinde mich.' Alsbald stieg Mardschâna ab von ihrem Pferde, und el-Ghadbân tat desgleichen; sie banden die Zügel der beiden Pferde fest und halfen der Prinzessin absteigen, die fast bewußtlos war vor dem Übermaß der Schmerzen. Als aber el-Ghadbân sie auf dem Boden sah, da drang Satan in ihn ein, und er zog sein Schwert vor ihrem Antlitz und sagte: ,O Herrin, gewähre mir deine Gunst.' Doch als sie seine Worte hörte, da sah sie ihn an und sagte: ,Es bliebe nur noch übrig, daß ich mich Negersklaven hingabe, nachdem ich mich Königen und Helden verweigert habe!' — — «



1000-und-1_Vol-01-562 Flip arpa

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 52. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Prinzessin Abrîza, während sie zu dem schwarzen Sklaven el-Ghadbân sagte: ,Es bliebe nur noch übrig, daß ich mich Negersklaven hingäbe, nachdem ich mich Königen und Helden verweigert habe!' vor Zorn entbrannte und dann rief: ,Pfui über dich! Was für Worte redest du da zu mir? Pfui! Nimm so etwas nicht in den Mund in meiner Gegenwart! Wisse, nie werde ich etwas von dem gewähren, was du verlangst, und müßte ich auch den Becher des Todes leeren. Warte, bis ich das Ungeborene und mich selbst befreit habe und von der Nachgeburt entbunden bin; wenn du dann noch dazu imstande bist, so tu mit mir, was du willst. Doch wenn du jetzt nicht dein geiles Reden lässest, so werde ich mich wahrlich mit eigener Hand erschlagen und von der Welt scheiden; dann habe ich Ruhe vor alldem.' Und sie sprach die Verse:

Ghadbân, laß ab von mir! Genug hab ich gelitten
Vom Unbill der Geschicke und der grausamen Zeit.
Unzüchtiges Gebaren hat Gott der Herr verboten;
Er sprach: ,Wer mir nicht folgt, ist dem Höllenfeuer geweiht.'
Fürwahr, ich werde nie zu schlechtem Tun mich neigen;
Nein, das verachte ich. Laß mich, sieh mich nicht an!
Lässest du mich mit deiner Gemeinheit nicht in Ruhe
Und wahrst nicht meine Ehre um Gottes willen, dann
Ruf ich mit aller Kraft die Mannen meines Volkes
Und hole sie alle, die Nahen, und auch die Fernen herbei.
Und wurde ich auch zerschlagen mit einem jemenischen Schwerte,
Nie zeigte ich einem gemeinen Kerle mein Antlitz frei,
Keinem von allen Freien und Leuten aus edlem Geschlecht -
Und wieviel weniger noch einem Bastard und elenden Knecht!



1000-und-1_Vol-01-563 Flip arpa

Als el-Ghadbân diese Verse hörte, da ergrimmte er gewaltig; seine Augen wurden rot vor Wut, und seine Farbe wurde fahl; seine Nüstern schwollen, seine Lippen quollen, und doppelt widerwärtig wurde sein Angesicht. Und da sprach er auch noch dieses Gedicht:

O du, Abrîza, weh, laß mich doch nicht alleine!
Mich tötete die Liebe durch deinen Schwerterblick.
Mein Herz ist schon zerschnitten, weil du dich grausam weigerst,
Mein Leib ist dünn geworden, Geduld weicht mir zurück.
Dein Auge hat die Herzen durch Zauberei gefangen;
Und mein Verstand rückt aus, die Sehnsucht naht sich mir.
Und holtest du auch die Fülle der Erde als Heer zusammen,
Ich tue meinen Willen in diesem Augenblick, hier!

Wie Abrîza diese Worte hörte, weinte sie bitterlich und sprach zu ihm: ,Pfui über dich, Ghadbân! Wie darf deinesgleichen ein solches Ansinnen an mich steilem Du Bastardbrut und Tunichtgut! Glaubst du, die Menschen sind alle gleich schlecht?' Beim Anhören dieser Worte wurde der elende Knecht nur noch zorniger, und seine Augen wurden noch röter; er trat zu ihr hin und schlug mit seinem Schwert in ihre Halsadern und verwundete sie zu Tode. Dann nahm er das Geld, ritt mit ihrem Pferd eiligst davon und entfloh in das Gebirge.

Lassen wir ihn und sehen wir zunächst, wie es der Prinzessin Abrîza erging! Sie gebar einen Knaben, dem Monde gleich, und Mardschâna nahm das Kind und verrichtete die notwendigen Dienste und legte ihn seiner Mutter zur Seite; und siehe, das Kind klammerte sich an die Brust seiner sterbenden Mutter! Da stieß Mardschâna einen lauten Schrei aus, zerriß ihr Kleid, streute sich Staub auf das Haupt und schlug sich die Wangen, bis das Blut von ihrem Gesicht herabfloß, und rief: ,Weh, meine Herrin! Wehe, der Jammer! Du stirbst durch die Hand eines unwürdigen schwarzen Sklaven, und das bei all deiner



1000-und-1_Vol-01-564 Flip arpa

ritterlichen Tapferkeit!' Und sie weinte immerfort. Da plötzlich stieg eine Staubwolke auf zum Himmelszelt und verdunkelte weit und breit das Feld; als sie sich dann teilte, zeigte sich klar unter ihr eine zahlreiche Reiterschar.

Nun war dies das Heer des Königs Hardûb, des Vaters der Prinzessin Abrîza, und er kam, weil er vernommen hatte, daß seine Tochter und ihre Dienerinnen nach Baghdad entflohen waren und bei König 'Omar ihn en-Nu'mân weilten; er war ausgezogen mit seinem Gefolge, um bei den Reisenden nach ihr zu fragen, ob sie sie vielleicht bei dem König gesehen hätten. Und als er einen Tagesmarsch von seiner Hauptstadt entfernt war, da erblickte er in der Ferne drei Reiter, und er hielt auf sie zu, um sie zu fragen, woher sie kämen, und um sich bei ihnen nach seiner Tochter zu erkundigen. Diese drei nun, die er in der Ferne sah, waren seine Tochter und ihre Dienerin und der Sklave el-Ghadbân gewesen; und er ritt auf sie zu, um sich bei ihnen Auskunft zu holen. Der Sklave aber hatte sie kommen sehen und hatte, da er für sein Leben fürchtete, Abrîza getötet und war geflohen. Als jene näher an sie herankamen, sah König Hardûb, wie seine Tochter tot dalag und ihre Dienerin über ihr weinte; er warf sich vom Roß und fiel in Ohnmacht zu Boden. Da sprangen all die Ritter in seinem Gefolge, die Emire und Wesire, ab und schlugen sofort in dem Gebirge die Zelte auf; für den König errichteten sie ein großes Rundzelt, und die Großen des Reiches traten draußen vor das Königliche Zelt hin. Als aber Mardschâna ihren Herrn sah, da erkannte sie ihn auf der Stelle und weinte noch heftiger; doch als der König aus seiner Ohnmacht erwachte, fragte er sie nach dem, was geschehen sei. Sie berichtete ihm den Hergang und schloß mit den Worten: ,Siehe, der Mörder deiner Tochter ist ein schwarzer Sklave, der dem König 'Omar ihn en-Nu'mân gehört',



1000-und-1_Vol-01-565 Flip arpa

nachdem sie ihm auch mitgeteilt hatte, wie dieser König an der Prinzessin Abrîza gehandelt hatte. Da wurde dem König Hardûb die Welt vor den Augen schwarz, und er weinte bitterlich. Dann rief er nach einer Bahre und legte die tote Tochter darauf, kehrte nach Cäsarea zurück und ließ sie in den Palast tragen. Darauf ging er zu seiner Mutter Dhât ed-Dawâhi und sagte zu ihr: ,Sollen die Muslime so meine Tochter behandeln? Da raubt der König 'Omar ibn en-Nu'mân ihr mit Gewalt die Ehre, und einer seiner schwarzen Sklaven ermordet sie dann! Aber beim Messias, ich will, so wahr ich hier stehe, das Blut meiner Tochter rächen und den Fleck der Schande von meiner Ehre waschen; sonst nehme ich mir mit eigener Hand das Leben.' Dann weinte er bitterlich. Doch seine Mutter sprach: ,Niemand hat deine Tochter getötet als Mardschâna'; denn sie haßte sie insgeheim. Und dann fuhr sie fort: ,Mache dir keine Sorge um die Blutrache für deine Tochter! Denn beim Messias, ich werde von König 'Omar ihn en-Nu'mân nicht ablassen, bis ich ihn und seine Söhne zu Tode gebracht habe; fürwahr, ich werde eine Tat an ihm tun, daneben die Unheilbringer und Helden verblassen werden und davon man in allen Ländern und an jedem Orte singen und sagen soll. Aber du mußt in allem, was ich sage, mein Geheiß vollführen; wer fest im Auge hat, was er will, der erreicht auch, was er will.' ,Beim Messias,' erwiderte er, ,ich will dir nie in dem, was du sagst, widersprechen.' Sie fuhr fort: ,Bringe mir eine Anzahl von Mädchen, hochbrüstige Jungfrauen, und berufe die Weisen der Zeit. Die laß die Mädchen unterrichten in der Philosophie und im feinen Benehmen vor Königen, in der Kunst der Unterhaltung und des Dichtens; und laß sie ihnen wissenschaftliche und erbauliche Vorträge halten. Aber die Weisen müssen Muslime sein, damit sie die Sprache und



1000-und-1_Vol-01-566 Flip arpa

die Überlieferung der Araber lehren, sowie die Geschichte der Kaufen und die Annalen der früheren Könige des Islams; tun wir vier Jahre lang dergleichen, so werden wir unser Ziel erreichen. Also fasse deine Seele in Geduld und warte; denn einer der Araber sagt: Wird die Blutrache nach vierzig Jahren genommen, so ist das eine kurze Zeit. Wenn wir jene Mädchen all das gelehrt haben, so werden wir imstande sein, unseren Willen an unserem Feinde durchzusetzen; denn die Liebe zu den Mädchen ist seine schwache Seite. Er hat dreihundertundsechzig Kebsweiber, zu denen noch hundert aus der Blüte deiner Dienerinnen kommen, die deine Tochter begleiteten, sie, die zu Gottes Barmherzigkeit eingegangen ist. Wenn nun also diese Mädchen so unterrichtet sind, wie ich dir gesagt habe, dann will ich sie nehmen und selber mit ihnen ausziehn.' Als König Hardûb die Worte seiner Mutter Dhât ed-Dawâhi vernommen hatte, da stand er hocherfreut auf und küßte ihr das Haupt; dann entsandte er sofort Boten und Gesandte in alle Länder, um ihm muslimische Weise herbeizuholen. Sie gehorchten seinem Befehle und zogen in ferne Gegenden und brachten ihm, seinem Wunsche gemäß, die Weisen und Gelehrten heim. Und als diese vor ihn traten, da erwies er ihnen hohe Ehren, verlieh ihnen Ehrengewänder, setzte ihnen Gehälter und Jahrgelder fest und versprach ihnen viel Geld, wenn sie die Mädchen unterrichtet hätten. Alsdann ließ er die Mädchen zu ihnen führen. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 53. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Hardûb den Weisen und Gelehrten, als sie vor ihn getreten waren, hohe Ehren erwies und die Mädchen zu ihnen führen ließ. Und er



1000-und-1_Vol-01-567 Flip arpa

trug ihnen auf, den Mädchen Wissen, Philosophie und feine Bildung zu übermitteln. Sie also taten seinem Befehle gemäß.

So weit König Hardûb! Was aber König 'Omar ibn en-Nu'mân angeht, so hatte er, als er von der Jagd zurückkam und seinen Palast betrat, nach der Prinzessin Abrîza gesucht; doch er fand sie nicht, und keiner konnte ihm Nachricht von ihr geben noch ihm die Sache aufklären. Da beunruhigte er sich und sprach: ,Wie kann eine Frau den Palast verlassen, ohne daß jemand sie bemerkt? Wenn es so in meinem Königreiche aussieht, so ist es schlimm darum bestellt, und niemand ist da, um Ordnung in ihm zu halten! Ich will in Zukunft nicht mehr auf die Jagd ausziehen, ehe ich zu den Toren Leute geschickt habe, die für ihre Bewachung verantwortlich sind.' Er war sehr traurig, und seine Brust ward beklommen ob dem Verluste der Prinzessin Abrîza. Inzwischen kehrte sein Sohn Scharkân von seiner Reise zurück; und der Vater erzählte ihm, was geschehen war und wie die Prinzessin entflohen sei, während er auf der Jagd gewesen. Darüber war der Prinz tief bekümmert. König 'Omar aber begann nun, seine Kinder täglich zu besuchen und ihnen seine Huld zu beweisen; er brachte ihnen Gelehrte und Weise, um sie zu unterrichten, und setzte ihnen Jahrgelder aus. Doch als Scharkân das sah, geriet er in große Wut ,und er beneidete seinen Bruder und seine Schwester deswegen; schließlich wurden die Zeichen des Zorns in seinem Gesicht erkennbar, und er siechte hin vor Ingrimm. Da sprach eines Tages sein Vater zu ihm: ,Woher kommt es, daß ich sehe, wie dein Leib immer kränker und deine Farbe immer bleicher wird?' ,Mein Vater,' erwiderte Scharkân, ,sooft ich sehe, wie du meinen Bruder und meine Schwester liebkosest und beschenkst, packt mich die Eifersucht, und ich fürchte, sie wird so stark in mir werden, daß ich sie umbringe und daß du aus



1000-und-1_Vol-01-568 Flip arpa

Rache mich erschlägst. Dies also ist der Grund, weshalb mein Leib krank und meine Farbe bleich ist. Aber jetzt erbitte ich von dir die Gnade, daß du mir eine deiner Burgen, die abseits von den anderen liegt, gibst, damit ich dort den Rest meines Lebens verbringe. Es heißt ja im Sprichworte: Trennung vom Freunde ist besser für mich und geziemender; denn was das Auge nicht sieht, tut dem Herzen nicht weh.' Und er neigte das Haupt zu Boden. Als aber König 'Omar ibn en-Nu'mân seine Worte hörte und erfuhr, was der Grund seiner Niedergeschlagenheit war, da beruhigte er ilm und sagte: ,O mein Sohn, ich gewähre es dir, und ich habe in meinem Reich keine größere Burg als die von Damaskus; dort sollst du hinfort regieren.' Alsbald berief er die Staatssekretäre und befahl ihnen, die Bestallung seines Sohnes Scharkân als Statthalter von Damaskus in Syrien auszufertigen. Nachdem dies geschehen war, rüstete man ihn aus; und er nahm auch den Wesir Dandân mit sich. Dem übertrug sein Vater die Regierung und die Leitung der Politik, kurz, er beauftragte ihn mit allen Angelegenheiten bei dem prinzlichen Statthalter. Dann nahm er Abschied von Scharkân, die Emire und die Großen des Reiches taten desgleichen, und der Prinz zog aus mit seiner Schar gen Damaskus. Als er dort ankam, da schlugen die Bewohner der Stadt die Trommeln, und sie bliesen die Trompeten und zogen ihm, nachdem sie die Stadt geschmückt hatten, in einem großen Festzuge entgegen; in ihm gingen die Würdenträger, die rechts vom Throne stehen, zur Rechten und die der Linken zur Linken.

Lassen wir nun Scharkân und kehren wir zu seinem Vater 'Omar ibn en-Nu'mân zurück! Nach der Abreise seines Sohnes kamen die Gelehrten zu dem König und sprachen: ,Herr, deine Kinder haben jetzt alles Wissen gelernt, und sie sind



1000-und-1_Vol-01-569 Flip arpa

wohlbewandert in der Philosophie, der feinen Bildung und den Regeln der Zeremonien.' Darüber freute der König sich sehr; und er bezeugte den Gelehrten seine Gnade. Er sah, wie Dau el-Makân herangewachsen und aufgeblüht war und sich zu Rosse tummelte. Der Prinz stand jetzt im Alter von vierzehn Jahren, und er widmete sich der Frömmigkeit und dem Gottesdienste; denn er liebte die Armen, die Gelehrten und Männer des Korans, so daß ihn alles Volk von Baghdad lieb gewann, Männer wie Frauen. Eines Tages nun zog der Pilgerzug mit dem heiligen Seidenteppich aus dem Irak durch Baghdad, auf seiner Fahrt nach Mekka und zu dem Grabe des Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! Als Dau el-Makân den Pilgerzug sah, da ergriff ihn die Sehnsucht, auch ein Pilger zu werden; und so ging er zu seinem Vater und sagte: ,Ich komme, um dich zu bitten, daß ich die Pilgerfahrt machen darf.' Sein Vater aber schlug ihm die Bitte ab, indem er sprach: ,'Warte bis nächstes Jahr, dann gehe ich mit dir.' Doch der Prinz fühlte, daß ihm dies zu lange dauern würde, und so ging er zu seiner Schwester Nuzhat ez-Zamân, die er im Gebete fand. Als die ihre Andacht beendet hatte, sprach er zu ihr: ,Ich vergehe vor Sehnsucht nach der Pilgerfahrt zum heiligen Hause Allahs in Mekka und zum Grabe des Propheten -über ihm sei Segen und Heil! Ich habe meinen Vater um Erlaubnis gebeten, aber er hat meine Bitte abgeschlagen; deshalb will ich nun einiges Geld an mich nehmen und, mich heimlich ohne sein Wissen auf die Pilgerschaft machen.' ,Ich bitte dich um Allahs willen,' rief sie aus, ,nimm mich mit und versage mir nicht die Pilgerfahrt zum Grabe des Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Da sagte er: ,Wenn es ganz dunkel geworden ist, komm von hier heraus, ohne irgend jemandem etwas davon zu sagen.' Also stand sie um Mitternacht auf, nahm ein



1000-und-1_Vol-01-570 Flip arpa

wenig Geld an sich und verkleidete sich im Gewand eines Mannes; dann ging sie zum Tor des Palastes und fand dort Dau ei-Makân mit Kamelen zur Reise bereit. Er half ihr aufsteigen und stieg dann selber auf; und so zogen die beiden in der Nacht dahin, holten die Pilgerkarawane ein und zogen weiter, bis sie sich bei den Pilgern aus dem Irak befanden. Dann pilgerten sie immer weiter dahin, und da Gott ihnen Heil vorausbestimmt hatte, so erreichten sie das hochheilige Mekka, verweilten am Berge 'Arafât und vollzogen alle Pilgerpflichten. Dann gingen sie nach Medina zum Grabe des Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, besuchten es und wollten nun mit den Pilgern in ihre Heimat zurückkehren. Aber Dau el-Makân sprach zu seiner Schwester: ,Liebe Schwester, mich verlangt danach, Jerusalem zu besuchen und Abraham, den Freund Gottes -Friede sei über ihm!' ,Auch ich habe diesen Wunsch', entgegnete sie; so einigten sie sich darüber.

Dann ging er hin und mietete sich und seine Schwester ein bei der Karawane der Jerusalempilger; sie machten sich bereit und brachen mit dem Pilgerzug auf. Gerade in jener Nacht aber hatte die Schwester einen Anfall von kaltem Fieber und wurde schwer krank; doch sie erholte sich schnell. Allein dann wurde auch der Bruder krank. Da pflegte sie ihn in seiner Krankheit, die während ihrer ganzen Reise bis nach Jerusalem andauerte; doch die Krankheit wurde immer schlimmer, und er wurde immer schwächer. Sie stiegen dort in einem Chân ab und mieteten sich ein Zimmer, in dem sie wohnten; aber Dau el-Makâns Krankheit faßte ihn immer heftiger, bis er ganz abgemagert und fast bewußtlos war. Da war seine Schwester Nuzhat ez-Zamân sehr bekümmert und rief aus: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Dies ist Allahs Ratschluß!' Sie blieben



1000-und-1_Vol-01-571 Flip arpa

nun eine Zeitlang dort, während seine Schwäche zunahm und sie ihn pflegte und das Notwendige einkaufte für sich und ihn, bis alles Geld, das sie hatte, ausgegeben war und sie so arm war, daß ihr kein Dirhem mehr blieb. Da schickte sie einen Diener des Châns mit einigen ihrer Kleider in den Basar; der verkaufte sie, und sie verwandte das Geld für ihren Bruder. Dann verkaufte sie mehr, und allmählich verkaufte sie alle ihre Habe, ein Stück nach dem andern, bis ihr nichts mehr blieb als ein zerrissenes Stück Zeug. Da weinte sie und rief aus: ,Allah ist der Gebieter über das Vergangene und das Zukünftige!' Ihr Bruder aber sprach zu ihr: ,Schwester, ich spüre jetzt die Genesung, und mich verlangt nach etwas gebratenem Fleische.' ,Bei Gott, lieber Bruder,' erwiderte sie, ,ich habe nicht die Stirn zum Betteln; aber morgen will ich in das Haus eines Reichen gehen und durch Dienst etwas erwerben, von dem wir beide leben können.' Darauf sann sie eine Weile nach und sagte: ,Wahrlich, es ist nicht leicht für mich, dich in diesem Zustand zu verlassen, aber ich muß mich dazu zwingen fortzugehen!' Er entgegnete: ,Das verhüte Gott! Du wirst ins Elend geraten; aber es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah!' Dann weinten sie beide miteinander, und sie sprach: ,Bruder, wir sind Fremde, die seit einem vollen Jahr hier wohnen, aber noch hat niemand an unsere Tür gepocht. Sollen wir denn Hungers sterben? Ich weiß keine Hilfe, als daß ich ausgehe und diene und dir einiges bringe, von dem wir uns nähren können, bis du von deiner Krankheit geheilt bist; dann wollen wir in unsere Heimat reisen.' Sie blieb noch eine Weile weinend bei ihm, während er auf seinem Krankenlager auch Tränen vergoß. Dann aber stand Nuzhat ez-Zamân auf, verhüllte ihr Haupt mit einem härenen Lappen, der zu den Tüchern der Kameltreiber gehörte und den sein Besitzer bei



1000-und-1_Vol-01-572 Flip arpa

ihnen vergessen und zurückgelassen hatte; sie küßte ihrem Bruder die Stirn, umarmte ihn und ging weinend davon, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollte. So ging sie immer weiter, während ihr Bruder auf sie wartete, bis die Zeit des Nachtmahls nahe war; da kam sie noch nicht, und nun wachte er, bis der Morgen dämmerte, aber noch immer kehrte sie nicht zu ihm zurück. Das ging so weiter zwei Tage lang. Darum war er in großer Sorge, und sein Herz zitterte für sie, und der Hunger bedrängte ihn sehr. Schließlich aber verließ er das Zimmer und rief den Diener des Châns und bat ihn, er möchte ihn zum Basar führen. Der führte ihn zum Basar und legte ihn dort nieder; alsbald sammelte sich das Volk von Jerusalem um ihn, und alle waren zu Tränen gerührt, als sie seinen Zustand sahen. Da machte er ihnen Zeichen, daß er etwas essen möchte; und sie holten für ihn einiges Geld von den Kaufleuten, die sich im Basar befanden, und kauften Nahrung und speisten ihn damit; dann trugen sie ihn in einen Laden, wo sie eine Matte aus Palmblättern für ihn ausbreiteten, und setzten ihm zu Häupten eine Kanne Wassers hin. Als die Nacht hereinsank gingen alle die Leute fort, obgleich sie in schwerer Sorge um ihn waren; doch um Mitternacht dachte er an seine Schwester, und da wurde seine Krankheit wiederum heftiger, so daß er von da ab nicht mehr aß noch trank und das Bewußtsein verlor. Nun gingen die Leute im Basar hin und sammelten unter den Kaufleuten dreißig Silberdirhems, mieteten ein Kamel für ihn und sagten zu dem Treiber: ,Bringe diesen Kranken nach Damaskus und lasse ihn dort im Hospital; vielleicht wird er geheilt und wieder gesund.' ,Gern!' erwiderte der Treiber; doch bei sich selber sprach er: ,Wie soll ich diesen Kranken, der dem Tode nahe ist, nach Damaskus bringen?' So schaffte er ihn an einen Ort, wo er sich bis zum Einbruch der Nacht



1000-und-1_Vol-01-573 Flip arpa

mit ihm verbarg; dann aber warf er ihn auf den Misthaufen bei dem Heizraum eines Badehauses und ging seiner Wege.

Als nun der Morgen dämmerte, kam der Heizer des Bades zu seiner Arbeit, und als er Dau el-Makân dort liegen sah, rief er aus: ,Warum wirft man diese Leiche gerade hierher?' Und er trat mit dem Fuße nach ihm, so daß er sich bewegte; da sprach der Heizer: ,Na ja, so'n Kerl wie du frißt Opium und wirft sich dann hin, wo es gerade trifft.' Doch als er ihm ins Gesicht blickte und seine bartlosen Wangen und seine Schönheit und Anmut sah, da hatte er Mitleid mit ihm und erkannte, daß er ein kranker Fremdling war. So rief er: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah! Wahrlich, ich habe gegen diesen Jüngling gesündigt, denn der Prophet - Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —hat befohlen, den Fremdling zu ehren, vor allem, wenn der Fremdling krank ist.' Da trug er ihn in sein Haus, brachte ihn zu seiner Frau und sagte ihr, sie solle ihm eine Decke hinlegen und ihn pflegen. Die breitete ihm also eine Decke zum Schlafen aus, legte ihm ein Kissen unter den Kopf, wärmte Wasser für ihn und wusch ihm Hände, Füße und Gesicht. Inzwischen ging der Heizer auf den Markt, holte etwas Rosenwasser und Zucker und besprengte ihm das Gesicht mit dem Wasser und gab ihm von dem Scherbett zu trinken. Auch holte er ihm ein sauberes Hemd und zog es ihm an. Dau el-Makân aber sog den Zephir der Genesung ein, und die Gesundheit wandte sich ihm wieder zu; und er richtete sich auf, gegen das Kissen gelehnt. Des freute der Heizer sich und rief: ,Preis sei Allah für die Gesundung dieses Jünglings! O Gott, ich flehe dich an bei deinem verborgenen Geheimnis, daß du diesen Jüngling durch meine Hand errettest!'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 54.



1000-und-1_Vol-01-574 Flip arpa

Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Heizer ausrief: ,O Gott, ich flehe dich an bei deinem verborgenen Geheimnis, daß du diesen Jüngling durch meine Hand errettest!' Und dann sorgte er für ihn unermüdlich drei Tage lang, und er gab ihm Zuckerscherbett zu trinken und Weidenblütenwasser und Rosenwasser; er erwies ihm jeglichen Dienst und jede Freundlichkeit, bis die Gesundheit in seinen Leib zurückkehrte und Dau el-Makân die Augen wieder aufschlug. Da trat der Heizer zu ihm herein, und als er ihn sitzen sah, unter den Zeichen der Besserung, sprach er zu ihm: ,Wie geht es dir jetzt, mein Sohne' ,Preis sei Allah,' erwiderte Dau el-Makân, ,ich werde bald wohl und gesund sein, so Gott der Erhabene will.' Der Heizer pries den Herrn, ging eilends auf den Markt und kaufte zehn Küken für ihn. Die brachte er seiner Frau und sagte: ,Jeden Tag schlachte zwei für ihn, eins am Morgen und eins am Abend!' Da schlachtete sie ein Küken für ihn, kochte es und brachte es ihm, gab ihm das Fleisch zu essen und ließ ihn die Brühe trinken. Als er gegessen hatte, holte sie ihm heißes Wasser, und er wusch sich die Hände und legte sich auf das Kissen zurück; sie bedeckte ihn mit einem Mantel, und er schlief bis um die Zeit des Nachmittagsgebetes. Da kochte sie ihm ein zweites Küken, brachte es ihm, zerlegte es und sprach: ,Iß, mein Sohn!' Und während er aß, siehe, da trat ihr Mann ein, und als er sah, wie sie ihm zu essen gab, da setzte er sich ihm zu Häupten und fragte: ,Wie geht es dir jetzt, mein Sohne' ,Preis sei Allah für die Genesung,' erwiderte er; ,möge Allah dir deine Freundlichkeit an mir vergelten!' Der Heizer war froh darüber, ging aus und kaufte Veilchenscherbett und Rosenwasser und ließ ihn das trinken. Nun verdiente jener Heizer durch seine Arbeit im Badehause jeden Tag fünf Dirhems; und er kaufte täglich



1000-und-1_Vol-01-575 Flip arpa

für einen Dirhem Zucker, Rosenwasser, Veilchenscherbett und Weidenblütenwasser, und für einen zweiten kaufte er Küken. Einen ganzen Monat lang pflegte er ihn so sorgsam, bis die Spuren der Krankheit von ihm gewichen waren und Dau ei-Makân wieder ganz gesund war. Nun freuten der Heizer und seine Frau sich über die Genesung des Kranken, und der Heizer fragte ihn: ,Mein Sohn, willst du mit mir ins Bad gehn?' Als dieser es gern bejahte, ging er in den Basar und holte einen Eseltreiber, setzte Dau el-Makân auf den Esel und stützte ihn im Sattel, bis sie im Bad ankamen. Dort ließ er ihn sich setzen und wies dem Treiber im Heizraum einen Platz an; er selbst ging auf den Markt und kaufte Lotusblätter und Lupinenmehl, kehrte ins Bad zurück und sprach zu Dau el-Makân: ,Lieber Herr, im Namen Allahs, geh hinein! ich will dir deinen Leib waschen.' So betraten sie den inneren Raum des Bades, und der Heizer begann Dau el-Makân die Füße zu reiben und ihm mit den Blättern und dem Mehl den Leib zu waschen; da aber kam ein Badediener, den der Herr des Bades für Dau el-Makân gesandt hatte. Als der sah, wie der Heizer ihn wusch und rieb, trat er anilin heran und sprach: ,Das istein Eingriff in die Rechte des Herrn des Bades.' Der Heizer erwiderte: ,Bei Allah, der Herr überwältigt uns mit seiner Gunst!' Da machte der Diener sich daran, Dau el-Makân den Kopf zu rasieren; dann badeten Dau el-Makân und der Heizer, und darauf kehrte der Heizer mit jenem nach Hause zurück. Dort kleidete er ihn in ein Hemd aus feinem Stoffe und gab ihm eins seiner eigenen Gewänder, ferner einen schönen Turban und einen feinen Gürtel, und er legte ihm ein seidenes Tuch um den Hals. Inzwischen hatte die Frau des Heizers wieder zwei Küken geschlachtet und gekocht, und nachdem Dau el-Makân hinaufgegangen war und sich auf sein Lager gesetzt hatte, löste der Mann für ihn Zucker in



1000-und-1_Vol-01-576 Flip arpa

Weidenblütenwasser und gab ihm das zu trinken. Dann setzte er den Speisetisch vor ihn hin, zerlegte die Küken, gab ihm das Fleisch zu essen und die Brühe zu trinken, bis Dau el-Makân gesättigt war. Der wusch sich darauf seine Hände, dankte Allah dem Erhabenen für die Genesung und sprach zu dem Heizer: ,Du bist es, mit dem Allah der Erhabene mich begnadet und durch dessen Hand er mich errettet hat!' ,Laß solche Reden!' versetzte der andere, ,Sage uns lieber, weshalb du in diese Stadt gekommen bist und woher du stammst! Denn ich sehe in deinem Gesichte Spuren des Wohlstandes.' ,Sage mir, wie du mich zuerst gefunden hast!' sprach Dau el-Makân; ,und nachher will ich dir meine Geschichte erzählen.' Da erzählte der Heizer: ,Was mich angeht, so wisse, als ich am frühen Morgen an meine Arbeit ging, fand ich dich auf dem Misthaufen liegen bei der Tür zum Heizraume, und ich wußte nicht, wer dich dort hingeworfen hatte. Da habe ich dich mitgenommen; das ist meine ganze Geschichte.' Dau el-Makân erwiderte: ,Preis sei Dem, der die Gebeine wiedererweckt, wenn sie auch schon vermodern! Wahrlich, mein Bruder, du hast deine Güte an keinen Unwürdigen verschwendet, und du wirst die Früchte dafür ernten.' Dann fügte er hinzu: ,Aber in welchem Lande bin ich jetzt?' ,Du bist in der Stadt Jerusalem', erwiderte der Heizer; und da erinnerte Dau el-Makân sich daran, daß er in der Fremde war, und er dachte der Trennung von seiner Schwester und weinte. Nun enthüllte er dem Heizer sein Geheimnis und erzählte ihm seine Geschichte und sprach die Verse:

Sie haben mich in der Liebe über die Kraft beladen;
Um ihretwillen kam über mich das schwerste Leid.
O ihr, die ihr mich fliehet, fühlt doch mit meinem Herzblut;
Sogar jeder Neidhart erbarmt sich meiner Verlassenheit.
Versagt mir nicht einen Blick, der meine Schmerzen lindert,



1000-und-1_Vol-01-577 Flip arpa

Die Leidenschaft auch, die mir zu schwer zu ertragen ward!
Ich bat mein Herz, es möchte mit euch Geduld noch haben;
Es sprach: ,Laß mich in Ruh! Geduld ist nicht meine Art.'

Dann weinte er noch stärker, bis der Heizer zu ihm sprach: ,Weine nicht, sondern preise vielmehr Allah den Erhabenen für die Rettung und Genesung.' Nun fragte Dau el-Makân: ,Wie weit ist es von hier bis Damaskus ?'Jener antwortete: ,Sechs Tagereisen.' Weiter fragte Dau el-Makân: ,Willst du mich dorthin senden?' ,Lieber Herr,' sprach der Heizer, wie kann ich dich allein reisen lassen, dich, einen fremden Jüngling? Wenn du nach Damaskus reisen willst, so werde ich mit dir gehen; und wenn meine Frau auf mich hören und mir gehorchen und mich begleiten will, so will ich dort meinen Wohnsitz aufschlagen; denn es wird mir zu schwer, mich von dir zu trennen.' Dann sprach er zu seiner Frau: ,Willst du mit mir nach Damaskus, der Hauptstadt von Syrien, reisen, oder willst du hier bleiben, wenn ich diesen meinen Herrn dorthin geleite und dann zu dir zurückkehre? Denn er will nach Damaskus ziehen, und bei Allah, es wird mir zu schwer, mich von ihm zu trennen, und ich bin um ihn wegen der Straßenräuber besorgt.' Sie erwiderte: ,Ich will mit euch beiden gehen'; und er sprach: ,Allah sei gepriesen, daß wir einig sind!' Somit war die Reise beschlossen, und der Heizer machte sich daran, all seine Habe und die seiner Frau zu verkaufen. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 55. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Heizer und seine Frau mit Dau el-Makân übereinkamen, mit ihm nach Damaskus zu ziehen. Dann verkaufte der Heizer seine Habe und die seiner Frau; und er kaufte ein Kamel und mietete für Dau el-Makân einen



1000-und-1_Vol-01-578 Flip arpa

Esel zum Reiten. Sie brachen auf und zogen olme Aufenthalt dahin sechs Tage lang, bis sie Damaskus erreichten. Dort kamen sie gegen Abend an; und der Heizer ging aus und kaufte, wie er es gewohnt war, ein wenig zu essen und zu trinken. So verbrachten sie zunächst fünf Tage; aber da erkrankte die Frau des Heizers, und nach kurzem Siechtum ging sie ein zur Gnade Allahs des Erhabenen. Das war für Dau el-Makân ein schwerer Schlag, denn er hatte sich an sie und ihre Pflege gewöhnt; auch der Heizer trauerte sehr um ihren Tod. Nun wandte der Prinz sich zu dem Heizer, und da er ihn in Trauer versunken sah, sagte er zu ihm: ,Trauere nicht, denn wir alle müssen durch dies Tor gehen!' Da blickte der Heizer auf und sprach zu ihm: ,Allah lohne es dir, mein Sohn! Allah der Erhabene wird uns in seiner Gnade trösten und die Trauer von uns nehmen. Willst du, mein Sohn, mit mir ausgehen, daß wir uns Damaskus ansehen, damit dein Gemüt sich aufheitere?' Dau el-Makân erwiderte: ,Du hast zu bestimmen.' Da erhob sich der Heizer und legte seine Hand in die des Prinzen, und beide gingen dahin, bis sie zu den Ställen des Statthalters von Damaskus kamen, wo sie Kamele fanden, beladen mit Kisten und Teppichen. und brokatenen Stoffen, und gesattelte Pferde und baktrische Trampeltiere; Negersklaven und Mamluken und anderes Volk liefen aufgeregt hin und her. Da sprach Dau el-Makân: ,Wem gehören wohl diese Diener und Kamele und Stoffe!' Und er fragte einen der Eunuchen: ,An wen geht die Sendung?' Der Gefragte erwiderte: ,Es sind Geschenke, die der Emir von Damaskus mit dem Tribut von Syrien dem König 'Omar ibn en-Nu'mân sendet.' Als aber Dau el-Makân diese Worte hörte, da liefen ihm die Augen über vor Tränen, und er sprach diese Verse:

O die ihr fern dem Blicke meines Auges,
Und die ihr doch in meinem Herzen weilt:



1000-und-1_Vol-01-579 Flip arpa

Fern ist mir eure Schönheit, und mein Leben
Ist bitter, meine Sehnsucht nicht geheilt.
Wenn Gott bestimmt, daß wir uns wiederfinden,
Will ich das Leid in langen Mären künden.

Und da er weinte, als er geendet hatte, sprach der Heizer zu ihm: ,Mein Sohn, du bist ja kaum genesen; also fasse dir ein Herz und weine nicht, denn ich fürchte einen Rückfall für dich!' Und so ließ er nicht ab, ihn zu trösten und aufzuheitern; aber Dau el-Makân seufzte und klagte, daß er in der Fremde sei und fern von seiner Schwester und von seinem Lande. Tränen strömten ihm aus den Augen, und er sprach die Verse:

Such Zehrung in disser Welt; denn siehe, du mußt sie verlassen!
Bedenke: dem unerbittlichen Tode entfliehst du nie!
Dein Wohlsein in der Welt ist doch nur Trug und Sorge;
Dein Leben in der Welt ist törichte, eitle Müh.
Wahrlich, die Welt ist nur wie der Rastort des reisigen Mannen:
Am Abend ruht er sein Tier; am Morgen zieht er von dannen.

Dann begann er wieder ob seiner Fremdlingschaft zu weinen und zu klagen, und auch der Heizer weinte um den Verlust seiner Frau; doch der ließ nicht ab, Dau el-Makân zu trösten, bis der Morgen dämmerte. Und als die Sonne aufging, da sprach er zu ihm: ,Es ist, als ob du an deine Heimat dächtest.' ,Ja,' erwiderte Dau el-Makân, ,und ich kann hier nicht länger verweilen; drum will ich dich in Allahs Hände befehlen und mit diesen Leuten da aufbrechen und langsam dahinziehen, bis ich in meine Heimat komme.' Da sprach der Heizer: ,Und ich mit dir; denn ich kann mich nicht von dir trennen. Ich habe dir eine Freundlichkeit erwiesen, und nun will ich dir bis zuletzt dienen.' Dau el-Makân erwiderte: ,Allah vergelte dir!' Denn er freute sich darüber, daß der Heizer mit ihm reisen wollte. Dann ging der Heizer sofort davon, verkaufte das Ka



1000-und-1_Vol-01-580 Flip arpa

incl und kaufte einen zweiten Esel; und er lud seinen Mundvorrat auf und sagte zu Dau el-Makân: ,Reite auf diesem Esel unterwegs, und wenn du des Reitens müde bist, so kannst du absteigen und gehen!' Der Prinz antwortete: ,Allah segne dich und helfe mir, es dir zu vergelten! Wahrlich, du hast mir mehr Güte erwiesen als ein Bruder dem andern.' Dann wartete er, bis es dunkle Nacht war; da legten sie ihre Vorräte und ihr Gepäck auf den Esel und brachen auf.

Lassen wir nun Dau el-Makân und den Heizer und kehren wir zu seiner Schwester Nuzhat ez-Zamân zurück! Als sie sich von ihrem Bruder getrennt hatte, verließ sie den Chân, der ihnen in Jerusalem als Herberge diente, mit dem härenen Lumpen bedeckt, und ging aus, um bei jemandem Dienst zu suchen, damit sie für ihren Bruder das gebratene Fleisch, nach dem er Verlangen trug, kaufen könnte. Weinend ging sie dahin, olme zu wissen, wohin sie sich wenden sollte. Ihre Gedanken waren bei ihrem Bruder, bei den Ihren und in der Heimat, und demütig fichte sie zu Gott, er möchte all dieser Not ein Ende machen; und sie sprach diese Verse:

Schwarz fällt die Nacht, es regt sich die Liebe mit ihren Schmerzen,
Und Sehnsucht rüttelt grausam an allein meinem Leid.
Die bittre Qual der Trennung wohnt jetzt in meinem Innern,
Linda!! das schwere Leiden macht mich zum Tode bereit.
Die Liebe raubt mir den Schlaf, die Sehnsucht verbrennt mich wie Feuer,
Die Tränen kunden an, was heimlich in mir weilt.
Ich kenne keinen Weg zu einem Wiedersehen,
Das mich von meinem Elend und meiner Krankheit heut.
Das Feuer meines Herzens wird an der Sehnsucht entzündet,
Mich peinigt Höllenglut wie Strafe fur schwere Schuld.
Genug, der du ,nich tadelst ob dem, was mich betroffen!
Was mir vorherbestimmt ward, trage ich in Geduld.
Ich schwöre bei der Liebe, nie werde ich ,nich trösten -
Und Schwüre der Liebenden sind als hoch und heilig bekannt.



1000-und-1_Vol-01-581 Flip arpa

O Nacht, sag den Erzählern der Liebe, wie's mir ergangen,
Bezeuge dein Wissen, daß ich in dir keinen Schlummer fand.

Dann ging sie weinend weiter, und während sie sich nach rechts und nach links umwandte, kam ein Scheich aus der Wüste mit fünf anderen Beduinen daher gezogen. Jener Alte betrachtete sie und sah, daß sie schön war, obwohl sie doch auf dem Kopfe einen härenen Lumpen trug; und er staunte ob ihrer Schönheit und sprach bei sich selber: ,Die da ist bezaubernd schön; aber sie sieht heruntergekommen aus. Ob sie vom Volke dieser Stadt ist oder eine Fremde, ich muß sie haben.' Dann folgte er ihr langsam, bis er ihr in einer engen Gasse entgegentrat und ihr den Weg versperrte; da rief er sie an, um sie auszufragen, und sprach: ,Töchterchen, bist du eine Freie oder eine Sklavin?' Als sie das hörte, blickte sie ihn an und bat ihn: ,Bei deinem Leben, erneuere mir nicht meinen Kummer!' Er aber fuhr fort: ,Ich hatte sechs Töchter, aber fünf von ihnen sind mir gestorben, und nur eine ist mir geblieben, die jüngste; nun wollte ich dich fragen, ob du zum Volk dieser Stadt gehörst oder eine Fremde bist; denn ich möchte dich mitnehmen und zu ihr bringen, damit du ihr Gesellschaft leistest und sie durch dich die Trauer um ihre Schwestern vergißt. Wenn du also keine Sippe hast, so will ich dich wie eine Tochter halten, und du sollst mir wie ein eigen Kind sein.' Wie Nuzhat ez-Zamân seine Worte vernahm, sprach sie bei sich selber: ,Vielleicht kann ich mich diesem Alten anvertrauen.' Dann senkte sie verschämt den Kopf und sprach: ,Lieber Oheim, ich bin ein fremdes Arabermädchen, und ich habe einen kranken Bruder; unter einer Bedingung will ich dich zu deiner Tochter begleiten, daß ich nämlich nur den Tag bei ihr zu verbringen brauche und nachts zu meinem Bruder zurückkehren darf. Wenn du damit einverstanden bist, so will ich mit dir gehen; denn ich



1000-und-1_Vol-01-582 Flip arpa

bin eine Fremde, und ich stand einst hoch in Ehren in meinem Stamm, doch ich ward arm und verachtet. Ich kam mit meinem Bruder aus dem Lande des Hidschâz, und ich fürchte, er weiß nicht, wo ich bin.' Als der Beduine das hörte, da sprach er bei sich selber: ,Bei Allah, ich habe mein Ziel erreicht!' Darauf wandte er sich zu ihr und sprach: ,Niemand soll mir teurer sein als du; ich möchte nur, daß du meiner Tochter tagsüber Gesellschaft leistest, und mit Einbruch der Nacht kannst du zu deinem Bruder gehen. Oder wenn es dir lieber ist, so bringe ihn her, daß er bei uns wohne.' In dieser Weise fuhr der Beduine fort, sie zu trösten und ihr freundlich zuzureden, bis sie sich von ihm betören ließ und einwilligte, ihm zu dienen. Er ging vor ihr her, und als sie ihm folgte, da gab er seinen Leuten ein Zeichen. Daraufhin eilten sie voraus, schirrten die Dromedare auf, beluden sie und legten auch die Wasserschläuche und die Vorratssäcke darauf, um bei seiner Ankunft sofort mit den Kamelen aufbrechen zu können. Nun war dieser Beduine ein Bastard und Straßendieb, der Verrat gegen den Feind betrieb, ein Räuber, ein listiger und verschlagener Kerl, der weder Sohn noch Tochter hatte, ein richtiger Wegelagerer; er hatte aber dies arme Mädchen getroffen, da Allahs Wille es so bestimmt hatte. Unterwegs redete er unaufhörlich auf sie ein, bis sie außerhalb der Stadt Jerusalem waren; dort traf er seine Genossen bei den reisefertigen Dromedaren. Nun stieg der Beduine auf ein Kamel, und er ließ Nuzhat ez-Zamân hinter sich reiten; und sie zogen die ganze Nacht hindurch weiter. Da erkannte sie, daß die Worte des Beduinen ein Vorwand gewesen waren und daß er sie betrogen hatte; und sie weinte und schrie die ganze Nacht hindurch, während die Räuber aus Angst, daß irgend jemand sie sehen könnte, ihren Weg auf die Berge zu nahmen. Als aber der Morgen nahte, saßen sie von den Kamelen



1000-und-1_Vol-01-583 Flip arpa

ab, und der Beduine trat zu Nuzhat ez-Zamân und fuhr sie an: ,Was soll das Heulen, du Stadtfräulein? Bei Allah, wenn du nicht aufhörst zu heulen, so schlage ich dich tot, du Dirne aus der Stadt!' Als sie das hörte, da mochte sie nicht mehr leben, sondern sehnte den Tod herbei; und so rief sie ihm zu: ,Elender Alter, Graubart der Hölle, wie konntest du mich, die ich dir vertraute, verraten, und willst mich jetzt quälen?' Wie er ihre Worte vernahm, schrie er sie an: ,Du Dirne, wagst du es, mir Widerworte zu geben?' Und er trat zu ihr mit einer Peitsche, schlug sie und sprach: ,Wenn du nicht still bist, so töte ich dich!' Sie verstummte eine Weile; aber dann gedachte sie ihres Bruders und ihres einstigen Glücks, und sie weinte heimlich. Am nächsten Tage darauf wandte sie sich zu dem Beduinen und sprach: ,Wie konntest du mich so betrügen und mich in diese Bergwüste locken, und was hast du mit mir vor?' Aber durch diese Worte wurde sein Herz nur noch mehr verhärtet, und er sprach: ,Du elende Dirne, wagst du es, mir Widerworte zugeben?' Sofort nahm er die Peitsche und schlug sie damit auf den Rücken, bis sie fast ohnmächtig wurde. Nun neigte sie sich über seine Füße und küßte sie; da ließ er ab, sie zu schlagen, und schmähte sie und sprach: ,Bei meiner Kappe, wenn ich dich wieder heulen sehe oder höre, so schneide ich dir die Zunge ab und stopfe sie in dein Loch, du Dirne aus der Stadt!' Da verstummte sie und gab ihm keine Antwort mehr; und da die Schläge sie schmerzten, kauerte sie sich nieder und senkte den Kopf auf die Brust. Dabei dachte sie an ihre Not und Erniedrigung nach ihrem einstigen Glück und an die Schläge, die sie erlitten hatte; auch gedachte sie ihres Bruders und seiner Krankheit und Einsamkeit und ihrer beider Verlassenheit. Die Tränen liefen ihr die Wangen herab, und still weinend sprach sie die Verse:



1000-und-1_Vol-01-584 Flip arpa

So ist des Glückes Art: bald flieht es, bald kehrt es wieder,
Und keinem Sterblichen bleibt es auf die Dauer getreu.
Ein jeglich Ding in der Welt hat seine Zeit hienieden,
Und aller Menschen Fristen gehn doch einmal vorbei.
Wie lange noch soll ich das Unheil und den Schrecken ertragen?
Weh über ein Leben, das ganz aus Unheil und Schrecken bestand!
Gott segne nicht die Tage, die kurzes Glück mir brachten,
Ein Glück, in dessen Falten sich schon das Elend befand.
Mein Wunsch ist zuschanden geworden ,die Hoffnung ist abgeschnitten,
Und durch die Trennung ist ein Wiedersehen versagt.
O der du an dem Hause, in dem ich weilte, vorbeigehst,
Kund ihm von mir, die immer Tränen vergießet und klagt.

Als sie geendet hatte, trat der Beduine zu ihr und neigte sich über sie; und da er Mitleid mit ihr empfand, wischte er ihr die Tränen ab. Und er gab ihr ein Gerstenbrot und sagte: ,Ich liebe es nicht, wenn mir jemand in meinem Zorn Widerworte gibt; also gib mir in Zukunft keine solche frechen Antworten mehr. Ich will dich an einen guten Mann, wie ich es bin, verkaufen, der dich freundlich behandelt, wie ich es getan habe.' Sie erwiderte: ,Was du tust, ist recht.' Dann, als die Nacht ihr lang ward und der Hunger sie quälte, aß sie ein klein wenig von jenem Gerstenbrot. Und um Mitternacht gab der Beduine den Befehl zum Aufbruch. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 56. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân, als der Beduine ihr das Gerstenbrot gab und ihr versprach, er wolle sie an einen trefflichen Mann verkaufen, wie er es sei, ihm antwortete: ,Was du tust, ist recht.' Und um Mitternacht, als der Hunger sie quälte, aß sie ein klein wenig von dem Gerstenbrot, und dann gab der Beduine seinen Leuten den Befehl zum Aufbruch;



1000-und-1_Vol-01-585 Flip arpa

so luden sie die Lasten auf, und er bestieg ein Kamel und ließ Nuzhat ez-Zamân hinter sich reiten. Sie ritten dahin drei Tage lang ohne Aufenthalt, bis sie in die Stadt Damaskus kamen; dort stiegen sie im Sultans-Chân ab, nahe dem Statthaltertore. Nuzhat ez-Zamân aber war bleich geworden vor Kummer und durch die Mühen der Reise, und sie weinte über ihr Unglück. Deshalb trat der Beduine zu ihr und sprach: ,Du Stadtdirne, wenn du nicht aufhörst, so zu heulen, bei meiner Kappe, dann werde ich dich nur an einen Juden verkaufen!' Darauf nahm er sie bei der Hand, führte sie in eine Kammer und ging in den Basar. Dort begab er sich zu den Kaufleuten, die mit Sklavinnen handelten, und redete mit ihnen, indem er sprach: ,Ich habe eine Sklavin mitgebracht; aber ihr Bruder ist krank, und ich habe ihn zu meinen Leuten in Jerusalem geschickt, damit sie ihn pflegen, bis er geheilt ist. Nun will ich sie verkaufen; doch seit ihr Bruder krank geworden ist, weint sie, und die Trennung von ihm fiel ihr sehr schwer. Darum möchte ich, daß, wer sie von mir zu kaufen gewillt ist, ihr sanft zurede und sage, daß ihr Bruder krank bei ihm in Jerusalem liege; dann will ich ihm ihren Preis niedrig ansetzen.' Da trat einer der Händler heran und fragte: ,Wie alt ist siet' Er antwortete: ,Sie ist eine Jungfrau und eben mannbar, und sie besitzt Verstand, feine Bildung, Witz, Schönheit und Anmut. Aber seit dem Tage, da ich ihren Bruder nach Jerusalem sandte, verzehrt sich ihr Herz in Sehnsucht nach ihm, so daß ihre Schönheit geschwunden und ihr Aussehen verändert ist.' Als nun der Händler das hörte, da brach er mit dem Beduinen auf und sagte: ,Höre, du Araberscheich, ich will mit dir gehen und von dir das Mädchen kaufen, dessen Verstand, feine Bildung, Schönheit und Anmut du so sehr preisest; und ich will dir ihren Preis bezahlen, doch nur unter bestimmten Bedingungen. Wenn du



1000-und-1_Vol-01-586 Flip arpa

sie erfüllst, so zahle ich dir ihren Preis; doch wenn du sie nicht erfüllst, so gebe ich sie dir zurück.' Der Beduine erwiderte: ,Wenn du willst, so führe sie zum Sultan und stelle mir jede Bedingung, die du wünschest! Bringst du sie nämlich zu ihm, dem König Scharkân, dem Sohn des Königs 'Ornat ibn en-Nu'mân, des Herrn von Baghdad und Chorasân, so wird sie ihm vielleicht gefallen, und dann zahlt er dir ihren Preis und noch einen guten Gewinn für dich dazu.' Da sagte der Händler: ,Ich habe ihn auch gerade um etwas zu bitten, nämlich darum, daß mir in der Kanzlei eine Zollbefreiungsurkunde ausgestellt werde und daß er mir einen Empfehlungsbrief an seinen Vater 'Omar ibn en-Nu'mân schreiben lasse. Wenn er mir also das Mädchen abkauft, so werde ich dir ihren Preis sofort auswägen.' ,Ich nehme diese Bedingung an', entgegnete der Beduine. Nun gingen sie beide zu der Stätte, an der Nuzhat ez-Zamân war; und der Beduine trat an die Kammertür und rief und sagte: ,Nâdschija!' denn so hatte er sie benannt. Doch als sie ihn hörte, weinte sie und gab ihm keine Antwort. Darauf wandte er sich zu dem Händler und sprach zu ihm: ,Da sitzt sie; da hast du sie! Geh zu ihr, sieh sie dir an und sprich freundlich zu ihr, wie ich es dir ans Herz gelegt habe.' Der Händler trat höflich hinein und sah, daß sie wunderbar schön und anmutig war; besonders erfreute es ihn, daß sie die arabische Sprache beherrschte. Da sagte er zu dem Beduinen: ,Sie ist, wie du gesagt hast; und ich werde von dem Sultan für sie bekommen, was ich will.' Und er redete zu ihr: ,Friede sei mit dir, Töchterchen, wie geht es dir?' Sie wandte sich nach ihm hin und sprach: ,Auch dies war im Buche des Schicksals verzeichnet.' Dann warf sie einen Blick auf ihn und sah, daß er ein Mann von ehren wertem Aussehen war und schön von Angesicht, und sie sprach bei sich selber: ,Ich glaube, dieser kommt, um mich zu kaufen'; dann überlegte



1000-und-1_Vol-01-587 Flip arpa

legte sie weiter: ,Wenn ich mich von ihm zurückhalte, so werde ich bei jenem Tyrannen bleiben, und der wird mich zu Tode schlagen. Auf jeden Fall ist doch dieser ein Mann von schönem Angesicht, und ich kann hoffen, daß ich es besser bei ihm haben werde als bei dem rohen Beduinen da. Vielleicht kommt er jetzt, um mich reden zuhören; so will ich ihm denn eine freundliche Antwort geben.' Ihre Augen aber waren während dieser Zeit zu Boden gesenkt, und nun hob sie ihren Blick zu ihm empor und sagte mit lieblicher Stimme: ,Auch mit dir sei Friede, mein Herr, und Allahs Gnade und Segen! So' hat es der Prophet befohlen -Allah segne ilm und gebe ihm Heil! Du fragst, wie es mir gehe; doch kenntest du mein Los, du würdest ein solches nur deinen Feinden wünschen.' Dann verstummte sie. Als aber der Händler ihre Worte hörte, da wurde er vor Freuden fast von Sinnen; rasch wandte er sich zu dem Beduinen und fragte: ,Wie hoch ist ihr Preis? Denn wahrlich, sie ist edel.' Da wurde der Beduine zornig und rief: ,Du verdrehst mir der Sklavin mit solchem Geschwätz den Kopf! Warum sagst du, sie sei edel, da sie doch vom Abschaum der Sklavinnen ist und aus dem niedrigsten Gesindel? Ich verkaufe sie dir nicht!' An diesen Worten merkte der Händler, daß der Mann schwach von Verstand war, und er sagte: ,Beruhige dich! Denn ich will sie mit den Fehlern, die du da erwähnst, von dir kaufen.' ,Und wieviel willst du für sie zahlen?' fragte der Beduine. Der Händler versetzte: ,Nur der Vater benennt das Kind. Stelle deine Forderung!' Darauf der Beduine: ,Du allein sollst den Preis nennen.' Nun sagte der Händler bei sich selber: ,Dieser Beduine ist ein Schreihals und ein Dickkopf. Bei Allah, ich weiß keinen Preis für sie; ich weiß nur, daß sie durch ihre



1000-und-1_Vol-01-588 Flip arpa

feinen Worte und ihre Schönheit mein Herz gewonnen hat. Wenn sie lesen und schreiben kann, so wäre das für sie und ihren Käufer das höchste Glück. Aber dieser Beduine kennt ihren Wert nicht.' Dann redete er ihn an: ,Araberscheich, ich will dir in harem Gelde, ohne Abzug für die Steuer und für die Abgaben an den Sultan, zweihundert Goldstücke geben.' Als aber der Araber das hörte, geriet er in heftige Wut, schrie den Händler an und sagte: ,Heb dich hinweg und geh deiner Wege! Bei Allah, wenn du mir für diesen härenen Lumpen, den sie trägt, zweihundert Dinare bötest, ich würde ihn dir nicht verkaufen. Jetzt will ich sie nicht mehr verkaufen, sondern will sie bei mir behalten, daß sie Kamele hütet und Korn mahlt.' Darauf schrie er sie an und sagte: ,Komm her, du Stinkvieh, ich verkaufe dich nicht.' Dann wandte er sich wieder an den Händler und sagte: ,Ich hielt dich für einen Mann von Verstand, aber bei meiner Kappe, wenn du dich nicht von mir fortscherst, so lasse ich dich hören, was dir nicht gefällt!' Der Händler aber sprach bei sich: ,Wahrlich, dieser Beduine ist wahnsinnig und kennt ihren Wert nicht, und ich will vorläufig nicht mehr von ihrem Preise reden; denn bei Allah, wenn er bei Verstande wäre, so würde er nicht sagen: bei meiner Kappe! Bei Allah, sie ist das Reich des Perserkönigs wert, und ich habe ihren Preis nicht bei mir; doch selbst wenn er noch mehr verlangt, ich gebe ihm, was er fordert, und wäre es mein ganzes Hab und Gut.' Von neuem wandte er sich an den Beduinen und sprach zu ihm: ,Araberscheich, gedulde und beruhige dich und sage mir, was sie an Kleidern bei dir hat!' Da schrie der Beduine: ,Was soll diese Dirne mit Kleidern? Bei Allah, diese Lumpen, in die sie gehüllt ist, reichen aus für sie.' ,Mit deiner Erlaubnis', sagte der Händler, ,will ich ihr Gesicht entschleiern und sie untersuchen, wie man Sklavinnen untersucht, die man



1000-und-1_Vol-01-589 Flip arpa

zu kaufen gedenkt. 'Jener erwiderte: ,Nur zu, tu, was du willst! Allah wird deine Jugend behüten! Untersuche sie von außen und von innen, und wenn du willst, zieh ihr die Kleider aus und sieh sie an, wenn sie nackt ist.' Aber der Händler rief: ,Das verhüte Allah! Ich will nur ihr Gesicht betrachten.' Dann trat er zu ihr und war verwirrt von ihrer Schönheit und Lieblichkeit. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 57. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Händler zu Nuzhat Zamân trat und verwirrt war von ihrer Schönheit und Lieblichkeit; dann setzte er sich neben sie und fragte sie: ,Herrin, wie heißt du?' Sie antwortete: ,Fragst du nach meinem jetzigen Namen oder nach dem früheren?' Da fragte der Händler: ,Hast du denn zwei Namen, einen jetzigen und einen früheren?' ,Ja,' erwiderte sie, ,früher war mein Name Nuzhat ez-Zamân', aber jetzt ist mein Name Ghussat ez-Zamân 2.' Als der Händler das hörte, da liefen ihm die Augen über vor Tränen, und er sprach: ,Hast du nicht einen kranken Bruder?' ,Ja, bei Allah, o Herr,' sprach sie, ,aber das Schicksal hat ihn und mich getrennt, und er liegt krank in Jerusalem.' Der Händler war verwirrt ob der Lieblichkeit ihrer Sprache, und er sagte bei sich selber: ,Der Beduine hat die Wahrheit gesprochen.' Nuzhat ez-Zamân aber dachte an ihren Bruder und an seine Krankheit und daran, daß sie sich von ihm hatte trennen müssen, während er krank in der Fremde daniederlag, zumal sie nicht wußte was ihm widerfahren war; auch dachte sie an alles, was sie bei dem Beduinen hatte durchmachen müssen, und an die Trennung



1000-und-1_Vol-01-590 Flip arpa

von ihrer Mutter und ihrem Vater und ihrer Heimat; da rannen ihr die Tränen in großen Tropfen die Wangen herab, und sie begann:

Wo du auch seiest, möge der Herr dich hüten,
Wanderer, du, der mein Herze gefangen hält!
Gott sei dir, wo du auch gehst, ein Beschützer,
Der dich behütet vor Unglück und Not der Welt!
Du entschwandest: mein Auge ersehnt deine Nähe,
Ach, meine Tränen fließen in Strömen herab.
Wüßte ich doch, in welchem Lande der Erde
Dir ein Haus oder Stamm ein Obdach gab!
Ob du jetzt lebendiges Wasser trinkest
Wie eine Rose, während die Träne mich tränkt?
Ob du den Schlaf genießest, während ich wache
Auf meinem Lager, wie von Kohlen versengt?
Alles andere, außer daß du mir fern,
Ist mir leicht -alles ertrage ich gern.

Wie der Händler ihre Verse hörte, weinte er und streckte die Hand aus, um ihr die Tränen von der Wange zu wischen; sie aber bedeckte ihr Antlitz und sagte: ,Das sei fern, o Herr!' Der Beduine aber saß da und schaute sie an, wie sie ihr Gesicht vor dem Händler verhüllte, als er ihr die Tränen von den Wangen wischen wollte; und er glaubte, sie habe sich dagegen wehren wollen, daß er sie ansehe; da sprang er auf und lief zu ihr hin und versetzte ihr mit einer Kamelhalfter, die er in der Hand hielt, einen so heftigen Schlag auf die Schultern, daß sie mit dem Gesicht auf den Boden stürzte. Da traf ein Stein auf der Erde gegen ihre Braue und durchschnitt sie, und das Blut lief auf ihr Antlitz herab; sie stieß einen lauten Schrei aus, weinte bitterlich und sank ohnmächtig hin. Auch der Händler weinte, und er sagte sich: ,Ich kann nicht anders, ich muß diese Sklavin kaufen, und wäre es um ihr Gewicht in Gold, damit ich sie von diesem Tyrannen befreie.' Und er begann den Beduinen



1000-und-1_Vol-01-591 Flip arpa

zu schelten, während Nuzhat ez-Zamân ohnmächtig dalag. Als sie wieder zu sich kam, wischte sie sich die Tränen und das Blut aus dem Gesicht und verband sich den Kopf; und sie hob ihren Blick gen Himmel und flehte aus bekümmertem Herzen zu ihrem Herrn, indem sie sprach:

Erbarmen für sie, die in Ehren stand,
Und die das Unglück in Not gebracht!
Sie weint; es strömt ihrer Tränen Flut.
Sie fragt: Hilft nichts gegen Schicksalsmacht?

Danach wandte sie sich zu dem Händler und sagte flüsternd: ,Ich beschwöre dich, laße mich nicht bei diesem Tyrannen, der Allah den Erhabenen nicht kennt! Wenn ich diese Nacht noch hier verbringen muß, so töte ich mich mit eigner Hand; rette mich vor ihm, so wird Gott dich vor dem Feuer der Hölle retten!' Da sprach der Händler zudem Beduinen: ,Araberscheich, dies Mädchen ist nichts für dich; verkaufe sie mir, um welchen Preis du willst.' ,Nimm sie,' sprach der Beduine, ,und zahle mir ihren Preis! Sonst führe ich sie in das Lager zurück und lasse sie dort die Kamele hüten und ihren Mist sammeln.' Also sprach der Händler: ,Ich gebe dir fünfzigtausend Dinare.' ,Biete höher!' erwiderte der Beduine. ,Siebzigtausend Dinare', sagte der Händler. ,Biete höher!' wiederholte der Beduine; ,Das ist noch nicht das Kapital, das ich in sie gesteckt habe; denn sie hat bei mir Gerstenbrot im Werte von neunzigtausend Goldstücken gegessen.' Der Händler aber versetzte: ,Du und die Deinen und dein ganzer Stamm, ihr habt in eurem ganzen Leben noch nicht für tausend Dinare Gerste verzehrt; aber ich will dir noch ein einziges Wort sagen, und wenn du damit noch nicht zufrieden bist, so bringe ich dir den Statthalter von Damaskus auf den Hals, und er wird sie dir mit Gewalt entreißen.' Der Beduine: ,Sprich!' ,Hunderttausend', sagte der Händler.



1000-und-1_Vol-01-592 Flip arpa

,Ich verkaufe sie dir um diesen Preis,' entgegnete der Beduine; ,ich werde Salz dafür kaufen können.' Über die Worte lachte der Händler, ging in seine Wohnung, holte das Geld und gab es dem Beduinen; der nahm es, indem er bei sich selber sagte: ,Ich muß nach Jerusalem gehen; vielleicht finde ich dort ihren Bruder, den will ich hierher bringen und auch verkaufen.' So saß er auf und ritt dahin, bis er in jerusalem ankam; und er ging in den Chân und fragte nach Dau el-Makân, doch er fand ihn nicht mehr vor.

So weit also der Beduine! Doch bleiben wir bei dem Händler und Nuzhat ez-Zamân. Als er sie in Empfang genommen hatte, warf er ihr ein paar seiner Kleider über und führte sie in seine Wohnung. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 58. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Händler, als er Nuzhat ez-Zamân von dem Beduinen empfangen, sie in seine Wohnung geführt und in prächtige Gewänder gekleidet hatte, dann mit ihr hinab in den Basar ging und ihr jeglichen Schmuck kaufte, den sie begehrte; den tat er in ein seidenes Tuch, legte es vor sie hin und sprach zu ihr: ,All dies ist dein, und ich verlange nichts von dir, als daß du dem Sultan, dem Statthalter von Damaskus, wenn ich dich vor ilm führe, den Preis nennst, für den ich dich gekauft habe, ob er auch im Vergleich zu deinem Wert gering ist; und wenn du bei ihm bist, nachdem er dich von mir gekauft hat, so erzähle ihm, wie ich an dir gehandelt habe, und bitte um für mich um einen Königlichen Freibrief mit einer schriftlichen Empfehlung, die ich vor seinen Vater bringen kann, den König 'Omar ihn en-Nu'mân, den Herrscher von Baghdad, des Inhalts, daß er verbieten möge, mir



1000-und-1_Vol-01-593 Flip arpa

Zölle auf meine Stoffe und auf alle Waren, mit denen ich handle, abzunehmen. 'Als sie seine Worte hörte, weinte sie und schluchzte, und der Kaufmann sprach zu ihr: ,Herrin, ich bemerke, sooft ich Baghdad erwähne, stehen deine Augen voll Tränen; lebt dort jemand, den du liebst? Wenn es ein Kaufmann oder sonst jemand ist, so sage es mir; denn ich kenne alle Kaufleute und andere Leute dort. Und wenn du ihm eine Botschaft senden möchtest, so will ich sie überbringen.' Sie sprach: ,Bei Allah, ich habe dort keine Bekannten unter den Kaufleuten oder anderen Leuten! Ich kenne niemanden dort als König 'Omar ibn en-Nu'mân, den Herrscher von Baghdad.' Wie der Händler das vernahm, lachte er, und hocherfreut sprach er bei sich selber: ,Bei Allah, ich habe mein Ziel erreicht.' Dann sprach er zu ihr: ,Bist du ihm früher einmal gezeigt worden?' Sie antwortete: ,Nein, doch ich wurde mit seiner Tochter aufgezogen; er hatte mich gern, und ich stehe hoch in Ehren bei ihm. Wenn du also möchtest, daß dir der König die gewünschte Urkunde ausstellt, so gib mir Tintenkapsel und Papier, daß ich für dich einen Brief schreibe; und wenn du in der Stadt Baghdad ankommst, so gib den Brief eigenhändig an König 'Ornat ibn en-Nu'mân ab und sage zu ihm: Die Wechselfälle von Nächten und Tagen haben deine Sklavin Nuzhat ez-Zamân mit Keulen geschlagen; sie ward von Ort zu Ort zum Verkaufe getragen; und sie läßt dir ihre Grüße sagen. Wenn er dich dann weiter nach mir fragt, so sage ihm, daß ich jetzt bei dem Statthalter von Damaskus bin.' Da staunte der Kaufmann ob ihrer Beredsamkeit, und seine Liebe zu ihr wuchs, und er sprach zu ihr: ,Ich kann es mir nicht anders denken, als daß die Menschen dich betört und dann für Geld verkauft haben. Sage mir, kennst du den Koran auswendig?' ,Ja,' erwiderte sie; ,und ich kenne auch die Philosophie, die Heilkunde, die Propädeutik der Wissenschaft



1000-und-1_Vol-01-594 Flip arpa

und den Kommentar des Arztes Galen zu den Schriften des Hippokrates, und ich habe ihn auch selber kommentiert. Ferner habe ich die Tazkira gelesen und den Burhan kommentiert; und ich habe Schriften des Ibn el-Baitâr über die Heilkräuter studiert, und ich vermag über den Mekka-Kanon des Avicenna' zu reden. Ich kann Rätsel lösen und Probleme stellen, ich kann über die Geometrie reden und bin bewandert in der Anatomie. Ich habe die Bücher der Schafiiten gelesen, die Überlieferungen des Propheten und die Grammatik; und ich kann mit den Gelehrten disputieren und über alle anderen Wissenschaften sprechen. Auch bin ich gewandt in der Logik und Rhetorik, der Arithmetik und der Astronomie; und ich kenne die Geheimwissenschaften und die Kunst der Berechnung der Gebetszeiten -alle diese Wissenschaften verstehe ich.' Dann fuhr sie fort, zu dem Händler gewandt: ,Bringe mir Tintenkapsel und Papier, damit ich für dich einen Brief schreibe, der dir behilflich sei auf deiner Reise nach Baghdad, so daß du ohne Pässe durchkommst.' Als aber der Händler das hörte, da rief er: ,Bravo! Bravo! Glücklich der, in dessen Palast du leben wirst!' Dann holte er für sie Papier und Tintenkapsel und eine Feder aus Messing, und als er mit diesen Dingen vor ihr stand, küßte er den Boden, um sie zu ehren. Und sie nahm das Blatt, ergriff die Feder und schrieb darauf diese Verse:

Ich fühle, wie der Schlaf von meinen Augen fliehet.
Bist du's, der durch sein Fernsein von mir den Schlummer trieb?
Wie zündet Gedenken an dich das Feuer in meinem Herzen!
Denkt jeder Liebende denn stets so an seine Lieb?
Wie süß waren unsere Tage, die einst von Gott begnadet;
Sie gingen, eh ich in ihnen die rechte Erquickung fand.
Jetzt flehe ich zum Winde, er möchte Kunde bringen



1000-und-1_Vol-01-595 Flip arpa

Zu mir, der Sklavin der Liebe, von euch im fernen Land.
Dir klagt ein Liebender; einen Helfer findet er nicht.
Und ach, die Trennung bringt Weh, das selbst den Stein zerbricht.

Als sie nun diese Verse geschrieben hatte, fügte sie hinzu: ,Diese Worte kommen von der, die das Gedenken krank gemacht und die in quälender Sehnsucht wacht; in ihrem Dunkel erstrahlt ihr kein Licht, die Nacht kennt sie vom Tage nicht; sie wälzt sich auf dem Lager der Trennung und schminkt ihre Lider mit den Stiften der Schlaflosigkeit; nach den Sternen 'schaut sie aus, doch ihr droht des Dunkels Graus; Kummer und Qual lassen sie hinschwinden, doch zu lang wäre es, all ihr Elend zu künden; nur die Träne ist's, die ihr Hilfe leiht, und sie klagt in diesen Versen ihr Leid:

Wenn die Taube gurrt auf dem Zweige früh im Morgenstrahl,
So regt sich in meinem Herzen die tödliche Liebesqual.
Und seufzt in banger Sehnsucht froh ein hebend Herz,
So wird um meine Lieben noch bitterer mein Schmerz.
Ich klage dem meine Not, der kein Erbarmen kennt. Wie oft hat die Leidenschaft schon Leib und Seele getrennt!'

Da quollen ihre Augen über vor Tränen, und sie schrieb noch diese Verse:

Am Tage der Trennung schlug die Liebe mir tiefe Wunden;
Und seit du fern bist, hat mein Lid keinen Schlummer gefunden.
So abgehärmt ist mein Leib, so anders mein Gesicht:
Wenn ich nicht zu dir spräche, erkenntest du mich nicht.

Wiederum vergoß sie Tränen und schrieb am Ende des Blattes: ,Von ihr, die fern von den Ihren und dem Heimatland, deren Herz und Sinnen von Trauer gebannt, —von Nuzhat ez-Zamân ist dieser Brief gesandt.' Schließlich faltete sie das Blatt und reichte es dem Kaufmann, der es nahm und küßte, nachdem er seinen Inhalt erfahren hatte, und er rief erfreut aus: ,Ehre sei Ihm, der dich erschuf!' — — «



1000-und-1_Vol-01-596 Flip arpa

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt inder verstatteten Rede an. Doch als die 59. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân den Brief schrieb und ihn dem Kaufmann reichte; der nahm ihn und las ihn, verstand den Inhalt und rief aus: ,Ehre sei Ihm, der dich erschuf!' Nun war er doppelt freundlich gegen sie und erwies ihr den ganzen Tag hindurch lauter Güte. Als dann der Abend kam, ging er in den Basar und brachte ihr etwas zu essen; darauf führte er sie ins Badehaus, holte die Wärterin und sprach zu ihr: ,Wenn du mit dem Baden fertig bist und ihren Kopf gewaschen hast, so lege ihr die Kleider an und dann schicke zu mir und laß es mir sagen.' Jene erwiderte: ,Ich höre und gehorche.' Er aber holte fur sie Speisen und Früchte und Wachskerzen und setzte alles auf die Bank in der äußeren Halle des Bades. Und als die Wärterin sie gewaschen hatte, legte sie ihr die Kleider an; und Nuzhat ez-Zamân verließ den Baderaum und setzte sich auf die Bank. Nun schickte die Wärterin zu dem Kaufmann und ließ ihm Bescheid sagen; die Prinzessin aber ging hin und fand den Tisch gedeckt und aß, zusammen mit der Wärterin, von den Speisen und den Früchten, und den Rest gab sie den Dienern und dem Wächter des Bades. Dann schlief sie bis zum Morgen, und der Händler schlief getrennt von ihr in einem andern Zimmer. Als er vom Schlaf erwacht war, weckte er sie und brachte ihr ein Hemd aus feinem Stoff, ferner ein Kopftuch im Wert von tausend Dinaren, ein Gewand mit türkischer Stickerei, und Schuhe, durchwirkt mit rotem Golde und besetzt mit Perlen und Edelsteinen. Auch hängte er an jedes ihrer Ohren einen goldenen Ring mit einer Perle im Werte von tausend Dinaren, und um den Hals legte er ihr eine goldene Kette, die bis zwischen die Brüste reichte, und eine



1000-und-1_Vol-01-597 Flip arpa

Kette aus Bernsteinkugeln, die über die Brust bis oberhalb des Nabels herabhing. An dieser Kette hingen zehn Kugeln und neun Halbmonde, und jeder der Halbmonde trug in der Mitte einen roten Hyazinthstein und jede Kugel einen Ballasrubin; der Wert der Kette betrug dreitausend Dinare, und jede der Kugeln kostete zwanzigtausend Dirhems, so daß das Gewand und der Schmuck, mit denen er sie ausstattete, insgesamt eine ungeheure Summe wert waren. Als sie all das angelegt hatte, hieß der Händler sie sich schmücken; da schmückte sie sich wunderbar schön und ließ einen kostbaren Schleier über die Augen fallen. Und dann ging sie mit dem Kaufmann, der ihr vorausschritt, fort. Wie aber die Leute sie sahen, da staunten sie ob ihrer Schönheit und riefen: ,Hochgepriesen ist Gott, der herrlichste Schöpfer! O glücklich der Mann, in dessen Hause sie ist!' Der Händler ging weiter, während sie ihm folgte, bis sie in den Palast des Sultans Scharkân traten; als er zum König eingelassen war, küßte er den Boden vor ihm und sprach: ,O glücklicher König, ich bringe dir eine seltene Gabe, ohnegleichen in dieser Zeit und reich begabt mit Schönheit und Güte.' Der König sagte: ,Laß mich sie sehen!' Da ging der Kaufmann hinaus und holte sie, und sie folgte ihm, bis sie vor König Scharkân stand. Doch sobald der sie erblickte, ward Blut zu Blut hingezogen, obgleich sie schon seit ihrem ersten Lebensjahre von ihm getrennt gewesen war; er hatte sie nie gesehen, ja erst lange nach ihrer Geburt davon gehört, daß er eine Schwester habe, namens Nuzhat ez-Zamân, und einen Bruder, namens Dau el-Makân, denn er war wegen der Thronfolge auf die beiden eifersüchtig. Das war der Grund, weshalb er sowenig von ihnen wußte. Als sie nun vor ihm stand, da sagte der Händler: ,O größter König unserer Zeit, ist sie schon einzig in ihren Tagen durch ihre Schönheit und Lieblichkeit, so ist sie



1000-und-1_Vol-01-598 Flip arpa

auch noch bewandert in allen Wissenschaften, geistlichen und weltlichen, politischen und mathematischen.' Darauf der König: ,Nimm ihren Preis, wie du sie kauftest, laß sie hier und geh deiner Wege.' ,Ich höre und gehorche,' sprach der Händler, ,doch, bitte, schreib mir einen Freibrief des Inhalts, daß ich auf immer von dem Zehnten für meine Waren befreit bin.' Der König antwortete: ,Das will ich sofort tun, doch nenne mir den Preis, den du für sie bezahlt hast.' Der Händler: ,Ich habe für sie hunderttausend Dinare bezahlt und für ihre Kleider nochmals hunderttausend Dinare.' Als der Sultan diese Worte vernommen hatte, sagte er: ,Ich will dir einen noch höheren Preis für sie zahlen.' Dann rief er den Schatzmeister und sagte zu ihm: ,Gib diesem Kaufmann dreihundertundzwanzigtausend Dinare, so hat er einhundertundzwanzigtausend Dinare Verdienst.' Darauf ließ der Sultan die vier Kadis 'kommen, ließ ihm in ihrer Gegenwart den Preis übergeben und sprach: ,Ich nehme euch zu Zeugen, daß ich diese meine Sklavin freilasse und sie zur Gemahlin zu nehmen gedenke.' Da schrieben die Kadis die Urkunde der Freilassung und den Ehevertrag; und der Sultan streute viel Geld aus über die Köpfe derer, die zugegen waren, und die Sklaven und Eunuchen sammelten es auf. Als dann Scharkân dem Kaufmann sein Geld überreicht hatte, ließ er ihm einen dauern den Königlichen Freibrief schreiben des Inhalts, daß er von allen Zehnten und Zöllen für seine Waren auf immer befreit sei und daß ihn im ganzen Reichsgebiete niemand irgendwie schädigen dürfe; und zuletzt verlieh er ihm ein glänzendes Ehrengewand. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 60. Nacht



1000-und-1_Vol-01-599 Flip arpa

anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Scharkân dem Kaufmann, nachdem er ihm sein Geld überreicht hatte, einen dauernden Königlichen Freibrief schreiben ließ, des Inhalts, daß er vom Zehnten für seine Waren befreit sei und daß ihn im ganzen Reichsgebiete niemand schädigen dürfe, und ihm schließlich ein prunkvolles Ehrengewand verlieh. Dann gingen alle, die bei ihm waren, fort, und es blieben nur noch die Kadis und der Kaufmann; da sprach der König zu den Richtern: ,Ich möchte, daß ihr von dieser Jungfrau einen Vortrag anhört, der euch ihr Wissen und ihre Bildung in all den Dingen beweise, die der Kaufmann ihr zuspricht, auf daß wir die Wahrheit seiner Worte feststellen.' Sie antworteten: ,Das wollen wir gern tun!' So befahl er, zwischen ihm und den Seinen auf der einen Seite und der Prinzessin und ihren Begleitern auf der anderen Seite einen Vorhang herabzulassen; und alle Frauen, die hinter dem Vorhang die Prinzessin umgaben, wünschten ihr Glück und küßten ihr Hände und Füße, als sie erfuhren, daß sie die Gemahlin des Königs geworden war. Dann traten sie um sie und nahmen ihr die Kleider ab, um ihr die Last der Gewänder zu erleichtern, und schauten auf ihre Schönheit und Anmut. Nun aber hörten auch die Frauen der Emire und der Wesire, daß König Scharkân eine Sklavin gekauft habe, ohnegleichen an Schönheit und Gelehrsamkeit in der Philosophie und der Mathematik, und bewandert in allen Zweigen des Wissens; ferner, daß er dreihundertundzwanzigtausend Dinare für sie bezahlt und sie freigelassen und den Ehevertrag mit ihr geschlossen und die vier Kadis berufen habe, um sie zu prüfen, wie sie ihre Fragen beantworten und mit ihnen disputieren werde. So erbaten sie von ihren Gatten die Erlaubnis und begaben sich in den Palast, wo Nuzhat ez-Zamân war. Als sie zu ihr eintraten, standen die



1000-und-1_Vol-01-600 Flip arpa

Eunuchen vor ihr; und sowie sie die Frauen der Emire, der Wesire und der Großen des Reiches eintreten sah, stand sie auf, kam ihnen höflich entgegen, während ihre Sklavinnen hinter ihr blieben, und hieß sie willkommen. Dabei lächelte sie sie an, so daß sie ihre Herzen eroberte; und sie wünschte ihnen alles Gute und setzte sie dem Range nach, als wäre sie mit ihnen gemeinsam aufgezogen. Alle staunten ob der Klugheit und feinen Bildung, die sie mit ihrer Schönheit und Anmut verband, und sagten zueinander: ,Dies ist keine Sklavin, sondern eine Königin, die Tochter eines Königs.' Und wie sie so dasaßen, priesen sie ihren Wert, indem sie sprachen: ,O Herrin, unsere Stadt ist durch dich erleuchtet; unserm Lande und unsren Häusern, unsrer Heimat und unserm Reich ist eine Ehre widerfahren. Das Reich ist dein Reich, der Palast ist dein Palast, und wir alle sind deine Sklavinnen; bei Gott, versage uns nicht deine Gunst noch den Anblick deiner Schönheit!' Darauf dankte sie ihnen. Während dieser ganzen Zeit war der Vorhang hingehängt zwischen Nuzhat ez-Zamân mit den Frauen auf der einen Seite und König Scharkân, den vier Kadis und dem Kaufmann auf der andern. Da aber rief König Scharkân sie an und sprach: ,O Königin, Ruhm deiner Zeit, dieser Kaufmann hat dich als gelehrt und fein gebildet geschildert; und er behauptet, du seiest bewandert in allen Zweigen des Wissens, selbst inder Astronomie: also laß uns ein wenig hören von alldem, was er aufgezählt hat, und halt uns einen kurzen Vortrag über solche Themen.' Auf diese Worte erwiderte sie: ,O König, ich höre und gehorche. Im ersten Kapitel will ich sprechen von der Regierungskunst und den Pflichten der Könige, ferner von dem, was den Hütern der religiösen Gesetze obliegt, sowie den guten Eigenschaften, die sie besitzen müssen. Wisse denn, o König, die guten Eigenschaften der Menschen lassen sich zusammenfassen



1000-und-1_Vol-01-601 Flip arpa

in solche, die sich auf das religiöse Leben beziehen, und solche, die das weltliche Leben betreffen. Niemand kommt zur Religion, es sei denn durch diese Welt, denn sie ist der rechte Weg zum Jenseits. Nun aber wird das Wirken dieser Welt nur durch die Tätigkeiten ihrer Menschen geordnet, und der Menschen Tätigkeiten zerfallen in vier Gruppen: in die Regierung, den Handel, den Ackerbau und das Handwerk. Die Regierung aber erfordert vollendete Verwaltung und gerechtes Urteil; denn die Regierung ist die Achse im Bau der Welt, die ja der Weg zum Jenseits ist. Allah der Erhabene hat die Welt für die Menschen erschaffen, gleichsam als Wegzehrung des Wanderers zur Erreichung seines Zieles: ein jeder Mensch also soll von ihr ein solches Maß erhalten, wie es ihn zu Gott zu bringen vermag, doch darf er hierin nicht seinem eigenen Sinn und Gelüste folgen. Nähmen die Menschen die Dinge der Welt in Gerechtigkeit hin, so gäbe es keine Streitigkeiten; doch sie nehmen von ihnen mit Gewalt nach dem Trieb ihrer eigenen Begierde, und durch ihre Hartnäckigkeit entstehen die Streitigkeiten. Daher bedürfen sie des Sultans, damit er ihnen Recht spreche und ihre Angelegenheiten ordne; und hielte der König seine Untertanen nicht voneinander ab, so würde der Starke den Schwachen überwältigen. Daher sagt Ardaschir': ,Religion und Königtum sind Zwillingsgeschwister; die Religion ist ein verborgener Schatz, und der König ist sein Wächter.' Die göttlichen Gebote sowohl wie des Menschen Verstand führen darauf, daß es dem Volke gebührt, einen Sultan anzunehmen, der den Bedrücker vom Bedrückten zurückhält und dem



1000-und-1_Vol-01-602 Flip arpa

Schwachen zu seinem Recht verhilft wider den Starken und der die Gewalttat des Stolzen und der Rebellen eindämmt.

Wisse ferner, o König: der Trefflichkeit des Charakters des Sultans entspricht auch seine Zeit. Denn der Prophet Allahs - Er segne ihn und gebe ihm Heil! —hat gesagt: ,Wenn zwei Arten von Menschen gut sind, so ist auch das ganze Volk gut; und sind sie schlecht, so ist das Volk schlecht: die Gelehrten und die Fürsten.' Und einer der Weisen hat gesagt: ,Es gibt drei Arten von Königen: den König des Glaubens; den König, der das Heilige schützt; und den König seiner eigenen Lüste. Der König des Glaubens zwingt seine Untertanen, ihrem Glauben zu folgen, und es geziemt sich, daß er der treueste sei im Glauben, denn nach ihm richten sie sich in den Dingen des Glaubens; und es geziemt dem Volke, ihm zu gehorchen in allem, was er den göttlichen Verordnungen gemäß befiehlt; doch soll er den Unzufriedenen ebensosehr achten wie den Zufriedenen, denn es gilt nur die Unterwerfung unter die Bestimmungen des Schicksals. Der König aber, der das Heilige schützt, sorgt für die Dinge des Glaubens und der Welt und zwingt das Volk, dem göttlichen Gesetz zu folgen und das Ehrgefühl zu hüten. Er verbindet Feder und Schwert; denn wer da abweicht von dem, was die Feder schrieb, dessen Fuß gleitet aus, und der König macht das Krumme an ihm mit der Schärfe des Schwertes gerade und verbreitet Gerechtigkeit über die ganze Menschheit. Der König seiner eigenen Lüste endlich kennt keine Religion, als daß er seiner Begierde folgt; auf den Zorn seines Herrn gibt er keine Acht, dessen, der ilm zum Herrscher gemacht; so endet im Untergange sein Thron, und das Haus der Vernichtung ist seines Stolzes Lohn.' Die Weisen sagen: ,Der König braucht viele Untertanen, aber sie brauchen nur einen König; deshalb geziemt es sich, daß er mit ihrem



1000-und-1_Vol-01-603 Flip arpa

Wesen wohlbekannt sei, damit er Eintracht aus ihrer Zwietracht mache, damit er sie in seiner Gerechtigkeit alle umfasse und mit seiner Güte überschütte.'

Wisse, o König: Ardaschir, genannt die feurige Kohle, der dritte der Könige von Persien, eroberte die ganze Welt, teilte sie in vier Teile ein und ließ sich vier Siegelringe machen, einen für jeden Teil. Das erste Siegel war das des Meeres, der Sicherheit im Lande und des Rechtsbeistandes, und darauf stand geschrieben: Staatsdienste. Das zweite Siegel war das Siegel der Steuern und der Geldeinkünfte, und darauf stand: Kultur. Das dritte war das Siegel der Ernährung, und darauf stand: Fülle. Das vierte aber war das Siegel der Bedrückungen, und darauf stand: Gerechtigkeit. Und diese Einrichtung blieb gültig in Persien, bis der Islam offenbart wurde. Und ein Perserkönig schrieb an seinen Sohn, der beim Heere war: ,Sei nicht zu freigebig gegen deine Truppen, sonst werden sie so reich, daß sie dich entbehren können.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 61. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß ein Perserkönig seinem Sohne schrieb: ,Sei nicht zu freigebig gegen deine Truppen, sonst werden sie so reich, daß sie dich entbehren können; doch sei auch nicht zu geizig gegen sie, sonst werden sie gegen dich murren. Verteile Gaben im rechten Maße und Geschenke, wie es angemessen ist; sei freigebig zur Zeit der Fülle, und sei nicht geizig in der Zeit der Not!' Es wird erzählt, daß einst ein Wüstenaraber zu dem Kaufen el-Mansûr' kam und zu ihm sagte: ,Laß deinen Hund hungern, so wird er dir folgen.' Über diese Worte des Arabers



1000-und-1_Vol-01-604 Flip arpa

war el-Mansûr erzürnt, doch Abu 'l-'Abbâs aus Tûs fiel ein: ,Ich fürchte aber auch, wenn ihm ein anderer als du ein Stück Brot hinhält, so wird der Hund ihm folgen und dich verlassen.' Da legte sich el-Mansûrs Zorn, und er erkannte, daß die Worte nicht sündhaft waren, und er wies dem Araber ein Geschenk an.

Wisse, o König:' Abd el-Malik ibn Marwân' schrieb seinem Bruder 'Abd el-'Azîz, als er ihn nach Ägypten sandte: ,Gib acht auf deine Schreiber und Kämmerlinge, denn die Schreiber machen dich mit dem Bestehenden bekannt und die Kämmerlinge mit dem Zeremoniell; aber wer von dir kommt macht dich mit deinen Truppen bekannt.' Und 'Omar ibn el-Chattâb 2 — Allah habe ihn selig! —pflegte jedem Diener, den er annahm, vier Bedingungen zustellen: erstens daß er nicht auf den Packtieren ritte; zweitens daß er keine feinen Kleider trüge; drittens daß er nicht von der Beute äße; und viertens, daß er das Gebet nie über die bestimmte Stunde hinaus verschöbe.

Wie man sagt, gibt es kein höheres Gut als den Verstand: der rechte Verstand aber besteht aus Umsicht und Festigkeit, die rechte Festigkeit ist Gottesfurcht, der Weg zu Gott sind gute Eigenschaften, das rechte Maß ist die Gesittung, der rechte Nutzen ist der göttliche Segen, das rechte Geschäft sind gute Werke, der rechte Gewinn ist Gottes Lohn, die rechte Mäßigung das Beharren bei den Geboten der heiligen Überlieferung, die rechte Wissenschaft ist die Meditation, der rechte Gottesdienst die Erfüllung seiner Gebote, der rechte Glaube die Bescheidenheit, der echte Adel ist die Demut, die echte Ehre das Wissen. Also bewache das Haupt und was darin ist, doch



1000-und-1_Vol-01-605 Flip arpa

auch den Bauch und was er umfaßt; denke an den Tod und an die Heimsuchung! 'All' —Allah erhalte ihm seine hohe Ehrenstellung! —hat gesagt: ,Nehmt euch in acht vor den Tücken der Weiber und seid auf der Hut vor ihnen; fragt sie nie um Rat; aber karget nicht mit Gefälligkeiten gegen sie, auf daß sie nicht nach Listen trachten.' Ferner hat er gesagt: ,Wer den Pfad der Mäßigkeit verläßt, dem verwirrt sich der Verstand.' Er hat auch noch andere Weisheitssprüche verfaßt, die wir, so Gott will, später mitteilen werden. Und 'Omar - Allah habe ihn selig! —hat gesagt: ,Es gibt drei Arten von Frauen: erstens die gläubige, gottesfürchtige, treu liebende, fruchtbare, die ihrem Gatten wider das Schicksal, nie aber dem Schicksal wider ihren Gatten hilft; zweitens die, die sich nur um die Kinder kümmert, sonst aber um nichts; und drittens die, so da eine Fessel ist, die Allah wem er will auf den Nacken legt. Und auch der Männer gibt es drei Arten: den weisen, der sich nach dem eigenen Urteil richtet; den weiseren, der da, wenn ihm etwas widerfährt, dessen Ausgang er nicht überblickt, Wohlberatene aufsucht und nach ihrem Rate handelt; und schließlich den kopflosen, der weder den rechten Weg kennt noch auch auf den rechten Führer hört.' Die Gerechtigkeit ist unentbehrlich in allen Dingen; selbst Sklavinnen bedürfen der Gerechtigkeit. Man führt als Beispiel dafür die Straßenräuber an, die davon leben, daß sie die Menschen vergewaltigen; denn wären sie nicht billig untereinander und ließen sie nicht bei der Verteilung Gerechtigkeit walten, so zerfiele die Ordnung unter ihnen. Kurz, die Fürstin unter den edlen Eigenschaften ist die Großmut, verbunden mit der Güte; und wie trefflich sind die Verse des Dichters:



1000-und-1_Vol-01-606 Flip arpa

Durch Freigebigkeit und Milde lenkte der Held sein Volk;
So sei du auch wie er; denn das ist leicht für dich!

Und eines anderen:

Die Milde bringt Sicherheit, und das Verzeihen bringt Achtung,
Die Wahrheit ist eine Zuflucht für den aufrechten Mann,
Und wer durch seinen Reichtum hohe Ehren erreicht,
Kommt im Wettlauf des Ruhmes durch Milde als erster an.'

Dann sprach Nuzhat ez-Zamân von der Regierungskunst der Könige, bis alle, die zugegen waren, sagten: ,Nie haben wir jemanden gesehen, der über das Kapitel der Regierungskunst so zu sprechen wußte wie diese Jungfrau! Vielleicht läßt sie uns auch noch etwas aus einem anderen Kapitel hören.' Sie vernahm ihre Worte und verstand sie, und dann sprach sie: ,Das Kapitel von der feinen Bildung umfaßt ein weites Feld, da es den Inbegriff der Vollkommenheit enthält.

Es geschah eines Tages, daß zu dem Kalifen Mu'âwija 1 einer seiner Gefährten kam, der vom Volke von Irak sprach und von der Trefflichkeit ihres Verstandes, während die Gemahlin des Kaufen, Maisûn, die Mutter des Jazîd, ihrer Unterhaltung zuhörte. Als er fortgegangen war, sprach sie: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich hätte es gern, wenn du ein paar der Leute von Irak zu dir eintreten ließest, auf daß sie mit dir reden und ich ihren Vortrag höre.' Da sprach Mu'âwija zu seinen Dienern: ,Seht nach, wer an der Tür steht!' Sie antworteten: ,Die Banu Tamîm.' ,Sie sollen eintreten', sprach er. So kamen sie herein, und unter ihnen el-Ahnaf, der Sohn des Kais. Und Mu'âwija sprach: ,Tritt heran zu mir, Vater des Bahr!' Zwischen ihm und seiner Gemahlin aber war ein Vorhang gezogen, so daß sie ihre Unterhaltung ungesehen hören konnte. Dann fuhr der



1000-und-1_Vol-01-607 Flip arpa

Kalif fort: ,O Vater des Bahr, was für einen Rat hast du für mich?' Jener erwiderte: ,Scheitele dir das Haar, stütze dir den Lippenbart, beschneide dir die Nägel, zupfe dir die Armhöhlen leer und rasiere dir die Scham; benutze stets den Zahnstocher, denn darin liegen zweiundsiebenzig Vorzüge, und Freitags nimm die vollkommene Waschung vor, um alles zu sühnen, was zwischen einem Freitag und dem anderen geschehen ist.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt inder verstatteten Rede an. Doch als die 62. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Ahnaf ibn Kais auf Mu'âwijas Frage erwiderte: ,Benutze stets den Zahnstocher, denn darin liegen zweiundsiebenzig Vorzüge, und Freitags nimm die vollkommene Waschung vor, um alles zu sühnen, was zwischen einem Freitag und cm anderen geschehen ist.' Dann fragte Mu'âwija: ,Was für einen Rat hast du für dich selber?' ,Ich setze meinen Fuß fest auf den Boden, hebe ihn vorsichtig und achte auf ihn mit meinen Augen.' ,Und wie verhältst du dich, wenn du zu einem Vornehmen deines Volkes eintrittst, der nicht zu den Fürsten gehört?' ,Ich senke bescheiden die Augen und grüße zuerst; ich kümmere mich nicht um das, was mich nicht angeht, und mache wenig Worte!' ,Und wie, wenn du zu deinesgleichen gehst?' ,Ich höre auf sie, wenn sie sprechen, und greife sie nicht an, wenn sie in Wut ausbrechen.' ,Und wie, wenn du zu euren Häuptlingen gehst?' ,So größe ich ohne Geste und harre der Antwort; heißen sie mich herantreten, so tue ich es, und heißen sie mich zurücktreten, so gehorche ich.' ,Und wie hältst du es mit deiner Frau?' Da erwiderte el-Ahnaf: ,Erlaß mir dies, o Beherrscher der Gläubigen!' Doch Mu'âwija rief: ,Ich beschwöre dich, tu es mir kund!' Und so sprach er: ,Ich bin



1000-und-1_Vol-01-608 Flip arpa

freundlichen Sinnes, zuvorkommend im Umgang und gebe viel aus; denn das Weib ward aus einer krummen Rippe erschaffen.' ,Und wie, wenn du bei ihr zu ruhen gedenkst?' ,Ich plaudere mit ihr, bis sie sich mir zuneigt, und küsse sie, bis sie von Verlangen erfüllt ist; und wenn es dann ist, wie du weißt, so bette ich sie auf den Rücken. Und wenn der Same in ihrem Schoße ist, so sage ich: Allah, segne ihn, und laß kein Unheil aus ihm werden, sondern gib ihm die schönste Gestalt! Darauf erhebe ich mich zur Waschung; erst gieße ich mir Wasser über die Hände und dann über den Leib, und zuletzt preise ich Gott um der Gnade willen, die er mir verliehen hat.' Da sprach Mu'âwija: ,Deine Antworten waren vortrefflich; nun sage dein Begehren.' Jener erwiderte: ,Mein Begehren ist, daß du die Untertanen in der Furcht Gottes beherrschest und gegen alle in gleicher Weise gerecht bist.' Dann erhob er sich und verließ den Audienzsaal Mu'âwijas; und als er fort war, sagte Maisûn: ,Wäre im Irak nur dieser Eine, es wäre genug.'

Darauf fuhr Nuzhat ez-Zamân fort: ,Dies ist ein ausgewähltes Stück aus dem Kapitel von der feinen Bildung. Wisse, o König: Mu'aikib war unter dem Kalifat des 'Omar ibn el-Chattâb Verwalter des Staatsschatzes.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 63. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân weiter sprach: ,Wisse, o König: Mu'aikib war unter dem Kalifat des 'Omar ibn el-Chattâb Verwalter des Staatsschatzes. Nun traf es sich eines Tages, daß er 'Omars Sohn sah, und da gab er ihm einen Dirhem aus den Geldern des Schatzes. ,Dann aber', so berichtet Mu'aikib, ,ging ich in mein Haus; und wie ich dort saß, siehe, da kam ein Bote von 'Omar zu mir. Ich geriet in Sorge und



1000-und-1_Vol-01-609 Flip arpa

begab mich zum Kalifen; da lag jener Dirhem in seiner Hand. Und er sprach zu mir: ,Weh dir, Mu'aikib! Ich habe etwas gefunden, was deine Seele angeht.' Ich aber fragte: ,Was ist das?' Er antwortete: ,Du wirst mit der Gemeinde Mohammeds - Allah segne ihn und gebe ihm Heil! — am Tage der Auferstehung um diesen Dirhem rechten müssen.' 'Omar hatte damals an Abu Mûsa el-Asch'ari' einen Brief dieses Inhalts geschrieben: ,Wenn dieser mein Brief dich erreicht, so gib dem Volke, was des Volkes ist, und sende mir den Rest!' Und der hatte es getan. Als nun aber 'Othmân im Kalifat gefolgt war, richtete er ein ebensolches Schreiben an Abu Mûsa; der gehorchte und sandte den Tribut durch Zijâd. Als dieser den Tribut vor 'Othmân niederlegte, kam der Sohn des Kalifen und nahm einen Dirhem; Zijâd aber begann zu weinen. 'Othmân fragte: ,Warum weinest du?' Und Zijâd erwiderte: ,Einst brachte ich den gleichen Tribut zu 'Omar ibn el-Chattâb, und sein Sohn nahm sich auch einen Dirhem, doch 'Omar ließ ihm den aus den Händen reißen. Nun hat dein Sohn davon genommen, aber ich habe nicht gesehen, daß ihm jemand etwas gesagt oder ihm das Geld entrissen hat.' Da rief 'Othmân: ,Wo wolltest du 'Omars gleichen finden!'

Zaid ibn Aslam berichtet von seinem Vater, daß er sagte: ,Ich ging eines Nachts mit 'Omar aus, und wir kamen zu einem hellen Feuer. Da sprach 'Omar: ,O Aslam, ich denke, das sind Reisende, die unter der Kälte leiden. Komm, laß uns zu ihnen gehen!' Wir gingen also weiter, bis wir zu ihnen kamen, und siehe, da war eine Frau, die unter einem Kessel ein Feuer entzündet hatte, und bei ihr waren zwei kleine Knaben, die jammerten. 'Omar sprach: ,Friede sei mit euch, ihr Leute des



1000-und-1_Vol-01-610 Flip arpa

Lichts' —denn er scheute sich zu sagen ,Leute des Feuers" —, ,was fehlt euch?' Sie antwortete: ,Wir leiden von Nacht und Kälte.' Weiter fragte er: ,Und was fehlt den Kleinen, daß sie jammern?' Sie erwiderte: ,Vor Hunger schreien sie.' Dann fragte er: ,Und was ist's mit diesem Kessel?' ,Damit beruhige ich sie', gab sie zur Antwort; ,Gott wird 'Omar ibn el-Chattâb am Tage der Auferstehung deswegen zur Rechenschaft ziehen.' Er darauf: ,Wie kann 'Omar etwas von ihnen wissen?' Und sie: ,Wie kann er das Volk regieren und sich nicht um sie kümmern?' Da wandte 'Omar sich mir zu -also fuhr Aslam fort - und rief: ,Laß uns gehen!' So liefen wir davon und eilten zur Ausgabestelle des Schatzhauses; er holte einen Sack mit Mehl und einen Topf voll Fett und sprach zu mir: ,Das lad mir auf den Rücken!' Doch ich rief: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich will es für dich tragen.' Er aber sprach: ,Willst du auch am Tage der Auferstehung meine Last für mich tragen?' So lud ich es ihm auf, und wir eilten zurück, bis wir jenen Sack neben ihr niederwarfen. Dann nahm er etwas vom Mehl heraus, sagte zu der Frau: ,Überlaß es mir!' und begann das Feuer unter dem Kessel anzufachen. Nun hatte er einen langen Bart; und ich sah den Rauch zwischen den Haaren seines Bartes aufsteigen, während er kochte und ein wenig von dem Fett nahm und es hineinwarf. Dann sagte er zu der Frau: ,Gib du ahnen zu essen, ich will es für sie abkühlen!' Das taten sie nun so lange, bis die Kinder gegessen hatten und satt waren; den Rest überließ er ihr. Darauf wandte er sich zu mir und sagte: ,O Aslam, ich sah, es war wirklich der Hunger, der sie weinen machte, und ich wollte doch nicht eher weitergehen, als bis ich wußte, was es mit dem Lichte, das ich sah, auf sich hatte.' —



1000-und-1_Vol-01-611 Flip arpa

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 64. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân weiter sprach: ,Es wird erzählt, daß 'Omar bei einem Mamluken vorbeikam, der Schafe hütete, und von ihm ein Schaf zu kaufen versuchte. Jener sagte jedoch: ,Sie gehören nicht mir.' Da sprach 'Omar: ,Du bist der rechte Mann', kaufte ihn und ließ ihn dann frei. Der Mamluk aber rief: ,O Allah, wie du mir die geringere Freilassung gewährt hast, also gewähre mir auch die größere Befreiung'!'

Ferner wird erzählt, daß 'Omar ibn el-Chattâb den Dienern frische Milch zu geben pflegte, während er selber derbe Kost aß, und daß er sie in feine Gewänder kleidete, während er selber grobe Kleidung trug. Er gab allen Leuten, was ihnen gebührte, und sogar noch mehr. So gab er einst einem Manne viertausend Dirhems und legte ihm noch tausend hinzu; da fragte man ihn: ,Lege doch auch deinem Sohne zu wie diesem!' Doch er antwortete: ,Der Vater dieses Mannes stand fest am Tage der Schlacht am Ohod 2.'

El-Hasan erzählt, daß 'Omar einst mit großer Beute zurückkam und daß Hafsa' zu ihm trat und sagte: ,O Beherrscher der Gläubigen, den Anteil der Verwandtschaft!' ,O Hafsa,' erwiderte er, ,Gott hat zwar befohlen, der Verwandtschaft ihren Anteil zu geben, doch nicht von dem Gute der Gläubigen. Nein, Hafsa, du erfreust wohl die Deinen, doch deinen Vater erzürnest du.' Da ging sie mit beschämter Miene fort.

'Omars Sohn erzählt: ,Einmal im Laufe der Jahre fichte ich zum Herrn, mich meinen toten Vater wieder sehen zu lassen.



1000-und-1_Vol-01-612 Flip arpa

Schließlich erschien er mir, indem er sich den Schweiß von der Stirne wischte, und auf meine Frage: ,Wie geht es dir, mein Vater?' antwortete er: ,Ohne die Barmherzigkeit des Herrn wäre dein Vater verdorben.'

Dann fuhr Nuzhat ez-Zamân fort: ,Höre, o glücklicher König, den zweiten Abschnitt des ersten Kapitels aus den Lebensbeschreibungen der Nachfolger des Propheten und der anderen Heiligen. El-Hasan el-Basri sagt: ,Keine Seele eines Menschenkindes geht dahin aus der Welt, ohne drei Dinge zu beklagen: daß sie nicht genoß, was sie gesammelt hatte; daß sie nicht erreichte, was sie erhoffte; und daß sie sich nicht mit der genügenden Wegzehrung' versah für die Wanderung an ihr Ziel.'

Man fragte Sufjân: ,Kann jemand fromm sein und dennoch Reichtum besitzen?' Und er erwiderte: ,Ja, wenn er im Leid geduldig. ist und für Gottes Gaben dankbar ist.'

Als' Abdallah ibn Schaddâd auf dem Sterbebett lag, da schickte er nach seinem Sohne Mohammed und ermahnte ihn, indem er sprach: ,Mein Sohn, ich sehe, daß mich der Bote des Todes ruft; nun also, fürchte Allah, insgeheim und vor aller Augen, danke Ihm für seine Gaben und sei wahrhaftig in deiner Rede! Denn der Dank bringt wachsendes Gedeihen, und die Gottesfurcht ist die beste Zehrung für die himmlische Welt, wie einer der Dichter sagt:

Ich sehe nicht das Gluck im Schätzehäufen;
Allein dem Frommen wird das Glück' zuteil.
Denn Gottesfurcht ist wahrlich beste Zehrung;
Bei Gott gewinnt der Frömmste höchstes Heil.'

Dann fuhr Nuzhat ez-Zamân fort: ,Möge der König auch noch folgenden Stücken aus dem zweiten Abschnitt des ersten



1000-und-1_Vol-01-613 Flip arpa

Kapitels sein Ohr leihen!' Da fragte man sie: ,Wie lauten diese?' Sie antwortete: ,Als 'Omar ibn 'Abd el-'Azîz' im Kalifat folgte, ging er zu seinen Angehörigen, nahm alles, was sie besaßen, und legte es in den Staatsschatz. Da flohen die Omaijaden um Hilfe zu seines Vaters Schwester Fâtima, der Tochter des Marwân; die sandte zu ihm und ließ ihm sagen: ,Ich muß dich sprechen.' Dann kam sie zu ihm bei Nacht, und er half ihr von ihrem Maultier absteigen; als sie nun ihren Sitz eingenommen hatte, sprach er zu ihr: ,Muhme, du hast zuerst zu reden, da du ein Anliegen hast; tu mir also dein Begehren kund!' Sie erwiderte: ,O Beherrscher der Gläubigen, dir steht es an, zuerst zu reden, denn dein Scharfsinn ergründet, was dem Verstande anderer verborgen bleibt.' Da sprach 'Omar ibn 'Abd el-'Azîz: ,Wahrlich, Allah der Erhabene sandte Mohammed als einen Segen für die einen und als eine Strafe für die andern; dann erwählte er für ihn die, so bei ihm waren, und nahm ihn zu sich.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 65. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân sagte: ,Da sprach 'Omar ibn 'Abd el-'Azîz: ,Wahrlich, Allah sandte Mohammed - Er segne ihn und gebe ihm Heil! —als einen Segen für die einen und als eine Strafe für die andern; dann erwählte er für ihn die, so bei ihm waren, und nahm ihn zu sich und hinterließ den Menschen einen Strom, davon sie trinken konnten. Nach ihm wurde dann Abu Bakr, der Wahrhaftige, Kalif, und er ließ den Strom, wie er war, und er tat, was Allah wohlgefällig war. Dann aber erhob sich 'Omar und schuf ein gewaltiges Werk und kämpfte im heiligen Kriege, wie keiner



1000-und-1_Vol-01-614 Flip arpa

es je tun könnte. Doch als 'Othmân zur Macht gelangte, da lenkte er ein Bächlein von dem Strome ab; dann folgte Mu'âwija, und er lenkte mehrere Bächlein von ihm ab. Und dann lenkten Jazîd und die Nachkommen des Marwân, wie 'Abd ei-Malik und el-Walîd und Sulaimân, in gleicher Weise immer mehr Wasser vom Strome ab, und der Hauptlauf trocknete ein, bis die Herrschaft auf mich kam, und ich bin gesonnen, den Strom in sein altes Bett zurückzuführen.' Darauf erwiderte Fâtima: ,Ich kam nur mit dem Wunsch, zu dir zu reden und mich mit dir zu besprechen, aber wenn deine Rede so ist, dann habe ich dir nichts zusagen.' Und sie kehrte zu den Omaijaden zurück und sagte zu ihnen: ,Kostet nun, wie die Folgen davon schmecken, daß ihr mit 'Omar durch Verwandtschaft verbunden seid!'

Man erzählt, daß 'Omar ibn 'Abd el-'Azîz, als er auf dem Sterbebette lag, seine Kinder um sich versammelte. Da sagte Maslama ibn 'Abd el-Malik zu ihm: ,O Beherrscher der Gläubigen, wie kannst du deine Kinder arm zurücklassen, da du doch ihr Hüter bist? Solange du lebst, kann niemand dich hindern, ihnen aus dem Staatsschatze so viel zu geben, wie ihnen genügt; und das wäre besser, als daß du ihn dem überläßt, der nach dir regieren wird.' 'Omar aber sah ihn an mit einem Blick des Zornes und der Verwunderung und sprach dann: ,O Maslama, ich habe sie all die Tage meines Lebens hindurch von dieser Sünde ferngehalten; wie sollte ich nach meinem Tode durch sie elend werden? Wahrlich, meine Söhne sind von zweierlei Art: entweder sie gehorchen Allah dem Erhabenen, dann wird er sie fördern; oder sie sind ungehorsam, und dann will ich sie in ihrem Ungehorsam nicht noch unterstützen. O Maslama, ich war zugegen wie du, als einer von den Söhnen Marwâns begraben wurde; da trug mich mein Auge im Geiste zu ihm, und ich schaute ein Gesicht, wie er einer der Strafen



1000-und-1_Vol-01-615 Flip arpa

Allahs des Allmächtigen und Glorreichen übergeben wurde. Und ich erschrak und begann zu zittern, und ich gelobte Allah, nicht zu handeln wie jener, wenn ich zur Regierung käme. Ich habe mein ganzes Leben lang danach gestrebt, und ich hoffe, zu der Gnade des Herrn einzugehen.' Maslama erwiderte: ,Es starb einmal ein Mann, bei dessen Begräbnis ich zugegen war; da trug mich mein Auge im Geiste fort, und wie ein Schläfer einen Traum sieht, schaute ich ihn in einem Garten mit fließendem Wasser und gekleidet in lichte Gewänder. Der trat zu mir und sprach: Maslama, solchen Lohn sollten die Menschen bei ihren Taten im Auge haben.'

Gleicher Beispiele gibt es viele, und ein Gewährsmann sagt: ,Ich pflegte unter dein Kalifat des 'Omar ibn 'Abd el-'Azîz die Schafe zu melken, und eines Tages traf ich einen Schäfer, unter dessen Schafen ich einen Wolf oder mehrere Wölfe sah. Ich hielt sie für Hunde, denn ich hatte Wölfe bis dahin noch nie gesehen, und so fragte ich ihn: ,Was machst du mit diesen Hunden?' ,Das sind keine Hunde,' erwiderte der Schäfer, ,sondern Wölfe.' Da sagte ich: ,Können Wölfe bei Schafen sein, ohne ihnen etwas anzutun?' Er antwortete: ,Wenn der Kopf gesund ist, so ist es auch der Leib.'

Einst predigte 'Omar ibn 'Abd el-'Azîz von einer Kanzel aus Lehm, und nachdem er Allahs des Erhabenen Lob und Preis verkündet hatte, sprach er drei Mahnungen aus, indem er sagte: ,O ihr Menschen, macht euer innerstes Herz lauter, damit euer äußeres Leben vor euren Brüdern lauter sei; macht euch frei von den Sorgen um euer Leben in dieser Welt, und wisset, daß zwischen jedem einzelnen Menschen und Adam kein Toter wieder lebendig geworden ist. Tot sind 'Abd el-Malik und alle, die vor ihm waren, und sterben werden 'Omar und alle, die nach ihm kommen.'



1000-und-1_Vol-01-616 Flip arpa

Maslama fragte: ,O Beherrscher der Gläubigen, sollen wir dir ein Kissen hinlegen, damit du dich etwas anlehnen kannste' Doch 'Omar erwiderte: ,Ich fürchte, es könnte dadurch eine Schuld entstehen, die mir am Auferstehungstage auf dem Nacken liegen wird.' Dann röchelte er und fiel ohnmächtig zurück; Fâtima aber rief und sagte: ,Marjam, Muzâhim! Ihr Leute, seht nach diesem Mann!' Und sie ging hin und goß weinend Wasser über ihn, bis er aus seiner Ohnmacht erwachte. Als er sie in Tränen sah, da sprach er: ,Weshalb weinest du, o Fâtima?' Sie antwortete: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich sah dich leblos vor uns liegen, und da dachte ich daran, wie du im Tode vor Allah dem Erhabenen liegen würdest, wie du die Welt verlassen und dich von uns trennen müßtest. Deshalb weinte ich.' Er darauf: ,Genug, o Fâtima, du übertreibst.' Dann wollte er sich erheben, doch er fiel wieder nieder; und Fâtima drückte ihn an sich und sagte: ,Du bist mir wie mein Vater und meine Mutter, o Beherrscher der Gläubigen! Wir alle können nun nicht mehr mit dir reden.'

Darauf sprach Nuzhat ez-Zamân zu ihrem Bruder Scharkân und den vier Kadis: ,Hier endet der zweite Abschnitt des ersten Kapitels.'

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 66 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân zu ihrem Bruder Scharkân, ohne ihn zu erkennen, in Gegenwart der vier Kadis und des Kaufmanns sagte: ,Hier endet der zweite Abschnitt des ersten Kapitels.

Es begab sich einmal, daß 'Omar ibn 'Abd el'-Azîz an die Festteilnehmer zu Mekka schrieb: ,Ich bezeuge vor Allah im heiligen Monat, in der heiligen Stadt und am Tage der großen



1000-und-1_Vol-01-617 Flip arpa

Pilgerfahrt, daß ich unschuldig bin an eurer Unterdrückung und an dem Unrecht, das euch getan wird; ich habe dies weder befohlen noch beabsichtigt, noch hat mich bislang eine Nachricht davon erreicht, noch habe ich irgend etwas davon erfahren; und ich hoffe, es werde für mich ein Grund zur Verzeihung sein, daß niemand von mir ermächtigt ist, irgend jemanden zu bedrücken, denn ich werde Rechenschaft ablegen müssen für jeden Bedrückten. Fürwahr, wenn einer meiner Statthalter vom Rechte abweicht und anders handelt, als es im Heiligen Buch und in der Sunna steht, so braucht ihr ihm nicht zu gehorchen, auf daß er zum Rechten zurückkehre!' Und er, den Allah selig haben möge, sagte auch: ,Ich möchte nicht vom Tode befreit sein: denn er ist das Letzte, wofür der Gläubige belohnt wird.'

Einer der Gewährsmänner berichtet: ,Ich ging zum Beherrscher der Gläubigen, zu 'Omar ibn 'Abd el-'Azîz, der damals Kalif war, und ich sah zwölf Dirhems vor ihm liegen; die befahl er im Staatsschatz niederzulegen. Da sprach ich zu ihm: ,O Beherrscher der Gläubigen, du machst deine Kinder arm und zu einer Familie von Bettlern. Wenn du ihnen doch durch ein Testament ein weniges hinterlassen wolltest, und ebenso denen, die unter den Mitgliedern deines Hauses arm sind!' ,Tritt nahe zu mir her!' erwiderte er; da trat ich zu ihm, und er sagte: ,Wenn du sagst, ich machte meine Kinder arm, darum solle ich ihnen und denen, die unter den Mitgliedern meines Hauses arm sind, ein weniges durch ein Testament hinterlassen, so ist das nicht recht; Allah wird mich bei meinen Kindern ersetzen und bei den Armen meines Hauses, und Er wird ihr Hüter sein. Sie sind von zweierlei Art: für den, der Allah fürchtet, wird Er auch den guten Ausgang sichern; aber den, der in der Sünde verharrt, den will ich nicht noch in seiner Sünde



1000-und-1_Vol-01-618 Flip arpa

wider Allah bestärken.' Darauf berief er seine zwölf Söhne zu sich, und als er sie erblickte, da strömten ihm Tränen aus den Augen, und er sprach: ,Euer Vater steht zwischen zwei Dingen; entweder werdet ihr wohlhabend sein, und euer Vater wird zum Höllenfeuer eingehen, oder ihr müßt arm sein, und euer Vater wird in das Paradies kommen; eurem Vater aber ist es lieber, daß er ins Paradies kommt, als daß ihr reich werdet. Gehet hin, und Allah schütze euch, denn Ihm vertraue ich eure Sache an!'

Châlid, der Sohn des Safwân, erzählte: ,Einst begleitete mich Jûsuf ibn 'Omar zu Hischâm ibn 'Abd el-Malik', und als ich zu ihm kam, zog er gerade aus mit seiner Sippe und seiner Dienerschaft. Da machte er halt, und man schlug ihm ein Zelt auf. Als alle Platz genommen hatten, ging ich auf den Teppich zu, auf dem er saß, und sah ihn an; und als meine Augen in seinen Augen ruhten, sprach ich zu ihm also: ,Gott vollende seine Güte an dir, o Beherrscher der Gläubigen! Erführe diese Dinge, mit denen er dich betraut hat, zum Rechten und lasse deine Freude nicht durch Leid getrübt werden! Ich weiß keinen besseren Rat für dich, o Beherrscher der Gläubigen, als die Erzählung von einem der Könige, die vor dir waren!' Nun setzte er sich auf, während er sich vorher zurückgelehnt hatte, und sagte zu mir: ,Gib her, was du hast, o Sohn des Safwân!' Ich begann: ,O Beherrscher der Gläubigen, in der Zeit vor dieser deiner Zeit zog einer der Könige, die vor 'dir waren, in dieses Land und sagte zu seinen Gefährten: ,Habt ihr je eine Macht gleich meiner gesehen, und ist jemals einem verliehen, was mir verliehen ist?' Nun aber war bei ihm einer von den Besten derer, die Zeugnis ablegen, die das Recht stützen und auf seiner Straße



1000-und-1_Vol-01-619 Flip arpa

wandeln; und der sprach zu ihm: ,O König, du stellst eine große Frage. Willst du mir erlauben, darauf zu antworten?' ,Ja!' erwiderte der König; und der andere sprach: ,Hältst du deine gegenwärtige Macht für unvergänglich oder für vergänglich?' ,Sie ist vergänglich', sprach der König. Jener darauf: ,Wie ist es möglich, daß ich dich frohlocken sehe über etwas, das dir nur kurze Zeit gehört, über das du aber lange Zeit wirst Rechenschaft ablegen müssen, und bei dessen Verrechnung du als Geisel dastehen wirst?' Da rief der König: ,Wohin soll ich flüchten und worauf mein Streben richten?' Der andere entgegnete: ,Du sollst in deinem Königtum bleiben und im Gehorsam gegen Allah den Erhabenen regieren oder Lumpen anziehen und deinem Herrn dienen, bis deine Stunde dir naht! Morgen früh will ich wieder zu dir kommen.' Dann, am nächsten Morgen, so erzählte Châlid weiter, klopfte jener Mann an die Tür, und siehe, der König hatte die Krone abgelegt und sich gerüstet, Einsiedler zu werden; also hatte die Mahnung auf ihm gelastet. Da weinte Hischâm ibn 'Abd el-Malik so heftig, daß ihm der Bart naß ward; und er befahl, ihn seines Prunkes zu entkleiden, und schloß sich in seinem Palast ein. Nun kamen, so schloß Châlid ibn Safwân, die Freigelassenen und Diener zu mir und sagten: ,Wie konntest du das dem Beherrscher der Gläubigen antun? Du hast ihm die Lust verdorben und das Leben verbittert!'

Darauf sprach Nuzhat ez-Zamân zu Scharkân: ,Wie viele Ermahnungen stehen nicht noch in diesem Kapitel! Doch ich kann nicht in einer einzigen Sitzung alle anführen, die hierher gehören.'

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 67. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet



1000-und-1_Vol-01-620 Flip arpa

worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân zu Scharkân sprach: ,Wisse, o König, wie viele Ermahnungen stehen nicht noch in diesem Kapitel! Doch ich kann nicht in einer einzigen Sitzung alle anführen, die hierher gehören. Aber im Laufe der Tage, o König unserer Zeit, wird es sich fügen.' Da sprachen die Kadis: ,O König, wahrlich, diese Jungfrau ist das Wunder der Zeit und die Perle des Jahrhunderts weit und breit! Nie haben wir von ihresgleichen gehört, weder aus alter Vorzeit noch in unserem ganzen Leben!' Dann riefen sie Segen auf den König herab und gingen davon. Nun wandte Scharkân sich zu seinen Dienern und sagte: ,Macht euch daran, die Hochzeitsfeier zu rüsten, und bereitet Speisen jeglicher Art!' Alsbald gehorchten sie seinem Befehle und bereiteten alle Speisen. Der König aber hieß die Frauen der Emire und Wesire und der Großen des Reiches bleiben bis zur Zeit der Entschleierung der Braut beider Hochzeitsfeier. Kaum aber war die Zeit des Nachmittagsgebetes gekommen, so wurden die Tische aufgetragen mit allem, was nur das Herz begehrt und was nur das Auge erfreut an geröstetem Fleisch und an Gänsen und Hühnern; und alle aßen, bis sie gesättigt waren. Man hatte auch nach allen Sängerinnen von Damaskus gesandt; die waren gekommen samt den Sklavinnen des Königs und der Vornehmen, die da singen konnten, und alle waren in den Palast hinaufgegangen. Als der Abend kam und es dunkel wurde, zündete man Kerzen an zur Rechten und zur Linken, vom Tore der Burg bis hin zum Tore des Palastes. Und die Emire und Wesire und Großen traten vor König Scharkân hin, während die Sängerinnen und die Kammerfrauen die Maid fortführten, um sie zu schmücken und anzukleiden; doch sie fanden, daß sie keines Schmuckes bedurfte. Inzwischen aber ging König Scharkân ins Bad, und als er zurückkam, nahm er den Prunksitz ein, und



1000-und-1_Vol-01-621 Flip arpa

in sieben verschiedenen Kleidern stellten sie die Braut vor ihm zur Schau; dann nahmen sie ihr die Last ihrer Kleider ab und gaben ihr die Ermahnungen, die man Jungfrauen in ihrer Hochzeitsnacht zu geben pflegt. Und Scharkân ging zu ihr ein und nahm ihr das Mädchentum; und sie empfing in selbiger Nacht, und als sie es ihm sagte, da freute er sich sehr, und er befahl den Gelehrten, die Zeit der Empfängnis zu verzeichnen.

Am nächsten Morgen aber ging er aus und setzte sich auf seinen Thron, und die Großen des Reiches kamen zu ihm und wünschten ihm Glück. Da rief er seinen Reichsschreiber und ließ ihn ein Schreiben an seinen Vater 'Ornat ibn en-Nu'mân richten, des Inhalts, er habe eine Jungfrau gekauft, die Gelehrsamkeit und feine Bildung besitze und alle Zweige des Wissens beherrsche; er müsse sie unbedingt nach Baghdad schicken, damit sie seinen Bruder Dau el-Makân und seine Schwester Nuzhat ez-Zamân besuche; und er habe sie freigelassen, ihr den Ehebrief ausgestellt und sich mit ihr vermählt, und sie habe durch ihn empfangen. Er pries ihren Verstand und grüßte seine Geschwister und den Wesir Dandân und alle die Emire. Dann versiegelte er das Schreiben und sandte es durch einen Eilboten an seinen Vater. Der Bote blieb einen vollen Monat aus und kehrte dann mit einer Antwort zurück und überreichte sie. Scharkân nahm sie und las sie, und siehe, da stand nach der Anrufung Allahs: ,Dieses Schreiben kommt von ihm, der versunken in Kummer und Gram, dem das Geschick seine Kinder nahm, der seine Heimat von sich getan, von dem König 'Omar ibn en-Nu'mân, an seinen Sohn Scharkân. Wisse, seit Du mich verlassen, ist mir die Welt zu eng geworden, so daß mir Geduld und Kräfte fehlen, mein Geheimnis länger zu verhehlen. Der Grund ist dieser: ich ritt einmal zur Jagd aus, nachdem Dau el-Makân mich vorher gebeten hatte, ihm die Pilgerfahrt



1000-und-1_Vol-01-622 Flip arpa

nach dem Hidschâz zu gestatten, ich ihm aber aus Furcht vor den Wechselfällen der Zeit die Erlaubnis zur Reise bis zum nächsten oder übernächsten Jahre versagt hatte. Als ich dann auf der Jagd war, blieb ich einen vollen Monat aus.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 68 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König 'Omar ihn en-Nu'mân in seinem Schreiben sagte: ,Als ich dann auf die Jagd zog, blieb ich einen vollen Monat aus, und wie ich heimkehrte, erfuhr ich, daß Dein Bruder und Deine Schwester ein wenig Geld genommen hatten und heimlich mit der Pilgerkarawane zur Pilgerfahrt aufgebrochen waren. Als ich das vernahm, da wurde die weite Welt rings um mich eng. Doch, mein Sohn, ich wartete die Rückkehr der Karawane ab, in der Hoffnung, sie würden vielleicht mit ihr heimkehren. Und nachdem die Pilger gekommen waren, fragte ich nach den beiden, allein niemand konnte mir Nachricht von ihnen geben; so legte ich um ihretwillen Trauer an - mein Herz ist schwer, ich finde keinen Schlummer mehr, und ich versinke in den Tränen meiner Augen.' Dazu schrieb er die Verse:

Ihr Bild entschwindet nie, nicht eine einz'ge Stunde;
Im Herzen wies ich ihm den Platz der Ehren zu.
Wär Hoffnung nicht auf Heimkehr, ich lebte keine Stunde;
Wär nicht das Bild des Traumes, ich fände keine Ruh.

Und ferner schrieb er in dem Briefe: ,Ich grüße Dich und die Deinen und tue Dir zu wissen, daß Du nichts versäumen sollst, Nachforschungen anzustellen; denn dies ist eine Schande für uns.' Als Scharkân das Schreiben gelesen hatte, da grämte er sich um seinen Vater, aber er freute sich über den Verlust seines Bruders und seiner Schwester. Und er nahm den Brief und



1000-und-1_Vol-01-623 Flip arpa

ging damit zu seiner Gemahlin Nuzhat ez-Zamân; er wußte ja nicht, daß sie seine Schwester war, noch ahnte sie, daß er ihr Bruder war, obgleich er sie oft bei Tag und bei Nacht besuchte, bis ihre Monde erfüllet waren und sie auf dem Geburtsstuhle saß. Allah aber machte ihr die Entbindung leicht, und sie gebar eine Tochter und schickte nach Scharkân; und als sie ihn sah, da sagte sie zu ihm: ,Dies ist deine Tochter, nenne sie, wie du willst.' Er entgegnete: ,Es ist der Brauch unter den Menschen, ihre Kinder am siebenten Tage nach der Geburt zu benennen.' Dann neigte er sich über seine Tochter und küßte sie: da fand er an ihrem Halse ein Juwel hängen, — eins von den dreien, die Prinzessin Abrîza aus Griechenland mitgebracht hatte. Und als er das Juwel, das am Halse seiner Tochter hing, erkannte, da ward er wie von Sinnen, Zorn packte ihn, und er riß seine Augen weit auf; er überzeugte sich noch einmal, daß es wirklich das Juwel war, dann blickte er Nuzhat ez-Zamân an und rief: ,Woher hast du dies Juwel, du Sklavin?' Als sie das hörte, erwiderte sie: ,Ich bin deine Herrin und Herrin über alle in deinem Palast! Schämst du dich nicht, mich Sklavin zu nennen? Ich bin eine Prinzessin und die Tochter eines Königs, und jetzt sei dem Verbergen ein Ziel gesetzt, und es sei öffentlich kundgetan, ich bin Nuzhat ez-Zamân, die Tochter des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân!' Als er diese Worte von ihr hörte, faßte ihn ein Zittern, und erließ den Kopf zu Boden hängen. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 69. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als Scharkân diese Worte hörte, da erbebte sein Herz, seine Farbe erbleichte, es faßte ihn ein Zittern, und er ließ den Kopf zu Boden hängen; denn nun wußte er, daß sie seine Schwester war und den gleichen Vater hatte.



1000-und-1_Vol-01-624 Flip arpa

Er verlor die Besinnung, und als er erwachte, erschrak er über sich, doch entdeckte er sich seiner Schwester nicht, sondern fragte sie: ,Meine Herrin, bist du wirklich die Tochter des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân?' ,Ja!' erwiderte sie, und er fuhr fort: ,Erzähle mir, weshalb du deinen Vater verlassen hast und als Sklavin verkauft worden bist.' Da erzählte sie ihm alles, was ihr widerfahren war, von Anfang bis zu Ende, und berichtete ihm, wie sie ihren Bruder krank in Jerusalem zurückgelassen und wie der Beduine sie entführt und an den Händler verkauft hatte. Durch ihre Worte ward er nun völlig gewiß, daß sie seine Schwester war von Vaters Seite her, und er sprach bei sich selber: ,Wie kann ich meine Schwester zum Weibe haben? Nein, bei Allah, ich muß sie mit einem meiner Kammerherren vermählen; und wenn es laut wird, so will ich erklären, ich habe mich von ihr geschieden, ehe ich zu ihr einging, und sie meinem obersten Kammerherrn vermählt.' Dann hob er den Kopf und sagte seufzend: ,O Nuzhat ez-Zamân, du bist in Wirklichkeit meine Schwester, und ich rufe: Ich suche Zuflucht bei Allah vor dieser Sünde, der wir verfallen sind. Denn ich bin Scharkân, der Sohn des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân.' Da blickte sie ihn an und erkannte ihn, und als sie wußte, daß er es war, war sie wie von Sinnen, weinte, schlug sich das Gesicht und rief: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah! Wir sind in eine Todsünde verfallen! Was soll ich tun, und was soll ich meinem Vater und meiner Mutter sagen, wenn sie mich fragen: woher hast du deine Tochter?' Scharkân antwortete: ,Mein Rat ist der, daß ich dich mit dem Kammerherrn vermähle und dich meine Tochter bei ihm in seinem Hause aufziehen lasse, damit niemand erfahre, daß du meine Schwester bist. Dies ist uns von Gott nach seinem Ratschlusse auferlegt; und nichts kann uns schützen, als daß du



1000-und-1_Vol-01-625 Flip arpa

dich mit diesem Kammerherrn vermählst, ehe jemand etwas erfährt.' Dann begann er sie zu trösten und küßte ihr Haupt, und sie fragte ihn: ,Wie willst du die Tochter nennen?' ,Nenne sie Kudija-Fakân", erwiderte er. Darauf vermählte er sie mit dem Oberkammerherrn und brachte sie mit der Tochter in dessen Haus; und sie zogen das Kind auf mit Hilfe der Sklavinnen und pflegten es mit Säften und allerlei Pulvern. All dies geschah, während ihr Bruder Dau el-Makân noch bei dem Heizer in Damaskus weilte.

Doch eines Tages kam zu König Scharkân ein Bote von seinem Vater 'Omar ibn en-Nu'mân, mit einem Schreiben. Er nahm es und las es, und siehe, da stand nach der Anrufung Gottes: ,Wisse, geliebter König, ich bin tiefbetrübt, daß die Kinder fortgegangen; ich kann keinen Schlaf erlangen, und Ruhelosigkeit hält mich gefangen. Ich sende Dir dieses Schreiben, auf daß Du, sowie es eintrifft, das Geld und den Tribut bereitmachst und ihn uns sendest, zusammen mit der Sklavin, die Du kauftest und zum Weibe nahmst; denn mich verlangt danach, sie zu sehen und ihre Rede zu hören. Ferner ist aus dem Lande der Griechen eine alte fromme Frau zu uns gekommen, und bei ihr sind fünf Mädchen, hochbusige Jungfrauen, die beherrschen das Wissen und die feine Bildung und die Zweige der Wissenschaft, kurz alles, was den Menschen zu kennen ansteht. Meine Zunge vermag diese alte Frau und ihre Gefährtinnen nicht zu beschreiben; fürwahr, sie sind vollendet in allen Arten des Wissens, der Tugend und der Weisheit. Und sowie ich die Mädchen erblickte, liebte ich sie, und ich wünschte, sie in meinem Palast und im Bereich meiner Hand zuhaben; denn keiner von allen Königen hat ihresgleichen. Ich fragte also die alte



1000-und-1_Vol-01-626 Flip arpa

Frau nach ihrem Preise, und sie erwiderte: ,Ich verkaufe sie nur um den Tribut von Damaskus.' Und bei Allah, mir schien dieser Preis nicht zu hoch, denn eine jede von ihnen ist den ganzen Preis für sich allein schon wert. So willigte ich denn ein und nahm sie in meinen Palast, und sie sind in meinem Besitz. Also sende Du uns bald den Tribut, damit die Frau in ihre Heimat zurückkehren kann; und schicke uns die Sklavin, auf daß sie mit ihnen disputiere vor den Gelehrten! Wenn sie sie besiegt, so will ich sie Dir mit dem Tribut von Baghdad zurücksenden.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 70. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König 'Omar ibn en-Nu'mân in seinem Schreiben sagte: ,Und schicke uns die Sklavin, auf daß sie mit ihnen disputiere vor den Gelehrten. Wenn sie sie besiegt, so will ich sie dir mit dem Tribut von Baghdad zurücksenden.' Als Scharkân von dem Inhalt Kenntnis genommen hatte, ging er zu seinem Schwager und sagte zu ihm: ,Bringe die Sklavin her, mit der ich dich vermählt habe!' Als sie dann kam, zeigte er ihr das Schreiben und sprach: ,Schwester, was rätst du mir, das ich auf dieses Schreiben antworten soll?' Sie antwortete: ,Dein Rat entscheidet.' Doch da sie sich nach den Ihren und nach ihrer Heimat sehnte, fügte sie hinzu: ,Schicke mich mit dem Kammerherrn, meinem Gatten, nach Baghdad, damit ich meinem Vater meine Geschichte erzähle und ihm berichte, was mir von dem Beduinen widerfuhr, der mich an den Händler verkaufte, und ferner, wie der Händler mich an dich verkaufte, du mich aber freiließest und dann mit dem Kammerherrn vermähltest.' ,So sei es!' erwiderte Scharkân. Da nahm Scharkân seine Tochter Kudija-Fakân und übergab sie den Ammen und



1000-und-1_Vol-01-627 Flip arpa

den Eunuchen, und eilig machte erden Tribut bereit und übergab ihn dem Kammerherrn; dann befahl er ihm, mit der Prinzessin und dem Tribut nach Baghdad zu reisen. Und er bestimmte für sie zwei Reisesänften, eine für ihn und die andere für seine Gemahlin. Der Kammerherr antwortete, erhöre und gehorche. Nun versammelte Scharkân Kamele und Maultiere, schrieb einen Brief, übergab ihn dem Kammerherrn und nahm von seiner Schwester Nuzhat ez-Zamân Abschied, nachdem er ihr das Juwel abgenommen und an einer Kette von reinem Golde seiner Tochter um den Hals gehängt hatte. Noch in selbiger Nacht brach der Kammerherr auf.

Nun traf es sich, daß Dau el-Makân und der Heizer ausgegangen waren und in der überdachten Halle dem Schauspiele zusahen; da erblickten sie Kamele, baktrische Trampeltiere, beladene Maultiere, brennende Fackeln und Laternen. Dau el-Makân erkundigte sich nach jenen Lasten und ihrem Besitzer, und man sagte ihm, es sei der Tribut von Damaskus, der entsandt werde zu König 'Omar ibn en-Nu'mân, dem Herrscher in der Stadt Baghdad. Weiter fragte er: ,Wer ist der Führer der Karawane?' Da hieß es: ,Der Oberkammerherr, der Gemahl des Mädchens, das Wissenschaft und Philosophie studiert hat.' Da weinte Dau el-Makân heftig; denn er gedachte seiner Mutter und seines Vaters und seiner Schwester und seiner Heimat, und er sagte zu dem Heizer: ,Ich kann nicht mehr hier bleiben; nein, ich will mich dieser Karawane anschließen und allmählich mit ihr dahinziehen, bis ich in meiner Heimat ankomme.' Der Heizer sagte darauf: ,Ich habe dich nicht von Jerusalem nach Damaskus allein reisen lassen; wie sollte ich dich nun ruhig nach Baghdad ziehen lassen? Nein, ich will mit dir gehen und bei dir bleiben, bis du dein Ziel erreicht hast.' ,Das freut mich herzlich', erwiderte Dau el-Makân. Dann rüstete



1000-und-1_Vol-01-628 Flip arpa

der Heizer zu der Reise, sattelte einen Esel, legte die Satteltaschen darauf und tat etwas Zehrung hinein; schließlich gürtete er sich selber, machte sich fertig und wartete, bis die Lastenkarawane und der Kammerherr, der auf einem Reitkamel ritt, umgeben von seinen Dienern, vorübergezogen waren. Dau el-Makân aber stieg auf den Esel des Heizers und sagte zu seinem Gefährten: ,Steige du hinter mir auf.' Doch der erwiderte: ,Nein, ich will dir nur zu Diensten sein.' Dau el-Makân bestand darauf: ,Du mußt unbedingt eine Weile reiten!' ,Gut,' erwiderte der Heizer, ,wenn ich müde werde.' Darauf sprach Dau el-Makân: ,Mein Bruder, bald wirst du sehen, wie ich an dir handeln werde, wenn ich zu den Meinen komme.' So zogen sie dahin, bis die Sonne aufging. Und als die Stunde der Mittagsrast da war, befahl der Kammerherr, haltzumachen; da lagerten die Leute sich, ruhten aus und tränkten ihre Kamele. Dann gab er von neuem das Zeichen zum Aufbruch, und nach fünf Tagen kamen sie zu der Stadt Hama', wo sie sich niederließen und drei Tage lang ruhten. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 71. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß sie drei Tage in der Stadt Hama blieben; dann zogen sie unaufhörlich weiter, bis sie zu einer anderen Stadt gelangten, wo sie wiederum drei Tage haltmachten. Darauf setzten sie die Reise fort, bis sie nach Dijâr- Behr kamen. Hier wehte ihnen schon der Wind von Baghdad entgegen; und da dachte Dau el-Makân an seine Schwester Nuzhat ez-Zamân, seinen Vater, seine Mutter und seine Heimat, und wie er zu seinem Vater ohne die Schwester heimkehrte.



1000-und-1_Vol-01-629 Flip arpa

Deshalb weinte und seufzte und klagte er, und der Kummer lastete schwer auf ihm; da sprach er diese Verse:

Mein Lieb, wie lange soll ich in diesem Dulden verharren?
Kein Bote kommt zu mir mit Kunde von dir her.
Ach sieh, die Zeit des Nahseins war nur von kurzer Dauer;
O daß die Zeit der Trennung doch auch so kurz nur wär!
Ergreife meine Hand, nimm ab das Kleid und schaue:
Verzehrt ist mir der Leib - und dennoch zeigt ich's nicht.
Sagt jemand, ich solle mich trösten in meiner Liebe, dein sag ich:
Bei Gott, ich kann mich nicht trösten bis zum Jüngsten Gericht.

Da sprach der Heizer zu ihm: ,Laß dies Weinen und Seufzen, denn wir sind dicht bei dem Zelte des Kammerherrn.' Dau el-Makân aber sprach: ,Ich muß ein paar Verse sprechen, vielleicht wird dadurch das Feuer meines Herzens gelöscht.' ,Ich beschwöre dich bei Allah,' rief der Heizer, ,laß das Trauern, bis du in deine Heimat kommst; danach tu, was du willst! Ich aber will bei dir bleiben, wo du auch immer seist.' Dau el-Makân erwiderte jedoch: ,Bei Allah, ich kann es nicht lassen.' Dann wandte er sein Antlitz in die Richtung nach Baghdad, während der Mond hell schien und das Lager mit seinem Licht übergoß. Nuzhat ez-Zamân aber vermochte in jener Nacht nicht zu schlafen, sondern war rastlos, dachte an ihren Bruder Dau el-Makân und weinte. Und während ihr die Tränen niederströmten, hörte sie plötzlich Dau el-Makân weinen und folgende Verse sprechen:

Es leuchtet hell der Blitz im Süden -
Mich packt des Kummers tiefste Not
Um meinen Freund, der bei mir weilte,
Der mir den Freudenbecher bot.
Denke mein, der du mich triebest
In das Leid der Einsamkeit!
O du Strahl des Blitzes, kehret
Einst zurück des Nahseins Zeit?



1000-und-1_Vol-01-630 Flip arpa

Du, der mich tadelt, laß dein Tadeln,
Sieh, mich strafte Gottes Hand
Durch das Fernsein eines Freundes
Und Unglück, das mich überwand.
Fern ist meines Herzens Wonne,
Seit mein Schicksal sich gewandt,
Lauter Leid auf mich gehäuft hat,
Mir den bittren Kelch gesandt.
O mein Lieb, ich seh mich selber
Tot, eh wir uns wieder nah. O Geschick, kehr mit der Liebe
Wieder, die uns fröhlich sah!
Bringe Freude, bringe Schutz mir
Gegen Not, die ich erlebt!
Ach, wer hilft dem armen Fremdling,
Dessen Herze bang erbebt?
Er ist in der Trauer einsam,
Fern ist ihm die ,Wonne der Zeit'.
Über uns herrscht, uns zum Ekel,
Die Hand des Volks der Niedrigkeit.

Nach diesen Versen schrie er auf und fiel ohnmächtig zu Boden.

Sehen wir nun weiter, was mit Nuzhat ez-Zamân geschah! Sie war ja wach in jener Nacht, da sie an jener Stätte ihres Bruders gedachte. Und als sie jene Stimme in der Stille der Nacht hörte, da wurde ihr Herz ruhig, und sie rief in ihrer Freude den Eunuchen; der sprach zu ihr: ,Was ist dein Begehrt' Sie antwortete: ,Geh hin und bringe mir den, der solche Verse spricht!' Der Eunuch aber erwiderte: ,Wahrlich, ich habe ihn nicht gehört.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 72. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân, als sie die Verse ihres Bruders hörte, den Obereunuchen rief und zu



1000-und-1_Vol-01-631 Flip arpa

ihm sprach: ,Geh, bringe mir den, der solche Verse spricht!' Jener aber erwiderte: ,Wahrlich, ich habe ihn nicht gehört, und ich kenne ihn nicht; auch liegt jetzt alles Volk im Schlafe.' Sie darauf: ,Wen immer du wachend findest, der ist es, der diese Verse vorträgt.' Da suchte er herum, doch er fand niemanden wach als den Heizer; denn Dau el-Makân lag noch besinnungslos da. Als der Heizer den Eunuchen zu seinen Häupten stehen sah, fürchtete er sich vor ihm. Der Eunuch fragte ihn: ,Bist du es, der hier eben Verse sprach, und den unsere Herrin gehört hat?' Der Heizer aber glaubte, die Prinzessin sei über das Vortragen der Verse erzürnt, und voller Angst tiefer: ,Bei Allah, ich war es nicht!' Weiter fragte der Eunuch: ,Wer war es denn? Zeige ihn mir! Du mußt es wissen, da du ja wachst.' Der Heizer aber war in Sorge um Dau el-Makân und sagte bei sich selber: ,Vielleicht wird der Eunuch ihm etwas antun'; und so erwiderte er: ,Bei Gott, ich weiß es nicht.' Darauf der Eunuch: ,Bei Allah, du lügst, denn hier sitzt niemand wach als du! Also mußt du es wissen.' ,Bei Allah,' entgegnete der Heizer, ,ich sage dir die Wahrheit! Der die Verse sprach, war ein Wandersmann, der vorüberging; der hat auch mich gestört und mir den Schlaf geraubt, Gott strafe ihn!' Nun sagte der Eunuch: ,Wenn du ihn noch sehen solltest, so zeige ihn mir, und ich will ihn ergreifen und ihn an die Tür der Sänfte unserer Herrin bringen; oder ergreife du ihn mit eigener Hand.' Der Heizer erwiderte: ,Geh nur, ich will ihn dir bringen.' Da verließ ihn der Eunuch und ging fort zu seiner Herrin; er brachte ihr die Kunde und sprach: ,Niemand kennt ihn; es muß ein Wanderer gewesen sein, der vorüberzog.' Sie aber schwieg.

Doch als Dau el-Makân wieder zu sich gekommen war, sah er, daß der Mond die Mitte des Himmels erreicht hatte; und der Hauch der Morgenbrise strich über ihn dahin und erregte



1000-und-1_Vol-01-632 Flip arpa

ihm das Herz in Kummer und Sorge. Da klärte er seine Stimme und wollte von neuem Verse sprechen; aber der Heizer fragte ilm: ,Was willst du beginnen?' Er antwortete: ,Ich will einige Verse sprechen, um das Feuer meines Herzens damit zu löschen.' Jener darauf: ,Du weißt nicht, was mir widerfahren ist! Ich bin dem Tode nur dadurchentgangen, daß ich den Eunuchen beruhigte.' ,So sage mir, was geschehen ist!' erwiderte Dau el-Makân. Da erzählte der Heizer: ,Mein Lieber, als du in Ohnmacht lagst, kam der Eunuch mit einem langen Stab aus Mandelholz in der Hand und schaute all den Schläfern ins Gesicht auf der Suche nach dem, der die Verse gesprochen habe; und da er niemanden wach fand außer mir, fragte er mich. Ich aber gab ihm zur Antwort, es sei ein vorübergehender Wandersmann gewesen; so ging er davon, und Gott befreite mich von ihm, sonst hätte er mich getötet. Doch er sagte noch zu mir: wenn du ihn wieder hörst, so bringe ihn zu uns!' Als Dau el-Makân das hörte, da weinte er und sprach: ,Wer sollte mir verbieten, Verse zu sprechen? Ich tue es doch, komme, was da kommen will; denn ich bin dicht bei meiner Heimat und kümmere mich um niemand!' Und auf die Worte des Heizers: ,Du willst dich nur selbst ins Verderben stürzen', erwiderte er: ,Ich kann nicht anders, ich muß Verse sprechen.' Da sagte der Heizer: ,Jetzt müssen wir uns hier trennen, obgleich ich dich nicht verlassen wollte, bis du in deine Heimatstadt gekommen wärest und dich wieder mit deinem Vater und deiner Mutter vereinigt hättest. Du bist nun ein und ein halbes Jahr mit mir zusammen gewesen, und niemals ist dir von mir etwas Böses widerfahren. Was ficht dich an, daß du durchaus Verse sprechen willst, da wir doch ganz müde sind vom Wandern und Wachen und da alle Leute schlummern, um sich von ihrer Mühe auszuruhen? Sie haben den Schlaf nötig!' Dau el-Makân aber sagte: ,Ich



1000-und-1_Vol-01-633 Flip arpa

lasse mich von meiner Absicht nicht abbringen.' Danach überkam ihn die Traurigkeit, und er kündete das verborgene Leid, indem er diese Verse sprach:

Weil' an den Stätten und grüße die Spuren der Zelte, (liefern sind!
Rufe sie! J,, vielleicht antworten sie dir dann.
Wenn dich eine Nacht umhüllt mit allen ihren Schrecken,
Zünde von deiner Sehnsucht im Dunkel ein Feuer dir an.
Wenn zischend die Natter ihr Maul auf bläht, so ist es kein Wunder,
Daß ich -will sie mich beißen -küsse der Liebsten Mund,
O Paradies, dem die Seele zu ihrem Schmerze fern ist,
Wär nicht der Trost im Himmel, ich stürbe vor Gram zur Stund.

Dann sprach er noch diese Verse:

Wir lebten dahin; uns waren die Tage Diener des Glückes,
Im schönsten Lande umfing uns innigste Einigkeit.
Wer kann das Haus meiner Liebe mir wiederbringen, darinnen
,Das Licht des Ortes' weilte und auch ,die Wonne der Zeit?''

Nach diesen Versen schrie er laut dreimal; dann fiel er ohnmächtig zu Boden. Der Heizer aber erhob sich und deckte ihn zu.

Als nun Nuzhat ez-Zamân die ersten Verse hörte, da dachte sie an ihren Vater, ihre Mutter und ihren Bruder. Und als sie die zweiten Verse hörte, die von ihrem Namen und dem Namen ihres Bruders und ihrer beider Freundschaft sprachen, da weinte sie und rief den Eunuchen und sprach zu ihm: ,Weh dir! Der da das erste Mal sprach, hat nochmals gesprochen, und ich habe ihn dicht neben mir gehört. Bei Allah, wenn du ihn mir nicht bringst, so wecke ich deh Kammerherrn; der wird dich schlagen und fortjagen. Doch nimm diese hundert Dinare und gib sie dem Sänger und führe ihn sanft zu mir her und tu ihm nichts an! Und wenn er sich weigert, so reiche ihm diesen Beutel mit tausend Dinaren und laß ihn; erforsche nur,



1000-und-1_Vol-01-634 Flip arpa

wo er ist, was für ein Handwerk er hat und aus welchem Lande er stammt. Dann kehre schnell zurück und halte dich nicht auf!'— — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 73. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhatez-Zamân den Eunuchen entsandte, nach dem Sänger zu suchen, und zu ihm sprach:, Nimm dich in acht, daß du nicht zu mir zurückkehrst mit den Worten: ich konnte ihn nicht finden.' So ging der Eunuch denn hinaus, sah die Leute an und trat in die Zelte; doch er fand niemanden wach, da alle Leute vor Müdigkeit schliefen, bis er zu dem Heizer kam, den er mit unbedecktem Kopfe dasitzen sah. An den trat er heran, ergriff ihn bei der Hand und sagte: ,Du hast die Verse gesprochen!' Der Heizer aber fürchtete fur sein Leben und rief: ,Nein, bei Allah, o Haushofmeister, ich war es nicht!' Doch der Eunuch erwiderte: ,Ich lasse dich nicht, bis du mir den zeigst, der die Verse gesprochen hat; denn ich fürchte mich vor meiner Herrin, wenn ich zu ihr ohne ihn zurückkehre.' Als nun der Heizer die Worte des Eunuchen hörte, da fürchtete er für Dau el-Makân und weinte heftig; und er sprach zu dem Eunuchen: ,Bei Allah, ich war es nicht, und ich kenne ihn nicht. Ich hörte nur einen Wandersmann, der vorüberging und Verse sprach; begehe du nicht eine Sünde an mir, denn ich bin ein Fremdling, und ich komme aus Jerusalem. Abraham, der Freund Gottes, sei mit euch!' ,Steh auf und komme mit mir', sagte der Eunuch, ,und sage das meiner Herrin mit eigenem Munde; denn ich habe niemanden wachend gefunden als dich.' Da sprach der Heizer: ,Bist du nicht gekommen und hast mich am gleichen Ort gefunden, an dem ich gesessen habe, und kennst du nicht meinen Platz? Es darf sich



1000-und-1_Vol-01-635 Flip arpa

doch niemand vom Flecke rühren, weil ihn die Wächter sonst ergreifen. Also gehe zu deiner Stätte, und wenn du von jetzt ab noch einmal jemanden Verse sprechen hörst, mag er fern sein oder nah, so bin ich es oder jemand, den ich kenne, und nur durch mich sollst du von ihm erfahren.' Darauf küßte er dem Eunuchen das Haupt und sprach ihm gut zu, bis der ihn verließ. Aber der Eunuch machte nur eine Runde und verbarg sich dann hinter dem Heizer; denn er fürchtete sich, unverrichteter Dinge zu seiner Herrin zurückzukehren. Der Heizer aber trat zu Dau el-Makân, weckte ihn und sagte zu ihm: ,Komm, setz dich auf, damit ich dir erzähle, was geschehen ist!' So richtete Dau el-Makân sich auf, und sein Gefährte erzählte ihm, was gesehen war; doch der Prinz erwiderte: ,Laß mich; ich will nicht daran denken, und ich kümmere mich uni niemand, denn ich bin meiner Heimat nah.' Da sprach der Heizer: ,Weshalb gehorchst du deinem Eigenwillen und dem Teufel? Wenn du niemanden fürchtest, so fürchte ich für dich und für mein Leben. Ich beschwöre dich bei Allah, sprich keine Verse mehr, bis du in deiner Heimat bist! Wahrlich, ich hätte dich nicht für so ungebärdig gehalten. Weißt du denn nicht, daß diese Dame die Gemahlin des Kammerherrn ist und daß sie dich züchtigen lassen will, weil du ihr den Schlaf geraubt hast? Vielleicht ist sie krank oder rastlos von der Ermüdung der langen Reise, und dies ist schon das zweite Mal, daß sie den Eunuchen geschickt hat, um dich zu suchen.' Dau el-Makân aber achtete nicht auf seine Worte, sondern schrie ein drittes Mal auf und begann diese Verse zu sprechen:

Ich weise jeden Tadler zurück;
Denn sein Tadel quälte mich.
Er schilt mich, aber das weiß er nicht:
Durch sein Gebaren reizte er mich.



1000-und-1_Vol-01-636 Flip arpa

Verleumder sprachen: ,Erfand Trost.'
,Durch Liebe zur Heimat', sagte ich.
Sie fragten:, Was ist schön an ihr?'
Ich sprach: ,Was trieb zur Liebe mich?'
Sie fragten: ,Was macht sie so wert?'
Ich sprach: ,Was trieb ins Elend ,nich?'
Von ihr zu lassen - das sei fer,
Und tränkte der Kelch des Leidens mich!
Auf einen Tadler höre ich nicht,
Semit er wegen der Liebe mich.

Nun aber hatte der Eunuch von seinem Verstecke aus ihn gehört; und kaum hatte der Prinz seine Verse bis zu Ende gesprochen, so trat jener auf ihn zu. Wie der Heizer das sah, lief er weg und blieb in einiger Entfernung stehen, um zu sehen, was zwischen ihnen vorgehen würde. Da sprach der Eunuch zu Dau el-Makân: ,Friede sei mit dir, o Herr!' ,Auch mit dir sei Friede', erwiderte Dau el-Makân, ,und Gottes Gnade und Segen!' ,O Herr,' fuhr der Eunuch fort - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 74. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Eunuch zu Dau ei-Makân sagte: ,O Herr, ich bin in dieser Nacht schon dreimal nach dir ausgegangen; denn meine Herrin entbietet dich zu ihr.' Da rief Dau el-Makân: ,Woher ist denn diese Hündin, die nach mir sucht? Gott verfluche sie und verfluche mit ihr ihren Gatten!' Und er begann auf den Eunuchen zu schimpfen; aber der konnte ihm nicht antworten, weil seine Herrin ihm befohlen hatte, dem Sänger nichts anzutun, sondern ihn nur mit seiner eigenen Einwilligung zu bringen und, wenn er nicht kommen wolle, ihm die tausend Dinare zu geben. Deshalb begann der Eunuch ihm gütig zuzureden, indem er sprach: ,O Herr,



1000-und-1_Vol-01-637 Flip arpa

nimm dies da und komm mit mir! Wir wollen uns nicht an dir vergehen, mein Sohn, noch dir ein Leid zufügen. Ich wünsche nichts, als daß du mit mir deine geehrten Schritte zu meiner Herrin lenkest, um ihre Antwort entgegenzunehmen und sicher und wohlbehalten zurückzukehren; du wirst bei uns ein schönes Geschenk empfangen, wie einer, der gute Nachricht brachte.' Als Dau el-Makân diese Worte hörte, machte er sich auf und schritt dahin zwischen den Leuten und trat über sie hinweg; der Heizer aber schlich hinter ihm her und behielt ihn im Auge, indem er bei sich selber sprach: ,Wehe um seine Jugend! Morgen werden sie ihn hängen.' Und er folgte ihm immer weiter, bis er sich ihrer Stätte näherte, ohne daß sie ihn bemerkten. Dann blieb er stehen und sagte: ,Wie gemein wäre es von ihm, wenn er sagte, ich hätte ihm gesagt, er sollte die Verse sprechen!'

Soweit der Heizer. Doch bleiben wir bei Dau el-Makân! Der ging mit dem Eunuchen, bis sie die Stätte erreichten. Nun trat der Eunuch zu Nuzhat ez-Zamân ein und sagte: ,O Herrin, ich bringe dir den, den du suchtest; er ist ein Jüngling, schön von Angesicht, und er trägt die Spuren des Wohlstands.' Als sie das hörte, pochte ihr Herz, und sie rief: ,Laß ihn ein paar Verse sprechen, damit ich ihn aus der Nähe höre, und dann frage ihn nach seinem Namen und seiner Heimat.' Da ging der Eunuch hinaus zu Dau el-Makân und sagte zu ihm: ,Sprich ein paar Verse, die du kennst! Denn die Herrin ist ganz in der Nähe, um dich zu hören. Dann will ich dich nach deinem Namen und deiner Heimat und deinem Stande fragen.' Der erwiderte: ,Herzlich gern! Doch wenn du mich nach meinem Namen fragst, so ist er ausgelöscht, und meine Spur ist getilgt und mein Leib verzehrt. Ich habe eine Geschichte, doch ihr Anfang ist nicht bekannt, noch auch wird das Ende genannt; und siehe,



1000-und-1_Vol-01-638 Flip arpa

ich bin wie ein Trunkener, der zu viel des Weines trank, der sich nicht schonte und ins Elend sank; dessen Geist in die Irre geht und der vor seinem Schicksal ratlos steht, versunken im Meere der Gedanken.' Als Nuzhat ez-Zamân das hörte, weinte und schluchzte sie noch heftiger als zuvor und sprach zu dem Eunuchen: ,Frage ihn, ob er getrennt ist von jemandem, den er liebt, wie Vater oder Mutter.' Und der Eunuch fragte, wie sie befohlen hatte; darauf erwiderte Dau el-Makân: ,Ja, ich bin von allen getrennt; aber die liebste von ihnen war mir meine Schwester, die mir das Schicksal entriß.' Als Nuzhat ez-Zamân seine Worte hörte, schwieg sie eine Weile, dann rief sie aus: ,Allah der Erhabene vereinige ihn wieder mit der, die er liebt!'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 75. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nuzhat ez-Zamân, als sie die Worte ihres Bruders hörte, sagte: ,Allah vereinige ihn wieder mit der, die er liebt!' Dann sprach sie zu dem Eunuchen: ,Sage ihm, er soll mich einiges über die Trennung von den Seinen und seiner Heimat hören lassen!' Der Eunuch tat, wie ihm seine Herrin befohlen hatte; da stiegen dem Prinzen die Seufzer empor, und er trug diese Verse vor:

Schwören bei ihrer Liebe nicht die Verliebte,, alle?
Preisen will ich ein Haus, das Hind, die Schöne, betrat!
Keine andere Liebe als ihre kennen die Menschen,
Sie ist's, die vor sich und nach sich nie ihresgleichen hat.
Es ist, als dufte der Boden des Tales von Moschus und Ambra,
Wenn Hind nur eines Tages über die Stätte geeilt.
Heil über die Geliebte, de,,, Stolze des ganzen Lagers,
Der Zierde des Volkes; ihr dienet ein jeder, der bei ihr weilt.



1000-und-1_Vol-01-639 Flip arpa

Gott möge der, Wonne der Zeit' reichlichen Regen schenken
Aus Wolken, die ohne Gewitter die durstige Erde tränken!"

Darauf hob Nuzhat ez-Zamân den Saum des Vorhangs von der Sänfte und sah ihn an. Und als ihr Blick auf seine Züge fiel, erkannte sie ihn und wußte, daß er es war, und sie rief: ,O mein Bruder! O Dau el-Makân!' Da sah auch er sie an und erkannte sie und rief: ,O meine Schwester! O Nuzhat ez-Zamân!' Sie aber warf sich ihm entgegen, und er riß sie an die Brust, und beide fielen ohnmächtig nieder. Als der Eunuch die beiden so sah, da staunte er, warf eine Decke über sie und wartete, bis sie wieder zu sich kamen. Wie sie dann aus ihrer Ohnmacht erwachten, war Nuzhat ez-Zamân hocherfreut; von ihr wichen Sorge und Leid; Freude erfüllte ihren Sinn und sie sprach diese Verse vor sich hin:

Das Schicksal schwor, es wolle mich immerdar betrüben -
Gebrochen ward dein Schwur, so schaffe Sühnung, o Zeit!
Das Glück ist genaht, und der Freund ist hilfreich mir zur Seite -
Drum geh dem Rufer der Freude entgegen, gürte dein Kleid!
Ich glaubte nicht an die alten Märchen, an ein Paradies,
Bis mich die rote Lippe den Nektar kosten ließ.

Als Dau el-Makân das hörte, preßte er seine Schwester an die Brust; im Übermaße der Freude strömten aus seinen Augen die Zähren, und er ließ diese Verse hören:

Lange schon hab ich bereut, daß wir uns trennen mußten;
Vor Reue flossen herab aus meinen Augen die Tränen.
Und ich gelobte, ventile das Schicksal uns wieder vereinte,
Ich wolle ,Trennung' niemals mit Worten wieder erwähnen.
Nun ist die Freude auf mich hereingestürmt, so daß sie
Zum Weinen ,nich gebracht hat im Übermaße der Lust.



1000-und-1_Vol-01-640 Flip arpa

O Auge, dir ist die Traue jetzt so vertraut geworden,
Daß du vor Trauer und auch vor Freuden weinen mußt.'

Nun saßen sie eine Weile an der Tür der Sänfte; dann sprach sie zu ihm: ,Komm mit herein und erzähle mir, was dir widerfahren ist, und ich will dir erzählen, was mir widerfahren ist.' So traten sie ein, und Dau el-Makân sagte: ,Beginne du mit dem Erzählen!' Da erzählte sie ihm alles, was ihr begegnet war, seit sie sich im Chân getrennt hatten; wie es ihr mit dem Beduinen und mit dem Händler, der sie von jenem kaufte, ergangenwar und wie dieser sie zu ihrem Bruder Scharkân führte und sie an ihn verkaufte; wie der sie freiließ, gleich nachdem er sie erwarb, und den Ehevertrag mit ihr schloß, und wie er zu ihr einging, und wie schließlich der König, ihr Vater, von ihr hörte und zu Scharkân sandte, um sie kommen zu lassen. Dann rief sie: ,Preis sei Allah, der dich mir geschenkt hat! Ebenso wie wir einst unseren Vater gemeinsam verlassen haben, so kehren wir auch gemeinsam zu ihm zurück!' Zum Schlusse fügte sie hinzu: ,Mein Bruder Scharkân hat mich mit diesem Kammerherrn vermählt, auf daß er mich zu meinem Vater bringe. Dies ist meine ganze Geschichte; nun erzähle du mir, wie es dir ergangen ist, seit ich dich verlassen habe!' Da erzählte er ihr alles, was ihm widerfahren war, von Anfang bis zu Ende: wie Gott ihm den Heizer gesandt, wie der mit ihm reiste und sein Geld für ihn ausgab und ihn bediente Tag und Nacht. Sie pries den Heizer dafür, und Dau el-Makân fügte noch hinzu: ,Fürwahr, Schwester, dieser Heizer hat also liebevoll an mir gehandelt wie keiner je an einem Freunde noch auch ein Vater an seinem Sohn; denn er hungerte, während er



1000-und-1_Vol-01-641 Flip arpa

mir zu essen gab, und er ging zu Fuß, während er mich reiten ließ; so verdanke ich ihm mein Leben.' Nuzhat ez-Zamân sprach: ,So Gott der Erhabene will, wollen wir ihm nach Kräften alles vergelten.' Dann rief sie den Eunuchen; der trat ein und küßte Dauel-Makân die Hand. Und sie sprach: ,Nimm den Lohn der frohen Botschaft, du Glücksgesicht! Durch deine Hand bin ich mit meinem Bruder wiedervereinigt worden; daher sei der Beutel, den du noch bei dir hast, samt seinem Inhalt dein. Jetzt aber geh und führe deinen Herrn rasch zu mir!' Der Eunuch freute sich, eilte zu dem Kammerherrn, trat ein, rief ihn zu seiner Herrin und führte ihn dorthin. Der trat ein zu seiner Gemahlin, und als er ihren Bruder Dau el-Makân bei ihr fand, fragte er sie, wer das sei. Da erzählte sie ihm alles, was ihnen beiden widerfahren war, und fügte hinzu: ,Wisse, o Kammerherr, du hast keine Sklavin zur Frau genommen, sondern die Tochter des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân; denn ich bin Nuzhat ez-Zamân, und dies ist mein Bruder el-Makân.' Als der Kammerherr die Geschichte gehört hatte, ward er von ihren Worten überzeugt, und die reine Wahrheit wurde ihm offenbar; nun war er gewiß, daß er der Schwiegersohn des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân geworden, und so sprach er bei sich selber: ,Mein Geschick wird sein, daß ich Vizekönig werde in irgendeiner Provinz.' Dann trat er zu Dau el-Makân und wünschte ihm Glück zu seiner Rettung und zu seiner Wiedervereinigung mit seiner Schwester. Darauf befahl er sofort seinen Dienern, ihm ein Zelt aufzuschlagen und ihm eins der besten Rosse als Reittier zu geben. Da sprach Nuzhat ez-Zamân: ,Wir sind jetzt nahe bei unserer Heimat, und ich möchte allein bleiben mit meinem Bruder, damit wir uns miteinander erholen und genug voneinander haben, ehe wir unsere Stadt erreichen; denn wir sind lange Zeit getrennt gewesen.'



1000-und-1_Vol-01-642 Flip arpa

,Es sei, wir ihr wünscht!' erwiderte der Kammerherr. Dann ließ er ihnen Wachskerzen und allerlei Süßigkeiten holen, ging davon und sandte drei der prächtigsten Gewänder für Dau el-Makân. Und nun ging er zurück, bis er wieder zu der Sänfte kam, und zeigte sich in seiner eigenen Würde. Da sprach Nuzhat ez-Zamân zu ihrem Gemahl: ,Laß den Eunuchen kommen und befiehl ihm, daß er den Heizer bringe! Dem soll er ein Pferd zum Reiten geben und morgens und abends einen Tisch mit Zehrung zubereiten, und ferner ihm verbieten, daß er uns verlasse.' Daraufhin ließ der Kammerherr den Eunuchen kommen und gab ihm die Befehle; und der erwiderte: ,Ich höre und gehorche.' Dann nahm er seine Sklaven mit und ging auf die Suche nach dem Heizer, bis er ihn am Ende der Karawane fand, wo er gerade seinen Esel sattelte und sich zur Flucht rüstete. Ihm rannen die Tränen auf die Wangen aus Furcht um sein Leben und aus Gram ob der Trennung von Dau el-Makân; und er sprach bei sich selber: ,Ich habe ihn doch um Allahs willen gewarnt, aber er wollte nicht auf mich hören; ach, wie mag es ihm nun ergehen!' Doch ehe er noch ausgesprochen hatte, stand der Eunuch schon vor ihm, und die Sklaven umringten ihn. Wie der Heizer sah, daß der Eunuch vor ihm stand, und die Sklaven rings um sich erblickte, da wurde er bleich vor Angst. — —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 76. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Heizer, als er seinen Esel sattelte, um zu fliehen, und bei sich selber sprach: ,Ach, wie mag es ihm nun ergehen!' und als dann, ehe er noch ausgesprochen hatte, der Eunuch vor ihm stand und die Sklaven rings um ihn, und als er auf blickte und den Eunuchen vor sich



1000-und-1_Vol-01-643 Flip arpa

stehen sah und vor Schrecken erbebte, —daß er da mit lauter Stimme rief: ,Wahrlich, er kennt nicht den Wert der guten Dienste, die ich ihm erwiesen habe! Ich glaube, er hat den Eunuchen und diese Sklaven auf mich gehetzt, und er hat mich zum Genossen seiner Schuld gemacht.' Da schrie der Eunuch ihn an und sagte: ,Wer hat die Verse gesprochen? Du Lügner, weshalb sagtest du: ich habe die Verse nicht gesprochen, und ich weiß nicht, wer sie gesprochen hat, während es doch dein Geführte ware Jetzt aber will ich dich von hier bis Baghdad nicht mehr verlassen, und was deinen Genossen trifft, das soll dich auch treffen.' Wie der Heizer das hörte, sprach er bei sich: ,Was ich befürchtete, ist über mich gekommen.' Dann sprach er diesen Vers:

Was ich fürchtete, brachte das Geschick -
Doch wir alle kehren zu Gott zurück!

Dann rief der Eunuch den Sklaven zu: ,Nehmt ihn vom Esel herunter!' Da nahmen sie ihn von seinem Esel herunter und brachten ihm ein Pferd. Das bestieg er, und er zog nun mit der Karawane, umgeben von den Sklaven, dahin. Der Eunuch aber sprach zu den Dienern: ,Für jedes Haar, das von ihm verloren geht, verliert einer von euch sein Leben.' Heimlich jedoch befahl er ihnen, ilm ehrenvoll zu behandeln und ihn nicht zu beleidigen. Wie nun der Heizer sich von den Sklaven umringt sah, da verzweifelte er an seinem Leben und wandte sich an den Eunuchen und sprach: ,O Meister, ich bin weder der Bruder dieses Jünglings noch aus seiner Familie; er ist nicht mit mir verwandt, und ich bin nicht mit ihm verwandt, sondern ich war Heizer in einem Badehause, und ich habe ihn krank auf einem Düngerhaufen gefunden.' Nun zog die Karawane weiter, während der Heizer weinte und sich tausend Gedanken machte; dabei schritt der Eunuch an seiner Seite dahin und



1000-und-1_Vol-01-644 Flip arpa

klärte ihn nicht auf, sondern sprach zu ihm: ,Du hast unserer Herrin durch deine Verse den Schlaf geraubt, du und dieser Jüngling; aber fürchte nichts für dich!' —und insgeheim machte er sich über ihn lustig. So oft aber die Karawane haltmachte, wurde ihnen das Essen gebracht; und der Eunuch aß mit dem Heizer aus einer Schüssel. Und wenn sie gegessen hatten, befahl jener den Dienern, einen Krug mit Zuckerscherbett zu bringen; dann trank er daraus und reichte ihn dem Heizer, der ebenfalls trank. Doch niemals trockneten seine Tränen; denn er fürchtete für sein Leben, und er grämte sich ob der Trennung von Dau el-Makân und ob dem, was ihnen beiden in der Fremde widerfahren war. So zogen sie beide mit der Karawane dahin. Und der Kammerherr ritt bald an der Tür der Sänfte seiner Gemahlin, um den Prinzen Dau el-Makân und seine Schwester zu bedienen, bald behielt er den Heizer im Auge; Nuzhat ez-Zamân aber und ihr Bruder unterhielten sich und klagten sich gegenseitig ihr Leid. So reisten sie ohne Aufenthalt weiter, bis sie sich der Stadt Baghdad auf drei Tagesmärsche genähert hatten. Hier machten sie abends halt und ruhten, bis der Morgen anbrach; und als sie erwachten und eben die Kamele beladen wollten, siehe, da tauchte in der Ferne eine große Staubwolke auf, die das Firmament verdunkelte, bis es schwarz war wie die finstere Nacht. Da rief der Kammerherr: ,Haltet ein und ladet nicht auf!' Und er saß auf mit seinen Mamluken, und sie ritten in der Richtung auf die Staubwolke davon. Als sie ihr näher kamen, erschien darunter ein gewaltiges Heer, gleich dem flutenden Meer, mit Flaggen und Standarten und Trommeln, Reitern und starken Mannen. Da staunte der Kammerherr; und als die Truppen um sahen, da löste sich eine Schar von etwa fünfhundert Reitern von ihnen ab, die auf ihn zustürmten und auf sein Gefolge und sie in fünffacher Übermacht



1000-und-1_Vol-01-645 Flip arpa

umringten. Der Kammerherr rief ihnen zu: ,Was gibt es, und woher sind diese Truppen, daß ihr so an uns handelt?' Sie fragten ihn: ,Wer bist du, und woher kommst du, und wohin willst du?' Er antwortete: ,Ich bin der Kammerherr des Emirs von Damaskus, Königs Scharkân, des Sohnes des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân, des Herrn von Baghdad und Chorasân, und ich komme von ihm her mit dem Tribut und den Geschenken, die ich seinem Vater in Baghdad bringen soll.' Sowie die Reiter seine Worte hörten, da ließen sie ihre Kopftücher über die Gesichter fallen und weinten und sprachen zu ihm: ,Siehe, König 'Omar ibn en-Nu'mân ist tot, und er starb nur durch Gift. Doch reite weiter! Dir soll nichts geschehen, bis du zu seinem Großwesir kommst, dem Wesir Dandân.' Als aber der Kammerherr diese Kunde vernahm, da weinte er heftig und rief: ,O über unsere traurige Reise!' Und er klagte mit seinem ganzen Gefolge, bis sie zum Kern der Truppen gelangten und Zutritt suchten zum Wesir Dandân. Der Minister gewährte ihm eine Unterredung und befahl, seine Zelte aufzuschlagen; dann setzte er sich nieder auf einen Thron mitten in seinem Zelte und befahl dem Kammerherrn, sich zu setzen. Nachdem der sich niedergelassen hatte, bat er ihn, Auskunft über sich zu geben. Jener berichtete ihm, er sei der Kammerherr des Emirs von Damaskus, entsandt mit Geschenken und mit dem Tribut von Syrien. Als der Wesir das vernahm, weinte er im Gedenken an König 'Omar ibn en-Nu'mân; dann sprach er: ,König 'Omar ibn en-Nu'mân ist durch Gift gestorben, und bei seinem Tode ward das Volk uneinig darüber, wen sie zu seinem Nachfolgermachen machen sollten; und fast hätten sie sich darüber gegenseitig erschlagen, wenn nicht die Großen und die Vornehmen und die vier Kadis sich ins Mittel gelegt hätten. Doch so kam alles Volk überein, sich der Entscheidung der vier Kadis ohne Widerspruch



1000-und-1_Vol-01-646 Flip arpa

zu fügen. Und es wurde bestimmt, daß wir nach Damaskus ziehen sollten, zu seinem Sohne, König Scharkân, um ihn zu holen und ihn zum Sultan über seines Vaters Reich zu machen. Einige aber unter ihnen wollten seinen zweiten Sohn haben: sie sagten, er heiße Dau el-Makân, und er habe eine Schwester namens Nuzhat ez-Zamân; aber die beiden sind nach dem Lande des Hidschâz gezogen, und nun sind fünf Jahre vergangen, ohne daß jemand von ihnen eine Kunde erhalten hätte.' Als der Kammerherr das hörte, da wußte er, daß seine Gemahlin ihm über ihre Erlebnisse die Wahrheit gesagt hatte; und er grämte sich sehr um den Tod des Sultans, zugleich aber war er hocherfreut über die Heimkehr des Dauel-Makân, denn jetzt mußte dieser an seines Vaters Stelle Sultan von Baghdad werden. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 77. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kammerherr des Scharkân betrübt war, als er vernahm, was der Wesir Dandân über das Schicksal des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân berichtete, daß er sich aber freute um seiner Gemahlin und ihres Bruders Dau el-Makân willen, weil dieser jetzt an seines Vaters Stelle Sultan von Baghdad werden mußte. Dann redete er den Wesir Dandân an und sprach: ,Wahrlich, euer Bericht ist ein Wunder der Wunder! Wisse, o Großwesir, Allah hat euch hier, wo ihr auf mich getroffen seid, Ruhe verliehen von aller Mühe, und euer Ziel ist auf die einfachste Art erreicht; denn Allah hat euch Dau el-Makân und seine Schwester Nuzhat ez-Zamân zurückgegeben. So ist alles in schönster Ordnung.' Als der Minister diese Worte hörte, war er hocherfreut; dann sprach er: ,O Kammerherr, erzähle mir die Geschichte der beiden, und



1000-und-1_Vol-01-647 Flip arpa

was ihnen widerfahren ist, und weshalb sie so lange fortgeblieben sind.' Da erzählte er ihm die Geschichte der Nuzhat ez-Zamân und sagte ihm, daß sie seine Gemahlin sei; auch berichtete er ihm Dau el-Makâns Erlebnisse von Anfang bis zu Ende. Wie er geendet hatte, ließ der Wesir Dandân die Emire und Wesire und die Großen des Reiches kommen und machte sie mit allem bekannt; die waren darüber hocherfreut und wunderten sich ob dieses Zusammentreffens. Danach gingen sie alle gemeinsam zu dem Kammerherrn, stellten sich huldigend vor ihm auf und küßten den Boden vor ihm; und alsbald begab sich auch der Wesir zu dem Kammerherrn und trat vor ihn hin. Nun hielt der Kammerherr noch am selben Tage eine große Ratsversammlung ab; er und der Wesir Dandân nahmen Platz auf Thronen, und alle Emire und Großen und Würdenträger standen ihrem Rang entsprechend vor ihnen da. Dann tauchten sie Zucker in Rosenwasser und tranken; darauf setzten die Emire sich nieder, um Rats zu pflegen. Dem übrigen Heere gaben sie Befehl, zusammen aufzubrechen und langsam voraufzuziehen, bis sie mit ihrer Besprechung zu Ende wären und sie wieder einholen würden. Da küßten die Hauptleute den Boden vor dem Kammerherrn, saßen auf und ritten dahin, mit den Kriegsstandarten an der Spitze. Als aber die Großen ihre Beratung beendet hatten, stiegen auch sie zu Pferde und holten das Heer wieder ein. Dann begab sich der Kammerherr zu dem Wesir Dandân und sagte: ,Ich halte dafür, daß ich vorausreite und vor euch eintreffe, damit ich eine angemessene Stätte für den Sultan herrichte und ihm eure Ankunft melde und ihm kundtue, daß ihr ihn zum Sultan gewählt habt statt seines Bruders Scharkân.' ,Gut ist dein Rat', erwiderte der Wesir. Darauf erhob sich der Kammerherr, und auch Dandân erhob sich, um ihn zu ehren, ließ ihm Geschenke bringen und



1000-und-1_Vol-01-648 Flip arpa

beschwor ilm, sie anzunehmen. Ebenso taten die Emire und Großen und Würdenträger; sie brachten ihm Geschenke und riefen Segen auf ihn herab und sprachen zu ihm: ,Vielleicht sprichst du zu dem Sultan Dau el-Makân von uns, damit er uns in unserer Würde belasse.' Der Kammerherr versprach, was sie wünschten, und befahl darauf seinen Sklaven, sich marschbereit zu machen; doch der Wesir Dandân sandte Zelte mit ihm und befahl den Zeltdienern, sie eine Tagereise vor der Stadt aufzuschlagen. Und sie taten seinem Befehle gemäß. So saß der Kammerherr auf, ritt dahin voller Freude und sprach bei sich selber: ,Welch eine gesegnete Reise!' Seine Gemahlin aber und Dau el-Makân standen in seinen Augen groß da. In aller Eile zog er dahin, bis er einen Ort erreichte, der eine Tagereise von Baghdad entfernt war; dort befahl er haltzumachen, um auszuruhen und für den Sultan Dau el-Makân, den Sohn des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân, eine Stätte herzurichten. Dann begab er sich abseits mit seinen Mamluken und befahl den Eunuchen, für ihn bei ihrer Herrin Nuzhat ez-Zamân um Zutritt zu bitten. Sie taten es, und die Prinzessin gewährte ihn; so trat er bei ihr und ihrem Bruder ein. Er erzählte ihnen vom Tode ihres Vaters, berichtete, wie die Häupter des Volks Dau el-Makân an seines Vaters Stelle zum König gemacht hatten, und wünschte ihnen beiden Glück zur Königswürde. Doch sie weinten um den Verlust ihres Vaters und fragten nach der Ursache seines Todes; aber der Kammerherr erwiderte: ,Die Nachricht bleibe dem Wesir Dandân vorbehalten; der wird morgen mit seinem ganzen Heere hier sein. Dir, o König, bleibt nur übrig, zu tun, was sie dir raten, da sie dich einstimmig zum Sultan gewählt haben; denn wenn du es nicht tust, so wählen sie einen andern, und du wirst deines Lebens nicht sicher sein vor dem, der statt deiner zur Herrschaft kommt. Er



1000-und-1_Vol-01-649 Flip arpa

kann dich töten, oder es erhebt sich Zwietracht zwischen euch, und das Königtum entgeht euch beiden.' Da neigte Dau el-Makân eine Weile das Haupt; dann sprach er: ,Ich nehme es an.' Denn er konnte sich dem nicht entziehen, und er war überzeugt, daß der Kammerherr mit seinen Worten das Rechte getroffen hatte. Doch er fügte noch hinzu: ,Oheim, was soll ich mit meinem Bruder Scharkân tun?' ,Mein Sohn,' erwiderte der Kammerherr, ,dein Bruder wird Sultan von Damaskus sein, du aber Sultan von Baghdad; so gürte dich mit Festigkeit und mache dein Sach bereit!' Dau el-Makân war damit einverstanden; darauf reichte der Kammerherr ihm das königliche Gewand, das der Wesir Dandân mitgebracht hatte, und übergab ihm den kurzen Säbel, verließ ihn und befahl den Zeltdienern, eine erhöhte Stätte auszusuchen und dort ein geräumiges und hohes Zelt für den Sultan aufzuschlagen, auf daß er darin sitzen könnte, wenn die Emire vor ihm erschienen. Ferner befahl er den Köchen, kostbare Speisen zu bereiten und sie aufzutragen, und er befahl den Wasserträgern, die Wasserbehälter aufzustellen. Und nach einer Weile wirbelte eine Staubwolke empor, die legte der Welt einen Schleier vor; doch bald darauf tat jene Staubwolke sich auf, und darunter erschien ein gewaltiges Heer, das glich dem flutenden Meer. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 78. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Zeltdiener, als der Kammerherr ihnen befahl, ein geräumiges Zelt aufzuschlagen, um die Untertanen aufzunehmen, die sich beim König versammelten, ein großes Zelt errichteten, wie es sich für Könige schickte. Und wie sie ihre Arbeit beendet hatten, siehe, da wirbelte eine



1000-und-1_Vol-01-650 Flip arpa

Staubwolke empor; dann vertrieb sie der Wind, und ein gewaltiges Heer trat unter ihr hervor. Und das erwies sich als die Streitmacht von Baghdad und Chorasân, geführt von dem Wesir Dandân; alle aber waren erfreut über die Thronbesteigung von Dau el-Makân. Der hatte die königlichen Kleider angelegt und sich mit dem Prunkschwert gegürtet. Nun brachte der Kammerherr ihm sein Roß, und er saß auf; dann zog er dahin, umgeben von den Mamluken und all den Leuten aus den Zelten, die mitliefen, um ihm zu huldigen, bis er zu dem großen Pavillon kam. Dort setzte er sich nieder und legte den Säbel über seine Schenkel; der Kammerherr aber stellte sich zu seiner Dienstleistung vor ihm auf, und seine Mamluken traten mit gezückten Schwertern in die Vorhalle des Zeltes. Dann zogen die Kriegerscharen und Heerhaufen auf und baten um Einlaß; da trat der Kammerherr zu Dau el-Makân und bat ihn um Erlaubnis; und der befahl, sie in Gruppen zu je zehn hereinzulassen. Der Kammerherr tat es ihnen zu wissen, und sie erwiderten: ,Wir hören und gehorchen!' und alle stellten sich vor dem Tor der Vorhalle auf. Dann traten je zehn, vom Kammerherrn eingeteilt, in die Vorhalle ein; und er führte sie vor Sultan Dau el-Makân, und als sie ihn erblickten, schauten sie ihn voll Ehrfurcht an; er empfing sie in huldvoller Güte und versprach ihnen alles Gute. Sie aber wünschten ihm Glück zu seiner wohlbehaltenen Heimkehr und flehten Gottes Segen auf ihn herab; und sie leisteten ihm den Treuschwur, daß sie nie seinem Befehle zuwiderhandeln wollten, küßten den Boden vor ihm und zogen sich zurück. Nun traten zehn andere ein, und er behandelte sie, wie er die anderen behandelt hatte; so kamen sie herbei, immer zu je zehn, bis niemand mehr übrig war als der Wesir Dandân. Der trat zuletzt ein und küßte den Boden vor ihm; aber Dau el-Makân kam ihm entgegen und



1000-und-1_Vol-01-651 Flip arpa

sprach zu ihm: ,Willkommen, o Wesir und hochgeehrter Vater, du bist der vieledle Berater, und geleitet wird das Land durch des gütigen, kundigen Mannes Hand.' Dann befahl er dem Kammerherrn, alsbald hinauszugehen und die Tische breiten und alle Soldaten herankommen zulassen. Die kamen und aßen und tranken. Ferner sprach König Dau el-Makân zu dem Wesir Dandân: ,Befiehl den Soldaten, zehn Tage zu rasten, auf daß ich mit dir allein sein kann und du mir die Ursache des Todes meines Vaters berichten kannst!' Den Worten des Sultans gehorsam, sprach der Wesir: ,Es soll geschehen.' Dann begab er sich in die Mitte des Lagers und befahl den Soldaten, zehn Tage zu rasten. Sie gehorchten seinem Befehl, und er gab ihnen Erlaubnis, sich zu vergnügen, und ordnete an, daß keiner der diensttuenden Herren dem König während der nächsten drei Tage aufwarten sollte. Alle Leute bezeugten ihre Untertänigkeit und wünschten dem König ewigen Ruhm. Dann ging der Wesir zu ihm und erstattete ihm Bericht über das, was geschehen war. Nachdem Dau el-Makân bis zum Abende gewartet hatte, ging er zu seiner Schwester Nuzhat ez-Zamân hinein und fragte sie: ,Kennst du die Ursache des Todes unseres Vaters? Oder weißt du nicht, wie es geschehen ist?' ,Ich weiß es nicht', erwiderte sie. Dann zog sie einen seidenen Vorhang vor sich hin; vor den setzte Dau el-Makân sich und befahl, den Wesir Dandân zu holen. Als dieser vor ihm stand, sprach er zu ihm: ,Ich wünsche, daß du mir in allen Einzelheiten erzählest, wie mein Vater, König 'Omar ibn en-Nu'mân, zu Tode gekommen ist!' ,Wisse denn, o König,' erwiderte Dandân, ,als König 'Omar ibn en-Nu'mân von seinem Jagdritt heimkehrte und in die Hauptstadt kam, da fragte er nach euch beiden, und als er euch nicht fand, wußte er, daß ihr zur Pilgerfahrt davongezogen waret; darüber war er sehr bekümmert und erzürnt,



1000-und-1_Vol-01-652 Flip arpa

und die Brust ward ihm eng. Ein halbes Jahr blieb er dabei, jeden Forteilenden und jeden Verweilenden nach euch zu fragen, doch keiner konnte ihm über euch Nachricht geben. Eines Tages aber, als wir vor ihm standen, ein volles Jahr, seit er euch vermißte, siehe, da kam eine alte Dame zu uns, die den Anschein einer Frommen erweckte, und bei ihr waren fünf Mädchen, hochbusige Jungfrauen, Monden gleich anzuschauen, begabt mit solcher Schönheit und Lieblichkeit, daß keine Zunge sie zu schildern vermag; doch nicht nur waren sie so wunderbar schön, sondern sie konnten den Koran lesen und waren bewandert in der Philosophie und in der Kunde von den Altvorderen. Jene Alte bat, zum König eintreten zu dürfen; er gestattete es, und so trat sie vor ihn hin und küßte den Boden vor ihm, während ich ihm zur Seite saß. Als sie aber sich vor ihm befand, ließ er sie näher treten; denn er sah an ihr die Zeichen der Kasteiung und der Andachtsübung. Als dann die Alte ihren Platz eingenommen hatte, wandte sie sich an ihn mit den Worten: ,Wisse, o König, bei mir sind fünf Mädchen, derengleichen kein einziger König besitzt. Sie sind nicht nur begabt mit Verstand und Lieblichkeit, mit Schönheit und Vollkommenheit, nein, sie lesen auch den Koran nach den Traditionen, und sie sind bewandert in allerlei Gelehrsamkeit und in der Geschichte der vergangenen Geschlechter. Sie stehen hier vor dir, um dir zu dienen, o König unserer Zeit! Und ist ein Mensch erprobt, dann wird er getadelt oder gelobt.' Da sah dein seliger Vater die Mädchen an, und ihr Anblick erfreute ilm; und so sprach er zu ihnen: ,Eine jede von euch mag mich etwas hören lassen, das sie kennt aus der Geschichte der Menschen früherer Zeit und der Völker der Vergangenheit!' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 79.



1000-und-1_Vol-01-653 Flip arpa

Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Dandân zu König Dau el-Makân sprach: ,Da sah dein seliger Vater die Mädchen an, und ihr Anblick erfreute ihn, und so sprach er zu ihnen: ,Eine jede von euch mag mich etwas hören lassen, das sie kennt aus der Geschichte der Menschen früherer Zeit und der Völker der Vergangenheit!' Nun trat eine von ihnen vor und küßte den Boden vor ihm und sprach: ,Wisse, o König, dem Wohlerzogenen geziemt es, daß er die Vordringlichkeit meide und sich mit der Vortrefflichkeit schmücke, daß er die göttlichen Gebote halte und die Todsünden meide; und danach sollte er streben so beharrlich wie einer, der bei jedem Schritt vom Wege dem Verderben verfällt; denn die Grundlage guter Erziehung sind edle Sitten. Und wisse, der Sinn und das Wesen des irdischen Lebens liegt in dem Streben nach dem ewigen Leben, und der rechte Weg zum ewigen Leben ist der Dienst Allahs. Daher geziemt es dir, daß du gütig mit dem Volke umgehst und nicht abweichest von dieser Richtschnur; denn je mächtiger die Menschen durch ihre Stellung sind, um so mehr bedürfen sie der Einsicht, und die Könige bedürfen ihrer mehr als die Menge, da die Menge sich auf die Dinge stürzt, ohne den Ausgang zu bedenken. Gib in der Sache Allahs dein Leben und deinen Besitz hin! Und wisse, wenn ein Feind mit dir streitet, so kannst du mit ihm streiten und ihn mit Beweisen widerlegen und vor ihm auf der Hut sein; doch zwischen deinem Freunde und dir kann kein anderer Richter entscheiden als Rechtlichkeit. Daher wähle dir selbst deinen Freund, nachdem du ihn erprobt hast! Gehört er zur Brüderschaft des jenseits, so sei er eifrig in der Befolgung der äußeren Dinge des heiligen Gesetzes und bewandert in seinem innern Sinn, soweit er es vermag. Doch wenn er von der Brüderschaft dieser Welt ist,



1000-und-1_Vol-01-654 Flip arpa

so sei er edelgeboren, aufrichtig, kein Tor und kein schlechter Kerl; denn der Tor verdient, daß selbst seine Eltern vor ihm fliehen, und ein Lügner kann kein wahrer Freund sein. Denn das Wort für Freund' ist abgeleitet von dem für Wahrhaftigkeit', die da aufquillt aus dem Grunde des Herzens; und wie kann das sein, wenn er die Lüge auf der Zunge trägt? Wisse ferner, die Befolgung des Gesetzes nützt dem, der sie übt; so liebe deinen Bruder, wenn er also handelt, und stoße ihn nicht von dir, wenn du auch an ihm findest, woran du Ärgernis nimmst! Denn ein Freund ist nicht wie ein Weib, von dem man sich scheiden und das man zurücknehmen kann; nein, sein Herz ist wie Glas: einmal gesprungen, wird es nie wieder heil. Wie vortrefflich sagte der Dichter:

Strebe danach, den Herzen Verletzungen zu ersparen;
Nach der Entfremdung ist die Umkehr ihnen so schwer.
Denn sind die Herzen einmal der Liebe erst entfremdet,
Sind sie dem Glase gleich - gesprungen, heut es nicht mehr.'

Dann schloß das Mädchen diese Rede mit einem Hinweis auf die Worte der Weisen: ,Der beste der Brüder ist der, der den besten Rat erteilt; die beste Handlung ist die, so den schönsten Ausgang hat; und das beste Lob ist nicht das im Munde der Menschen.

Ferner heißt es: Dem Menschen steht es nicht an, den Dank an Allah zu vergessen, zumal für zwei Gnadengaben: Gesundheit und Verstand.

Ferner heißt es: Wem seine Seele lieb ist, dem ist seine Begierde verächtlich; und wer viel Wesens macht aus seinen kleinen Leiden, den schlägt Allah mit noch größeren.

Wer seiner Neigung folgt, der untergräbt die göttlichen



1000-und-1_Vol-01-655 Flip arpa

Rechte'; und wer auf den Verleumder hört, der verliert den wahren Freund.

Wer gut von dir denkt, dessen Vorstellung von dir mache wahr.

Wer im Streite kein Maß hält, der sündigt; und wer sich gegen Unrecht nicht wehrt, der ist nicht sicher vor dem Schwert.

Nun will ich dir einiges sagen von den Pflichten der Kadis. Wisse, o König, ein Urteil dient der Sache der Gerechtigkeit nur, wenn es durch Beweisaufnahme gesichert ist; und der Richter muß alle Leute gleich behandeln, so daß der Mächtige nicht nach Unterdrückung giert, noch auch der Schwache an der Gerechtigkeit verzweifelt. Und ferner soll er dem Kläger den Beweis und dem Leugner den Eid auferlegen. Die Einigung ist zulässig zwischen Muslimen, mit Ausnahme einer solchen, durch die das Verbotene erlaubt und das Erlaubte verboten werden soll. Wenn du heute über etwas im Zweifel bist, so geh darüber mit deinem Verstande zu Rate und suche darin das zu erkennen, was dir den rechten Weg zeigt, auf daß du in ihm zum Rechte zurückkehrst; denn das Recht ist eine religiöse Pflicht, und zum Rechte zurückzukehren ist besser als im Unrecht zu verharren. Und weiter, lerne die früheren Beispiele kennen und die Rechtsbestimmungen verstehen; entscheide zwischen den Parteien in Gerechtigkeit, laß deinen Blick stets auf das Recht gerichtet sein und stelle deine Sache Allah dem Allmächtigen und Glorreichen anheim! Erlege den Beweis dem Kläger auf, und wenn er ihn beibringt, so laß ihn gebührenden Vorteil daraus ziehen; und wenn nicht, so laß den Beklagten schwören; denn so hat Allah es verordnet!



1000-und-1_Vol-01-656 Flip arpa

Nimm das Zeugnis entgegen von zuverlässigen Muslimen, eines gegen das andere; denn Allah der Erhabene hat den Richtern befohlen, nach äußeren Dingen zu richten, während er selber auf die verborgenen Gedanken achtet.

Es geziemt dem Richter, daß er kein Urteil fälle, wenn er unter Schmerzen oder Hunger leidet, und daß er in seinen Entscheidungen zwischen den Menschen das Angesicht Allahs des Erhabenen suche; denn der, dessen Absicht rein ist und der mit sich selber im Frieden lebt, dem wird Allah helfen in dem, was zwischen ihm und den Menschen steht.

Ez-Zuhri sagt: ,üm dreier Dinge willen soll ein Kadi, so man sie bei ihm findet, des Amtes enthoben werden: wenn er die Gemeinen ehrt, wenn er das Lob liebt und wenn er die Absetzung fürchtet.' 'Omar ibn 'Abd el-'Azîz' setzte einst einen Kadi ab; und als der ihn fragte: ,Weshalb hast du mich abgesetzt?' da erwiderte er: ,Es ist mir berichtet worden, daß deine Rede höher geht als dein Rang.'

Es wird auch erzählt, daß Alexander zu seinem Kadi sagte: ,Ich habe dich mit einem Amt bekleidet und dir mit ihm meine Seele, meine Ehre und meine Manneswürde anvertraut; also behüte dies Amt mit deiner Seele und deinem Verstand!' Und zu seinem Koch sprach er: ,Du bist zum Herrn gesetzt über meinen Leib; also pflege ihn wie dein eigenes Selbst!' Und zu seinem Schreiber sprach er: ,Du bist der Aufseher meines Verstandes; also hüte mich in allem, was du für mich schreibst!'

Dann trat das erste Mädchen zurück, und ein zweites trat vor'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 80. Nacht



1000-und-1_Vol-01-657 Flip arpa

anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Dandân zu Dau el-Makân sagte: ,Dann trat das erste Mädchen zurück, und ein zweites trat vor, küßte den Boden vor dem König, deinem Vater, siebenmal und sagte: ,Der weise Lokmân' sprach zu seinem Sohne: ,Drei Menschen gibt es, die sich nur in drei verschiedenen Lagen erkennen lassen: den Gütigen erkennst du nur im Zorne, den Tapfern nur in der Schlacht und deinen Freund nur in der Not.'

Es heißt, der Bedrücker wird einst sein Tun bereuen, wenn ihn das Volk auch preist, und der Bedrückte wird unversehrt bleiben, wenn ihn das Volk auch schmäht.

Allah der Erhabene sagt': ,Glaube nicht, daß die, so sich ihrer Taten freuen und gelobt zu werden wünschen für das, was sie nicht getan haben -glaube nicht, daß sie ihrer Strafe entronnen sind: ihnen wird eine schmerzliche Strafe zuteil.'

Der Prophet -über ihm sei Segen und Heil! —hat gesagt: ,Die Handlungen richten sich nach den Absichten, und jedem wird zuteil, was er beabsichtigt hat.'

Er, über dem Heil sei, sagte auch: ,Es gibt im Leibe einen Teil; wenn der gesund ist, so ist auch der ganze Leib gesund, und ist er ungesund, so ist der ganze Leib ungesund: es ist das Herz. Das Wunderbarste von all dem, was im Menschen ist, ist sein Herz; denn es ordnet sein ganzes Wirken: wenn die Begierde sich in ihm regt, so verdirbt ihn die Lust; und gewinnt der Kummer in ihm die Herrschaft, so tötet ihn die Qual; wütet der Zorn darinnen, so kommt das Verderben über ihn; ist es mit Zufriedenheit beglückt, so ist er sicher vor Verdruß; überfällt es die Furcht, so quält ihn die Trauer; und wird es von



1000-und-1_Vol-01-658 Flip arpa

Unglück betroffen, so überkommt ihn das Leid. Wenn aber ein Mensch Reichtum gewinnt, so wird es dadurch leicht abgelenkt von dem Gedenken an seinen Herrn; packt ihn die Armut, so wird es von Sorge geplagt; wird es von Kummer gequält, so bringt ihn die Schwäche zu Fall. So hilft ihm in jedem Falle nichts, als daß er an Gott denke und nur danach strebe, in dieser Welt sein Leben zu verdienen und sich im Jenseits seinen Platz zu sichern.'

Einst wurde ein Weiser gefragt: ,Wer ist unter den Menschen in der frohesten Lage?' Er antwortete: ,Der, dessen Mannheit seine Lüste überwältigt, während sein Geist sich hoch aufschwingt, so daß sich sein Wissen erweitert und jede Entschuldigung schwindet'; und wie vortrefflich hat Kais gesungen:

Ich bin von allen Menschen am fernsten, doch dem Heuchler,
Der andere irren sieht und kennt den Weg selber nicht.
Reichtum und Geistesgaben sind ja nur ein Darlehn:
Was jeder im Herzen verbirgt, stehet ihm im Gesicht.
Gehst du in eine Sache von falscher Seite hinein,
So irrst du; doch du gehst recht, trittst du zur rechten Tur ein.'

Dann fuhr das Mädchen fort: ,In den Erzählungen von den Frommen spricht Hischâm ibn Bischr: ,Ich fragte einst 'Omar ibn 'Obaid: ,Was ist wahre Frömmigkeit?' Er erwiderte mir: ,Der Gesandte Allahs -Er segne ihn und gebe ihm Heil! — erklärte sie mit diesen Worten: Der Fromme ist der, der weder das Grab noch das Unglück vergißt und der das Bleibende dem Vergänglichen vorzieht; der nicht das Morgen unter seine Tage zählt, sondern sich zu den Toten rechnet.'

Man erzählt, daß Abu Dharr zu sagen pflegte: ,Die Armut ist mir lieber als der Reichtum, Krankheit lieber als die Gesundheit.' Da rief einer der Hörer: ,Gott habe Abu Dharr selig! Ich sage vielmehr: wer darauf vertraut, daß Allah der Erhabene



1000-und-1_Vol-01-659 Flip arpa

richtig gewählt hat, der sollte zufrieden sein mit dem Stande, den Er ihm zugeteilt.'

Einer von den Gewährsmännern sagte: ,Einst betete Ibn Abi Aufa mit uns das Morgengebet und sprach dabei: O du Verhüllter! und so weiter, bis er zu der Stelle kam, wo der Höchste sagt: Und wenn in die Posaune gestoßen wird'; da aber fiel er tot zu Boden.'

Es wird berichtet, daß Thâbit el-Bunâni weinte, bis er fast das Augenlicht verlor. Man brachte ihn aber zu einem Manne, der ihn heilen sollte, und der sprach: ,Ich werde dich heilen unter der Bedingung, daß du mir gehorchst. 'Da fragte Thâbit: ,Worin?' Der Arzt erwiderte: ,Darin, daß du nicht mehr weinst!' ,Was soll ich mit meinen Augen,' antwortete Thâhit, ,wenn sie nicht weinen?'

Einmal sagte ein Mann zu Mohammed, dem Sohne des 'Abdallâh: ,Gib mir einen Rat!' - -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 81. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Dandân zu Dau el-Makân sprach: ,Also redete die zweite Sklavin vor deinem seligen Vater 'Omar ibn en-Nu'mân: ,Einmal sagte ein Mann zu Mohammed, dem Sohne des 'Abdallâh: ,Gib mir einen Rat!' Und der erwiderte: ,Ich gebe dir den Rat, in bezug auf diese Welt ein enthaltsamer Herr, in bezug auf die zukünftige aber ein gieriger Sklave zu sein.' ,Wie meinst du das?' fragte der andere; und Mohammed entgegnete: ,Wer enthaltsam ist in dieser Welt, gewinnt zugleich sie und die zukünftige Welt.'



1000-und-1_Vol-01-660 Flip arpa

Ghauth, der Sohn des 'Abdallâh, erzählte: ,Es waren zwei Brüder unter den Kindern Israel, von denen der eine zu dem andern sagte: ,Welches ist die schlimmste Tat, die du begangen hast?' Da antwortete der Bruder: ,Ich ging einmal bei einem Nest junger Vögel vorbei; da nahm ich einen heraus und setzte ihn wieder ins Nest, aber an eine Stelle, von der ich ihn nicht weggenommen hatte. Das ist die schlimmste Tat, die ich begangen habe; welches aber ist die schlimmste Tat, die du begangen hast?' Jener erwiderte: ,Die schlimmste Tat, die ich tue, ist die: wenn ich mich zum Gebet erhebe, so fürchte ich, ich könne es nur um des Lohnes willen tun.' Ihr Vater aber hörte ihre Worte, und er rief aus: ,O Gott, wenn sie die Wahrheit reden, so nimm sie zu dir!' Und einer der Weisen sprach: ,Wahrlich, das waren die tugendhaftesten Kinder.'

Sa'îd ibn Dschubair erzählte: ,Einst war ich zusammen mit Fudâla ibn 'Obaid und sprach zu ihm: ,Gib mir einen Rat.' Er antwortete: ,Behalt von mir diese beiden Dinge: verehre keine anderen Götter neben Allah, und tue keiner der Kreaturen Allahs ein Leid an.' Und er sprach diese Verse:

Sei, wie du willst, denn siehe, Gott ist ein gütiger Herr;
Verscheuche nur die Sorgen, und kein Ding sei dir schwer.
Allein es gibt zwei Dinge, die meide jederzeit:
Treib keine Vielgötterei, tu keinem Menschen ein Leid!

Wie trefflich sagt auch der Dichter:

Wenn Zehrung der Frömmigkeit dich einstens nicht geleitet,
Und triffst du nach deinem Tode einen, der die sich bereitet,
So wirst du bereuen, daß du nicht tatest, so wie er tat,
Und daß du dich, nicht gerüstet, wie er sich, gerüstet hat.'

Dann trat das zweite Mädchen zurück, und das dritte trat vor und sprach: ,Wahrlich, das Kapitel von der Frömmigkeit ist



1000-und-1_Vol-01-661 Flip arpa

sehr ausgedehnt; doch ich will aus ihm erzählen, was mir von den Frommen vergangener Zeiten gegenwärtig ist.

Einer von denen, die Gott kannten, sprach: ,Ich wünsche mir Glück zum Tode, obwohl ich nicht sicher weiß, ob er Ruhe bringt; nur das eine weiß ich, daß der Tod zwischen den Menschen und seine Werke tritt; und so hoffe ich, er werde die guten Werke verdoppeln und die schlechten Werke hinwegtun.'

Sooft 'Atâ es-Sulami eine Mahnung beendet hatte, zitterte er und bebte und weinte heftig; und als man ihn fragte, weshalb er das tue, erwiderte er: ,Ich will mich an eine ernste Aufgabe machen: ich will vor Allah den Erhabenen treten, um meiner Mahnung entsprechend zu handeln.'

Und ähnlich pflegte 'All Zain el-'Abidîn ibn el-Husain zu zittern, wenn er sich zum Gebet erhob. Und als man ihn deswegen befragte, erwiderte er: ,Wißt ihr denn nicht, vor wem ich mich erhebe und zu wem ich sprechen willi'

Man erzählt, daß in der Nähe von Sufjân eth-Thauri ein Blinder lebte, der mit dem Volke auszog und betete, sooft der Monat Ramadan gekommen war; doch schwieg er und blieb hinter den anderen zurück. So sagte Sufjân: ,Am Tage der Auferstehung wird er mit dem Volke des Korans kommen, und sie werden durch höhere Ehre vor den anderen ausgezeichnet werden.'

Sufjân hat gesagt: ,Wohnte die Seele im Herzen, wie es sein sollte, so flöge es davon vor Freuden und vor Sehnsucht nach dem Paradiese, und vor Trauer und Furcht vor dem Höllenfeuer.'

Ferner wird von Sufjân eth-Thauri berichtet, daß er gesagt hat: Auf das Angesicht eines Tyrannen zu blicken ist Sünde.'

Hierauf trat das dritte Mädchen zurück, und das vierte trat vor und sprach: ,Hier stehe ich, um einiges, was mir von den Erzählungen über fromme Männer gegenwärtig ist, vorzutragen.



1000-und-1_Vol-01-662 Flip arpa

Es wird berichtet, daß Bischr el-Hâfi sagte: ,Einst hörte ich Châlid sagen: Hütet euch vor der heimlichen Vielgötterei! Da fragte ich ihn: Was ist die heimliche Vielgötterei? Er antwortete: Daß einer von euch im Gebet sich so lange verneigt und niederwirft, bis ihn eine Unreinheit überkommt.'

Einer von denen, die Gott kennen, sprach: ,Gute Werke söhnen böse.'

Ibrahim erzählte: ,Ich fichte Bischr el-Hâfi an, mich mit einigen geistlichen Mysterien bekannt zu machen; er aber sagte: ,Mein lieber Sohn, es geziemt sich nicht, daß wir solches Wissen einen jeden lehren; vom Hundert immer nur fünf, ganz so wie beim Almosen von Geld.' ,Mir schien', so fuhr Ibrahîm ibn Adham fort, ,diese Antwort vortrefflich, und ich billigte sie. Während ich dann betete, siehe, da betete Bischr auch; so stand ich hinter ihm und machte die Verbeugungen des Gebetes bis zum Rufe des Muezzin. Da aber erhob sich ein Mann in zerlumpten Kleidern und sagte: ,Ihr Leute, hütet euch vor der Wahrheit, die Schaden bringt! Denn nichts Arges ist eine Lüge, so sie Nutzen bringt. Not kennt kein Gebot; und Worte helfen nicht, wo die guten Eigenschaften fehlen, noch schadet das Schweigen, wo sie vorhanden sind.'

Ferner erzählte Ibrahim: ,Ich sah einmal, wie Bischr einen Dânik' verlor; da ging ich zu ihm und gab ihm einen Dirhem dafür wieder. Doch er sprach: ,Den nehme ich nicht an.' Ich sagte: ,Das ist doch völlig erlaubt'; aber er entgegnete mir: ,Ich kann nicht die Güter dieser Welt in Güter der zukünftigen Welt umtauschen.'

Es wird berichtet, daß die Schwester von Bischr el-Hâfi einmal zu Ahmed ibn Hanbal ging' — — «



1000-und-1_Vol-01-663 Flip arpa

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 82. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Dandân dem Dau el-Makân weiter erzählte: ,Das Mädchen sprach also zu deinem Vater: ,Die Schwester von Bischr el-Hâfi ging einmal zu Ahmed ibn Hanbal und sagte zu ihm: ,O Leuchte des Glaubens, wir sind Leute, die bei Nacht spinnen und am Tage für unser Brot arbeiten; und oftmals kommen die Fackeln der Wachen von Baghdad vorüber, und wir spinnen auf dem Dache bei ihrem Licht. Ist uns das etwa verboten?' Da fragte er sie: ,Wer bist du?' ,Ich bin die Schwester von Bischr el-Hâfi', sagte sie; und Ahmed sprach: ,Ihr vom Hause des Bischr, ich sehe doch immerdar Frömmigkeit in euren Herzen verborgen.'

Einer von denen, die Gott kennen, sprach: ,So Gott seinem Diener wohl will, öffnet er ihm das Tor der Tat.'

Mâlik ihn Dinâr pflegte, sooft er durch den Basar ging und etwas sah, wonach ihn verlangte, zu sagen: ,Fasse dich in Geduld, o Seele, denn ich werde dir deinen Wunsch nicht gewähren.' Und er -den Gott selig haben möge -sagte auch: ,Das Heil der Seele liegt darin, daß man ihr widersteht, und ihr Verderben darin, daß man ihr folgt.'

Mansûr ibn 'Ammâr sprach: ,Ich machte eine Pilgerfahrt und zog über Kufa gen Mekka; und in einer finsteren Nacht hörte ich aus den Tiefen des Dunkels eine Stimme rufen: ,Mein Gott, bei deiner Macht und deiner Herrlichkeit, ich wollte mich nicht durch meinen Ungehorsam an dir vergehen; denn wahrlich, ich verkenne dich nicht; aber meine Schuld hattest du von Uranbeginn her schon bestimmt; drum vergib mir meine Übertretung, denn ich war nur aus Unwissenheit gegen dich ungehorsam!' Nach diesem Gebete sprach die Stimme den



1000-und-1_Vol-01-664 Flip arpa

Vers der Schrift: ,O ihr Gläubigen, rettet eure Seele und die der Euren vor dem Feuer, dessen Brennstoff Menschen und Steine' sind!' Und ich hörte einen Fall, ohne zu wissen, was es war; dann ging ich weiter. Als es aber Morgen ward und wir unseres Weges gingen, siehe, da trafen wir auf einen Leichenzug; dem folgte eine alte Frau, deren Kräfte schon versagten. Ich fragte sie nach dem Toten, und sie erwiderte: ,Dies ist der Leichenzug eines Mannes, der gestern an uns vorübergekommen ist, während mein Sohn im Gebete stand; nach dem Gebete sprach mein Sohn einen Vers aus dem Buche Allahs des Erhabenen; da platzte dem Fremden vor Schreck die Galle, und er fiel tot zu Boden.'

Darauf trat das vierte Mädchen zurück, und das fünfte trat vor und sprach: ,Auch ich will etwas erzählen von dem, was mir aus Erzählungen der Frommen in alten Zeiten gegenwärtig ist.'

Maslama ibn Dinar pflegte zusagen: ,Machst du die geheimsten Gedanken rein, so werden die kleinen und großen Sünden dir vergeben sein; und wenn der Mensch entschlossen ist, von der Sünde zulassen, so kommt der Sieg zu ihm.'

Ebenso sagte er: ,Jedes weltliche Gut, das dich nicht Gott näher bringt, ist ein Unheil; denn ein wenig von dieser Welt lenkt viel von jener ab, und viel von dieser 'Welt läßt dich auch das Wenige von jener vergessen.'

Man fragte Abu Hâzim: ,Wer ist der glücklichste der Menschen?' Er antwortete: ,Ein Mann, der sein Leben in Gehorsam gegen Gott verbringt.' Dann fragte man: ,Und wer ist der törichtste der Menschen?' Er antwortete: ,Ein Mann, der sein zukünftiges Leben verkauft für das irdische Gut der anderen.'

Es wird berichtet, daß Moses -Friede sei über ihm! —, als er



1000-und-1_Vol-01-665 Flip arpa

zum Wasser Midians kam, ausrief: ,Herr, ich bin bedürftig des Guten, das du auf mich herabsendest." So bat Moses seinen Herrn, nicht die Menschen. Und es kamen die beiden Mädchen; da schöpfte er Wasser für sie und ließ die Hirten nicht vor ihnen schöpfen. Als die beiden dann heimkehrten, da erzählten sie es ihrem Vater Schu'aib z —Friede sei über ihm! —, und der sprach: ,Vielleicht ist er hungrig.' Dann sagte er zu einer von ihnen: ,Geh zurück zu ihm und lad ilm ein!' Und als sie zu Moses kam, da verschleierte sie ihr Gesicht und sagte: ,Mein Vater lädt dich ein, damit er dich belohne, weil du Wasser für uns geschöpft hast.' Doch er mochte es nicht tun und wollte ihr nicht folgen. Nun hatte sie aber ein dickes Gesäß; und da der Wind ihr Kleid hob, so konnte Moses ihr Gesäß sehen. Da senkte er seinen Blick, und dann sprach er zu ihr: ,Tritt hinter mich, ich will vor dir hergehen.' So folgte sie ihm, bis er eintrat in das Haus des Schu'aib -Friede sei über ihm! —, wo das Nachtmahl bereit war.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 83. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Dandân dem Dau cl-Makân weiter erzählte: ,Das fünfte Mädchen sprach also zu deinem Vater: ,Moses - Friede sei über ihm! — trat nun in das Haus des Schu'aib ein, wo das Nachtmahl bereit war; da sagte Schu'aib zu ihm: ,Moses, ich möchte dir den Lohn geben dafür, daß du Wasser für diese beiden geschöpft hast.' Doch Moses erwiderte: ,Ich gehöre zu einem Hause, das nichts von der zukünftigen Welt verkauft um irdisches Gold oder Silber.' Da sagte Schu'aib: ,Jüngling, du bist doch mein Gast, und es ist



1000-und-1_Vol-01-666 Flip arpa

mein und meiner Väter Brauch, den Gast durch eine Speisung zu ehren.' So setzte denn Moses sich und aß. Dann nahm Schu'aib ihn in Dienst für acht Pilgerfahrten, das heißt, acht Jahre, und als Lohn dafür bestimmte er ihm eine seiner beiden Töchter zum Weibe, und Moses' Dienst bei ihm sollte die Brautgabe für sie sein. Wie denn der Höchste in der Schrift von ihm sagt: ,Siehe, ich will dir eine von diesen meinen beiden Töchtern zum Weibe geben, unter der Bedingung, daß du mir acht Pilgerfahrten lang dienest; und wenn du zehn erfüllst, so steht das bei dir; denn ich will dich nicht quälen."

Einst sagte jemand zu einem seiner Freunde, den er lange Zeit nicht gesehen hatte: ,Du hast mich trostlos gemacht, da ich dich so lange nicht gesehen habe.' Jener erwiderte: ,Ich ward durch Ibn Schihâb von dir abgehalten. Kennst du ilm?' ,Jawohl,' gab der andere zur Antwort, ,er ist mein Nachbar seit dreißig Jahren, aber ich habe noch nie mit ihm gesprochen.' Da sagte der Freund zu ihm: ,Wahrlich, du vergissest Gott, wenn du deinen Nachbarn vergissest! Liebtest du Gott, du würdest auch deinen Nachbarn lieben. Weißt du nicht, daß ein Nachbar ein Anrecht hat an seinem Nachbarn, dem Rechte der Verwandtschaft gleich?'

Hudhaifa erzählte: ,Wir zogen mit Ibrahim ibn Adham in Mekka ein, und Schakîk el-Balchi machte in ebendiesem Jahre gleichfalls eine Pilgerfahrt. Nun begegneten wir uns beim Umzug um die Kaaba, und Ibrahim sprach zu Schakîk: ,Wie haltet ihr's in eurem Lande?' Da antwortete Schakîk: ,Haben wir Brot, so essen wir; und müssen wir hungern, so gedulden wir uns.' Ibrahim aber rief: ,So tun ja auch die Hunde von



1000-und-1_Vol-01-667 Flip arpa

Balch; wir jedoch, haben wir Brot, so geben wir anderen davon ab; und müssen wir hungern, so danken wir Gott.' Da setzte Schakîk sich vor Ibrahim nieder und sprach: ,Du bist mein Meister.'

Mohammed ibn 'Imrân erzählte: ,Einst fragte jemand Hâtim den Tauben: ,Was gibt dir dein Vertrauen auf Allah den Erhabenem' ,Zweierlei Dinge,' erwiderte er; ,ich weiß, daß niemand als ich mein tägliches Brot essen wird, und so ist meine Seele ruhig darüber; und ich weiß, daß ich nicht ohne Allahs Wissen erschaffen bin, und also stehe ich beschämt vor ihm.'

Nun trat das fünfte Mädchen zurück, und die Alte trat vor, küßte den Boden vor deinem Vater neunmal und sprach: ,Du hast gehört, o König, was diese alle über die Frömmigkeit gesagt haben; ich will ihrem Beispiel folgen und dir etwas von dem erzählen, was mir über die großen Männer der Vorzeit berichtet worden ist. Es wird erzählt, daß der Imam esch-Schâfi'i die Nacht in drei Teile teilte, den ersten für die Wissenschaft, den zweiten für den Schlaf und den dritten für die Übungen der Frömmigkeit. Und auch der Imam Abu Hanîfa pflegte die halbe Nacht zu durchwachen. Einmal wiesein Mann beim Vorübergehen auf ihn und sagte zu einem anderen: ,Dieser Mensch wacht die ganze Nacht hindurch.' Doch als Abu Hanîfa das hörte, sagte er: ,Ich muß mich vor Allah schämen, weil man von mir etwas behauptet, was ich nicht tue.' Von da ab verbrachte er die ganze Nacht wachend.

Er-Rabî' berichtet, daß esch-Sehâfi'i während des Monates Ramadan den ganzen Koran siebenzigmal zu sprechen pflegte, und zwar in seinen täglichen Gebeten.

Esch-Schâfi'i -Allah habe ihn selig! —erzählt: ,Zehn Jahre lang aß ich mich niemals satt am Gerstenbrot, denn die Sattheit



1000-und-1_Vol-01-668 Flip arpa

verhärtet das Herz, raubt den Verstand, lockt den Schlaf und schwächt den Leib, so daß er nicht aufstehen mag, um zu beten.'

Von 'Abdallâh ibn Mohammed es-Sukkari wird berichtet, daß er sagte: ,Einst sprach ich mit 'Omar, und er bemerkte: ,Nie sah ich einen gottesfürchtigeren und beredteren Mann als Mohammed ibn Idrîs esch-Sehâfi'i. Es traf sich eines Tages, daß ich ausging mit el-Hârith ibn Labîb es-Saffâr, der ein Jünger von el-Muzani war; der hatte eine schöne Stimme, und er sprach die Worte des Höchsten: ,Das wird ein Tag sein, an dem sie nicht reden werden und sich nicht entschuldigen dürfen." Da sah ich, wie esch-Sehâfi'i die Farbe wechselte, wie seine Haut fröstelnd schauderte und er in heftiger Erregung ohnmächtig zu Boden fiel. Und als er erwachte, da sprach er: ,Ich nehme meine Zuflucht zu Allah vor der Stätte der Lügner und den Haufen der Leichtsinnigen! O Gott, vor dem sich die Herzen der Weisen demütigen, o Gott, schenke mir in deiner Güte Vergebung meiner Sünden und schmücke mich mit deinem Schutze und verzeih mir meine Schwäche in deiner Großmut!' Dann stand ich auf und ging davon.'

Einer der Gewährsmänner erzählt: ,Als ich in Baghdad einzog, war esch-Sehâfi'i in der Stadt. Ich setzte mich nieder am Ufer, um vor dem Gebet die Waschung zu vollführen; und siehe, es ging jemand an mir vorbei und sagte: ,O Jüngling, verrichte deine Waschung gut, so wird Allah dir Gutes tun in dieser Welt und in jener.' Da wandte ich mich um, und siehe, dort stand ein Mann, dem ein Haufen Volks folgte. So beendete ich eilends meine Waschung und ging ihm nach. Er aber sah sich nach mir um und fragte: ,Wünschest du etwas?' ,Ja,'



1000-und-1_Vol-01-669 Flip arpa

erwiderte ich, ,lehre mich etwas von dem, was Allah der Erhabene dich gelehrt hat.' Da sprach er: ,Wisse denn, wer an Allah glaubt, der wird gerettet werden, und wer seinen Glauben sorgsam hütet, der wird vom Verderben befreit werden, und wer da Enthaltsamkeit übt in dieser Welt, dessen Augen werden dereinst getröstet werden. Soll ich dir noch mehr sagen?' Ich erwiderte: ,Gewiß'; und er fuhr fort: ,Sei enthaltsam in dieser Welt und trachte nach der zukünftigen; sei wahrhaftig in all deinen Handlungen; so wirst du gerettet werden mit den Genossen des Heils.' Darauf ging er weiter; nun erkundigte ich mich nach ihm, und es ward mir gesagt, daß er der Imâm esch-Schâfi'i war.'

Der Imâm esch-Sehâfi'i pflegte zu sagen: ,Ich habe es gern, wenn die Menschen aus meiner Gelehrsamkeit Nutzen ziehen, wenn nur mir nichts davon zugeschrieben wird.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 84. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Dandân dem Dau el-Makân weiter erzählte: ,Die Alte sprach also zu deinem Vater: ,Der Imâm esch-Sehâfi'i pflegte zu sagen: ,Ich habe es gern, wenn die Menschen aus meiner Gelehrsamkeit Nutzen ziehen, wenn nur mir nichts davon zugeschrieben wird.' Ebenso sagte er: ,Ich habe nie mit jemandem gestritten, es sei denn in dem Wunsche, daß Allah der Erhabene ihn zur Wahrheit leite und ihm hülfe, sie zu verbreiten; noch auch stritt ich je mit einem zu anderem Zweck, als die Wahrheit offenbar zu machen, und es war mir gleich, ob Allah sie durch meine Zunge offenbarte oder durch seine.'

Ebenso sagte er -Allah habe ihn selig! —: ,Wenn du fürchtest, durch dein Wissen eingebildet zu werden, dann denke



1000-und-1_Vol-01-670 Flip arpa

daran, nach wessen Huld du strebst und nach welchem Segen du dich sehnest und vor welcher Strafe du dich fürchtest.'

Zu Abu Hanîfa sagte man, daß der Beherrscher der Gläubigen, Abu Dscha'far el-Mansûr, ihn zum Kadi ernannt und ihm ein Gehalt von zehntausend Dirhem festgesetzt habe; aber er wollte es nicht nehmen. Als nun der Tag kam, an dem er erwartete, daß ihm das Geld gebracht würde, da betete er das Morgengebet; darauf hüllte er sich ganz in sein Gewand und sprach kein Wort. Dann kam der Bote des Beherrschers der Gläubigen mit dem Gelde; aber als er zu dem Imâm eintrat und ihn anredete, gab der keine Antwort. So sagte der Bote des Kaufen zu ihm: ,Dies Geld ist dein rechtmäßiges Gut.' ,Ich weiß,' erwiderte er, ,daß es mein rechtmäßiges Gut ist: doch es widerstrebt mir, daß die Liebe zu den Tyrannen sich in mein Herz senke.' Der Bote darauf: ,Geh doch zu ihnen und nimm dich vorder Liebe zu ihnen in acht!' Aber er antwortete: ,Kann ich sicher sein, daß meine Kleider nicht naß werden, wenn ich ins Meer hineinsteige?'

Zu den Sprüchen von esch-Sehâfi'i - Allah der Erhabene habe ihn selig! —gehört auch dieser Vers:

Willst du, o Seele, meinen Rat befolgen
Und reich an Ehren sein in Ewigkeit,
Wirf von dir die Begierden und die Wünsche!
Wie mancher Wunsch schon brachte Tedesleid.

Unter den Worten des Sufjân eth-Thauri, mit denen er 'All ibn el-Hasan es-Sulami ermahnte, waren auch diese: ,Übe Wahrhaftigkeit und meide Lüge, Verrat, Heuchelei und Hoffart! Denn Allah macht um einer von diesen Sünden willen deine guten Werke zunichte. Sei keines Schuldner außer des Einen, der da barmherzig ist gegen seine Schuldner; und dein Freund sei, wer dich der Welt entsagen lehrt! Stets denke an



1000-und-1_Vol-01-671 Flip arpa

den Tod, und sei beständig im Gebet um Vergebung der Sünden und bitte Allah um Frieden für den Rest deines Lebens! Berate jeden Gläubigen, wenn er dich fragt nach den Dingen des Glaubens; und hüte dich, einen Gläubigen zu verraten, denn wer einen Gläubigen verrät, der verrät Allah und seinen Gesandten! Meide Streit und Zank! Laß, was dir zweifelhaft ist, fahren zugunsten dessen, was dir nicht zweifelhaft ist', so wirst du mit dir im Frieden leben! Befiehl Wohlwollen und verbiete Übelwollen, so wird Allah dich lieben! Schmücke deinen inneren Menschen, so wird Allah deinen äußeren Menschen schmücken! Nimm die Entschuldigung dessen an, der sich bei dir entschuldigt, und hasse keinen der Muslime! Sei freundlich gegen den, der dich zurückstößt, und verzeihe dem, der dir Unrecht tut, so wirst du zum Freunde der Propheten! Stelle deine Sache Gott anheim, im Geheimen und im Offenen; fürchte Gott, so wie ihn der fürchtet, der da weiß, daß er stirbt und auferweckt wird und dahinziehen muß zum jüngsten Gericht, um sich vor dem Gewaltigen zu stellen; und bedenke, daß deine Reise zu einem von zweien Orten führt, entweder zum Paradies in der Höhe oder zum brennenden Höllenfeuer!'

Darauf setzte die Alte sich zu den Mädchen.

Als nun dein seliger Vater ihrer aller Reden gehört hatte, da erkannte er, daß sie zu den Trefflichsten ihrer Zeit gehörten; und da er ihre Schönheit und Lieblichkeit und die große Feinheit ihrer Bildung bewunderte, so bezeugte er ihnen seine Gunst. Der Alten aber erwies er besondere Ehren; und er bestimmte für sie und für die Mädchen den Palast, den Prinzessin Abrîza, die Tochter des Königs von Kleinasien, bewohnt hatte. Dorthin ließ er alles bringen, dessen sie zur Annehmlichkeit



1000-und-1_Vol-01-672 Flip arpa

des Lebens bedurften. So blieben sie zehn Tage lang bei ihm, und mit ihnen die Alte; doch sooft der König sie besuchte, fand er sie im Gebet versunken; denn sie wachte des Nachts und fastete des Tages. Da gewann er sie von Herzen lieb, und er sagte zu mir: ,O Wesir, wahrlich, diese Alte gehört zu den Frommen, und die Ehrfurcht vor ihr ist stark in meinem Herzen.' Nun besuchte der König sie am elften Tage, um ihr den Preis für die Mädchen zu zahlen; aber sie sprach zu ihm: ,O König, wisse, der Preis dieser Mädchen übersteigt die Schätzung der Menschen; siehe, ich verlange für sie weder Gold noch Silber noch Edelsteine, weder viel noch wenig.' Wie dein Vater ihre Worte vernahm, da staunte er und fragte sie: ,O Herrin, was ist denn ihr Preis?' Da erwiderte sie: ,Ich verkaufe sie dir nur um den Preis, daß du einen vollen Monat lang fastest, und zwar so, daß du tagsüber fastest und die Nacht hindurch wachest um Allahs des Erhabenen willen; wenn du das tust, so sind sie dein Eigentum in deinem Palaste, und du kannst mit ihnen tun, was du willst.' Da staunte der König über ihre vollendete Frömmigkeit, Entsagung und Demut; und sie stand in seinen Augen noch größer da. So sprach er denn: ,Allah segne uns durch diese fromme Frau!' Dann vereinbarte er mit ihr, einen Monat zu fasten, wie sie es ihm zur Bedingung gemacht hatte; und sie sprach zu ihm: ,Ich will dir mit meinen Gebeten für dich zur Seite stehen; jetzt aber bringe mir einen Krug Wasser!' Nachdem er ihr den Krug hatte bringen lassen, nahm sie ihn und murmelte Sprüche darüber; eine Stunde lang saß sie da, indem sie in einer Sprache redete, von der wir nichts verstanden noch kannten. Darauf bedeckte sie den Krug mit einem Stück Tuch, versiegelte ihn und gab ihn deinem Vater mit den Worten: ,Wenn du die ersten zehn Tage gefastet hast, so trink in der elften Nacht den Inhalt dieses Krugs, denn er



1000-und-1_Vol-01-673 Flip arpa

wird die Liebe zur Welt aus deinem Herzen reißen und es anfüllen mit Licht und Glauben. Morgen will ich zu meinen Brüdern ziehen, den unsichtbaren Geistern, denn ich sehne mich nach ihnen. Danach will ich zu dir zurückkehren, wenn die ersten zehn Tage verstrichen sind.' Da nahm dein Vater den Krug, erhob sich und suchte für ihn eine Kammer seines Palastes aus. Dorthin brachte er den Krug; den Türschlüssel aber nahm er mit sich in seiner Tasche. Am nächsten Tage also fastete der König, und die Alte ging ihrer Wege.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 85. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Dandân dem Dauel-Makân weiter erzählte: ,Am nächsten Tage also fastete der König, und die Alte ging ihrer Wege. Doch als der König zehn Fasttage vollendet hatte, öffnete er am elften den Krug, trank seinen Inhalt und fand, daß er seinem Herzen wohltat. Während der zweiten zehn Tage des Monats aber kam die Alte zurück, mit Süßigkeiten, die in grüne Blätter, ungleich anderen Baumblättern, gehüllt waren. Sie ging zu deinem Vater und grüßte ihn; und als er sie sah, da stand er auf vor ihr und sagte: ,Willkommen, fromme Herrin!' ,O König,' erwiderte sie, ,die unsichtbaren Geister grüßen dich; denn ich habe ihnen von dir erzählt, und sie freuten sich deiner und schicken durch mich diese süße Speise, die von den Süßigkeiten des Jenseits stammt. iß sie, wenn der Tag zu Ende ist!' Des freute der König sich gar sehr, und er rief: ,Preis sei Allah, der mir Brüder unter den unsichtbaren Geistern verliehen hat!' Dann dankte er der Alten und küßte ihr die Hände; und er erwies ihr und den Mädchen die höchsten Ehren. Darauf ging sie wieder davon auf eine Zeit von zehn Tagen, während derer dein Vater fastete. Nach Ablauf



1000-und-1_Vol-01-674 Flip arpa

der Zeit kehrte die Alte zu ihm zurück und sprach zu ihm: ,Wisse, o König, ich habe den unsichtbaren Geistern von der Freundschaft zwischen dir und mir gesprochen und ihnen gesagt, daß ich die Mädchen bei dir gelassen habe; da freuten sie sich, daß die Jungfrauen bei einem König wie dir sind; denn sooft sie sie sehen, widmen sie ihnen eifrige Gebete, die immer erhört werden. So möchte ich sie gern zu den unsichtbaren Geistern führen, damit ihr Hauch sie berührt, und vielleicht werden sie gar mit Schätzen der Erde zu dir zurückkehren, so daß du nach Vollendung deines Fastens für ihre Ausstattung sorgen und das Geld, das sie dir bringen werden, ganz nach deinen Wünschen verwenden kannst.' Als dein Vater ihre Worte hörte, da dankte er ihr und sprach: ,'Wenn ich nicht fürchten müßte, dir zu widersprechen, so würde ich weder den Schatz noch irgend etwas sonst annehmen; aber wann willst du mit ihnen fortziehen?' Sie antwortete: ,In der siebenundzwanzigsten Nacht; und ich bringe sie dir wieder am Ende des Monats. Denn dann hast du dein Fasten vollendet, und sie haben ihre Reinigung gehabt; so werden sie dir gehören und dir gehorchen. Bei Allah, jede von ihnen ist viele Male dein Königreich wert!' Er darauf: ,Ich weiß es, o fromme Herrin!' Und die Alte: ,Du mußt aber auch unbedingt jemanden aus dem Palaste mit ihnen senden, der dir teuer ist, auf daß er Trost finde und sich den Segen der unsichtbaren Geister hole.' Da sagte er: ,Ich habe eine griechische Sklavin namens Sophia, und durch sie wurden mir zwei Kinder geschenkt, ein Mädchen und ein Knabe; doch sie sind mir seit Jahren verloren. Nimm Sophia mit dir, auf daß ihr der Segen zuteil werde!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 86 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden,



1000-und-1_Vol-01-675 Flip arpa

o glücklicher König, daß der Wesir seine Erzählung vor Dau el-Makân also schloß: ,Als die Alte die Mädchen von deinem Vater verlangte, sprach er zu ihr: ,Ich habe eine griechische Sklavin namens Sophia, und durch sie wurden mir zwei Kinder geschenkt, ein Mädchen und ein Knabe; doch sie sind mir seit Jahren verloren. Nimm Sophia mit dir, auf daß ihr der Segen zuteil werde, und vielleicht werden die unsichtbaren Geister Allah für sie bitten, daß er ihr die beiden Kinder wiederbringe und sie mit ihr vereine.' Die Alte erwiderte: ,Du hast schön gesprochen' — das war nämlich gerade ihr höchster Wunsch gewesen. Als nun dein Vater nahe daran war, sein Fasten zu vollenden, sprach die Alte zu ihm: ,Mein Sohn, ich begebe mich jetzt zu den unsichtbaren Geistern; bringe mir also Sophia!' Da ließ er sie rufen; sie kam sofort, er übergab sie der Alten, und die nahm sie zu den Mädchen. Dann aber ging die Alte in ihre Kammer und kam zum König mit einem versiegelten Becher, den sie ihm mit diesen Worten reichte: ,Am dreißigsten Tage begib dich ins Bad, und dann, wenn du von dort zurückkehrst, gehe in eine der Kammern deines Palastes und trinke diesen Becher aus. Danach lege dich schlafen, und du wirst dein Ziel erreichen; und dies ist mein Abschiedsgruß an dich!' Da freute der König sich, dankte ihr und küßte ihr die Hände. Sie sagte noch: ,Ich befehle dich in Allahs Hand'; und er fragte sie: ,Wann werde ich dich wiedersehen, fromme Herrin? Wahrlich, ich möchte mich nicht von dir trennen.' Sie aber rief Segen auf ihn herab und brach auf mit den fünf Mädchen und der Prinzessin Sophia. Drei Tage fastete nun der König noch, bis zum Neumond; dann stand er auf und ging ins Bad, und als er von dort zurückkam, ging er in eine Kammer seines Palastes, befahl, daß niemand zu ihm hereintreten sollte, und verschloß die Tür. Dann trank er den Inhalt des



1000-und-1_Vol-01-676 Flip arpa

Bechers und legte sich schlafen; und wir erwarteten ihn bis zum Abend. Er aber kam nicht aus der Kammer heraus, und so sagten wir: ,Vielleicht ist er müde vom Bade und vom Wachen bei Nacht und vom Fasten bei Tage, und deshalb schläft er.' Also warteten wir auf ihn am nächsten Tage, aber noch immer kam er nicht heraus. So traten wir an die Tür der Kammer und riefen mit lauter Stimme, daß er erwachen möchte und fragen, was es gäbe. Doch das geschah nicht; so hoben wir schließlich die Tür aus, und als wir zu ihm eintraten, fanden wir ihn mit zerrissenem und zerfetztem Leib und mit zerbröckelten Knochen daliegen. Und als wir ihn also sahen, da waren wir erschüttert; und wir nahmen den Becher und fanden in seinem Deckel ein Stück Papier, darauf stand geschrieben: ,Wer da Arges tut, hinterläßt keine Trauer; und dies ist der Lohn dessen, der Königstöchter überlistet und sie schändet! Allen, die dieses Blatt in die Hände nehmen, sei hiermit kundgetan, daß Scharkân unsere Prinzessin Abrîza verführte, als er in unser Land gezogen kam; und auch das genügte ihm noch nicht: er mußte sie uns nehmen und zu euch bringen. Dann schickte er sie fort im Geleit eines schwarzen Sklaven, der sie erschlug, und wir fanden sie tot in der Wüste, auf dem Erdboden dahingestreckt. Das ist kein königlich Handeln, und der so handelte, hat nun den verdienten Lohn erhalten. Aber faßt keinen falschen Verdacht wider irgend jemand; denn niemand hat ihn zu Tode gebracht als einzig die kundige Zauberin, die da heißt Dhât ed-Dawâhi. Seht, ich habe auch Sophia genommen, die Gemahlin des Königs, und habe sie zu ihrem Vater geführt, zu Afridûn, dem König von Konstantinopel. Und nun ist nichts anderes möglich, als daß wir euch mit Krieg überziehen und euch töten und euer Land euch nehmen; vernichtet sollt ihr werden bis auf den letzten Mann, keine Menschenseele bleibt



1000-und-1_Vol-01-677 Flip arpa

von euch übrig dann, keiner, der ein Feuer anblasen kann, es sei denn, er bete das Kreuz und den Gürtel' an.'

Als wir dies Blatt gelesen hatten, wußten wir, daß die Alte uns betrogen hatte und daß ihr Anschlag gegen uns gelungen war; da schrien wir laut und schlugen uns das Gesicht und weinten, doch das Weinen nutzte uns nichts mehr. Die Truppen aber entzweiten sich darüber, wen sie zum Sultan über sich machen sollten; einige wollten dich und andere deinen Bruder Scharkân. Einen ganzen Monat lang verharrten sie in dieser Uneinigkeit; dann tat sich ein Teil von uns zusammen, und wir wollten zu deinem Bruder Scharkân ziehen. Und so waren wir auf der Reise, bis wir dich trafen. Also verhält es sich mit dem Tode des Sultans 'Omar ibn en-Nu'mân.'

Als nun der Wesir Dandân seine Erzählung beendet hatte, weinten Dau el-Makân und seine Schwester Nuzhat ez-Zamân; und auch der Kammerherr weinte. Dann sprach der Wesir zu Dau el-Makân: ,O König, das Weinen wird dir nichts helfen; dir frommt jetzt nur, daß du dein Herz festigst und deinen Entschluß kräftigst und deine Herrschaft sicherst; und wer einen Sohn wie dich hinterlassen hat, der ist nicht tot.' Da ließ Dau el-Makân vom Weinen ab, und er befahl, seinen Thron außerhalb der Vorhalle aufzustellen. Dann gab er Befehl, daß die Truppen in Parade vor ihm vorüberziehen sollten. Der Kammerherr stellte sich ihm zur Seite auf, alle Palastoffiziere hinter ihm, der Wesir Dandân vor ihm, und alle Emire und Großen des Reiches stellten sich je nach ihrem Range auf. Dann sprach Dau el-Makân zu dem Minister: ,Gib mir Auskunft über die Schätze meines Vaters!'; und der antwortete: ,Ich höre und gehorche'; so gab er ihm Auskunft über die Schatzhäuser und



1000-und-1_Vol-01-678 Flip arpa

über ihren Inhalt an Geldern und Juwelen, und ferner legte er ihm Rechenschaft ab über die Gelder seiner Kasse. Da verteilte Dau el-Makân Geschenke an die Soldaten, und dem Wesir Dandân gab er ein kostbares Ehrengewand mit den Worten: ,Du bleibst in deinem Amte.' Der aber küßte den Boden vor ihm und wünschte ihm langes Leben. Darauf verlieh er auch den Emiren Ehrengewänder, und dann sprach er zum Kammerherrn: ,Zeige mir, was du an Tribut von Damaskus bei dir hast.' Der zeigte ihm die Kisten mit Geld und Kostbarkeiten und Juwelen, und er nahm sie und verteilte sie unter die Truppen - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 87. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dau el-Makân dem Kammerherrn befahl, ihm zu zeigen, was er an Tribut von Damaskus mitgebracht hatte; der zeigte ihm die Kisten mit Geld und Kostbarkeiten und Juwelen, und er nahm sie und verteilte sie unter die Truppen, bis gar nichts mehr übrigblieb. Die Emire aber küßten den Boden vor ihm und wünschten ihm langes Leben und sagten: ,Niemals sahen wir einen König solche Gaben austeilen.' Dann gingen alle in ihre Zelte; und als der Morgen kam, gab er Befehl zum Aufbruch. So zogen sie drei Tage lang dahin, und am vierten Tage erblickten sie Baghdad. Als sie darauf in die Stadt einzogen, da fanden sie sie geschmückt, und der Sultan Dau el-Makân zog in den Palast seines Vaters ein und setzte sich auf den Thron, und die Emire des Heeres und der Wesir Dandân und der Kammerherr von Damaskus stellten sich vor ihm auf. Da befahl er seinem Sekretär, an seinen Bruder Scharkân einen Brief zu schreiben, in dem er ihm alles, was vorgefallen war, kundtat; und erschloß: ,Sowie Du diesen Brief gelesen hast, mache Dich bereit und stoße zu uns



1000-und-1_Vol-01-679 Flip arpa

mit Deinem Heere; dann ziehen wir aus zum Krieg gegen die Ketzerlande, dann rächen wir unseren Vater und tilgen unsere Schande!' Darauf faltete er das Schreiben und versiegelte es und sprach zu dem Wesir Dandân: ,Dies Schreiben soll keiner als du überbringen; und du mußt meinem Bruder freundliche Worte geben und zu ihm sagen: Wenn du die Herrschaft deines Vaters begehrst, so ist sie dein, und dein Bruder wird statt deiner Vizekönig in Damaskus sein; denn also lautet mein Auftrag.' Da ging der Wesir davon und machte sich bereit zur Reise. Dann befahl Dau el-Makân, für den Heizer eine prächtige Wohnung herzurichten und sie aufs schönste auszustatten; dieser Heizer hat aber noch eine lange Geschichte.

Bald darauf ritt Dau el-Makân auf die Jagd. Und als er nach Baghdad zurückkehrte, brachte ein Emir ihm so edle Rosse und so schöne Sklavinnen als Geschenk, wie sie keine Zunge zu beschreiben vermag. Da gefiel ihm eine der Sklavinnen; und so zog er sich mit ihr zurück und ruhte noch in derselben Nacht bei ihr, und sie empfing durch ihn zur selben Stunde.

Nach einer Weile kehrte der Wesir Dandân von seiner Reise zurück, und er brachte ihm Nachricht von seinem Bruder Scharkân, der zu ihm unterwegs war; und Dandân sagte: ,Es wäre gut, wenn du ihm entgegenzögest.' Dau el-Makân erwiderte: ,Ich höre und willige ein.' Da ritt er mit seinen Garden eine Tagereise weit von Baghdad fort und schlug dort seine Zelte auf, um seinen Bruder zu erwarten. Und am nächsten Morgen erschien König Scharkân mit dem Heere von Syrien, ein Ritter und Vorkämpfer in der Schlacht, ein Löwe dräuend in seiner Macht, und ein Held, der große Taten vollbracht. Wie nun die Schwadronen näher zogen und die Staubwolken in die Lüfte flogen, wie die Fahnen sich ihnen entgegen bewegten und die Paradestandarten im Winde sich regten, da ritten



1000-und-1_Vol-01-680 Flip arpa

Scharkân und seine Mannen zur Begrüßung heran. Und als Dau el-Makân seinen Bruder sah, da wollte er vor ihm vom Pferde springen; aber Scharkân beschwor ihn, das nicht zutun, sondern saß vielmehr selber ab und ging ihm zu Fuß entgegen. Sobald er vor ihm stand, warf sich Dau el-Makân auf ihn, und Scharkân zog ihn an seine Brust; und beide weinten laut und sprachen einander Trost zu. Dann saßen sie wieder auf und ritten dahin mit ihren Truppen, bis sie nach Baghdad kamen; dort machten sie halt, und dann zog Dau el-Makân mit seinem Bruder Scharkân hinauf zum Königspalast, wo sie beide jene Nacht zubrachten. Doch als der Morgen kam, ging Dau el-Makân hinaus und befahl, die Truppen von allen Seiten zu sammeln und den Kampf und heiligen Krieg zu verkünden. Dann warteten sie ab, bis die Truppen aus allen Teilen des Reiches erschienen; und jeden, der da kam, behandelten sie ehrenvoll, und sie versprachen ihm das Beste; damit ging ein voller Monat hin, und die Krieger kamen Schar auf Schar.

Nun sagte Scharkân zu seinem Bruder: ,Bruder, erzähle mir deine Geschichte! 'Der erzählte ihm nun alles, was ihm widerfahren war, von Anfang bis zu Ende, und auch, was ihm der Heizer Gutes getan. Und als Scharkân ihn fragte: ,Hast du ihm seine Güte nicht vergolten?' antwortete er: ,Bruder, ich habe ihn bis jetzt noch nicht belohnt, doch so Gott der Erhabene will, werde ich ihn belohnen, sobald ich von diesem Kriegszug heimkehre' ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 88. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scharkân seinen Bruder fragte: ,Hast du dem Heizer seine Güte nicht vergolten?' und daß er antwortete: ,Bruder, ich habe ihn bis jetzt noch nicht belohnt, aber, so Gott der Erhabene will, werde ich ihn belohnen, sobald ich von



1000-und-1_Vol-01-681 Flip arpa

diesem Kriegszug heimkehre und Zeit dazu finde.' Nun war Scharkân gewiß, daß seine Schwester, die Prinzessin Nuzhat ez-Zamân, mauern wahr gesprochen hatte; doch er verschwieg, was zwischen ihnen vorgefallen war, und ließ ihr seinen Gruß durch den Kammerherrn, ihren Gatten, überbringen. Da sandte auch sie ihm ihren Gruß, indem sie Segen auf ihn herabrief und sich nach ihrer Tochter Kudija-Fakân erkundigte; und Scharkân ließ ihr sagen, das Mädchen sei wohl und in bester Gesundheit. Da pries sie Allah den Erhabenen und dankte ihm. Scharkân aber kehrte zu seinem Bruder zurück, um sich mit ihm über den Aufbruch zu beraten; und Dau el-Makân sagte: ,Bruder, sowie die Heere versammelt und die Araber von allen Seiten eingetroffen sind, wollen wir ins Feld ziehen.' Dann befahl er, Proviant und Kriegsgeräte zu beschaffen. Alsdann ging er zu seiner Gattin, die seit fünf Monaten schwanger war; und er stellte ihr Gelehrte und Astrologen zur Verfügung, denen er Gehälter und Einkünfte bestimmte. Und drei Monate nach der Ankunft des syrischen Heeres, als die Araber und die gesamten Truppen aus allen Richtungen eingetroffen waren, brach er auf, begleitet von den Kriegern und Heerhaufen.

Nun war der Name des Führers der Dailamiten Rustem, und der des Führers der Türken Bahrâm. Dau el-Makân aber befand sich in der Mitte der Truppen, und ihm zur Rechten ritt sein Bruder Scharkân und ihm zur Linken sein Schwager, der Kammerherr. So zogen sie einen vollen Monat immer weiter; doch in jeder Woche machten sie an einer Lagerstätte halt und ruhten drei Tage lang aus, da sie viel Volks waren. In dieser Weise rückten sie unaufhörlich vor, bis sie in das Land der Griechen kamen. Da liefen die Bewohner der Dörfer und Weiler und die Bettler fort und flohen nach Konstantinopel.

Als aber ihr König Afridûn die Kunde von ihnen vernahm,



1000-und-1_Vol-01-682 Flip arpa

erhob er sich und begab sich zu Dhât ed-Dawâhi, derselben, die jene List ersonnen hatte und nach Baghdad gezogen war, um den König 'Omar ibn en-Nu'mân zu töten; denn als sie ihre Sklavinnen und die Prinzessin Sophia entführt hatte, war sie mit ihnen allen in ihre Heimat zurückgekehrt. Und als sie wieder bei ihrem Sohne, dem König von Kleinasien, war und sich sicher fühlte, da sagte sie zu ihm: ,Sei getrost! Ich habe die Schmach deiner Tochter Abrîza gerächt, ich habe König 'Omar ibn en-Nu'mân getötet und Sophia mit mir gebracht. Jetzt geh zum König von Konstantinopel, bring ihm seine Tochter Sophia zurück und erzähle ihm, was geschehen ist, auf daß wir alle auf unsrer Hut sind und unsre Streitmacht rüsten; ich will selbst mit dir zu König Afridûn, dem Herrn von Konstantinopel, reisen, denn ich glaube, die Muslime werden nicht auf unsern Angriff warten.' Ihr Sohn aber, der König Hardûb, sprach: ,Warte, bis sie sich unserm Lande nähern, damit wir uns inzwischen rüsten.' Dann begannen sie, ihre Mannen zu sammeln und sich zu rüsten, und als die Kunde vom Nahen der Muslime sie erreichte, da waren sie kriegsbereit und versammelt; Dhât ed-Dawâhi jedoch eilte mit dem Vortrab voraus nach Konstantinopel. Als sie dort ankamen, hörte der Großkönig, der Herrscher dieser Stadt, Afridûn, von dem Nahen des Hardûb, des Königs von Kleinasien; da zog er ihm entgegen, und bei ihrem Zusammentreffen fragte er ihn, wie es ihm gehe und weshalb er komme. Nun erzählte ihm Hardûb von der List seiner Mutter Dhât ed-Dawâhi: wie sie den König der Muslime getötet und ihm die Prinzessin Sophia genommen habe; und er fügte hinzu: ,Die Muslime haben ihre Heere versammelt und sind in unser Land gekommen; drum wollen wir beide uns zusammentun und ihnen entgegentreten.' Da freute König Afridûn sich über die Rückkehr seiner Tochter und über



1000-und-1_Vol-01-683 Flip arpa

den Tod des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân; und er schickte in alle Länder und bat um Hilfe, indem er ihnen bekanntgab, weshalb König 'Ornat ibn en-Nu'mân getötet sei. So eilten die Truppen der Christen zu ihm. Kaum waren drei Monde verstrichen, so war das Heer der Griechen versammelt, und zu ihnen stießen die Franken aus all ihren Ländern: Franzosen, Deutsche, Ragusaner, Zaranesen, Venezianer, Genuesen und all die Heerscharen der Bleichgesichter; und als alle beisammen waren, wurde das Land zu eng für sie wegen ihrer Menge. Da befahl der Großkönig Afridûn, von Konstantinopel fortzuziehen; und so brachen sie auf; aber es dauerte zehn Tage, bis eine Schar nach der andern aufgebrochen war. Und sie zogen dahin, bis sie im Mohntale haltmachten, einer breiten Senke, dicht bei dem Salzmeer, und dort rasteten sie drei Tage. Am vierten Tage aber, als sie gerade wieder aufbrechen wollten, erreichte sie die Nachricht, daß die islamischen Scharen, die Hüter der Religion Mohammeds, des Besten der Menschen, vorgerückt waren. So rasteten sie nochmals drei Tage lang, und am folgenden Tage sahen sie eine Staubwolke, die stieg empor und legte der Welt einen Schleier vor; doch kaum verging eine Stunde von des Tages Lauf, da tat sich jene Staubwolke auf und stieg in Fetzen zum Himmel hinauf. Ihr Dunkel erblich vor den Sternen der Lanzenspitzen und vor der hellen Schwerter Blitzen; und unter ihr erschienen die Fahnen, die islamischen, und die Feldzeichen, die mohammedanischen. Dann kamen die Reiter wie das brandende Meer, gekleidet in Panzer, wie um Monde gedrängt der Wolken Heer. Und nun begannen die beiden Heere aufeinander zu fallen wie zwei Meere, die zusammenprallen. Auge fiel auf Auge, und der erste, der zum Kampfe vortrat, war der Wesir Dandân, mit dem syrischen Heere von dreißigtausend Mann. Ihm folgten der Führer



1000-und-1_Vol-01-684 Flip arpa

der Türken und der Führer der Dailamiten, Rustem und Bahrâm, und zwanzigtausend Reitersmann; hinter ihnen kam noch das Fußvolk vom Salzmeere heran, gekleidet in eherne Panzer, Vollmonden gleich, auf ihrer Bahn in finsteren Nächten am Himmelsplan. Nun erhoben die Christen ihr Feldgeschrei: ,O Jesus, o Maria, o Kreuz' —das verdammet sei -, und dann stürmten sie gegen den Wesir Dandân und seine syrischen Heereheran. Dies alles aber geschah gemäß einer Kriegslist der alten Dhât ed-Dawâhi; denn der König hatte sich vor seinem Aufbruche an sie gewendet und sie gefragt: ,Was ist zu tun? Welcher Plan wird gemacht? Du hast uns ja in dies Elend gebracht!' Und sie hatte geantwortet: ,Wisse, o König, mächtiger Herr, du Priester von hoher Ehr, ich will dir eine Sache raten, die selbst der Teufel nicht planen kann, riefe er auch seine gefallenen Scharen zur Hilfe heran!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 89 etc Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß all das gemäß einer Kriegslist der Alten geschah; denn der König hatte sich vor seinem Aufbruche an sie gewendet und sie gefragt: ,Was ist zu tun? Welcher Plan wird gemacht? Du hast uns ja in dies Elend gebracht!' Und sie hatte geantwortet: ,Wisse, o König, mächtiger Herr, du Priester von hoher Ehr, ich will dir eine Sache raten, die selbst der Teufel nicht planen kann, riefe er auch seine gefallenen Scharen zur Hilfe heran. Dieser Plan ist folgender: Entsende fünfzigtausend Mann, die in Schiffen über das Meer fahren, bis sie zum Berge des Rauchs kommen; dort sollen sie bleiben und sich nicht von der Stelle rühren, bis die Standarten des Islams euch nahen; dann kämpft miteinander. Darauf sollen die Truppen vom Meere her den Muslimen in den Rücken



1000-und-1_Vol-01-685 Flip arpa

fallen, während wir sie vom Lande her fassen. So wird nicht einer von ihnen entkommen; dann endet unser Leid, und wir haben Frieden in Ewigkeit.' Die Rede der Alten gefiel dem König Afridûn, und er antwortete: ,Ein guter Rat ist dein Rat, du Herrin der alten Frauen, die listig betrügen, und Zuflucht der Priester, die in Fehden der Rache liegen!'

Als aber das Heer des Islams sie in jenem Tal überfiel, da standen, ehe sie sichs versahen, die Zelte in Flammen, und die Schwerter hieben die Leiber zusammen. Dann stoben heran die Heere von Baghdad und Chorasân, einhundertundzwanzigtausend Reiter, und an der Spitze Dau el-Makân. Doch als das Heer der Ungläubigen, das am Meere lag, sie sah, fiel es ihnen in den Rücken. Wie Dau el-Makân sie erkannte, rief er seinen Mannen zu: ,Macht gegen die Ungläubigen kehrt, ihr Leute, die ihr den erwählten Propheten verehrt! Streitet wider die ungläubigen Massen, die den Dienst des barmherzigen Erbarmers hassen!' Da machten sie kehrt und kämpften gegen die Christen. Nun rückte aber auch Scharkân mit einer anderen Schar des Heeres der Muslime heran, mit ungefähr hundertundzwanzigtausend Mann, während die Ungläubigen nahe an sechzehnhunderttausend zählten. Doch als die Muslime vereinigt waren, da festigte sich ihr Herz, und sie schrien laut und riefen: ,Allah hat uns den Sieg verheißen und den Ungläubigen die Niederlage bestimmt.' Dann prallten sie zusammen mit Schwert und Speer; und Scharkân brach durch die Reihen daher; er tobte unter den Tausenden und stritt, so furchtbar anzuschauen, daß Säuglingen davon die Haare ergrauen; und er ließ nicht ab, auf die Ungläubigen einzudringen und das scharfe Schwert zu schwingen, mitdem Rufe: ,Allâhu Akbar!"



1000-und-1_Vol-01-686 Flip arpa

bis das Heer an die Meeresküste zurückgedrängt war. Da versagte ihnen die Leibeskraft, und Allah gab den Sieg der islamischen Glaubensritterschaft, während Mann gegen Mann kämpfte, trunken ohne Rebensaft. Von den Ungläubigen fielen in diesem Kampfe fünfundvierzigtausend; von den Muslimen aber fielen nur dreitausendfünfhundert.

In jener Nacht schlief weder der Löwe des Glaubens, König Scharkân, noch auch sein Bruder Dau el-Makân, sondern sie teilten dem Kriegsvolk die frohe Siegeskunde mit, sorgten für die Verwundeten und beglückwünschten sie zu Heil und Sieg und Lohn am Jüngsten Tage vor Allahs Thron.

So weit die Muslime. Wenden wir uns nun zu König Afridûn von Konstantinopel und zu dem König von Kleinasien und der alten Dhât ed-Dawâhi! Die sammelten die Emire des Heeres und sprachen zueinander: ,Wahrlich, wir hätten unseren Wunsch erfüllt tinti unseres Herzens Verlangen gestillt, doch wir bauten zu sehr auf unsere Menge, und das allein trieb uns in die Enge.' Da sprach die alte Dhât ed-Dawâhi zu ihnen: ,Euch hilft nur noch eins: tretet vor des Messias Angesicht, und setzt auf den wahren Glauben eure Zuversicht! Denn beim Messias, die ganze Kraft der Muslime liegt in diesem Satan, dem König Scharkân.' König Afridûn erwiderte: ,Ich habe beschlossen, morgen die Schlachtreihen wieder aufzustellen und jenen ruhmreichen Ritter wider sie zu entsenden, Lukas, den Sohn des Schamlût; denn wenn er gegen König Scharkân zum Einzelkampf auszieht, so wird er ihn fällen, und mit ihm die anderen Ritter der Muslime, bis keiner von ihnen mehr übrig ist. Ferner habe ich beschlossen, heute nacht euch alle mit dem heiligen Weihrauch zu weihen.' Als die Emire seine Worte vernahmen, da küßten sie vor ihm den Boden. Der Weihrauch aber, den er meinte, bestand aus den Exkrementen



1000-und-1_Vol-01-687 Flip arpa

des Großpatriarchen, des Lügners und Leugners; und man begehrte ihn so leidenschaftlich und schätzte seinen Wert so hoch, daß die mächtigsten der griechischen Patriarchen ihn, mit Amber und Moschus vermischt, in seidenen Hüllen nach allen Provinzen ihres Landes zu senden pflegten. Wenn die Könige davon hörten, so zahlten sie tausend Dinare für jedes Quentchen; ja, sie schickten Leute, ihn zu holen, um Bräute damit zu beräuchern. Die Patriarchen vermengten ilm mit ihren eigenen Exkrementen, da die des Großpatriarchen für zehn Provinzen nicht genügten. Und die mächtigsten Könige taten ein wenig davon in die Augensalbe und heilten damit Krankheit und Kolik. Als nun der Morgen kam und leuchtete mit seinem hellen Glanze, eilten die Ritter zum Kampf mit der Lanze - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 90. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als der Morgen kam und leuchtete mit seinem hellen Glanze, eilten die Ritter zum Kampf mit der Lanze, und König Afridûn berief seine hohen Ritter und Großen seines Reiches und kleidete sie in Ehrengewänder; und nachdem er ihnen das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn gezogen hatte, beräucherte er sie mit dem zuvor erwähnten Weihrauch, den Exkrementen des Großpatriarchen und Heresiarchen. Dann ließ er Lukas, den Sohn des Schamlût, rufen, den man ,Das Schwert des Messias' nannte; und er beräucherte ihn mit dem Mist, rieb ihm den Gaumen damit, gab ihm davon zu schnupfen, schmierte ihn auf seine Wangen und strich ihm den Rest auf den Schnauzbart. Nun gab es im Lande der Griechen keinen stärkeren Mann als diesen verruchten Lukas, und keinen, der am Tage der Walstatt besser den Pfeil zu schießen, das Schwert zu schwingen oder mit der Lanze zu stechen verstand.



1000-und-1_Vol-01-688 Flip arpa

Doch er war scheußlich anzusehen; denn sein Gesicht war das eines Esels, und seine Gestalt die eines Affen, sein Blick der einer giftigen Schlange; seine Nähe machte mehr Kummer als die Trennung von der Geliebten; von der Nacht hatte er seine finstere Farbe, vom Löwen seinen stinkenden Odem, vom Panther seine Tücke, und das Brandmal des Unglaubens trug er auf der Stirn. Er trat also vor König Afridûn hin, küßte ihm die Füße und blieb vor ihm stehen. Da sprach der König zu ihm: ,Ich wünsche, daß du zum Kampfe ausziehst wider Scharkân, den König von Damaskus und den Sohn des 'Omar ibn en-Nu'mân; dann verläßt uns dies Unheil und wird abgetan.' Lukas antwortete: ,Ich höre und gehorche!' Dann zog der König ihm das Zeichen des Kreuzes auf der Stirn und glaubte, nun sei der Sieg ihm nahe. Darauf verließ Lukas den König Afridûn; und der Verfluchte bestieg ein fuchsrotes Roß. Er trug ein rotes Gewand, seine Brust war von einem goldenen Harnisch voll Edelgestein umspannt, er hielt eine dreizackige Lanze in der Hand, und er glich dem verfluchten Höllendämon am Tage der Rebellion. Er ritt dahin mit seiner ungläubigen Schar, als zögen sie ins Höllenfeuer gar. Und bei ihnen war ein Herold, der laut in arabischer Sprache rief: ,O ihr Leute des Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil -, kein anderer von euch trete vor als euer Ritter, das Schwert des Islams, Scharkân genannt, der Herr von Damaskus im Syrerland!' Kaum hatte er seine Worte beendet, da stieg ein Getöse im Felde empor, das schallte allem Volke ins Ohr; und Galoppgedröhn ward zwischen den Schlachtreihen vernommen, als sei der Tag des Jammers gekommen. Da erbebten die Feiglinge, und die Hälse wandten sich dem Getöse zu, und siehe, es war Scharkân, der Sohn des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân. Denn als sein Bruder Dau el-Makân jenen Verfluchten über



1000-und-1_Vol-01-689 Flip arpa

das Schlachtfeld sprengen sah und den Herold hörte, da hatte er sich zu Scharkân gewandt und gesagt: ,Siehe, sie suchen nach dir.' Der hatte erwidert: ,Wenn es so ist, dann ist mir nichts lieber.' So vergewisserten sie sich darüber und lauschten, als der Herold rief: ,Es trete keiner zu mir auf den Plan, außer allein Scharkân!' Nun wußten sie also, daß dieser Verruchte der Held des Griechenlandes war und daß er geschworen hatte, er wolle das Land von den Muslimen befrein oder selbst aufs schmählichste verloren sein; denn er war es ja, der die Herzen erfüllte mit Schmerzen, vor dem die Heere in Schrecken gerieten, Türken und Kurden und Dailamiten. Jetzt aber sprengte Scharkân nach vorn, gleichwie ein Löwe in seinem Zorn, hoch auf seinem edeln Roß, das wie die flüchtige Gazelle dahinschoß; auf Lukas zu lenkte er es, bis er vor ihm stand, und er schüttelte die Lanze in seiner Hand, daß sie sich wie eine Schlange wand, und er rief diese Verse ins Land:

Ich hab ein rotes Roß, das wird gar leicht gelenkt,
Einen Renner, der seine Kräfte willig dem Reiter schenkt.
Und einen graden Speer mit einer schlanken Spitze,
Es ist, als ob der Tod auf seinem Holze sitze.
Und auch ein stählern Schwert, ein scharfes; wer es zieht,
Der meint, daß er beim Ziehen feurige Blitze sieht.

Aber Lukas, der den Sinn seiner Worte nicht verstand noch auch die Gewalt der Verse empfand, faßte sich, dem Kreuz zu Ehren, das darauf gezeichnet war, an die Stirn und küßte dann die Hand; darauf legte er die Lanze ein wider Scharkân und sprengte auf ihn los. Dann warf er den Speer in die Luft mit der einen Hand, daß er den Augen der Zuschauenden entschwand, doch mit der anderen fing er darauf ihn, wie Gaukler tun, wieder auf. Dann warf er ihn auf Scharkân. Und er entsprang seiner Hand gleich einem leuchtenden Meteor, und das



1000-und-1_Vol-01-690 Flip arpa

Volk schrie auf und fürchtete für Scharkân; doch als der Speer ihm nahe kam, fing er ihn im vollen Flug, so daß Entsetzen die Zuschauer schlug. Dann schüttelte Scharkân ihn mit der Hand, mit der er ihn von dem Christen aufgefangen hatte, bis er ihn fast zerbrach, warf ihn zum Himmel empor, daß er dem Blicke entschwand, und fing ihn mit der anderen Hand wieder auf, schneller als ein Augenblick; und aus innerstem Herzen stieß er einen Schrei aus und rief: ,Bei dem Schöpfer der sieben Himmel, ich mache zu Schanden diesen Verfluchten in allen Landen!' Dann schleuderte er den Speer ab; und Lukas gedachte zu tun, wie Scharkân getan hatte; denn er reckte die Hand nach dem Speere aus, um ihn mitten im Fluge aufzufangen. Aber Scharkân kam ihm mit einem zweiten Speer zuvor; den schleuderte er wider ihn, und der traf ihn mitten auf das Zeichen des Kreuzes, das auf seiner Stirn war, worauf Gott seine Seele in das Höllenfeuer stieß, hinein in das grause Verlies. Doch als die Ungläubigen sahen, daß Lukas, der Sohn des Schamlût, tot niedersank, da schlugen sie sich ins Gesicht und riefen: ,Wehe! Unheil ist geschehen!' und begannen die Klosterpatriarchen um Hilfe anzuflehen - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 91. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Ungläubigen, als sie Lukas, den Sohn des Schamlût, tot daliegen sahen, sich ins Gesicht schlugen und riefen: ,Wehe! Unheil ist geschehen', und begannen, die Klosterpatriarchen um Hilfe anzuflehen und zu rufen: ,Wo sind die Kreuze, die uns retten?' und die Mönche begannen zu beten. Dann Vereinten sich alle wider Scharkân und zeigten ihm Schwert und Lanze, und sie stürmten zum Streite und blutigen Tanze. Heer stieß auf Heer in Kampfeslust, und Huf trat



1000-und-1_Vol-01-691 Flip arpa

auf Brust; Lanzen und Schwerter hatten zu schaffen, Arme und Hände fingen an zu erschlaffen, und die Rosse sahen aus, als seien sie ohne Beine erschaffen; und der Kampfesherold rief immerdar, bis jede Hand ermattet war und der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing. Da aber trennten die Heere sich; und es war, als ob jeder Held einem Trunkenen glich, ermattet von Schwerthieb und Lanzenstich. Der Boden war übersät mit Leichen, und furchtbar waren die Wunden; doch keiner, der fiel, wußte, durch wen er den Tod gefunden. Darauf vereinte sich Scharkân mit seinem Bruder Dau cl-Makân und dem Kammerherrn und dem Wesir Dandân. Und also sprach er zu den beiden: ,Siehe, Allah öffnete ein Tor zum Verderben der Heiden. Lobpreis soll Allah gelten, dem Herrn der Welten!' Da erwiderte Dau el-Makân seinem Bruder: ,Ewig lasset uns Allah preisen mit lautem Schalle, der da von Not befreite die Perser und Araber alle! Davon werden die Menschen reden, Geschlecht auf Geschlecht, wie du uns an dem verruchten Lukas, dem Fälscher des Evangeliums, gerächt, wie du den Speer auffingst mitten im Flug, und wie deine Hand den Feind Allahs erschlug. Bis zum Ende der Zeit hört dein Ruhm nimmer auf.' Doch Scharkân sagte darauf: ,Höre, du großer Kammerherr, du Held von hoher Ehr!' Und der erwiderte: ,Ich bin zur Stelle.' Da fuhr Scharkân fort: ,Nimm mit dir den Wesir Dandân und zwanzigtausend Reiter, und führe sie sieben Parasangen weit hinab zum Meer; und eilt euch, bis ihr der Küste nahe seid an einer Stelle, wo zwischen euch und den Feinden nur eine Entfernung von zwei Parasangen ist. Dort legt euch in den Falten des Geländes nieder, bis ihr den Lärm vernehmt, wenn die Ungläubigen aus ihren Schiffen kommen; dann werdet ihr von beiden Seiten das Kriegsgeschrei hören, sobald der Kampf der Schwerter zwi



1000-und-1_Vol-01-692 Flip arpa

scheu uns begonnen hat; und wenn ihr unsere Truppen zurückweichen seht, als seien sie geschlagen, und wenn dann die Ungläubigen von allen Seiten, auch vom Meere und vom Zeltlager her, ihnen nachdrängen, so bleibt doch ruhig im Hinterhalt liegen; sowie ihr aber das Banner seht mit der Inschrift: ,Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Gesandte Allahs -Er segne ihn und gebe ihm Heil -, dann herauf mit der grünen Standarte! Erhebt das Kriegsgeschrei Allâhu Akbar!' und fallt ihnen in den Rücken; doch achtet darauf, daß die Ungläubigen nicht zwischen den Fliehenden und dem Meere ausbrechen!' Der Kammerherr erwiderte: ,Ich höre und gehorche!' So wurde alles zur selbigen Stunde verabredet. Dann zogen sie gerüstet davon, und der Kammerherr nahm, wie König Scharkân befohlen hatte, den Wesir Dandân und zwanzigtausend Reiter mit.

Als nun der Morgen dämmerte, da ritten die Feinde heran, die Schwerter gezückt, die Lanzen fest an sich gedrückt, in voller Rüstung zumal; und die Scharen ergossen sich über Hügel und Tal. Die Priester sangen feierlich, und aller Häupter entblößten sich. Hoch flatterten die Kreuzessegel von den Schiffen her über das Land, und die Mannen eilten von allen Seiten her an den Strand; die Rosse wurden ans Land gebracht, und vorwärts gings in die wogende Schlacht. Wie die Haufen sich so dahinwälzten, leuchteten der Schwerter Klingen; und die Lanzen ließen feurige Blitze sprühen von der Kettenpanzer Ringen. Die Mühle des Todes wirbelte über den Häuptern von Reisigen und berittenen Mannen; und die Köpfe flogen über die Leiber von dannen. Stumm blieben die Zungen stehen; die Augen konnten nicht mehr sehen; es platzten die Gallenblasen.



1000-und-1_Vol-01-693 Flip arpa

Und die Schwerter begannen zu rasen; Schädel wurden hinweggeweht, und Handgelenke abgemäht. Die Rosse wateten in Lachen von Blut, und die Bärte wurden gepackt in Wut. Da fingen die muslimischen Heere an zu schrein: ,Segen und Heil über Ihm, dem Herrn der Menschen allein! Preis sei dem Erbarmungsreichen ob seiner Gnaden ohnegleichen!' Die Heere der Ungläubigen aber schrien: ,Preis soll dem Kreuze und Gürtel sein, dem Rebensaft und dem, der da keltert den Wein, den Priestern und den Eremiten, dem Palmsonntag und dem Metropoliten!'

Nun zogen Dau el-Makân und Scharkân sich zurück, und ihre Truppen wichen in scheinbarer Flucht vor dem Feinde; doch die Heere der Ungläubigen drängten nach, da sie vermeinten, die Muslime seien geschlagen, und sie rüsteten sich zu Hieb und Stich. Da erhoben die Gläubigen die Stimme und sprachen die ersten Verse von der zweiten Sure; und derweilen wurden die Toten unter den Hufen der Rosse zertreten, und der Herold der Griechen rief: ,O ihr Diener des Messias all, ihr Männer des rechten Glaubens zumal, ihr, die ihr vor dem Patriarchen euch beugt -wohlan, euch hat sich der Sieg gezeigt. Seht, wie die Heere des Islams sich zur Flucht anschicken; drum kehrt ihnen nicht den Rücken! Taucht tief eure Schwerter in ihre Nacken, und laßt nicht ab, sie im Rücken anzupacken! Sonst seid ihr verstoßen vom Messias, Mariä Sohn, der da redete in der Wiege schon!'

Nun glaubte Afridûn, der König von Konstantinopel, die Heere der Ungläubigen seien siegreich; denn er wußte nicht, daß dies nur eine kluge List der Muslime war, und so schickte er dem König von Kleinasien Glückwünsche zum Siege und ließ ihm sagen: ,Uns half nur der heilige Unrat des Großpatriarchen, denn sein Duft entströmte nah und fern aus den Kinnbärten



1000-und-1_Vol-01-694 Flip arpa

und Schnauzbärten aller Diener des Kreuzes; und ich schwöre bei den Wundern des Messias und bei deiner Tochter Abrîza, der Nazarenerin und Mariä Dienerin, und bei den Wassern der Taufe: ich habe im Sinn, keinen einzigen Kämpfer des Islams auf der Erde zu lassen und diese grimme Absicht fest ins Auge zu fassen.' So begab sich der Bote mit dieser Botschaft dahin, während die Ungläubigen einander zuriefen: ,Nehmt Blutrache für Lukas!' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 92. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Ungläubigen einander zuriefen: ,Nehmt Blutrache für Lukas!' Aber der König von Kleinasien rief laut aus: ,Auf, zur Rache für Abriza!' Und nun rief König Dau el-Makân: ,O ihr Diener des Königs, der da belohnt, treffet das Volk, in dem Unglauben und Ungehorsam wohnt, mit den Klingen, die funkeln, und den Lanzen, den dunkeln!' Da stürmten die Muslimen wieder auf die Ungläubigen ein, und sie hieben auf sie mit der scharfen Klinge drein. Und der Herold der Muslime begann zurufen: ,Auf, wider die Feinde des Glaubens, jeder, der den Propheten, den Auserwählten, liebt! Dies ist die Zeit, die euch bei dem Gütigen und Verzeihenden Gnade gibt! O der du hoffst, der gefürchtete Tag des Gerichts werde dir Rettung bringen, wisse, das Paradies liegt unter dem Schatten der Klingen!' Und siehe, Scharkân und seine Mannen stürmten wider die Ungläubigen daher und ließen ihnen keinen Weg zum Rückzug mehr; und er wütete unter ihren Reihen mit grauser Gewalt -da erschien plötzlich ein Ritter von herrlicher Gestalt; der schlug sich durch die Heere der Ungläubigen eine Bahn, fuhr zwischen die Ketzer mit Hieb und Stich und füllte mit Köpfen und Rümpfen den



1000-und-1_Vol-01-695 Flip arpa

Plan. Und die Ungläubigen, die über sein Toben erschraken, beugten bei seinem Stechen und Hauen ihre Nacken. Er war gegürtet mit zwei Schwertern, seinem Blick und seinem Stahl; und er hatte zwei Lanzen, einen Rohrschaft und seinen schlanken Leib zumal; und sein wallendes Haar ersetzte ihm eine große Kriegerschar, wie von ihm der Dichter sagt:

Schön ist das lange Haar nur, wenn es flattert
Um die Schläfen am Tage der Schlacht
Dem Jüngling, der seiner ragenden Lanze
Bärtige Männer zum Trinkopfer macht.

Und ein anderer singt:

Ich sprach zu ihm, als er sich gürtete mit seinem Schwert:
,Die Schwerter des Blickes genügen; drum leg den Stahl aus der Hand.'
Er sprach: ,Meiner Blicke Schwert ist für die Leute der Liebe;
Mein Stahl für den, der die Seide der Liebe niemals gekannt.'

Doch als Scharkân ihn erblickte, tiefer: ,Ich beschwöre dich bei dem Koran und den Versen, die der Erbarmer kundgetan! Wer bist du, o allerkühnster Reitersmann? Fürwahr, du hast durch dein Tun erfreut den König, der Vergeltung schenkt und den kein Ding von einem anderen ablenkt; du hast das Volk des Unglaubens und Ungehorsams ins Verderben versenkt!' Da rief der Ritter ihm zu und sprach: ,Du bist's, der dich gestern mit mir verbunden - und doch, wie rasch bin ich dir entschwunden!' Dann nahm er den Schleier von seinem Gesicht, und seine Schönheit erstrahlte im schönsten Licht. Ja, er war es, Dau el-Makân; des freute sich Scharkân. Doch war er besorgt um ihn, wenn die Mannen stürmten und die Heerhaufen sich um ihn türmten; und zwar aus zwei Gründen, denn erstlich schützte sein zartes Alter ihn nicht vor dem bösen Blick, und zweitens bedeutete sein Leben für das Reich das größere Glück. So sprach er denn zu ihm: ,O König, du gefährdest



1000-und-1_Vol-01-696 Flip arpa

dein Leben, drum bleibe dein Roß mit dem meinen vereint, denn ich fürchte für dich von dem Feind. Mögest du dich nicht von diesen Scharen wenden, und laß uns deinen treffsicheren Pfeil von hier gegen die Feinde entsenden!' Doch Dau el-Makân erwiderte: ,Ich möchte es dir gleichtun im Kampfgefild; denn mit dem Leben vor dir in der Schlacht zu geizen, bin ich nicht gewillt.' Nun brachen die Heere des Islams über die Ungläubigen herein und schlossen sie von allen Seiten ein; sie stritten mit ihnen im heiligen Gottesstreit und brachen die Macht des Unglaubens und der Verstockung und der Gottlosigkeit. Der Christenkönig aber seufzte, als er erblickte, welch ein Unheil die Griechen bedrückte; denn sie hatten sich schon umgewandt und waren flüchtig davongerannt in der Richtung der Schiffe. Doch plötzlich stürmten vom Meere die Scharen gegen sie heran unter Führung des Wesirs Dandân; der warf nieder das mutige Heer und zog gegen sie mit Schwert und Speer. Ebenso auch der Emir Bahrâm, der mit den syrischen Garden kam, mit zwanzigtausend grimmigen Leu'n; und nun schlossen die Heere des Islams ihren Feind von vorn und hinten ein. Aber ein Teil der Muslime wandte sich dann gegen jene, die noch in den Schiffen waren, und brachten Verderben über sie; und die warfen sich ins Meer. Doch eine große Schar von ihnen ward getötet, im ganzen mehr als hunderttausend Vornehme, und keiner ihrer Recken, ob jung oder alt, entging dem Verderben. Und die Muslime nahmen auch die Schiffe weg, bis auf zwanzig, samt all dem Geld und den Schätzen und der Ladung, und sie machten an jenem Tage eine Beute, so groß, wie sie noch nie jemand gemacht hatte in vergangenen Jahren; noch auch hatte je ein Ohr von gleichem Schwert- und Lanzenkampf erfahren. Unter der Beute waren allein fünfzigtausend Rosse, außer den Schätzen



1000-und-1_Vol-01-697 Flip arpa

und anderen Beutestücken, in Zahlen und Ziffern nicht auszudrücken; und der Muslime Freude war uneingeschränkt darüber, daß Allah ihnen Sieg und Hilfe geschenkt.

Wenden wir uns nun zu den Geschlagenen! Die erreichten bald Konstantinopel, bei dessen Bewohnern die Nachricht eingetroffen war, daß König Afridûn die Muslime besiegt habe; da hatte die alte Dhât ed-Dawâhi gesagt: ,Ich wußte es: mein Sohn, der König von Kleinasien, läßt sich nicht in die Flucht schlagen; er fürchtet sich nicht vor den islamischen Heeren, ja, er wird die ganze Welt zum Christenglauben bekehren.' Darauf hatte die Alte den Großkönig Afridûn geheißen, die Stadt schmücken zu lassen. Nun begann das Volk fröhlich zu sein und schwelgte in Wein, doch niemand sah, daß das Verhängnis so nah. Aber mitten in ihren Freuden krächzte über sie der Rabe der Trauer und Leiden. Denn da kamen die zwanzig flüchtigen Schiffe, bei denen sich auch der König von Kleinasien befand. König Afridûn von Konstantinopel zog ihnen bis zum Strande entgegen, und sie berichteten ihm alles, was ihnen von den Muslimen widerfahren war, und sie weinten heftig und klagten laut; da wurden die Botschaften der Freude umgekehrt zu bitterem Leide. Auch berichteten sie ihm, Lukas, der Sohn des Schamlût, sei vom Schicksal ereilt, und der sichere Pfeil des Todes habe ihn getroffen. Da stürmte auf König Afridûn das Grauen des Jüngsten Tages ein, und er wußte, ihr Verlust würde nie wieder gutzumachen sein. Nun hüben bei ihnen die Trauerfeiern an, und alle Entschlossenheit zerrann; die Klagefrauen ließen ihren Gesang ertönen, und auf allen Seiten erscholl Weinen und Stöhnen. Als nun der König von Kleinasien zu König Afridûn trat, da berichtete er ihm die Wahrheit: wie die Flucht der Muslime nur eine List und Täuschung gewesen war; und er schloß: ,Erwarte keine Reste des



1000-und-1_Vol-01-698 Flip arpa

Heeres zu sehen, außer denen, die schon hier bei dir sind.' Bei diesen seinen Worten aber fiel König Afridûn ohnmächtig zu Boden, so daß seine Nase unter seinen Füßen lag; und als er erwachte, rief er aus: ,Vielleicht hat der Messias ihnen gezürnt, daß er die Muslime über sie kommen ließ!' Und traurig kam der Großpatriarch herbei, und der König sprach zu ihm: ,O unser Vater, die Vernichtung hat unser Heer ereilt, und der Messias hat uns gestraft!' Da erwiderte der Patriarch: ,Grämt euch nicht und macht euch keine Sorge; denn es kann nicht anders sein, als daß einer von euch gegen den Messias gesündigt hat, und für seine Sünde wurden wir alle gezüchtigt; aber jetzt wollen wir für euch in den Kirchen Gebete lesen, auf daß die mohammedanischen Heere sich von euch wenden.' Darauf trat die alte Dhât ed-Dawâhi zu Afridûn und sprach: ,O König, siehe, die Scharen der Muslime sind zahlreich, und wir können ihnen nur durch List beikommen; deshalb habe ich beschlossen, eine schlaue List anzuwenden und mich in dies islamische Heer zu begeben; vielleicht, daß ich an ihrem Führer mein Ziel erreiche und ihn töte, wie ich seinen Vater getötet habe. Und wenn meine List an ihm gelingt, so soll nicht einer von all seinen Kriegern in seine Heimat zurückkehren; denn sie alle sind nur durch ihn stark. Ich möchte also ein paar christliche Syrer haben, wie sie allmonatlich und alljährlich ausziehn, um ihre Waren zu verkaufen, damit sie mir helfen; denn durch sie kann mein Plan gelingen.' Da sprach der König: ,So sei es, wann immer du willst.' Nun befahl sie, hundert Leute zu holen, gebürtig aus Nedschrân in Syrien; und als diese zum Könige gebracht wurden, fragte er sie: ,Habt ihr vernommen, was den Christen durch die Muslime widerfahren ,Ja', erwiderten sie; und er fuhr fort: ,Wisset, diese Frau hat ihr Leben dem Messias geweiht, und sie will ausziehn mit



1000-und-1_Vol-01-699 Flip arpa

euch, verkleidet als Mohammedaner, um eine List auszuführen, die uns nützen und die Muslime von uns fernhalten soll: sagt, wollt auch ihr euch dem Messias weihen, wenn ich euch einen Zentner Goldes gebet Wer davon kommt von euch, der soll das Geld erhalten, und wer da stirbt, den wird der Messias lohnen.' ,O König', erwiderten sie, ,wir wollen unser Leben dem Messias weihen und für dich dahingeben.' Nun nahm die Alte alles, dessen sie bedurfte an aromatischen Wurzeln, tat sie in Wasser und kochte sie über dem Feuer, bis ihr schwarzer Saft ausgezogen war. Dann wartete sie, bis die Brühe kalt war, tauchte den Zipfel eines langen Tuches hinein und färbte sich das Gesicht damit. Auch legte sie über ihren Kleidern eine lange Kutte an, mit gesticktem Saum, und in die Hand nahm sie einen Rosenkranz. Darauf ging sie zu König Hardûb; doch weder er noch einer von den Anwesenden erkannte sie, bis sie sich selbst zu erkennen gab; alle aber priesen sie um ihrer Listen willen; und ihr Sohn sprach hocherfreut: ,Möge der Messias dich nie verlassen!' Dann zog sie mit den Christen aus dem syrischen Nedschrân fort auf dem Wege zu dem baghdadisehen Heere. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 93. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als König Afridônjene Botschaft gehört hatte, da sei er in Ohnmacht gefallen, so daß ihm die Nase unter den Füßen lag; und als er erwacht war, hatte vor Furcht sein Magensack gebebt, und er hatte der alten Dhât cd-Dawâhi sein Leid geklagt. Nun war aber jene Verfluchte eine schlimme Zauberin, im Hexen und Täuschen eine Meisterin; sie war eine liederliche Lügnerin, eine ausschweifende Betrügerin; sie roch aus dem Munde wie Kot; ihre Augenlider waren



1000-und-1_Vol-01-700 Flip arpa

rot; ihre Wange bleich wie der Tod; ihres Gesichtes Farbe war dumpf; ihr Blick war trübe und stumpf; ihr Leib war räudig, ihr Haar war gräulich, ihr Rücken buckelig; welk sah ihre Haut sich an, und ihr Nasenschleim rann. Aber sie hatte die Schriften des Islams studiert und die Pilgerfahrt zum heiligen Hause von Mekka ausgeführt, und alles das nur, um die Sitten der Mohammedaner zu sehen und die wundertätigen Verse des Korans zu verstehen; auch hatte sie sich zwei Jahre lang in Jerusalem zum Judentum bekannt und die Zeit zur Erlernung der Magie über Menschen und Dämonen verwandt; sie war darum eine der schlimmsten Plagen, das größte Unheil, mit dem der Himmel die Menschen geschlagen; allem Glauben war sie verloren und auf keine Religion eingeschworen. Bei ihrem Sohne aber, dem König Hardûb von Kleinasien, blieb sie hauptsächlich um der jungfräulichen Sklavinnen willen; denn sie war der sapphischen Liebe ergeben, und wenn die ihr fern war, konnte sie nicht leben; wenn ihr also ein Mädchen gefiel, so lehrte sie es die Kunst, und sie rieb es mit Safran ein, dann sank sie vor dem Übermaß der Wollust in Ohnmacht. Wenn eine ihr gehorchte, so war sie ihr wohlgesinnt und machte ihr ihren Sohn geneigt; doch wenn eine ihr nicht zu Willen war, so sann sie auf deren Verderben. Das war auch Mardschâna und Raihâna und Utruddscha bekannt, den Sklavinnen der Abriza. Und die Prinzessin verabscheute die Alte, und sie mochte nicht mit ihr zusammen schlafen, weil ihre Armhöhlen abscheulich rochen und weil ihre Winde noch ärger stanken als Leichengeruch, und obendrein war ihre Haut rauher als Palmenfaser. Sie bestach alle, die mit ihr dem Laster frönten, durch Juwelen und durch Unterweisungen; doch Abrîza hielt sich ihr fern und suchte Zuflucht bei dem Allmächtigen und Allwissenden; denn, bei Gott, recht sprach der Dichter:



1000-und-1_Vol-01-701 Flip arpa

O der du vor dem Reichen demütig dich erniedrigst,
Doch über den Armen dich erhebst mit stolzern Gesicht,
Der du deine Häßlichkeit durch Sammeln von Groschen schmückest -
Der Wohlgeruch, von Üblem verdeckt sein Stinken nicht.

Doch nun zurück zu der Geschichte ihrer Kriegslist und ihren argen Werken! Sie brach also auf und nahm mit sich die Führer der Christen und ihre Scharen und wandte sich dem islamischen Heere zu. Derweilen aber ging König Hardûb zu König Afridûn und sagte zu ihm: ,O König, wir brauchen nicht mehr den Großpatriarchen noch seine Gebete, sondern wir wollen nach dem Rat meiner Mutter Dhât ed-Dawâhi handeln und abwarten, was sie mit ihrer unendlichen List wider das Heer der Muslime ausrichten kann; denn schon rücken sie mit all ihrer Macht auf uns los, und bald werden sie über uns sein und uns von allen Seiten umringen.' Als König Afridiûn das hörte, da faßte großer Schrecken sein Herz, und er schrieb unverzüglich Botschaften nach allen christlichen Provinzen, dieses Inhalts: ,Es geziemt sich, daß niemand von christlicher Art und dem Volke, das um das Kreuz sich schart, sich fernhalte, besonders von den Besatzungen der Festen und Burgen: mögen sie alle zu uns eilen, zu Fuß und zu Roß, mit der Weiber und Kinder Troß; denn schon steht das Heer der Muslime auf unserem Boden. Also eilet! Eilt! Ehe die Not bei uns weilt!'

Was nun aber die alte Dhât ed-Dawâhi angeht, so war sie bereits zur Stadt hinausgezogen mit ihren Geführten; die hatte sie als muslimische Kaufleute verkleidet; auch hatte sie sich versehen mit hundert Maultieren, die da Stoffe aus Antiochia trugen, golddurchwirkte Seide und Königsbrokat und anderes mehr. Ferner hatte sie sich vom König Afridûn ein Schreiben geben lassen, dieses Inhalts: ,Dies sind Kaufleute aus dem Lande Syrien, die auf unserem Gebiet waren; also möge niemand sie



1000-und-1_Vol-01-702 Flip arpa

hindern oder schädigen, noch auch den Zehnten von ihnen nehmen, bis sie ihre Heimat erreichen und in Sicherheit sind; denn durch die Kaufleute blüht das Land, und diese sind nicht Männer von Krieger- oder Räuberstand.' Da sprach die verfluchte Alte zu ihren Begleitern: ,Fürwahr, ich will eine List durchführen, die den Muslimen Verderben bringt.' Jene antworteten: ,O Königin, befiehl uns, was du willst; wir gehorchen dir. Möge der Messias dein Unternehmen nicht fehlschlagen lassen!' So legte sie ein Gewand an aus feiner, weißer Wolle, und sie rieb sich die Stirn, bis ein großes Brandmal darauf entstand, und sie salbte sie mit einer selbstgemachten Salbe, bis daß sie hell leuchtete. Nun war aber die verfluchte Alte hageren Leibes und hatte einen stechenden Blick. Und sie umband sich die Beine oberhalb ihrer Knöchel eng mit Stricken, und ging weiter, bis sie sich dem Lager der Muslime näherte; dann löste sie die Stricke, die tiefe Spuren auf ihren Waden hinterließen; darauf bestrich sie die Striemen mit Drachenblut und befahl ihren Begleitern, sie heftig zu geißeln und sie in eine Kiste zu setzen, und sprach: ,Rufet den Ruf des Bekenntnisses aus, euch entsteht kein ernstlicher Schaden hieraus!' Sie aber riefen: ,Wie können wir dich schlagen, da du doch unsere Herrin Dhât ed-Dawâhi bist, die Mutter des Königs, der da ruhmreich ist?' Doch sie sprach: ,Tadel und Schelten wird nicht geübt an dem, der sich auf den Abort begibt; denn die Not bricht das Verbot. Wenn ihr mich in die Kiste gesetzt habt, so nehmt sie wie einen Ballen und ladet sie auf den Rücken eines Maultiers; dann zieht mit allem durch das Lager der Muslime dahin, ohne Furcht vor Tadel in eurem Sinn! Und wenn euch einer von den Muslimen zu hindern sucht, so laßt ihm die Tiere und ihre Lasten und begebt euch zu ihrem König Dau el-Makân, fleht um seinen Schutz und sagt:



1000-und-1_Vol-01-703 Flip arpa

,Wir waren im Lande der Ungläubigen, und sie haben uns nichts genommen, sondern uns einen Paß geschrieben, auf daß niemand uns behindern soll. Wie könnt ihr nun unsere Waren nehmen wollen? Hier ist der Brief des Königs von Kleinasien, der besagt, daß niemand uns mit Gewalt behindern soll!' Und wenn er fragt: ,Was habt ihr mit euren Waren im Lande der Griechen gewonnen?' so gebt ihm zur Antwort: ,Unser Gewinn ist die Befreiung eines frommen Mannes, der seit fünfzehn Jahren in einem unterirdischen Keller lag und um Hilfe schrie, und dem doch niemand half. Ja, die Heiden folterten ihn bei Tag und Nacht. Doch wir wußten das nicht, obgleich wir eine lange Weile in Konstantinopel blieben, unsere Waren verkauften und andere dafür einkauften. Als wir uns dann bereit gemacht hatten und zur Rückkehr in unser Land entschlossen waren, verbrachten wir die letzte Nacht im Gespräch über unsere Reise, und als der Tag anbrach, da sahen wir plötzlich an der Wand eine gemalte Gestalt; und wie wir näher an sie herantraten und sie genau betrachteten, siehe, da bewegte sie sich und sprach: ,O ihr Muslime, ist einer unter euch, der sich den Lohn des Herrn der Welten erwerben möchte?' ,Wie das?' fragten wir; und jene Gestalt erwiderte: ,Seht, Allah läßt mich zu euch sprechen, auf daß euer Vertrauen sich festige und euer Glaube euch kräftige; bleibt im Lande der Heiden nicht mehr, gehet hin zu der Muslime Heer; denn bei ihm ist das Schwert des Erbarmungsreichen, der Held, dem jetzt keine anderen gleichen, König Scharkân, durch den er Konstantinopel erwerben wird und das Volk der Christen verderben wird. Und wenn ihr drei Tage gewandert seid, so werdet ihr eine Einsiedelei finden, die da bekannt ist als die Einsiedelei von Matruhina, und die eine Zelle enthält; die suchet reines Herzens auf und strebet durch die Kraft eures Willens



1000-und-1_Vol-01-704 Flip arpa

hineinzugelangen. Denn es lebt darinnen ein Mönch aus der heiligen Stadt Jerusalem namens 'Abdallâh; der hat unter den Menschen die höchste Stufe der Frömmigkeit erreicht, und er kann Wunder verrichten, vor denen jeglicher Zweifel weicht. Doch einige Mönche haben ihn hintergangen und setzten ihn in einen Keller, in dem er schon lange Zeit weilt, gefangen. Seine Befreiung ist eine Tat, die den Herrn der Welten erfreut, und seine Erlösung das beste Werk im Glaubensstreit.'

Als nun die Alte solches mit ihren Begleitern vereinbart hatte, sprach sie: ,Sowie König Scharkân euch sein Ohr geliehen hat, so berichtet ihm: ,Als wir diese Worte von jener Gestalt vernahmen, wußten wir, jener Heilige' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 94. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die alte Dhât ed-Dawâhi, als sie solches mit ihren Begleitern vereinbart hatte, sprach: ,Sowie König Scharkân euch sein Ohr geliehen hat, so berichtet ihm: ,Als wir diese Worte von jener Gestalt vernahmen, wußten wir, jener Heilige war einer von den größten Frommen und von den Dienern Gottes, die reines Herzens zu ihm kommen; so zogen wir denn drei Tage dahin, bis wir jene Einsiedelei zu Gesicht bekamen. Dort bogen wir ab und kehrten ein und verbrachten den Tag, indem wir kauften und verkauften, wie es Kaufleute tun. Und sowie der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing, begaben wir uns zu der Zelle, darinnen sich der Keller befand, und wir hörten den Heiligen, nachdem er ein paar Koran verse gesprochen hatte, in diesen Versen klagen:

Ich kämpfe den Seelenkampf, und meine Brust wird enge;
Das Meer der Sorge kam wogend und ertränkte mein Herz.



1000-und-1_Vol-01-705 Flip arpa

Wenn keine Rettung ist, dann lieber ein schnelles Ende;
Denn siehe, der Tod ist milder als der ewige Schmerz.
O Blitz, wenn du in die Heimat und zu ihrem Volke eile:
Und du dann dort den Strahl einer Indien Hoffnung siehst -
Wie kann ich dahin gelangen, wo jetzo doch die Kriege
Uns trennen und wo das Tor der Hilfe sich mir verschließt?
Laß du zu meinen Freunden den Gruß und die Worte gelangen,
Ich sei im Kloster der Griechen weit in der Ferne gefangen.'

,Und wenn ihr mich nur erst in das Lager der Muslime gebracht habt', fuhr die Alte fort, ,und ich unter ihnen bin, so werdet ihr auch sehen, wie ich es beginne, um sie zu betrügen und bis auf den letzten Mann zu töten.' Als aber die Christen ihre Worte vernommen hatten, küßten sie ihr die Hände, schlugen sie heftig und schmerzhaft, um ihr zu gehorchen, und legten sie in die Kiste; denn sie begriffen, daß es ihre Pflicht war, ihr Gehorsam zu leisten. Und schließlich brachen sie mit ihr zum Lager der Muslime auf.

Inzwischen nun hatten die muslimischen Krieger, als Allah ihnen den Sieg über ihre Feinde verliehen hatte, alles Geld und alle Vorräte, die in den Schiffen waren, geplündert, und dann setzten sich alle, um miteinander zu plaudern; und Dau el-Makân sprach zu seinem Bruder Scharkân: ,Siehe, Allah hat uns den Sieg verliehen um unseres gerechten Wandels und unserer Eintracht willen; deshalb, o Scharkân, gehorche in Unterwerfung unter den Willen Allahs des Allmächtigen und Glorreichen auch weiter meinem Befehl; denn ich will zehn Könige töten zur Rache für meinen Vater, und ich will fünfzigtausend Griechen hinrichten und dann einziehen in Konstantinopel.' Da antwortete Scharkân: ,Mein Leben sei dein Lösegeld vom Tode! Ich werde sicherlich im heiligen Kriege ausharren, und müßte ich auch noch viele Jahre in ihrem Lande bleiben. Doch, Bruder, ich habe in Damaskus eine Tochter



1000-und-1_Vol-01-706 Flip arpa

namens Kudija-Fakân, und ich liebe sie von Herzen, denn sie ist eins der Wunder der Zeit und wird berühmt werden weit und breit.' Dau el-Makân darauf: ,Auch ich verließ mein Weib; damals war sie schwanger und nahe ihrer Zeit; doch ich weiß nicht, was Allah mir durch sie beschert hat. Versprich mir, Bruder, daß du mir, wenn Gott mir einen Sohn schenkt, deine Tochter für ihn zur Frau gibst; darauf verpfände du mir dein Wort!' ,Herzlich gern', erwiderte Scharkân; und er hielt seinem Bruder die Hand hin und sprach: ,Wenn dir ein Sohn geboren wird, so will ich ihm meine Tochter Kudija-Fakân zur Frau geben.' Darüber freute sich Dau el-Makân, und sie wünschten einander Glück zu dem Siege über den Feind. Und auch der Wesir Dandân wünschte den beiden Brüdern Glück und sprach: ,Wisset, o Könige, Allah hat uns den Sieg verliehen, weil wir Ihm, dem Allmächtigen und Glorreichen, unser Leben geweiht haben; denn wir haben Haus und Herd verlassen. Nun geht mein Rat dahin, daß wir den Feind verfolgen, ihn bedrängen und nochmals bekämpfen; dann wird uns Allah vielleicht unser Ziel erreichen lassen, so daß wir unsere Feinde mit Stumpf und Stiel ausrotten. Wenn es euch so genehm ist, besteigt ihr die Schiffe und fahrt zur See, während wir zu Lande dahinziehn und in blutigen Turnieren Kampf und Gefecht weiterführen.' Und dann spornte der Wesir Dandân sie zum Kampfe an in einem fort, und er sprach das Dichterwort:

Das höchste Glück ist doch, den Feind zu erschlagen,
Auf dem Rücken der Renner dahinzujagen;
Und ein Bote, der Kunde vom Freunde bringet,
Und ein Freund, der da kommet, ohn es zu sagen.

Und diese Worte eines andern:

Wenn ich am Leben bleibe, so mach ich den Krieg zur Mutter,
Die Lanze zu meinem Bruder, zu meinem Vater das Schwert,



1000-und-1_Vol-01-707 Flip arpa

Mit jedem bärtigen Mann, der lächelnd den Tod begrüßet,
Als sei ihm durch seinen Tod ein eigener Wunsch gewährt.

Und dann schloß der Wesir Dandân: ,Preis sei Ihm, der uns seine mächtige Hilfe geschickt und uns durch Beute an Silber und Gold beglückt.'

Darauf gab Dau el-Makân den Befehl zum Aufbruch, und sie zogen in Eilmärschen auf Konstantinopel, bis sie zu einer weiten Ebene kamen, voll von allerlei schönen Dingen, von Wild, das sich ergötzte im Springen, und von Gazellen, die sich weidend ergingen. Nun hatten sie große Wüsten durchquert und sechs Tage lang waren sie ohne Wasser gewesen; doch als sie sich dieser Wiese nahten, fanden sie hier Wasser quellend und Früchte schwellend, und das Land war wie das Paradies, das sich in seinem schönsten Schmucke sehen ließ. Trunken vorn jungen Weine des Taus wiegten sich die Zweige; dort war der süße Nektar auch, vereint mit des Zephirs sanftem Hauch. Bezaubert waren Auge und Geist, so wie der Dichter im Liede preist:

Blick auf die lachende Wiese; ist es nicht,
Als sei ein grüner Mantel auf sie gebreitet?
Siehst du mit dem leiblichen Auge, dann schaust du nur
Einen See, in dem das Wasser sich wiegend gleitet.
Siehst du mit der Seele in seine Baumkronen hinein,
So schwebt über deinem Haupte ein Glorienschein.

Und wie es ein andrer sagt:

Der Bach ist eine Wange, vom Sonnenstrahl gerötet,
Darauf bewegt sich vom Schatten der Weiden ein Platin: so weich;
Das Wasser ist an den Fußen der Stämme gleichwie Spangen
Aus Silber, und die Blumen sind Königskronen gleich.

Wie nun Dau el-Makân jene Wiese erblickte, die durch ihren Hain von Bäumen und ihre blühenden Blumen und ihre



1000-und-1_Vol-01-708 Flip arpa

zwitschernden Vögel das Herz erquickte, da rief er seinen Bruder Scharkân und sagte: ,Bruder, in Damaskus ist nichts, was diesem Orte gliche. Wir wollen erst nach drei Tagen weiterziehen, damit wir rasten können und die Krieger des Islams Kräfte gewinnen, so daß ihr Mut stark werde, um den Kampf gegen die elenden Heiden zu beginnen.'

Da machten sie halt. Und während sie dort lagerten, siehe, da vernahmen sie Stimmen aus der Ferne, und als Dau el-Makân danach fragte, sagte man ihm, es habe dort eine Karawane von Kaufleuten aus dem Syrerlande Rast gemacht; vielleicht habe das Heer sie überfallen und ihnen von den Waren, die sie aus dem Lande der Ungläubigen brächten, etwas abgenommen. Und nach einer Weile kamen die Kaufleute herbei, und schreiend baten sie den König um Hilfe. Dau el-Makân aber gab, als er das sah, Befehl, sie vor ihn zu führen; und als sie kamen, sprachen sie: ,O König, wir waren im Lande der Ungläubigen, und sie haben uns nichts geraubt; wie können unsere muslimischen Brüder unsere Waren wegnehmen, zumal wir in ihrem Lande sind? Siehe, als wir eure Truppen sahen, da gingen wir auf sie zu, und sie nahmen uns, was wir bei uns hatten. So, nun haben wir dir berichtet, was uns widerfahren ist.' Dann zogen sie das Schreiben des Königs von Konstantinopel hervor, und Scharkân las es; darauf sagte er: ,Wir werden euch alsbald zurückgeben lassen, was euch genommen ist; doch es war nicht recht von euch, Waren in das Land der Ungläubigen zu bringen.' Sie antworteten: ,Hoher Herr, siehe, Gott hat uns in ihr Land gebracht, auf daß wir etwas gewönnen, was keiner von den Glaubenskämpfern gewonnen hat, auch ihr nicht auf all euren Zügen.' Nun fragte Scharkân: ,Was habt ihr denn gewonnen?' Und sie erwiderten: ,Das können wir nur im geheimen sagen; denn wenn diese Sache laut



1000-und-1_Vol-01-709 Flip arpa

wird unter den Leuten, so könnte es auch einem Unberufenen zu Ohren kommen, und dann würde es die Ursache werden zu unserem Verderben und zum Verderben aller Muslime, die ins Land der Griechen ziehen.' Nun hatten sie die Kiste, darin die verfluchte Dhât ed-Dawâhi war, verborgen. Da führten Dau el-Makân und Scharkân sie an einen geheimen Ort, wo sie den beiden die Geschichte des Heiligen offenbarten und weinten, bis sie die beiden Könige auch zum Weinen brachten - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 95. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Christen im Gewand der Kaufleute den Königen Dau el-Makân und Scharkân an einem geheimen Orte die Geschichte des Heiligen offenbarten und weinten, bis sie die beiden auch zum Weinen brachten; und sie berichteten ihnen alles, was die alte Hexe sie gelehrt hatte. Da hatte Scharkâns Herz Mitleid mit dem Heiligen, ihn faßte Erbarmen mit ihm, und Eifer für den Dienst Allahs des Erhabenen entflammte ihn. Deshalb sprach er: ,Habt ihr diesen Heiligen befreit, oder ist er noch in der Einsiedelei?' Sie antworteten: ,Wir haben ihn befreit, und wir haben den Klosterherrn totgeschlagen aus Furcht für unser Leben; dann aber liefen wir in Todesangst rasch davon; doch ein glaubhafter Mann erzählte uns, daß in diesem Kloster Zentner von Gold und Silber und Edelsteinen liegen.' Dann brachten sie die Kiste und holten jene Verruchte aus ihr heraus, und die glich in ihrer Hagerkeit und Schwärze einer Kassiaschote; und sie war noch immer mit jenen Fesseln und Ketten beschwert. Als aber Dau el-Makân und die Umstehenden sie sahen, da glaubten sie, es sei ein Diener Allahs, ein reiner und von den frömmsten Asketen einer, insbesondere weil ihre Stirn von der Salbe leuchtete,



1000-und-1_Vol-01-710 Flip arpa

mit der sie sich das Gesicht gesalbt hatte. Da weinten Dau el-Makân und sein Bruder bitterlich; dann standen sie auf und küßten ihre Hände und Füße und schluchzten laut; sie jedoch winkte ihnen zu und sprach zu ihnen: ,Laßt das Weinen und hört auf meine Worte!' Gehorsam ihrem Befehle hörten sie auf zu weinen, und sie sprach: ,Wisset, ihr beiden, ich war zufrieden mit dem, was mein Herr mir antat, denn ich wußte, daß die Trübsal, die über mich gekommen, eine Prüfung durch den Allmächtigen und Glorreichen war; und wer nicht in der Trübsal und Heimsuchung Geduld zeigt, der gehet nicht ein zu den Gärten der Seligkeit. Freilich hatte ich zu ihm gefleht, ich möchte heimkehren dürfen in mein Land, nicht weil ich die Trübsal, die über mich gekommen war, zu schmerzlich empfand, sondern damit ich sterben könnte unter den Hufen der Rosse der Glaubenskämpfer, die da nach ihrem Tode in der Schlacht nicht sterben, sondern zum ewigen Leben eingehen.' Und sie sprach die Verse:

Da ist der Berg Sinai; das Feuer der Schlacht ist entzündet;
Und du bist Moses, und jetzo ist es die richtige Zeit.
Wirf hin den Stab, er verschlinget alles, was sie geschaffen;
Zag nicht! Vor den Stricken der Menschen, den Schlangen, bist du gefeit.'
Und lies die Zeilen vom Feinde am Tage der Schlacht als Suren;
Dein Schwert ist's, das auf den Nacken Verse an Verse reiht.

Als die Alte die Verse gesprochen hatte, flossen ihr die Tränen über das Gesicht, und ihre Stirn strahlte unter der Salbe wie leuchtendes Licht. Und Scharkân erhob sich vor ihr, küßte ihr die Hand und ließ ihr Speisen bringen; sie aber lehnte sie ab und sprach: ,Ich habe seit fünfzehn Jahren tagsüber gefastet; wie also sollte ich mein Fasten brechen zu einer Zeit, da der



1000-und-1_Vol-01-711 Flip arpa

Herr mich in seiner Güte aus der Gefangenschaft der Ungläubigen befreit und etwas von mir genommen hat, das schlimmer ist als des Höllenfeuers Leid! Ich will bis zum Untergang der Sonne warten.' Als aber die Zeit des Nachtmahles herankam, da begaben Scharkân und Dau el-Makân sich zu ihr, brachten ihr Zehrung und sprachen: ,Iß, o Asket!' Doch sie sagte: ,Dies ist nicht die Zeit zum Essen, es ist die Zeit, den vergeltenden König anzubeten. 'Dann trat sie in die Gebetsnische und betete, bis die Nacht verstrichen war; und drei Tage und Nächte ließ sie nicht von diesem Tun ab, und sie setzte sich nur beim Aussprechen der Grußformeln am Schluß der Gebete. Als nun Dau el-Makân sie also sah, da faßte ein fester Glaube an sie in seinem Herzen Wurzel, und er sprach zu Scharkân: ,Laß für diesen Heiligen ein Zelt aus rotem Leder errichten und bestimme einen Diener zu seinem Dienst.' Doch am vierten Tage rief sie nach Speisung, und man brachte ihr allerlei gute Dinge, die das Herz erfreuen und das Auge entzücken konnten; aber von all dem aß sie nur ein Gerstenbrot und Salz. Dann begann sie von neuem zu fasten, und als die Nacht kam, erhob sie sich zum Gebet; Scharkân aber sprach zu Dau el-Makân: ,Dieser Mann treibt wirklich die Weltentsagung bis zum höchsten Grade, und wäre nicht der heilige Krieg, so schlösse ich mich ihm an und diente Allah als sein Jünger, bis ich vor Ihm stünde. Jetzt aber möchte ich zu ihm ins Zelt treten und eine Weile mit ihm plaudern.' Da sprach Dau el-Makân: ,Das möchte ich auch; und da wir morgen zum Kampf gegen Konstantinopel ziehen, werden wir nicht wieder so gelegene Zeit finden.' Nun sprach der Wesir Dandân: ,Auch ich wünsche nicht minder, diesen Asketen zusehen; vielleicht wird er für mich beten, damit ich in diesem heiligen Kriege falle und vor Gott den Herrn treten kann, denn ich bin



1000-und-1_Vol-01-712 Flip arpa

der Welt müde geworden.' So begaben sie sich, als die Nacht über sie hereinsank, in das Zelt jener Hexe Dhât ed-Dawâhi. Und da sie sie im Gebete stehen sahen, traten sie zu ihr und begannen zu weinen aus Mitleid mit ihr; sie aber achtete ihrer nicht, bis die Mitte der Nacht vorbei war und sie ihr Gebet mit der Grußformel beschloß. Dann wandte sie sich ihnen zu, grüßte sie und fragte: ,Weshalb kommt ihr?' Da antworteten sie: ,O du Heiliger, hast du nicht gehört, wie wir bei dir weinten?' Sie darauf: ,Wer vor Gott steht, hat keine irdische 1 Wesenheit mehr, so daß er die Stimme eines Menschen hören oder ihn sehen könnte!' Dann baten sie: ,Wir möchten, daß du uns erzählest, weshalb du gefangen warst, und daß du heute nacht für uns betest; denn das wird besser für uns sein als die Einnahme von Konstantinopel.' Als sie nun ihre Worte vernahm, da sprach sie: ,Bei Allah, wäret ihr nicht die Beherrscher der Gläubigen, ich würde euch niemals etwas davon erzählen; denn ich beklage mich einzig vor Gott. Aber euch will ich berichten, wie ich gefangen genommen wurde. Wisset denn, ich lebte in Jerusalem mit einigen Heiligen und verzückten Derwischen, und ich brüstete mich nicht unter ihnen; denn Allah der Gepriesene und Erhabene hatte mich mit Demut und Entsagung begabt. Nun fügte es sich, daß ich eines Nachts Meere hinabging und auf dem Wasser wandelte. Da trat, ich weiß nicht woher, der Stolz in mich ein, und ich sagte zu mir selber: Wer kann wie ich auf dem Wasser wandeln? Und hinfort verhärtete sich mein Herz, und Gott suchte mich heim mit der Sucht zu reisen. So wanderte ich nach Kleinasien, und ein Jahr lang besuchte ich dort alle Gegenden, bis kein Ort mehr übrig war, an dem ich nicht zu Gott gebetet hätte. Als ich nun in diese Gegend kam, stieg ich auf den Berg dort und fand eine Einsiedelei, in der ein Mönch namens Matruhina wohnte; und



1000-und-1_Vol-01-713 Flip arpa

wie er mich sah, kam er zu mir heraus, küßte mir Hände und Füße und sprach: ,Ich habe dich gesehen, seit du das Land der Griechen betratest, und du hast mich mit Sehnsucht nach dem Lande des Islams erfüllt.' Dannnahm er meine Hand und führte mich in jene Klause und brachte mich in einen dunkeln Raum; und als ich ihn betreten hatte, da verschloß er unversehens die Tür hinter mir und ließ mich dort vierzig Tage ohne Speise und Trank; denn so wollte er mich langsam sterben lassen. Nun geschah es eines Tages, daß ein Ritter in jene Klause kam, namens Dakianus, begleitet von zehn Knappen und seiner Tochter, Tamathîl genannt, die war die Schönste im ganzen Land. Und als sie die Einsiedelei betraten, erzählte ihnen der Mönch Matruhina von mir, und der Ritter sprach: ,Führe ihn heraus! Denn sicher hat er nicht mehr Fleisch genug an sich, um einen Vogel zu speisen.' So öffneten sie die Tür jenes dunkeln Raumes und fanden mich, wie ich in der Nische stand und betete, den Koran sprach, Allah den Erhabenen pries und mich vor ihm demütigte. Als sie mich bei solchem Werke sahen, rief Matruhina aus: ,Dieser Mann ist wahrlich ein Erzzauberer!' Und sobald sie seine Worte hörten, traten sie alle zu mir herein, Dakianus und seine Begleiter, und sie schlugen mich so grausam, daß ich mich nach dem Tode sehnte und mir Vorwürfe machte und sprach: ,Dies ist der Lohn für den, der sich überhebt und sich brüstet mit dem, was ihm Allah gewährt hat über die eigene Kraft hinaus! Und du, o meine Seele, in dich haben sich Stolz und Hoffart hineingeschlichen. Weißt du nicht, daß der Hochmut Gott erzürnt und das Herz verhärtet und den Menschen ins Höllenfeuer bringt?' Darauf legten sie mich in Fesseln und warfen mich zurück in meinen Raum, der ein unterirdisches Verlies in jenem Gebäude war. Und jeden dritten Tag ließen sie zu mir ein Gerstenbrot und einen Trunk Wassers



1000-und-1_Vol-01-714 Flip arpa

herab; und jeden Monat oder jeden zweiten kam der Ritter in die Einsiedelei. Nun war seine Tochter Tamathil herangewachsen; denn sie war neun Jahre alt, als ich sie zuerst erblickte, und fünfzehn Jahre waren in der Gefangenschaft über mich dahingegangen, so daß sie ihr vierundzwanzigstes Jahr erreicht hatte. Es gibt aber weder in unserem Lande noch in dem der Griechen eine, die schöner wäre als sie, und ihr Vater fürchtete, der König würde sie ihm nehmen. Denn sie hatte sich dem Messias geweiht; doch sie ritt als Ritter verkleidet mit ihm einher, so daß niemand, der sie erblickte, trotz ihrer unvergleichlichen Schönheit ein Mädchen in ihr erkannte. Und ihr Vater hatte seinen Reichtum in dieser Einsiedelei verborgen, da ein jeder, der etwas an kostbaren Schätzen besitzt, es dort zu hinterlegen pflegt; ich habe dort allerlei Gold und Silber und Edelsteine und kostbare Gefäße und Seltenheiten gesehen, deren Zahl nur Allah der Erhabene zu ermessen vermag. Nun seid ihr dieses Reichtums würdiger als die Ungläubigen da; darum legt die Hand auf alles, was sich in der Einsiedelei befindet, und verteilt es unter die Muslime, zumal unter die Glaubenskämpfer! Als diese Kaufleute nach Konstantinopel kamen und ihre Waren verkauft hatten, sprach jene Gestalt an der Wand zu ihnen vermöge eines Wunders, das Allah mir gewährte; da machten sie sich auf nach der Einsiedelei und erschlugen den Patriarchen Matruhina, nachdem sie ihn zuerst grimmig gefoltert und am Bart dahingeschleift hatten, bis er ihnen zeigte, wo ich war; und sie befreiten mich, doch es bot sich ihnen kein Ausweg dar, als zu flüchten aus Furcht vor Gefahr. Nun wird morgen abend Tamathil wie gewöhnlich in die Klause kommen, und ihr Vater und seine Knappen werden ihr folgen, da er um sie besorgt ist: wenn ihr also von all dem Zeugen sein wollt, so nehmt mich mit, und ich will euch das Geld und den



1000-und-1_Vol-01-715 Flip arpa

Schatz des Ritters Dakianus übergeben, der sich auf jenem Berge befindet; denn ich sah, wie sie goldene und silberne Gefälle hervorholten, um daraus zu trinken, und ich gewahrte bei ihnen auch ein Mädchen, das ihnen auf arabisch vorsang -ach, wenn jene schöne Stimme doch den Koran vortrüge! Wenn ihr denn wollt, so verbergt euch in jener Klause, bis Dakianus und seine Tochter kommen; nehmt sie gefangen, denn sie gebührt allein dem größten König unserer Zeit Scharhîn oder dem König Dau el-Makân.'

Als die drei ihre Rede vernommen hatten, freuten sich die beiden Könige, aber der Wesir Dandân nicht, denn er glaubte ihr nicht recht, und ihre Worte wollten ihm nicht in den Sinn; dennoch fürchtete er sich, mit ihr zu reden, aus Scheu vor dem Könige, obwohl er von ihren Worten betroffen war und die Spuren des Mißtrauens auf seinem Antlitze sich zeigten. Da sprach die alte Dhât ed-Dawâhi: ,Seht, ich fürchte, der Ritter wird kommen, und wenn er die Truppen hier auf der Wiese gelagert findet, so wird er die Einsiedelei nicht zu betreten wagen.' So gab der Sultan Dau el-Makân den Truppen Befehl zum Marsch auf Konstantinopel und sprach: ,Ich habe beschlossen, hundert Reiter und viele Maultiere mit mir zu nehmen und auf jenen Berg zu ziehen, um die Schätze aus der Einsiedelei zu holen.' Und zur selbigen Stunde schickte er nach dem Oberkammerherrn; ihn und die Führer der Türken und Dailamiten ließ er zu sich kommen und sprach: ,Mit Tagesanbruch macht euch auf den Marsch gen Konstantinopel; du, o Kammerherr, sollst im Rate und in der Leitung meinen Platz einnehmen; du aber, o Rustem, sollst im Felde meines Bruders Stellvertreter sein. Doch laßt niemanden wissen, daß wir nicht bei euch sind! Nach drei Tagen werden wir wieder zu euch stoßen.' Dann wählte er hundert der tapfersten Ritter aus und



1000-und-1_Vol-01-716 Flip arpa

brach mit Scharkân und dem Wesir Dandân und der Reiterschar auf; sie nahmen auch die Maultiere und Kisten mit sich, um die Schätze aufzuladen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 96. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scharkân mit seinem Bruder Dau el-Makân und dem Wesir Dandân und den hundert Reitern aufbrach nach dem Kloster, das die verruchte Dhât ed-Dawâhi ihnen beschrieben hatte, und daß sie auch die Maultiere und die Kisten mit sich nahmen, um die Schätze aufzuladen.

Sowie nun der Morgen dämmerte, ließ der Kammerherr im Lager den Befehl zum Aufbruch verkünden. Und die Soldaten brachen auf in dem Glauben, daß die beiden Könige und der Wesir Dandân mit ihnen zügen; denn sie wußten nicht, daß jene nach dem Kloster geritten waren.

Lassen wir nun das Heer dahinziehen, und sehen wir zu, was mit Scharkân und Dau el-Makân und dem Wesir Dandân geschah! Die blieben bis zum Ende des Tages heimlich zurück. Die Ungläubigen aber, die bei Dhât ed-Dawâhi waren, machten sich insgeheim davon, nachdem sie bei ihr gewesen waren, ihr die Hände und die Füße geküßt und sie um Erlaubnis zum Aufbruch gebeten hatten. Und sie hatte ihnen nicht nur die Erlaubnis gegeben, sondern ihnen auch ihren eigenen listigen Plan mitzuteilen geruht. Als es dann dunkle Nacht war, sagte sie zu Dau el-Makân und seinen Gefährten: ,Wohlan, laßt uns auf den Berg gehen, und nehmt ein paar Bewaffnete mit euch!' Sie gehorchten und ließen fünf Reiter am Fuße des Berges, während der Rest vor Dhât ed-Dawâhi dahinritt, die im Übermaß der Freude neue Kräfte gewann, so daß Dau el-Makân



1000-und-1_Vol-01-717 Flip arpa

ausrief: ,Preis sei Ihm, der diesen Heiligen gestärkt hat, dessengleichen wir noch nie gesehen haben!' Nun hatte die Hexe dem König von Konstantinopel auf den Schwingen eines Vogels eine Botschaft zugesandt; darin machte sie ihn bekannt mit allem, was geschehen war, und sie schloß: ,Ich wünsche, daß Du mir zehntausend der tapfersten Reiter der Griechen sendest; die sollen sich vorsichtig am Fuße des Berges entlang schleichen, damit das Heer des Islams sie nicht bemerkt; und wenn sie die Einsiedelei erreichen, so mögen sie sich dort in den Hinterhalt legen, bis ich mit dem König der Muslime und seinem Bruder bei ihnen bin. Denn ich habe sie in die Falle gelockt: ich komme mit ihnen und mit dem Wesir und mit nur hundert Reitern und werde ihnen die Kreuze übergeben, die sich inder Einsiedelei befinden. Ich habe beschlossen, den Mönch Matruhina zu töten, da sich mein Plan nicht ausführen läßt, ohne daß ich ihm das Leben nehme. Wenn aber die List gelingt, so soll nicht einer von den Muslimen in seine Heimat zurückkehren, nein, kein einziger Mann, nicht einmal einer, der das Feuer anblasen kann; und Matruhina sei als Opfer dargebracht für die christliche Gemeinde und die Kreuzesritterschaft, und Preis sei dem Messias von Anfang bis zu Ende.' Als dieses Schreiben nach Konstantinopel kam, da trug es der Taubenwächter zum König Afridûn; und wie der es gelesen hatte, ließ er alsbald die Soldaten aufbrechen, ausgerüstet mit je einem Roß, einem Reitkamel und einem Maultier und mit Mundvorrat, indem er ihnen befahl, sich zu jener Einsiedelei zu begeben und, wenn sie die Festung, die dort war, erreicht hätten, sich darin zu verbergen.

Nun zurück zu König Dau el-Makân und seinem Bruder Scharkân und dem Wesir Dandân und ihrer Schar! Als sie die Einsiedelei erreichten, traten sie ein und trafen auf den Mönch



1000-und-1_Vol-01-718 Flip arpa

Matruhina, der ihnen entgegenkam, um zu sehen, wer sie seien. Da rief der Heilige, das heißt Dhât ed-Dawâhi: ,Erschlägt diesen Verruchten!' So hieben sie auf ihn mit den Schwertern drein und flößten ihm den Becher des Todes ein. Dann führte die alte Hexe sie in die Kammer der Weihgaben, und sie schleppten aus ihr an Kostbarkeiten und Schätzen mehr heraus, als sie ihnen geschildert hatte; und nachdem sie all das gesammelt hatten, taten sie die Beute in Kisten und luden sie auf die Maultiere. Tamathil aber und ihr Vater kamen aus Furcht vor den Muslimen nicht; so blieb Dau el-Makân dort, um sie zu erwarten, und er blieb den ganzen Tag und auch den nächsten und noch einen dritten, bis Scharkân zu ihm sprach: ,Bei Allah, ich bin in Sorge um das Heer des Islams; denn ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.' Sein Bruder antwortete: ,Da wir nunmehr diesen großen Schatz gewonnen haben und nicht mehr hoffen können, daß Tamathil oder sonst irgend jemand zu diesem Kloster kommen wird, nachdem solches Unheil dem Heere der Griechen widerfahren ist, so wollen wir uns mit dem begnügen, was uns Allah gegeben hat, und jetzt aufbrechen; vielleicht wird Er uns helfen, Konstantinopel zu erobern.' Dann ritten sie den Berg hinunter; Dhât ed-Dawâhi aber konnte ihnen nicht widersprechen, aus Furcht, ihren Betrug zu verraten. Nun zogen sie dahin, bis sie zu dem Engpaß kamen, in dem die Alte ihnen mit den zehntausend Reitern einen Hinterhalt gelegt hatte. Sowie nun diese die Muslime sahen, umringten sie sie von allen Seiten mit eingelegten Lanzen und ließen vor ihnen die blinkenden Schwerter tanzen; und dann fingen die Heiden an, ihres Unglaubens Ruf zu schrein, und legten die Pfeile ihrer Tücke ein. Als aber Dau el-Makân und sein Bruder Scharkân und der Wesir Dandân diese Schar erblickten, sahen sie, daß es ein zahlreiches Heer war, und sprachen:



1000-und-1_Vol-01-719 Flip arpa

,Wer hat diesen Truppen von uns Kunde gegeben?' Doch Scharkân rief: ,Bruder, dies ist nicht die Zeit, daß Reden fließen; dies ist die Zeit, mit dem Schwert zu schlagen und Pfeile zu schießen. Also stärket euren Mut und festigt euer Herz, denn diese Enge ist wie eine Straße mit zwei Toren! Bei dem Herrn der Araber und Perser: wäre der Weg nicht so schmal, ich würde sie vernichten, auch wenn es hunderttausend Reiter wären!' Da sprach Dau el-Makân: ,Hätten wir dies gewußt, wir hätten fünftausend Reiter mitgenommen'; und der Wesir Dandân: ,Wenn wir auch zehntausend Reiter hätten, sie nützten uns doch nichts in dieser Enge; aber Allah wird uns wider sie helfen. Ich kenne diesen Engpaß, und ich weiß, es gibt darinnen vielerlei Zufluchtsorte; denn ich war schon einmal auf einem Kriegszuge hier, als ich mit dem König 'Omar ibn en-Nu'mân Konstantinopel belagerte. Wir rasteten dort, und es ist Wasser vorhanden, kühler als Schnee. Also auf, laßt uns aus dem Paß hinausstürmen, ehe die Heere der Heiden zahlreicher andrängen und uns zuvorkommen mit einem Sturm auf den Bergesgipfel und von dort Felsen auf uns niederwälzen, so daß wir gegen sie hilflos sind.' Da begannen sie vorwärts zu drängen, um aus der Schlucht herauszukommen; aber der Heilige, jene Dhât ed-Dawâhi, blickte sie an und sagte: ,Was fürchtet denn ihr, die ihr euch der Sache Allahs des Erhabenen geweiht habt? Bei Allah, ich lag fünfzehn Jahre unter der Erde gefangen, doch niemals widersprach ich dem Allmächtigen in dem, was er mir antat! Kämpfet für die Sache Allahs! Ein jeder von euch, der da fällt, wird im Paradiese wohnen; und wer da erschlägt, den wird sein Ruhm belohnen.' Als sie den Asketen also sprechen hörten, fiel alle Sorge und Angst von ihnen ab, und sie standen fest, bis die Ungläubigen von allen Seiten auf sie niederstürmten, während die Schwerter auf ihren Nacken



1000-und-1_Vol-01-720 Flip arpa

spielten und der Becher des Todes bei ihnen kreiste. Da begannen die Muslime im Dienste Allahs ein gewaltiges Ringen, und sie schwangen gegen seine Feinde die Speere und die Klingen; seht, wie Dau el-Makân den Arm gegen die Mannen reckte und die Helden zu Boden streckte! Er schlug ihnen die Köpfe ab, zu fünfen immer und zu zehnen, bis er eine unzählbare Zahl und eine unendliche Menge getötet hatte. Während seines Kampfes aber sah er, wie die verfluchte Alte ihnen mit dem Schwerte zuwinkte und ihnen Mut zusprach. Und jeder, den die Furcht ankam, floh zu ihr um Hilfe; sie aber gab zugleich den Ungläubigen ein Zeichen, Scharkân zu töten. So stürmte denn Schar auf Schar wider ihn an, um ihn zu erschlagen; doch jede Schar, die ihn angriff, griff er wieder an und schlug sie in die Flucht; und wenn eine neue zum Angriff kam, so schlug er sie zurück und schwang das Schwert wider ihre Rücken. Dabei glaubte er, der Segen des Heiligen gäbe ihm den Sieg, und er sprach bei sich selber: ,Wahrlich, auf diesem Heiligen hat das gnädige Auge Allahs geruht, und durch die Reinheit seiner Absicht stärkte er wider die Heiden meinen Mut; ich sehe, wie sie mich fürchten und mir nicht zu nahen wagen, ja, sooft sie mich angreifen, wenden sie den Rücken und können ihr Heil nur in der Flucht erblicken!' Dann kämpften sie weiter, bis der Tag zu Ende war; und als die Nacht hereinbrach, suchten die Muslime Zuflucht in einer Höhle jener Schlucht, denn sie waren müde von der Kampfesnot und von den Steinwürfen, und fünfundvierzig von ihnen waren an diesem Tage gefallen. Und als sie sich gesammelt hatten, suchten sie nach dem Heiligen, doch sie fanden keine Spur von ihm; das war ihnen schmerzlich, und sie sprachen: ,Vielleicht ist er als Märtyrer gefallen.' Scharkân sprach: ,Ich sah, wie er die Reiter mit göttlichen Zeichen stärkte und durch Verse des



1000-und-1_Vol-01-721 Flip arpa

Barmherzigen beschützte.' Während sie noch also sprachen, siehe, da stand die verfluchte Alte, Dhât ed-Dawâhi, plötzlich vor ihnen, und in der Hand hielt sie den Kopf des obersten Ritters, des Feldherrn über Zwanzigtausend, eines Recken voll Mut und Teufels voll Wut. Einer der Türken hatte ihn mit einem Pfeil getötet, und Allah hatte seine Seele rasch ins Höllenfeuer entsandt; und als die Ungläubigen sahen, was jener Muslim ihrem Führer angetan hatte, da fielen sie alle über ihn her, brachten das Verderben über ihn und hackten ihn mit den Schwertern in Stücke, doch Allah führte ihn alsbald ins Paradies. Die verfluchte Alte aber schlug jenem Ritter den Kopf ab, und jetzt brachte sie ihn und warf ihn Scharkân und Dau el-Makân und dem Wesir Dandân vor die Füße. Wie Scharkân sie erblickte, da sprang er eilig auf und rief: ,Preis sei Allah für deine Rettung, da wir dich wiedersehen, o Heiliger und frommer Glaubenskämpfer!' Sie antwortete: ,Mein Sohn, ich habe heute das Martyrium gesucht, und ich habe mich mitten unter die Scharen der Heiden geworfen, aber sie wichen in Furcht vor mir zurück. Als ihr euch zerstreutet, da entbrannte ein heiliger Zorn in mir um euretwillen; so stürzte ich denn auf ihren obersten Ritter, obgleich er wohl tausend Reitern gewachsen war, und ich traf ihn also, daß sein Kopf vom Rumpfe flog. Keiner der Heiden konnte mir nahen; und jetzt bringe ich euch seinen Kopf' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 97. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die verruchte Hexe, Dhât ed-Dawâhi, nachdem sie den Kopf jenes Ritters, des Feldherrn über zwanzigtausend Ungläubige, an sich genommen hatte, ihn brachte und ihn Dau el-Makân und seinem Bruder Scharkân



1000-und-1_Vol-01-722 Flip arpa

und dem Wesir Dandân vor die Füße warf und zu ihnen sagte: ,Als ich sah, wie es euch erging, da entbrannte ein heiliger Zorn in mir um euretwillen; so stürzte ich mich denn auf den obersten Ritter und traf ihn mit dem Schwerte also, daß sein Kopf davonflog. Keiner der Heiden konnte mir nahen; und jetzt bringe ich euch seinen Kopf, damit eure Seelen sich stärken zum Glaubensstreit und ihr mit euren Schwertern dem Herrn der Gläubigen dienstbar seid. Doch nun will ich euch bei dem Glaubenskampf lassen, und ich will zu eurem Heere gehen, stehe es auch an den Toren von Konstantinopel, und will mit zwanzigtausend Reitern zurückkehren, um diese Ungläubigen zu vernichten.' Da fragte Scharkân: ,Wie willst du zu ihnen durchdringen, o du Heiliger, während doch das Tal auf allen Seiten von den Heiden eingeschlossen ist?' Die verfluchte Alte aber antwortete: ,Allah wird mich vor ihren Augen verbergen, so daß sie mich nicht sehen; und selbst wenn einer mich sieht, so wird er nicht wagen, mir zu nahen, denn ich werde dann ganz in Allah entschwunden sein, und Er wird seine Feinde von mir abhalten.' ,Du sprichst die Wahrheit, o Heiliger', erwiderte Scharkân, ,denn wahrlich, dessen bin ich selber Zeuge gewesen; wenn du also zu Anfang der Nacht davonkommen kannst, so wird das für uns das beste sein.' Doch sie sagte: ,Ich will noch in dieser Stunde aufbrechen, und wenn du mit mir kommen willst, ohne daß dich jemand sieht, so mache dich auf! Und wenn auch dein Bruder mit uns gehen will, so wollen wir ihn mitnehmen, aber sonst niemanden; denn der Schatten eines Heiligen kann nur zwei Menschen bedecken.' Darauf sprach Scharkân: ,Was mich angeht, so will ich meine Gefährten nicht verlassen; doch wenn mein Bruder einwilligt, so steht nichts im Wege, daß er mit dir gelle und aus dieser Bedrängnis befreit werde; denn er ist die Burg der Muslime



1000-und-1_Vol-01-723 Flip arpa

und das Schwert des Herrn der Welten; und wenn er will, so mag er auch den Wesir Dandân mitnehmen oder wen immer er wählt; und dann soll er uns zehntausend Reiter senden zur Hilfe wider diese Elenden.' So kamen sie denn überein, und darauf sagte die Alte: ,Laßt mir Zeit, daß ich vor euch ausziehe und mir ansehe, wie es mit den Ungläubigen steht, ob sie wachen oder schlafen!' Doch sie entgegneten: ,Wir wollen nur mit dir gehen und unsere Sache Gott anheimstellen.' ,Wenn ich euch den Willen tue,' erwiderte sie, ,so tadelt nicht mich, sondern tadelt euch selber; denn mein Rat ist, daß ihr auf mich wartet, bis ich die Feinde ausgekundschaftet habe.' Da sprach Scharkân: ,Geh zu ihnen hinaus und bleib uns nicht zu lange fort; wir wollen auf dich warten.' Nun zog Dhât ed-Dawâhi aus, und Scharkân redete darauf seinen Bruder an und sagte: ,Wäre dieser Heilige nicht ein Wundertäter, so hätte er nie jenen gewaltigen Ritter erschlagen. Dies ist Beweis genug für die Macht dieses Asketen; und wahrlich, die Macht der Ungläubigen ist durch den Tod dieses Ritters gebrochen, denn er war ein Recke voll Mut und ein Teufel voll Wut.' Während sie so über die Wundertaten des Asketen sprachen, siehe, da trat die verruchte Dhât ed-Dawâhi schon wieder zu ihnen ein und verhieß ihnen den Sieg über die Ungläubigen; sie aber dankten ihr, da sie nicht wußten, daß all dies Lug und Trug war. Dann fragte die verruchte Alte: ,Wo ist der König unsrer Zeit, Dau el-Makân?' ,Hier bin ich', erwiderte er; und sie fuhr fort: ,Nimm deinen Wesir mit dir, und folge mir, damit wir nach Konstantinopel ziehen.' Nun hatte sie den Ungläubigen den Plan, den sie geschmiedet hatte, verraten; und die waren darüber hocherfreut gewesen und hatten gesagt: ,Wir werden uns nicht eher zufriedengeben, als bis wir ihren König erschlagen haben zur Rache für den Tod des Ritters; denn wir hatten



1000-und-1_Vol-01-724 Flip arpa

keinen größeren Helden als ihn.' Und dann hatten sie der Unglücksalten noch gesagt, als sie ihnen kundgetan, sie würde mit dem König der Muslime zu ihnen kommen: ,Wenn du ihn zu uns bringst, so wollen wir ihn dem König Afridûn überliefern.' Nun zog die Alte aus, und mit ihr zogen Dau el-Makân und der Wesir Dandân. Sie ging ihnen voran, indem sie sprach: ,Ziehet dahin mit dem Segen Allahs des Erhabenen!' Sie folgten ihrem Geheiß; denn der Pfeil des Schicksals und des Verhängnisses hatte sie getroffen. Die Alte aber zog mit ihnen dahin, bis sie mitten im Lager der Griechen waren und zu dem schon genannten Engpaß gelangten, von dem aus die Ungläubigen sie beobachteten, doch ohne ihnen ein Hindernis in den Weg zu legen; denn das hatte die verfluchte Alte ihnen befohlen. Wie nun Dau el-Makân und der Wesir Dandân die Soldaten der Ungläubigen erblickten und wußten, daß jene sie zwar sahen, aber doch nicht behinderten, sprach der Wesir: ,Bei Allah, dies ist ein Wunder des Heiligen; kein Zweifel, er gehört zu den besonderen Freunden Gottes.' Dau el-Makân erwiderte: ,Bei Allah, ich glaube nicht anders, als daß die Ungläubigen blind sind, denn wir sehen sie, und sie sehen uns nicht.' Und während sie noch den Heiligen priesen und von seinen Wundern sprachen und von seiner Frömmigkeit und seinen frommen Werken, da stürmten auch schon die Ungläubigen auf sie ein, umringten und ergriffen sie und fragten: ,Ist noch einer bei euch beiden, daß wir auch ihn ergreifen?' Der Wesir Dandân rief: ,Seht ihr nicht jenen dritten Mann dort vor uns?' Doch die Heiden erwiderten: ,Beim Messias und bei den Eremiten, beim Primas und beim Metropoliten: wir sehen niemanden als euch!' Da sprach Dau el-Makân: ,Bei Allah, unser Geschick ist eine Strafe, die der Erhabene über uns verhängt hat!' — —«



1000-und-1_Vol-01-725 Flip arpa

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 98. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Heiden, als sie Dau el-Makân und den Wesir Dandân ergriffen hatten, fragten: ,Ist noch einer bei euch beiden, daß wir auch ihn ergreifen?' Da rief der Wesir Dandân: ,Seht ihr nicht jenen dritten Mann dort bei uns?' Doch sie erwiderten: ,Beim Messias und bei den Eremiten, beim Primas und beim Metropoliten: wir sehen niemanden als euch.' Dann legten sie ihnen Ketten an die Füße und stellten Wachen neben sie für die Nacht, während ihnen Dhât ed-Dawâhi aus den Blicken entschwand. So begannen sie zu klagen und sprachen zueinander: ,Fürwahr, Ungehorsam gegen die Heiligen bringt noch schlimmeres Unheil als dies; die Not, in der wir uns befinden, ist unsere gerechte Strafe.'

Wenden wir uns nun wieder zu König Scharkân! Nachdem er die Nacht über geruht hatte und der Morgen angebrochen war, da sprach er das Morgengebet. Und dann machte er sich mit seinen Leuten bereit zur Schlacht wider die Ungläubigen, und er sprach ihnen Mut zu und verhieß ihnen alles Gute. Dann zogen sie aus, bis sie dicht zu den Heiden kamen, und als diese sie aus der Ferne sahen, riefen sie ihnen zu: ,Ihr Muslime, wir haben euren Sultan und euren Wesir, der mit der Leitung eurer Angelegenheiten betraut ist, gefangen genommen; und wenn ihr nicht abläßt, wider uns zu kämpfen, so werdenwir euch bis auf den letzten Mann erschlagen; doch wenn ihr euch ergebt, so wollen wir euch vor unseren König führen, der mit euch Frieden schließen wird unter der Bedingung, daß ihr unser Land verlaßt und in euer Land heimkehrt und daß wir uns gegenseitig keinerlei Schaden zufügen. Wenn ihr das annehmt, so wird es euer Glück sein; wenn ihr es aber ablehnt, so bleibt



1000-und-1_Vol-01-726 Flip arpa

euch nichts als der Tod. Nun haben wir es euch kundgetan, und dies ist unser letztes Wort an euch.' Als Scharkân das hörte und der Gefangennahme seines Bruders und des Wesirs gewiß war, da drückte ihn der Schmerz nieder, und er weinte; seine Kraft erlahmte, er machte sich auf den Tod gefaßt und sprach bei sich: ,Wenn ich nur wüßte, weshalb sie gefangen genommen wurden! Ließen sie es an Achtung vor dem Heiligen fehlen, oder waren sie ihm ungehorsam, oder was war es sonst?' Dann sprangen sie auf zum Kampf wider die Ungläubigen und erschlugen viel Volks von ihnen. An jenem Tage schied sich der Feige vom Mutigen; rot leuchteten Schwert und Lanze, die blutigen. Und die Heiden schwärmten auf sie ein, wie die Fliegen auf den Trank, in dichten Reihn; doch Scharkân und seine Mannen kämpften wie einer, der keine Todesfurcht kennt, und den kein Hindernis von der Verfolgung des Sieges trennt, bis schließlich die Täler vom Blute rannen und das Feld übersät war mit erschlagenen Mannen. Und als die Nacht hereinsank, da trennten die beiden Heere sich, und ein jedes zog an seine Lagerstätte. Die Muslime gingen wieder in die Höhle dahin, und da offenbarte sich ihnen Verlust und Gewinn; wenige von ihnen waren unversehrt, und denen blieb nur das Vertrauen auf Allah und auf das Schwert. Von ihnen waren Ritter, vornehme Emire, gefallen fünfunddreißig an Zahl; doch von den Ungläubigen hatte ihr Schwert Tausende getötet, Fußkämpfer und Reiter zumal. Als Scharkân das sah, fragte er beklommen seine Gefährten: ,Was sollen wir tun?' Die antworteten: ,Nur was Allah der Erhabene will, wird geschehen!' Am Morgen des zweiten Tages aber sprach Scharkân zu dem Rest seiner Truppe: ,Wenn ihr in den Kampf hinauszieht, so wird nicht einer von euch am Leben bleiben; wir haben auch nur noch wenig Wasser und Zehrung. Ich halte es daher für



1000-und-1_Vol-01-727 Flip arpa

das richtige, daß ihr euch mit gezücktem Schwert an den Ausgang der Höhle stellt, um jeden, der eindringen will, abzuwehren. Vielleicht hat der Heilige das Heer der Muslime erreicht, und dann kommt er mit zehntausend Reitern zu uns, um uns im Kampf wider die Ungläubigen zu helfen; denn die Heiden werden ihn und seine Gefährten nicht bemerkt haben.' Und sie entgegneten: ,Dieser Rat ist der rechte allein, und an seiner Trefflichkeit kann kein Zweifel sein.' Dann gingen die Krieger hin und besetzten den Eingang der Höhle, indem sie sich zu beiden Seiten aufstellten; und einen jeden der Ungläubigen, der einzudringen suchte, erschlugen sie. Und sie hielten die Heiden von dem Eingang zurück und ertrugen geduldig alle Angriffe der Feinde, bis der Tag zur Neige ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 99. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die muslimischen Krieger den Eingang der Höhle besetzten, indem sie sich zu beiden Seiten aufstellten und die Ungläubigen abwehrten; und jeden, der zu ihnen einzudringen versuchte, erschlugen sie; und sie ertrugen geduldig alle Angriffe der Feinde, bis der Tag zur Neige ging und die Nacht alles mit Dunkel umfang. König Scharkân aber hatte jetzt nur noch fünfundzwanzig seiner Mannen sprachen die Ungläubigen untereinander: ,Wann sollen diese Schlachttage ein Ende nehmen? Wir sind des Kampfes mit den Muslimen müde.' Einer von ihnen rief: ,Auf zum Sturm wider sie, denn es sind nur noch fünfundzwanzig Mann von ihnen übrig! Wenn wir sie nicht im Kampfe bezwingen können, so wollen wir sie durch ein Feuer ausräuchern. Wenn sie dann anschmoren und sich uns ergeben, so wollen wir sie



1000-und-1_Vol-01-728 Flip arpa

gefangen nehmen; wenn sie sich doch noch weigern, so lassen wir sie wie Holz im Feuer ganz verbrennen, so daß sie den Verständigen als warnendes Beispiel dienen können. Dann soll der Messias ihren Vätern sein Mitleid verwehren und ihnen dort, wo die Christen sind, keine Stätte gewähren!' Sie schleppten also Brennholz an den Ausgang der Höhle und zündeten es an, so daß Scharkân und seine Gefährten des Verderbens gewiß waren und sich ergaben. Und als jene sich nun in solcher Lage befanden, siehe, da sprach der befehlshabende Ritter zu denen, die rieten, sie zu töten: ,Ihr Tod steht nur in der Hand des Königs Afridûn, damit er seinen Rachdurst lösche. Also müssen wir sie als Gefangene bei uns lassen; und morgen wollen wir mit ihnen nach Konstantinopel ziehen und sie dem König Afridûn überliefern, auf daß er mit ihnen tue, was er will.' Da sprachen sie: ,Dieser Rat ist der rechte!' Dann gab man Befehl, sie zu fesseln, und setzte Wachen über sie. Doch als es finstre Nacht ward unterdessen, begannen die Ungläubigen zu feiern und zu essen; und sie riefen nach Wein und tranken, bis sie alle auf dem Rücken lagen. Nun waren Dau el-Makân und sein Bruder Scharkân in gemeinsamer Haft mit den Rittern, ihren Gefährten. Da blickte der ältere den jüngeren Bruder an und sprach zu ihm: ,Bruder, wie können wir die Freiheit erlangen?' ,Bei Allah,' versetzte Dau el-Makân, ,ich weiß es nicht, wir sind wie Vögel in einem Käfig gefangen.' Da ergrimmte Scharkân, und er seufzte im Übermaß seines Zornes und reckte sich, bis seine Fesseln sprangen; und als er frei war von seinen Banden, trat er zu dem Hauptmann der Wache, zog ihm die Schlüssel zu den Fesseln aus der Tasche und befreite Dau el-Makân und den Wesir Dandân und die übrigen Gefangenen. Dann wandte er sich zu den beiden und sagte: ,Ich will drei von den Wächtern töten; dann können wir



1000-und-1_Vol-01-729 Flip arpa

drei ihre Kleider nehmen und anlegen, so daß wir wie Griechen aussehen und zwischen ihnen dahingehen, ohne daß sie uns erkennen. So wollen wir uns zu unserem Heere begeben.' Doch Dau el-Makân erwiderte: ,Dieser Rat ist nicht gut; denn wenn wir sie töten, so fürchte ich, wird jemand ihr Röcheln hören, und so werden die Heiden wach und werden uns niedermachen. Das Richtige ist, daß wir aus der Schlucht hinauszukommen suchen.' Darin pflichteten die anderen ihm bei; und als sie nun aufgebrochen waren und den Paß ein wenig hinter sich hatten, sahen sie angebundene Pferde, deren Reiter schliefen, und Scharkân sprach zu seinem Bruder: ,Wir müssen uns ein jeder eins von den Rossen da nehmen.' Nun waren sie fünfundzwanzig Mann, also nahmen sie fünfundzwanzig Pferde; Allah aber hatte den Ungläubigen Schlaf gesandt, um eines Ratschlusses willen, den Er kannte. Und Scharkân raffte von dem ungläubigen Heere Waffen zusammen, Schwerter und Speere, so viele, bis er genug hatte; seine Gefährten jedoch bestiegen die Rosse, die sie genommen hatten, und ritten davon. Aber die Ungläubigen hatten vermeint, keiner könne Dau el-Makân und seinen Bruder und seine Waffengefährten befreien, und es sei ihnen unmöglich, zu entkommen. Als jene nun alle aus der Gefangenschaft befreit und vor den Ungläubigen sicher waren, eilte Scharkân seinen Gefährten nach, und er fand sie, wie sie auf ihn warteten, aber wie auf Kohlen standen und um seinetwillen keine Ruhe fanden. Da wandte er sich zu ihnen und sprach: ,Habt keine Angst, denn Allah schützt uns! Ich habe einen Vorschlag, der wohl das Richtige trifft.' ,Wie ist der?' fragten sie, und er entgegnete: ,Steigt ihr auf den Berg hinauf und erhebt alle auf einmal das Kriegsgeschrei ,Allâhu Akbar!' und ruft dann: ,Das Heer des Islams ist über euch!' und dann wollen wir alle mir einer Stimme rufen: ,Allâhu



1000-und-1_Vol-01-730 Flip arpa

Akbar!' Auf diese Weise werden sie alle zersprengt, und sie werden in ihrer Trunkenheit nicht wissen, was sie tun sollen; sie werden sicher glauben, die Truppen der Muslime hätten sie auf allen Seiten umringt und sich unter sie gemischt: so werden sie mit den Schwertern übereinander herfallen in der Verwirrung der Trunkenheit und des Schlafes; und wir wollen sie mit ihren eigenen Schwertern in Stücke hauen, die Klinge soll bis zum Morgen unter ihnen kreisen.' Doch Dau el-Makân sagte: ,Dieser Plan ist nicht gut; wir täten besser daran, zu unserm Heere zu eilen, ohne ein Wort zu sprechen; denn wenn wir rufen: ,Allâhu Akbar!', so werden sie erwachen und über uns herfallen, und keiner von uns wird entkommen.' Da rief Scharkân: ,Bei Gott, und wenn sie erwachen, so macht es nichts aus! Ich wünsche, daß ihr meinem Plan zustimmt; es kann nur Gutes daraus entstehen!' So pflichteten sie ihm denn bei und stiegen auf den Berg und schrien: ,Allâhu Akbar!' Und Berge und Bäume und Felsen stimmten aus Furcht vor Allah in ihren Ruf ein. Als aber die Heiden das Feldgeschrei hörten, schrien sie - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die Hundertste Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scharkân also sprach: ,Ich wünsche, daß ihr meinem Plan zustimmt; es kann nur Gutes daraus entstehen.' So pflichteten sie ihm denn bei und stiegen auf den Berg und schrien: ,Allâhu Akbar!' Und Berge und Bäume und Felsen stimmten aus Furcht vor Allah in ihren Ruf ein. Als aber die Heiden das Feldgeschrei hörten, schrien sie einander zu, legten ihre Waffen an und sprachen: ,Der Feind ist über uns, beim Messias!' Dann schlugen sie von ihren eigenen Leuten so viele tot, daß nur Allah der Erhabene ihre Zahl kennt. Und als



1000-und-1_Vol-01-731 Flip arpa

es Tag wurde, suchten sie nach den Gefangenen, fanden aber keine Spur von ihnen, und ihre Hauptleute sagten: ,Die solches angerichtet haben, das sind die Gefangenen, die unter uns waren! Darum auf und ihnen nach, bis ihr sie einholt; dann laßt sie den Becher des Verderbens leeren; doch euch soll weder Furcht noch Schrecken betören!' Darauf bestiegen sie ihre Rosse und ritten den Flüchtigen nach; und es handelte sich nur um einen Augenblick, so hätten sie sie gefaßt und umringt. Als Dau el-Makân das sah, ergriff ihn wachsende Angst, und er sprach zu seinem Bruder: ,Was ich befürchtete, ist über uns gekommen, und jetzt bleibt uns kein Ausweg mehr, als für den Glauben zu kämpfen.' Scharkân aber schwieg. Und nun stürmte Dau el-Makân hernieder von der Höhe des Berges und schrie: ,Allâhu Akbar!' Und seine Leute wiederholten den Kriegsruf und schickten sich an zum Glaubenskampfe, um ihr Leben im Dienste des Herrn der Gläubigen dahinzugeben; und siehe, in diesem Augenblick hörten sie viele Stimmen rufen: ,Es gibt keinen Gott außer Allah! Gott ist der Größte! Segen und Heil dem Freudenverkünder und dem Warner der Sünder!' Und als sie sich der Richtung des Schalles zuwandten, erblickten sie Scharen von Muslimen, Krieger, die den einen Gott bekennen, ihnen entgegen rennen. Sobald sie die erblickten, wurden ihre Herzen fest, und Scharkân griff die Ungläubigen an und rief: ,Es gibt keinen Gott außer Allah! Gott ist der Größte!' und alle Bekenner der Einheit Gottes, die bei ihm waren, stimmten ein. Da erdröhnte die Erde wie bei einem Erdbeben, und die Scharen der Heiden zerstoben in die Berge; die Muslime aber verfolgten sie mit Hieb und Stich, so daß manchen von ihnen der Kopf vom Rumpfe wich. Und Dau el-Makân und seine Kampfgenossen heben auf die Nacken der Heiden unverdrossen, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht



1000-und-1_Vol-01-732 Flip arpa

alles mit Dunkel umfing. Dann rückten die Muslime zusammen und verbrachten die ganze Nacht in großer Freude; doch als der Morgen sich erhob und mit seinen feurigen Strahlen die Welt durchwob, sahen sie Bahrâm, den Hauptmann der Dailamiten, und Rustem, den Hauptmann der Türken, wie sie mit zwanzigtausend Reitern, gleich grimmigen Löwen, zu ihnen stießen. Und sowie die Reiter Dau el-Makân erblickten, saßen sie ab, begrüßten ihn und küßten den Boden vor ihm. Da sprach er zu ihnen: ,Freut euch, daß die Muslime gesiegt und das Volk der Ungläubigen am Boden liegt!' Dann wünschten sie einander Glück zu ihrer Errettung und zum herrlichen Lohn am Tage der Auferweckung.

Nun war der Grund, weshalb jene dorthin kamen, der folgende. Als der Emir Bahrâm und der Emir Rustem und der Oberkammerherr mit den Truppen der Muslime, deren wehende Banner hoch in der Luft sich breiteten, vor Konstantinopel ankamen, da sahen sie, daß die Ungläubigen auf die Mauern gestiegen waren; die hielten jene Türme und Kastelle fest in der Hand und hatten jede Feste mit Verteidigern bemannt; denn sie wußten vom Nahen der Heere, der islamischen, und der Feldzeichen, der mohammedanischen, ja, sie hörten das Waffengeklirr und das Stimmengewirr. Da blickten sie hin und sahen die Muslime, und sie hörten, wie unter der Staubwolke das Rossegetrappel hervorscholl; und plötzlich erschienen jene wie ein Heuschreckenschwarm so dicht, oder wie eine Wolke, die in Platzregen zerbricht. Nun hörten sie auch die Stimmen der Muslime den Koran singen und dem Barmherzigen Preis darbringen. Daß die Ungläubigen aber darum wußten, hatte die alte Dhât ed-Dawâhi, die falsche Dirne, mit ihrer List und Verschlagenheit zuwege gebracht. Nun kamen die Scharen daher wie das flutende Meer; so zahlreich waren die Mannen zu



1000-und-1_Vol-01-733 Flip arpa

Fuß und zu Roß und der Weiber- und Kindertroß. Da sprach der Hauptmann der Türken zum Hauptmann der Dailamiten: ,O Emir, fürwahr, uns droht Gefahr von der Menge der Feinde dort auf den Wällen! Sieh jene Bollwerke an und die Menschheit dort ringsumher, gleich dem tosenden, wogengepeitschten Meer! Diese Heiden sind uns an Zahl wohl hundertfach überlegen, und wir sind nicht vor Spionen sicher, die ihnen melden können, daß wir ohne Sultan sind. Wahrlich, uns droht Gefahr von diesen Feinden, deren Zahl niemand zählt und denen es nicht an Hilfsmitteln fehlt, zumal König Dau el-Makân und sein Bruder Scharkân und der erlauchte Wesir Dandân nicht bei uns sind. Wenn die Feinde das erfahren, so werden sie den Mut finden, uns anzugreifen, und mit dem Schwert werden sie uns bis auf den letzten Mann vernichten; nicht einer von uns wird mit dem Leben davonkommen. Daher ist mein Rat, daß du zehntausend Reiter von den Mesopotamiern und den Türken mit dir nimmst und zum Kloster des Matruhina und zur Wiese des Maluchina ziehst, um unsere Brüder und Gefährten zu suchen. Und wenn ihr nach meinem Rate handelt, so werdet ihr euch vielleicht als ihre Retter erweisen, falls sie nämlich von den Ungläubigen hart bedrängt sind; folgt ihr aber meinem Rate nicht, so trifft mich kein Tadel. Doch wenn ihr geht, so müßt ihr schnell zu uns zurückkehren; denn der Argwohn gehört zur Klugheit.' Der genannte Emir nun stimmte seinen Worten zu; und so wählten die beiden Emire zwanzigtausend Reiter aus und zogen, indem sie alle Straßen füllten, in der Richtung nach der Wiese, die genannt ist, und dem Kloster, das bekannt ist.

So also war es gekommen, daß jene dort eintrafen. Was aber die alte Dhât ed-Dawâhi angeht, so war sie, sobald sie den Sultan Dau el-Makân und seinen Bruder Scharkân und den Wesir



1000-und-1_Vol-01-734 Flip arpa

Dandân den Ungläubigen hatte in die Hände fallen lassen, auf ein schnelles Roß gestiegen und hatte zu den Heiden gesagt: ,Ich will zu dem Heer der Muslime stoßen, das vor Konstantinopel liegt, und seine Vernichtung bewirken; denn ich will ihnen sagen, daß ihre Führer tot sind, und wenn sie das von mir hören, dann löst sich ihr Zusammenhalt, es zerreißt ihr Band, und ihre Scharen zerstreuen sich ins Land. Darauf will ich zum König Afridûn, dem Herrn von Konstantinopel, gehen und zu meinem Sohne, König Hardûb, dem Herrscher von Kleinasien, und will ihnen beiden alles berichten. Sie werden dann mit ihren Truppen gegen die Muslime ins Feld ziehen und jene bis auf den letzten Mann vernichten.' So war sie denn fortgeritten und hatte auf jenem Renner die ganze Nacht über das Land durcheilt. Als dann der Tag zu grauen begann, da tauchten die Scharen Bahrains und Rustems vor ihr auf. Sie aber schlug sich seitwärts in ein Gebüsch und verbarg ihr Roß dort; danach kam sie wieder heraus und ging eine Weile zu Fuß, indem sie bei sich selber sprach: ,Vielleicht kehren die Scharen der Muslime schon zurück, weil sie beim Sturm auf Konstantinopel abgeschlagen worden sind.' Doch als sie näher an sie herankam und sie genauer sehen konnte, da erkannte sie, daß ihre Feldzeichen und Banner nicht gesenkt waren; und also kamen sie nicht als Besiegte, sondern aus Sorge um ihren König und um ihre Gefährten. Sobald sie sich davon überzeugt hatte, lief sie eilends zur Stell', wie ein rebellischer Teufel, so schnell; als sie bei ihnen war, rief sie: ,Eilt, eilt, ihr Krieger des Barmherzigen, in den heiligen Streit wider das Volk, das dem Satan geweiht!' Wie Bahrâm sie erblickte, stieg er ab, küßte den Boden vor ihr und fragte: ,O Freund Allahs, was liegt hinter dir?' Sie erwiderte: ,Fragt nicht nach den traurigen Dingen, die so entsetzlich klingen! Denn als unsere Gefährten den Schatz



1000-und-1_Vol-01-735 Flip arpa

aus dem Kloster des Matruhina geholt hatten und nach Konstantinopel aufbrechen wollten, da fiel eine gewaltige kühne Schar der Heiden über sie her.' Dann erzählte die verfluchte Alte ihnen die Geschichte, um sie mit Angst und Schrecken zu erfüllen, und fügte hinzu: ,Die meisten von ihnen sind tot, und nur noch fünfundzwanzig Mann sind übriggeblieben.' Da fragte Bahrâm weiter: ,O Heiliger, wann hast du sie verlassen?' ,In dieser Nacht', erwiderte sie. ,Ruhm sei Allah!' rief er aus, ,Ihm, der die weite Erde sich vor dir zusammenfalten hieß, und der dich auf deinen Füßen, wie auf eine Palmrippe gestützt, gehen ließ! Doch du gehörst zu den Heiligen, die durch die Lüfte eilen geschwind, wenn sie durch die Offenbarung des Zeichens begeistert sind.' Dann stieg er auf sein Roß, ganz verwirrt durch das, was er von der Lügnerin und Betrügerin gehört hatte, und er sprach: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah! Wahrlich, unsere Mühe ist verloren, und das Herz ist uns schwer, denn unser Sultan ist mit seinen Gefährten gefangen.' Darauf ritten sie querfeldein, in die Länge und Breite, Tag und Nacht; und als der Morgen dämmerte, da kamen sie an den Eingang der Schlucht und hörten, wie Dau el-Makân und Scharkân riefen: ,Es gibt keinen Gott außer Allah! Gott ist der Größte! Segen und Heil dem Freudenverkünder und dem Warner der Sünder!' Da griff Bahrâm mit den Seinen die Ungläubigen an, und sie kamen gegen sie dahergerannt wie ein Gießbach durch den Wüstensand; und sie erhoben wider sie ein Geschrei, das selbst die Helden zum Aufschreien brachte und die Felsen zerspringen machte. Und als der Morgen sich erhob und die Welt mit seinen feurigen Strahlen durchwob, wehte ihnen von Dau el-Makân her süßer Duft entgegen, und sie erkannten einander, wie schon berichtet. Sie küßten den Boden vor dem König



1000-und-1_Vol-01-736 Flip arpa

und vor Scharkân, der ihnen erzählte, was ihnen in der Höhle widerfahren war. Jene erstaunten darob; und dann sprachen alle zueinander: ,Laßt uns gen Konstantinopel eilen, denn wir haben dort unsere Gefährten zurückgelassen, und unser Herz ist bei ihnen.' So brachen sie denn eilig auf und befahlen sich in die Hand des Gütigen und Allwissenden; und Dau el-Makân feuerte die Muslime zur Ausdauer an, indem er diese Verse zu sprechen begann:

Dir sei Lob, o du, dem Preis und Dank gebühret immerdar,
Du, o Herr, des Hilfe niemals meiner Sach versaget war.
Ich wuchs auf in fremdem Lande; doch du warst zu jeder Zeit
Mir ein Retter, und du zeigtest dich, Allmächt'ger, hilfsbereit.
Ja, auch Reichtum und Besitz und Wohlstand gabest du mir dann;
Und das Schwert des Mutes und des Sieges legtest du mir an.
Mit dem königlichen Schatten hast du ,nich fortan geehrt,
Und du hast mir deine Gute reich im Übermaß gewährt.
Und aus jeder Not, die mich erschreckte, hast du mich befreit
Durch den Rat des Großwesires, jenes Helden seiner Zeit.
Du gewahrtest uns, daß wir uns auf die Griechen stürzten wild:
Doch sie kehrten fechtend wieder, in ihr rot Gewand gehüllt.
Darauf tat ich so, als ob ich in die Flucht geschlagen sei,
Und dann eilte ich aufs neue wie ein grimmer Leu herbei.
Alle ließ ich liegen in des Tales Grund dahingerafft,
Trunken von des Todes Becher, aber nicht vom Traubensaft.
Die gesamte Zahl der Schiffe fiel darauf in unsre Hand,
Unsre Herrschaft ward errichtet auf dem Wasser und zu Land.
Und es kam zu uns der fromme, gottesfürchtige Asket,
Dessen Wunderruf durch alle Wüsten und Gefilde geht,
Ja, wir zogen aus zur Rache an den Heiden allzumal:
Meiner Taten Ruhm ist jetzt verkündet bei den Menschen all.
Helden von uns sind gefallen; doch ihr Lager ist bereit
In den Lauben an den Bächen droben in der Ewigkeit.

Als Dau el-Makân sein Lied beendet hatte, wünschte sein Bruder Scharkân ihm Glück zu seiner Rettung und dankte ihm



1000-und-1_Vol-01-737 Flip arpa

für die Taten, die er verrichtet hatte; und dann brachen sie in Eilmärschen auf. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 101. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scharkân seinem Bruder Dau el-Makân Glück wünschte zu seiner Rettung und daß er ihm dankte für die Taten, die er verrichtet hatte; und dann brachen sie in Eilmärschen zu ihrem Heere auf.

Sehen wir nun weiter, was die alte Dhât ed-Dawâhi tat! Nachdem sie mit dem Heere des Bahrâm und des Rustem zusammengetroffen war, kehrte sie in das Gebüsch zurück und holte sich ihr Roß; und sie saß auf und ritt eilends dahin, bis sie dem muslimischen Heere nahe war, das Konstantinopel belagerte; da stieg sie ab und führte ihr Roß zum Zelte des Oberkammerherrn. Als der sie sah, erhob er sich ihr zu Ehren, winkte ihr, indem er sein Haupt neigte, und sprach: ,Willkommen, o frommer Asket!' Dann befragte er sie nach allem, was geschehen war, und sie wiederholte ihm ihre beängstigenden Lügereien und ihre verderblichen Betrügereien und sagte: ,Wahrlich, ich fürchte für den Emir Bahrâm und für den Emir Rustem; ich traf sie mit ihrem Heere unterwegs und schickte sie weiter zum König und seinen Gefährten. Nun haben sie nur zwanzigtausend Reiter, während die Ungläubigen ihnen an Zahl überlegen sind; darum möchte ich wünschen, du schicktest ihnen sofort einen Heerhaufen so schnell wie möglich nach, damit sie nicht bis auf den letzten Mann umkommen.' Und sie rief ihnen zu: ,Eilet! Eilt!' Als aber der Kammerherr und die Muslime diese Worte von ihr vernahmen, da sank ihnen der Mut, und sie weinten; doch Dhât ed-Dawâhi sprach: ,Bittet Allah um Hilfe und ertraget dies Unglück in



1000-und-1_Vol-01-738 Flip arpa

Geduld! Denn ihr habt das Beispiel derer, die vor euch lebten in der Gemeinde Mohammeds; und für die, so als Märtyrer sterben, hat Allah das Paradies mit seinen Palästen bereitet; sterben muß ein jeder hienieden, doch dem Tode im Glaubenskampfe ist höchster Ruhm beschieden!' Wie der Kammerherr die Worte der verfluchten Alten hörte, da rief er nach dem Bruder des Emirs Bahrâm, einem Ritter namens Tarkâsch; und er wählte zehntausend Reiter, trutzige Recken, für ilm aus, und befahl ihm, aufzubrechen. So zog er denn aus und ritt den ganzen Tag dahin und auch die ganze folgende Nacht, bis er den Muslimen nahe war. Als nun der Morgen dämmerte, sah Scharkân jene Staubwolke da über ihnen und war um die Gläubigen besorgt. Und er sprach: ,Entweder sind diese Krieger eine islamische Schar, und dann ist unser Sieg offenbar; oder sie gehören zum Heere der Heiden, und dann müssen wir das Geschick ohne Widerspruch erleiden.' Darauf wandte er sich zu seinem Bruder Dau el-Makân und sprach zu ihm: ,Fürchte nichts; denn ich will dich mit meinem Leben loskaufen vom Tode! Ist das dort ein islamisches Heer, so wäre unseres Glückes noch mehr; wenn sie aber unsere Feinde sind, so müssen wir wider sie kämpfen. Und doch möchte ich vor meinem Tode den Heiligen noch einmal sehen und ihn bitten, daß er zu Gott flehe, ich möge nur als Märtyrer sterben.' Während die beiden noch so sprachen, siehe, da erschienen die Banner, auf denen geschrieben stand: ,Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Gesandte Allahs!' Da rief Scharkân: ,Wie steht es mit den Muslimen?' ,Alle sind wohlbehalten und gesund,' erwiderten sie, ,wir kommen nur aus Sorge um euch.' Der Führer der Schar stieg ab, küßte den Boden vor Scharkân und fragte: ,O Herr, wie geht es dem Sultan und dem Wesir Dandân und Rustem und meinem Bruder Bahrâm; sind sie



1000-und-1_Vol-01-739 Flip arpa

alle in Sicherheit?' Scharkân antwortete: ,Sie sind alle wohl'; und fragte dann: ,Wer hat dir Nachricht von uns gebracht?' Jener darauf: ,Der Heilige sagte uns, daß er meinem Bruder Bahrâm und Rustem begegnet sei und daß er die beiden zu euch geschickt habe, und er versicherte uns auch, daß die Ungläubigen euch umzingelt hätten und euch in großer Zahl bedrängten; ich aber sehe nur das Gegenteil davon und daß ihr gesiegt habt.' Nun fragten sie: ,Und wie hat der Heilige euch erreicht?' Da ward ihnen zur Antwort: ,Er war zu Fuß, und er hatte in einem Tag und in einer Nacht einen Weg gemacht, für den ein eiliger Reiter zehn Tage braucht.' ,Er ist doch wirklich ein Heiliger Allahs,' rief Scharkân; ,aber wo ist er jetzt?' Jene erwiderten: ,Wir ließen ihn bei unseren Truppen, dem Volk des Glaubens, wie er sie zum Kampfe gegen die Rebellen und Ungläubigen anfeuerte.' Darüber freute Scharkân sich, und alle dankten Allah für die eigene Befreiung und für die Rettung des Asketen; und sie befahlen ihre Toten der Gnade Allahs und sprachen: ,So stand es im Buche geschrieben.' Dann brachen sie in Eilmärschen auf; doch unterwegs wirbelte plötzlich eine Staubwolke empor und legte der Welt einen Schleier vor, so daß auch der Tag sein Licht verlor. Scharkân aber blickte hin und sprach: ,Wahrlich, ich fürchte, dies sind Ungläubige, die das Heer des Islams geschlagen haben; dieser Staub da hat Osten und Westen verhüllt, und die Welt gen Aufgang und Untergang erfüllt.' Doch da trat unter jener Staubwolke eine dunkle Säule heraus, schwärzer als des finstersten Tages Graus. Und näher und näher kam jene hohe Gestalt, furchtbarer als des Jüngsten Tages grausige Gewalt. Reiter und Mannen eilten herbei, um zu sehen, was die Ursache dieses Schreckens sei. Da erblickten sie den Asketen, den wir ja kennen, und sie begannen zum Handkuß zu rennen, während



1000-und-1_Vol-01-740 Flip arpa

er rief: ,O Volk, das sich um den Besten der Menschen eint, um ihn, der als Licht durch das Dunkel scheint, wisset, die Heiden legten den Muslimen eine Falle, und sie kamen über die Schar der Bekenner des einigen Gottes alle! Rettet sie aus den Händen der Heiden, der Elenden! Sie fielen über sie her in den Zelten und brachten über sie bitteres Leid, während jene sich dort wähnten in Sicherheit.' Als Scharkân diese Worte vernahm, da zitterte und bebte ihm das Herz in der Brust, und er sprang von seinem Rosse vor Schrecken wie unbewußt; dann küßte er dem Heiligen Hände und Füße. Und ebenso taten sein Bruder Dau el-Makân und alle anderen Kämpfer zu Fuß und zu Rosse, nur nicht der Wesir Dandân. Der stieg nicht vom Pferde herunter, sondern sagte: ,Bei Allah, mein Herz schreckt zurück vor diesem Asketen; denn immer nur seh ich Unheil entstehen von solchen, die übermäßig beten. Drum laßt ihn und eilet zu euren Glaubensgenossen geschwind; denn dieser gehört zu denen, die vom Gnadentore des Weltenherrn ausgeschlossen sind! Wie viele Streifzüge hab ich hier schon mit König 'Omar ibn en-Nu'mân unternommen, und wie oft bin ich zu den Gefilden dieses Landes gekommen!' Aber Scharkân sprach: ,Laß ab von diesem bösen Verdacht! Sahst du nicht diesen Gottesmann in der Schlachte Da feuerte er die Gläubigen an und gab auf Schwerter und Pfeile keine Acht! Verleumde ihn nicht, denn die Verleumdung ist tadelnswert; und der Frommen Fleisch ist giftig für den, der es begehrt! Sieh doch, wie er uns anfeuerte zum Kampf wider unsere Feinde! Wenn Allah der Erhabene ihn nicht liebte, so hätte er nicht vor ihm zusammengefaltet die weite Erde, nachdem er ihn früher gebracht in Mühe und Beschwerde.' Dann ließ Scharkân eine nubische Mauleselin bringen, die der Asket reiten sollte, und sprach zu ihm: ,Sitze auf, o Asket, fromm und standhaft im



1000-und-1_Vol-01-741 Flip arpa

Gebet!' Doch jener weigerte sich zu reiten und spielte Entsagungsreichen, um sein Ziel zu erreichen; sie aber wußten' nicht, daß dieser Betrüger im Asketengewand ein solcher war, für den der Dichter die Worte fand:

Er übte Beten und Fasten, hatte er ein Ziel in, Sinn;
Doch als er das Ziel erreichte, war Beten und Fasten dahin.

Unaufhörlich zwischen den Reitern und dem Fußvolk schritt der Asket, wie ein Fuchs, dessen Sinn auf Verderben steht; er erhob seine Stimme und sprach den Koran, und er sang den Erbarmer mit Lobpreis an, bis sie sich dem Heere des Islams näherten; da fand Scharkân sie in Verworrenheit und den Kammerherrn zu Rückzug und Flucht bereit, während das Schwert der Griechen unter den Gläubigen, den Reinen und Gemeinen, seine blutige Arbeit tat. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 102. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: ,Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als Scharkân das Heer der Muslime traf in Verworrenheit und den Kammerherrn zu Rückzug und Flucht bereit, während das Schwert unter den Gläubigen, den Reinen und Gemeinen, eine blutige Arbeit tat, da sei der Grund für ihre Niederlage folgender gewesen. Als die verfluchte Dhât ed-Dawâhi, die Feindin des Glaubens, gesehen hatte, daß Bahrâm und Rustem mit ihrem Heere zu Scharkân und seinem Bruder Dau el-Makân zogen, da war sie zum Hauptheere der Muslime gegangen und hatte die Entsendung des Emirs Tarkâsch veranlaßt, wie oben schon erzählt ist; ihre Absicht dabei war, das Heer der Muslime zu teilen, auf daß es schwächer würde. Dann aber hatte sie sie verlassen und war gen Konstantinopel gezogen und hatte die Ritter der Griechen mit lauter Stimme aufgerufen und gesagt: ,Laßt mir einen Strick herab,



1000-und-1_Vol-01-742 Flip arpa

damit ich dieses Schreiben daran binde! Tragt es dann zu eurem König Afridûn, damit er und mein Sohn, der König von Kleinasien, es lesen und tun, was darin befohlen und verboten wird.' So ließen sie einen Strick zu ihr herab, und sie band daran ein Schreiben dieses Inhalts: ,Von der größten Unheilbringerin und gewaltigsten Schreckenerregerin, von Dhât ed-Dawâhi, an den König Afridûn. Wisse nun, ich habe euch eine List ersonnen, um die Muslime zu vernichten; also mögt ihr ruhig sein. Ich habe ihren Sultan und ihren Wesir mit deren Begleitern gefangen genommen, dann habe ich mich zu ihrem Lager begeben und habe ihnen das kundgetan; da brach ihre Kraft, und ihr Mut ward erschlafft. Ferner habe ich die Belagerer vor Konstantinopel beschwatzt, so daß sie unter dem Emir Türkisch zehntausend Reiter entsandten, um den Gefangenen zu Hilfe zukommen; es sind also nur noch wenige von ihnen hier. Nun wünsche ich, daß ihr im Laufe des heutigen Tages mit allen euren Kräften einen Ausfall wider sie macht und sie in ihren Zelten überfüllt. Zieht aber nur alle auf einmal hinaus, und tötet sie bis auf den letzten Mann! Denn der Messias schaut euch gnädig an, und die heilige Jungfrau ist euch zugetan; und ich hoffe zum Messias, daß er es mir nicht vergessen wird, was ich getan habe.' Als aber ihr Schreiben den König Afridûn erreichte, war er hocherfreut; und er schickte sofort zum König von Kleinasien, dem Sohn der Dhât ed-Dawâhi, und wie der kam, las er ihm das Schreiben vor, so daß Hardûb sich freute und sprach: ,Sieh meiner Mutter List! Fürwahr, sie macht die Schwerter entbehrlich, und sie anzuschauen wirkt wie des Jüngsten Tages Grauen.' Da sprach Afridûn: ,Möge der Messias uns nie des Anblickes deiner Mutter berauben!' Dann befahl er den Rittern, verkünden zu lassen, daß ein Ausfall aus der Stadt gemacht werden solle, und die Kunde verbreitete



1000-und-1_Vol-01-743 Flip arpa

sich in Konstantinopel. Da zogen hinaus die christlichen Heerhaufen all, die Schar der Kreuzesritter zumal; sie zückten der Schwerter scharfe Klingen und ließen den Ruf des Unglaubens und der Ketzerei erklingen, verleugnend den Herren der Menschen. Als der Kammerherr das sah, rief er: ,Seht, die Griechen sind über uns! Sicherlich haben sie erfahren, daß unser Sultan fern ist; so sind sie nun gegen uns ausgezogen, während der größere Teil unserer Truppen dem König Dau el-Makân zu Hilfe geeilt ist!' Und voller Wut schrie er: ,Ihr muslimischen Reiter, des wahren Glaubens Streiter, wenn ihr flieht, so ist es um euch geschehen; doch der Sieg ist euer, bleibet ihr stehen! Wisset, die Tapferkeit besteht in Ausdauer für kurze Zeit, und selbst die engste Bedrängnis wird durch Allahs Gnade weit. Allah segne euch und blicke nieder auf euch mit dem Auge des Erbarmens!' Doch ,Allâhu Akbar!' riefen die Muslimen alle; so stürmten die Bekenner der Einheit Gottes vor mit lautem Schalle, und die Mühle des Kampfes ward herumgetrieben mit Stichen und Hieben; Schwerter und Lanzen schafften voll Wut, Täler und Felder füllten sich mit Blut. Die Priester und Mönche ministrierten, indem sie die Kreuze hochhoben und die Gürtel schnürten; da riefen die Muslime den vergeltenden König an und sangen Verse aus dem Koran. Und seht, wie des Erbarmenden Schar und Satans Schar zusammenprallen, wie die Köpfe von den Leibern fallen! Da schwebten die Engel, die guten Wesen, über dem Volk des Propheten, der von allen auserlesen. Und das Schwert ruhte nicht von seiner Arbeit, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing. Die Ungläubigen aber hatten die Muslime umzingelt in dichten Reihn und glaubten nun aller bedrückenden Not entronnen zu sein. Und die Dreigötterverehrer schauten gierig auf das Volk des Glaubens drein, bis die Morgenröte



1000-und-1_Vol-01-744 Flip arpa

aufging mit hellem Schein; da saß der Kammerherr mit seinen Mannen auf, hoffend, Allah werde ihm den Sieg verleihn. Nun vermischte Heerschar mit Heerschar sich wieder, der Kampf stand fest auf den Füßen, und die Köpfe flogen hernieder; die Tapferen hielten stand und rückten vor, dieweil der Feigen Schar sich auf der Flucht verlor. Der Todesrichter entschied und richtete: da sanken von ihren Sätteln die Recken, und der Anger begann sich mit Toten zu bedecken. Doch ach, die Muslime mußten weichen, und die Heiden konnten ihre Zelte und Stellungen erreichen. Schon wandten die Muslime den Rücken und wollten sich zur Flucht anschicken -: in dem Augenblicke trat Scharkân mit den muslimischen Heeren und den Bannern der Einheitsbekenner auf den Plan. Und als er bei ihnen war, da griff er die Ungläubigen an; und ihm folgte Dau el-Makân; und danach kamen der Wesir Dandân und die Emire von Dailam, Bahrâm und Rustem, und sein Bruder Tarkâsch. Als aber die Feinde das sahen, da waren sie wie von Sinnen, und ihr Verstand floh von binnen, und die Staubwolken stiegen empor, bis sich die Welt im Dunkel verlor; da konnten die guten Gläubigen sich vereinen mit ihren Gefährten, den reinen. Nun traf auch Scharkân mit dem Kammerherrn zusammen und dankte ihm für seine standhafte Wacht; und dieser beglückwünschte den König, daß er Hilfe und Sieg gebracht. Da wurden die Muslime froh, und sie faßten wieder Mut und stürmten auf die Feinde ein und weihten sich Allah im Kampf für den Glauben. Doch als das Auge der Heiden die Banner der Mohammedaner fand, auf denen das Bekenntnis des reinen Glaubens geschrieben stand, da riefen sie: ,Weh, um uns ist's geschehen!' und begannen die Klosterpatriarchen um Hilfe zu flehen. Dann erhoben sie ihr Feldgeschrei: ,Johannes, Maria, o Kreuz!' —das verdammet sei -, und ihre Hände



1000-und-1_Vol-01-745 Flip arpa

ließen vom Kampfe ab. König Afridûn aber eilte zum König von Kleinasien; denn sie standen ein jeder an der Spitze je eines Flügels, rechts und links. Nun war bei ihnen auch ein berühmter Ritter, Lâwija mit Namen, der das Zentrum befehligte, und so zogen sie in Schlachtordnung aus, doch sie waren voll Schrecken und Graus. Derweilen aber stellten die Muslime ihre Reihen wieder her, und Scharkân ritt zu seinem Bruder Dau el-Makân und sagte: ,O größter König unsrer Zeit, sicher wollen sie im Einzelkampf fechten, und das ist auch mein höchster Wunsch; aber ich will die beherztesten unserer Kämpfer in die erste Reihe stellen; denn Klugheit ist das halbe Leben.' Da antwortete der Sultan: ,Sage mir nun, mein guter Berater, was willst du tun?' ,Ich möchte', fuhr Scharkân fort, ,den Ungläubigen in der Mitte gegenüberstehen und den Wesir Dandân zur Linken und dich zur Rechten haben, während der Emir Bahrâm den rechten und der Emir Rustem den linken Flügel führt. Du aber, o mächtiger König, sollst unter den Feldzeichen und Bannern bleiben; denn du bist es, auf den wir bauen und nächst Allah allein vertrauen. Dich wollen wir vor allen Gefahren mit unserem eigenen Leben bewahren.' Dau el-Makân dankte ihm dafür; doch schon hörte man den Schlachtruf erklingen, und aus den Scheiden flogen die Klingen. Da plötzlich kam aus dem Heere der Griechen ein Reiter hervor. Als er näher kam, sahen sie, daß er auf einer langsam gehenden Mauleselin ritt, die mit ihrem Reiter heraus aus dem Sturme der Schwerter schritt. Eine Decke aus weißer Seide lag auf ihr, und darauf ein Teppich aus Kaschmir; auf ihrem Rücken saß ein schöner, grauhaariger alter Mann, dem sah man seine Würde an; er trug aus weißer Wolle ein langes Gewand, und er trieb zur Eile unverwandt, bis er dicht vor dem Heere der Muslime stand. Da rief er: ,Ich hinzu euch allen gesandt; und



1000-und-1_Vol-01-746 Flip arpa

ein Gesandter hat nur zu überbringen, also gewährt mir freies Geleit, daß ich euch die Botschaft kundtue in Sicherheit!' Scharkân erwiderte ihm: ,Freies Geleit ist dir gewährt; fürchte dich nicht vor Lanzenstoß oder Hieb mit dem Schwert!' Da saß der Alte ab, nahm das Kreuz vom Halse, legte es vor den Sultan hin, und bezeugte vor ihm, auf Wohlwollen hoffend, demütigen Sinn. Die Muslime fragten: ,Welche Kunde bringst du?' Und er antwortete: ,Ich bin ein Gesandter vom König Afridûn; ich riet ihm, davon abzustehen, daß all diese Menschengebilde und Tempel des Erbarmers zugrunde gehen. Und ich machte ihm klar, daß es das beste sei, man halte mit dem Blutvergießen ein, und lasse es auf den Kampf zweier Ritter eingeschränkt sein. Da stimmte er mir bei und läßt euch sagen: ,Ich will mein Heer loskaufen mit meinem Leben; also möge der König der Muslime tun wie ich und sein Heer loskaufen mit seinem Leben. Wenn er mich tötet, so wird meinem Heer keine Stütze mehr bleiben, und wenn ich ihn töte, so wird dem Heer der Muslime keine Stütze mehr bleiben!' Als Scharkân das hörte, sprach er: ,O Mönch, ich willige darin ein; denn es ist gerecht, und es kann kein Widerspruch dagegen sein. Siehe da, ich bin bereit, ihm entgegenzutreten zum Streit; denn ich bin der Mohammedaner Ritter, wie er der Ungläubigen Ritter. Tötet er mich, so krönt der Sieg ihn, und dem Heere der Muslime bleibt nichts übrig, als davonzuziehn. Also kehre zu ihm zurück, o Mönch, und sage ihm, daß der Einzelkampf morgen stattfinden soll, denn heute sind wir von unserem Ritt gekommen und sind noch ermattet; doch nach der Ruhe sei weder Tadel noch Vorwurf gestattet!' Erfreut kehrte der Mönch zum König Afridûn und zum König von Kleinasien zurück und richtete ihnen beiden seinen Auftrag aus. Da war König Afridûn hocherfreut, und von ihm wichen Kummer



1000-und-1_Vol-01-747 Flip arpa

und Leid; und er sprach bei sich selber: ,Ohne Zweifel ist dieser Scharkân ihr bester Mann im Werfen der Lanze und im Schwertertanze; doch wenn ich ihn töte, erlahmt ihre Kraft, und ihr Mut erschlafft.' Nun hatte Dhât ed-Dawâhi dem König Afridûn geschrieben und ihm gesagt, Scharkân sei der mutigste Reiter und tapferste Streiter, und sie hatte ihn vor ihm gewarnt. Doch auch Afridûn war ein gewaltiger Held; er kannte die Kampfesweisen all, Steinwurf und Pfeilschuß zumal, er schwang die Eisenkeule mit Geschick und schreckte nicht vor der größten Gefahr zurück. Als er nun den Bericht des Mönches hörte, daß Scharkân in den Zweikampf gewilligt hatte, da war ihm, als müsse er fliegen vor Freuden; denn er hatte viel Selbstvertrauen und wußte, daß ihm keiner widerstehen konnte. So verbrachten die Ungläubigen die Nacht in Freude und Fröhlichkeit und vertrieben sich mit Weintrinken die Zeit. Doch als es Morgen ward, zogen die Ritter aus mit den Lanzen, den dunkeln, und den Klingen, die funkeln.

Und siehe, da ritt ein Reiter allein auf den Plan, und er saß auf einem Roß von reinstem Blut, für den Kampf und für das Getümmel gut, und es hatte starke Glieder; der Ritter trug ein ehernes Panzermieder, das gerüstet war gegen die größte Gefahr; auf der Brust hatte er einen Spiegel, der aus Edelsteinen bestand, die schneidende Klinge hielt er in der Hand, dazu aus Chalandsch-Holz einen Speer, ein seltenes Stück Arbeit von den Franken her. Nun enthüllte der Ritter sein Antlitz und rief: ,Wer mich kennt, der hat genug von mir, fürwahr! Und wer mich nicht kennt, nun, dem wird bald es klar! Ich bin Afridûn, ich bin durch den Segen der scharfen Augen von Dhât ed-Dawâhi geschützt allerwegen!' Aber ehe er noch seine Worte beendet hatte, trat ihm Scharkân, der Ritter der Muslime, entgegen; er saß auf einem edlen braunen Pferd, das war tausend



1000-und-1_Vol-01-748 Flip arpa

rote Goldstücke wert; er trug eine Rüstung besetzt mit Perlen und Edelsteinen zumal, und ein juwelenbesetztes Schwert aus indischem Stahl, das die Nacken durchschlug, und das Schwere wurde vor ihm leicht genug. Er trieb seinen Renner zwischen den beiden Heeresreihen dahin, und die Reiter hoben den Blick auf ihn; dann rief er dem König Afridûn zu: ,Wehe dir, Verfluchter du! Glaubst du, ich sei wie irgendein Reiter, den du zufällig gesehen, und könne dir auf dem Kampfplatze nicht widerstehen?' Und nun glichen die beiden zwei Bergen, die aufeinanderfallen, oder zwei Meeren, die zusammenprallen. Bald waren sie nah, bald entfernten sie sich; bald hingen sie zusammen, bald trennten sie sich; und so kämpften sie unverwandt, bald angreifend, bald zurückgewandt, spielend und in ernstem Ringen, mit Lanzenstichen und Hieben der Klingen. Die beiden Heere aber schauten zu, und einige sagten: ,Scharkân wird siegen!' und andere: ,Afridûn wird siegen!' Ohne Unterlaß kämpfte das Ritterpaar, bis das Gerede hüben und drüben verstummet war, bis der Staub aufstieg und der Tag sich neigte und die Sonne im Sinken erbleichte. Da aber rief König Afridûn dem Scharkân die Worte zu: ,Beim Glauben an den heiligen Christ und bei der Religion, die die wahre ist, zwar bist du ein kühner Reiter und ein kampfgewohnter Streiter; doch du bist ein falscher Held, deine Art ist nicht der Art der Edlen gesellt. Ich sehe, dein Tun ist nicht preisenswert, dein Kampf ist nicht wie der eines Fürsten bewährt, sieh, wie dein Volk dich gleich einem Sklaven ehrt! Da bringen sie dir ja ein anderes Roß, damit du es besteigest und in den Kampf zurückkehrst. Doch bei meinem Glauben, der Kampf mit dir ermüdet mich, und dein Hauen und Stechen ermattet mich; wenn du denn heute abend noch einmal mit mir kämpfen willst, so ändere nichts an deiner Rüstung oder deinem Rosse, auf daß du



1000-und-1_Vol-01-749 Flip arpa

den Rittern deinen hohen Mut und deine Kampfeskraft beweisest.' Als Scharkân diese Worte hörte, ergrimmte er über seine Leute, die ihn zu den Sklaven rechneten, und er wandte sich nach ihnen um, und wollte ihnen ein Zeichen geben, daß sie ihm weder eine neue Rüstung noch ein neues Roß bringen sollten; doch siehe, da schwang Afridûn seinen Wurfspieß und schleuderte ihn wider Scharkân. Der aber hatte sich umgewandt und hatte niemanden der Seinen in der Nähe erblickt, und so wußte er, daß dies nur eine List des verfluchten Heiden war; eilend wandte er sich zurück, und siehe, der Wurfspieß flog schon daher, doch er wich ihm aus, so daß sein Kopf das Sattelhorn berührte. Doch da Scharkân eine hohe Brust hatte, so streifte der Speer seine Haut und riß sie auf, und mit einem einzigen Schrei sank er in Ohnmacht. Darüber freute sich der verfluchte Afridûn, denn er glaubte, er habe ihn getötet; und so rief er den Ungläubigen zu, sie sollten sich freuen. Da geriet das Volk der Rebellen vor Erregung außer sich; doch das Volk des Glaubens weinte bitterlich. Als Dau el-Makân seinen Bruder im Sattel schwanken sah, so daß er beinahe fiel, da entsandte er Reiter, und die Helden sprengten ihm zu Hilfe. Nun stürmten die Ungläubigen auf die Muslime ein; die beiden Heere trafen sich, und die beiden Schlachtreihen mischten sich; das scharfe jemenische Schwert aber tat gute Arbeit. Der erste nun, der Scharkân erreichte, war der Wesir Dandân - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 103 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Dau el-Makân seinen Bruder Scharkân für tot hielt, als er sah, wie der verfluchte Heide ihn mit dem Wurfspieß traf; so entsandte er Reiter zu ihm, und der erste, der ihn erreichte, war der Wesir Dandân, und mit



1000-und-1_Vol-01-750 Flip arpa

ihm Bahrâm, der Emir der Türken, und Rustem, der Emir der Dailamiten. Als sie bei ihm waren, sank er gerade zur Seite, und so hielten sie ihn im Sattel und kehrten mit ihm zu seinem Bruder Dau el-Makân zurück; dann übergaben sie ihn den Dienern, um ihn zu pflegen, und kehrten zurück zum Kampfe mit Speer und Degen. Da entbrannte der Kampf mit neuer Gewalt, die Speere flogen, und alles Gerede verstummte bald. Da sah man das Feld von Blut getränkt und die Nacken gesenkt; in einem fort sauste das Schwert auf die Nacken nieder, und der Streit entbrannte immer wieder, bis der größte Teil der Nacht vergangen war; nun riefen, matt von des Kampfes Graus, beide Heere einen Waffenstillstand aus. Und beide Heere kehrten zu ihren Zelten zurück. Alle Ungläubigen aber begaben sich zu ihrem König Afridûn und küßten den Boden vor ihm. Die Priester und Mönche beglückwünschten ihn zum Sieg, der ihm über Scharkân verliehn. Da zog der König Afridûn nach Konstantinopel und setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft, und König Hardûb trat zu ihm und sagte: ,Möge der Messias deinem Arme Kraft verleihn und immerdar dein Helfer sein und die Gebete erhören, die meine fromme Mutter, Dhât ed-Dawâhi, für dich betet! Wisse, ohne Scharkân vermögen die Muslime nicht standzuhalten.' Da rief Afridûn: ,Morgen ist der letzte Strauß! Dann ziehe ich zur Schlacht hinaus und fordere Dau el-Makân zum Zweikampf heraus. Wenn ich ihn dann töte, so fluten ihre Heere zurück und suchen in der Flucht ihr Glück.'

Also sah es bei den Ungläubigen aus; aber auf der anderen Seite, im Heere der Gläubigen, da konnte Dau el-Makân, als er ins Lager zurückgekehrt war, an nichts anderes denken als an seinen Bruder. Und als er zu ihm eintrat, fand er ihn in arger Not und vom Schlimmsten bedroht. Da berief er den Wesir



1000-und-1_Vol-01-751 Flip arpa

Dandân und Rustem und Bahrâm zur Beratung. Als sie gekommen waren, ging ihr Rat dahin, die Ärzte zu berufen, damit sie Scharkân behandelten; dann weinten sie und sprachen: ,Seinesgleichen hat die Welt nie hervorgebracht!' Und die ganze Nacht hindurch wachten sie bei ihm, bis in den späteren Stunden der Heilige weinend zu ihnen kam. Als Dau el-Makân um erblickte, stand er vor ihm auf; und der Fromme strich mit der Hand über Scharkâns Wunde, dabei sang er aus dem Koran und sprach Verse des Erbarmers als Talisman. Ununterbrochen wachte er bei Scharkân bis zum Morgen; da kam der Verwundete zu sich, öffnete die Augen, bewegte die Zunge im Munde und sprach. Darüber freute Dau el-Makân sich und sagte: ,Der Segen des Heiligen hat gewirkt!' Und Scharkân sprach: ,Preis sei Allah für die Genesung; ja, jetzt ist mir ganz wohl! Jener Verruchte hat mich überlistet; und hätte ich mich nicht schneller als der Blitz zur Seite geworfen, so hätte der Speer meine Brust durchbohrt. Darum Preis sei Allah, der mich gerettet hat! Und wie steht es mit den Muslimen?' Dau el-Makân erwiderte: ,Sie weinen um dich!' Da sprach Scharkân: ,Ich bin wohlauf und gesund; doch wo ist der Asket?' Der aber saß neben ihm und sagte: ,Zu deinen Häupten.' Da wandte der Fürst sich ihm zu und küßte ihm die Hand; doch jener sprach: ,Mein Sohn, übe rechte Geduld, dann lohnt Allah dich mit reichlicher Huld! Denn der Lohn wird nach dem Werke bemessen.' Nun bat Scharkân: ,Bete für mich'; und er betete für ihn. Doch als der Morgen sich erhob und die Welt mit rotem Schein durchwob, da zogen die Muslime ins Feld zur Schlacht, und auch die Ungläubigen hatten sich zu Stich und Hieb bereitgemacht. Zuerst rückte das islamische Heer vor und erbot sich zu Kampf und Streit, und es hielt die Waffen bereit. Und König Dau el-Makân und Afridûn wollten sich



1000-und-1_Vol-01-752 Flip arpa

im Zweikampfe messen. Siehe, da ritt Dau el-Makân hinaus auf den Plan; und mit ihm ritten der Wesir Dandân und der Kammerherr und Bahrâm, und sie sprachen zu ihm: ,Wir wollen unser Leben für dich hingeben!' Aber er antwortete ihnen: ,Beim heiligen Hause, beim Zemzem-Brunnen' und Abrahams Klause', ich lasse nicht vom Streite gegen jene ungläubige Meute!' Und als er sich auf der Walstatt befand, spielten Schwert und Speer in seiner Hand, so daß er die Ritter erschrecken machte und beide Heere zum Staunen brachte; rechts griff er an und tötete zwei ihrer Ritter, dann links, und tötete auch dort zwei Ritter. Dann hielt er mitten im Felde und rief: ,Wo ist Afridûnt Dem will ich schmachvolle Strafe zu kosten tun!' Und als nun der Verfluchte auf ihn loszustürzen suchte, da sah ilm der König Hardûb und beschwor ihn, nicht auszuziehn, indem er sprach: ,O König, gestern hast du gekämpft; doch heute bin ich zum Kampfe bereit, und ich mache mir nichts aus seiner Tapferkeit!' Dann stürmte er los, das Schwert in der Hand, auf einem Hengste, der glich dem Abdschar, dem Rosse des 'Antar'; der war ein Rappe unverzagt, so wie von ihm der Dichter sagt:

Schneller als ein Blick eilt er auf edelem Renner;
Der läuft, als ob er die Zeit im Laufe einholen wollt'.
Sein dunkles Fell erglänzet von rabenschwarzer Farbe:
Das ist gleichwie die Nacht, wenn die Nacht am finstersten grollt.
Sein lautes Wiehern erfreut einen jeden, der es höret,
Das ist gleichwie der Donner, der in den Lüften rollt.
Lief er mit dem Wind um die Wette, er käme vor ihm ans Ende;
Ihn holt der Blitz nicht ein, durchzuckend die Wolkenwände.



1000-und-1_Vol-01-753 Flip arpa

Nun stürmten beide aufeinander ein, wichen vor den Hieben zur Seit, und zeigten des Leibes wunderbare Geschicklichkeit; sie sprengten vor und wichen zurück, und die Zuschauer, die mit beklommener Brust harrten, konnten den Ausgang kaum noch erwarten. Doch da stieß Dau el-Makân den Schlachtruf aus, stürzte sich auf Hardûb, den König des armenischen Kleinasien, und traf ihn mit einem Streich, der ihm den Kopf abhieb, so daß kein Leben mehr in ihm blieb. Als die Heiden das sahen, griffen sie ihn geschlossen an und stürzten sich auf ihn, Mann für Mann; doch er trat ihnen auf der Walstatt entgegen, und wieder begann Hieb und Stoß sich zu regen, bis das Blut in Strömen rann auf allen Wegen. Die Muslime schrien: ,Gott ist der Größte! Es gibt keinen Gott außer Allah! Segen über den Freudenverkünder und Warner der Sünder!' Und sie kämpften einen heißen Kampf, bis Allah den Gläubigen den Sieg herabbrachte, die Ungläubigen aber zuschanden machte. Und da rief der Wesir Dandân: ,Nehmt Rache für König 'Omar ibn en-Nu'mân, Rache auch für seinen Sohn Scharkân!' Er entblößte sein Haupt und feuerte die Türken an. Nun waren ihm zur Seite mehr als zwanzigtausend Reiter; die stürmten alle wie ein Mann mit ihm vor. Und da konnten die Ungläubigen ihr Heil nur in der Flucht erblicken, darum wandten sie den Rücken; doch jene fuhren fort, das schneidende Schwert gegen sie zu zücken. Die Muslime erschlugen an die fünfzigtausend Reiter, und mehr noch nahmen sie gefangen; und viele wurden noch erschlagen, als sie in die Tore eilten, denn das Gedränge war groß. Dann verriegelten die Griechen das Tor und stiegen aus Furcht vor dem Sturm auf die Mauern empor. Und schließlich kehrten die Scharen der Muslime siegreich und ruhmreich in ihre Zelte zurück. Dau el-Makân aber ging zu seinem Bruder; den fand er in höchster Freude wieder,



1000-und-1_Vol-01-754 Flip arpa

und voll Dank warf er sich vor dem Gütigen, Erhabenen nieder. Dann trat er zu ihm und wünschte ihm Glück zur Genesung. Da sprach Scharkân: ,Wahrlich, wir stehen alle unter dem Segen dieses büßenden Asketen; er allein hat euch den Sieg verschafft mit seinen gottgefälligen Gebeten; denn er hat den ganzen Tag im Gebete für die Muslime zugebracht.'——« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 104. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als Dau el-Makân bei seinem Bruder Scharkân eintrat, da habe er ihn an der Seite des Heiligen sitzend angetroffen; erfreut trat er zu ihm und wünschte ihm Glück zu seiner Genesung. Da sprach Scharkân: ,Wahrlich, wir stehen alle unter dem Segen dieses Asketen, und ihr habt nur um seiner Gebete willen gesiegt, denn er ließ heute nicht ab vom Gebet für die Muslime. Und als ich euer ,Allâhu Akbar!' vernahm, da fühlte ich wieder Kraft in mir; denn da wußte ich, daß ihr über eure Feinde gesiegt hattet. Doch jetzt erzähle mir, mein Bruder, was dir widerfahren ist.' Da erzählte er ihm alles, was zwischen ihm und dem verfluchten Hardûb vorgegangen war, und er berichtete, wie er ihn erschlagen hatte, und wie jener zum Fluche Allahs eingegangen sei; Scharkân aber pries ihn und lobte seinen Heldenmut. Wie nun Dhât ed-Dawâhi, die ja im Gewande des Asketen war, von dem Tode ihres Sohnes, des Königs Hardûb, hörte, da wurde ihr Antlitz bleich, und aus ihren Augen flossen die Tränen überreich; doch sie verbarg ihren Schmerz und tat vor den Muslimen hocherfreut, als ob sie Tränen der Freude weine. Doch dann sprach sie bei sich selber: ,Beim Messias, mein Leben ist nichtig, wenn ich ihm nicht durch seinen Bruder Scharkân das Herz verbrenne, wie er mir das Herz verbrannt hat durch König



1000-und-1_Vol-01-755 Flip arpa

Hardûb, ihn, der die Stütze der Kreuzesritterschar und der ganzen christlichen Gemeinde war!' Doch sie bewahrte ihr Geheimnis. Nun blieben der Wesir Dandân und König Dau el-Makân und der Kammerherr bei Scharkân sitzen, bis man ihm die Wunde gesalbt und verbunden hatte; dann reichten sie ihm Arznei und die volle Gesundheit kehrte in ihn zurück. Hocherfreut darüber, verkündeten sie es den Truppen, die sich gegenseitig die frohe Botschaft mitteilten und sprachen: ,Morgen wird er mit uns reiten und die Belagerung selbst in die Hand nehmen.' Darauf sprach Scharkân zu denen, die bei ihm waren: ,Ihr habt den ganzen Tag hindurch gestritten und seid kampfesmüde; drum ist es besser, ihr geht in eure Zelte und schlaft, und wachet nicht.' Sie fügten sich seinem Rat und begaben sich ein jeder in sein Staatszelt; und niemand blieb bei Scharkân außer einigen Dienern und der alten Dhât ed-Dawâhi. Einen Teil der Nacht plauderte er mit ihr; doch dann streckte er sich aus, um zu ruhen, und seine Diener taten desgleichen; nun kam über alle der Schlaf, so daß sie dalagen wie die Toten.

Nun laßt uns weiter sehen, was die alte Dhât ed-Dawâhi tat! Sie allein blieb wach, als die anderen im Zelte schliefen, und sie blickte auf Scharkân und sah, wie er in Schlummer versunken war. Da sprang sie auf, als sei sie ein grindiges Bärenweib oder eine Viper mit fleckigem Leib; und sie nahm aus ihrem Gürtel einen Dolch, der so vergiftet war, daß er einen Fels geschmolzen hätte, wenn er darauf gelegt wäre. Dann zog sie ihn aus der Scheide und schlich sich zu Scharkâns Kopf; und sie zog ihn über seinen Hals, durchschnitt ihm die Kehle und trennte den Kopf vom Rumpfe. Und noch einmal sprang sie auf und ging herum bei den schlafenden Dienern und schnitt auch ihnen die Köpfe ab, damit sie nicht erwachten. Dann verließ



1000-und-1_Vol-01-756 Flip arpa

sie das Zelt und schlich zu den Zelten des Königs; doch da sie sah, daß die Wachen nicht schliefen, schlich sie zu dem des Wesirs Dandân. Nun aber las er im Koran, und als sein Auge auf sie fiel, da sprach er: ,Willkommen, o frommer Asket!' Als sie das hörte, zitterte ihr das Herz, und sie sprach zu ihm: ,Ich komme hierher um diese Stunde, weil ich die Stimme eines der Heiligen Allahs vernahm, und ich bin auf dem Wege zu ihm.' So machte sie kehrt, doch der Wesir Dandân sprach bei sich selber: ,Bei Allah, heute nacht will ich diesem Asketen folgen!' So stand er auf und ging ihr nach; doch als die verfluchte Alte seine Schritte hörte, wußte sie, daß er ihr folgte; da fürchtete sie, entdeckt zu werden, und sprach bei sich:, Wenn ich ihn nicht überliste, so werde ich entdeckt.' Deshalb wandte sie sich nach ihm um und rief ihm von ferne zu: ,O Wesir! Ich gehe auf die Suche nach diesem Heiligen, um zu sehen, wo er ist; wenn ich ihn gefunden habe, will ich ihn bitten, daß du ihn besuchen darfst, und will zu dir zurückkehren und es dir sagen. Denn ich fürchte, wenn du ohne die Erlaubnis des Heiligen mit mir kommst, wird er mir zürnen, sobald er dich bei mir sieht.' Als der Wesir das hörte, schämte er sich zu sehr, um ihr zu antworten; und er verließ sie und kehrte in sein Zelt zurück und wollte schlafen; aber der Schlaf war ihm nicht hold, und ihm war, als sei die Welt auf ihn getürmt. So stand er auf und verließ sein Zelt und sprach bei sich selber: ,Ich will zu Scharkân gehen und bis zum Morgen mit ihm plaudern.' Doch als er zu Scharkâns Zelt kam und dort eintrat, fand er, wie das Blut in Strömen rann, und er sah die Diener mit durchschnittenen Kehlen daliegen. Da stieß er einen Schrei aus, der alle Schläfer weckte; das Volk strömte herbei, und als es das strömende Blut sah, hub es laut an zu weinen und klagen. Nun erwachte der Sultan Dau el-Makân und fragte, was es gäbe, und



1000-und-1_Vol-01-757 Flip arpa

man sagte ihm: ,Scharkân, dein Bruder, und seine Diener sind ermordet!' Da sprang er eilig auf und lief in das Zelt, und dort fand er den Wesir Dandân in lauten Klagen, und er sah seines Bruders kopflose Leiche. Ohnmächtig sank er hin, und all die Krieger schrien und weinten und standen um ihn so lange, bis er wieder zu sich kam. Dann sah er Scharkân an und weinte bitterlich, und der Wesir und Rustem und Bahrâm taten desgleichen. Doch der Kammerherr schrie so sehr und klagte immer mehr, bis daß er begehrte fortzuziehn; so verwirrte der Jammer ihn.

Nun sprach Dau el-Makân: ,Wißt ihr nicht, wer diese Tat an meinem Bruder begangen hat? Und warum sehe ich den Heiligen nicht, ihn, den nichts Irdisches mehr anfleht?' Da rief der Wesir: ,Wer anders brachte alldies Leid, als jener Satan im Heiligenldeid? Bei Allah, mein Herz verabscheute ihn vom ersten bis zum letzten Augenblicke; denn ich weiß, jeder Frömmler ist gemein und voll Tücke!' Und er erzählte dem König sein Erlebnis, wie er dem Mönch hatte folgen wollen und wie er es ihm unmöglich gemacht. Dann weinten und klagten sie laut, Mann für Mann, und flehten den allzeit Nahen, den Erhörer, demütig an, daß er jenen Asketen, der Allahs Wunder nicht anerkennen wollte, in ihre Hände fallen lassen sollte. Dann bahrten sie Scharkân auf und begruben ihn im Gebirge dort und trauerten ob seiner weitberühmten Tugenden immerfort. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 105. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß sie Scharkân auf bahrten und ihn begruben im Gebirge dort und ob seiner weitberühmten Tugenden trauerten immerfort. Dann aber erwarteten sie, daß das



1000-und-1_Vol-01-758 Flip arpa

Tor der Stadt geöffnet werden sollte; doch es wurde nicht geöffnet, und niemand zeigte sich auf den Mauern, worüber sie sich sehr wunderten. König Dau el-Makân aber sagte: ,Bei Allah, ich will mich nicht von ihnen wenden, und müßte ich viele Jahre hier sitzen, bis ich Blutrache nehme für meinen Bruder Scharkân; dann will ich Konstantinopel verwüsten und dann töte ich den König der Christen, wenn auch der Tod sich zu mir gesellt und mir Ruhe schafft vor dieser elenden Welt!' Darauf befahl er, ihm den Schatz zu bringen, den sie dem Kloster des Matruhina entnommen hatten, versammelte die Truppen und verteilte das Geld unter sie, und ließ nicht einen an der Stätte, den er nicht beschenkt und zufriedengestellt hätte. Und ferner ließ er aus jeder Abteilung dreihundert Reiter vor sich kommen und sprach zu ihnen: ,Schickt euren Familien Geld! Denn ich will jahrelang vor dieser Stadt bleiben, bis ich Blutrache nehme für meinen Bruder Scharkân, und sterbe ich auch hier auf dem Plan.' Als die Krieger seine Worte vernommen und das Geld empfangen hatten, antworteten sie: ,Wir hören und gehorchen!' Nun berief er Boten und übergab ihnen Schreiben und befahl ihnen, sie abzugeben und zugleich das Geld den Angehörigen der Krieger zu überbringen und ihnen mitzuteilen, daß alle wohlbehalten und guter Dinge seien; und sie sollten zu ihnen sagen: ,Wir lagern vor Konstantinopel, und wir werden es entweder zerstören oder sterben; und wenn wir auch viele Monate und Jahre dort bleiben müßten, wir wollen nicht aufbrechen, bis wir es genommen haben.' Dann befahl er dem Wesir Dandân, an seine Schwester Nuzhatez-Zamân zu schreiben, und sprach zu ihm: ,Teile ihr mit, was uns widerfahren ist und in welcher Lage wir sind, und befiehl ihr mein Kind! Denn meine Gemahlin war, als ich zum Kriege auszog, der Entbindung nahe und muß jetzt schon längst geboren haben; und



1000-und-1_Vol-01-759 Flip arpa

wenn sie einen Knaben geboren hat, wie ich es habe sagen hören, so soll der Bote rasch zurückkehren und mir die frohe Nachricht bringen.' Dann gab er ihnen einiges Geld; sie nahmen es und machten sich zur selbigen Stunde reisefertig. Alle Leute aber drängten sich herbei, um Abschied von ihnen zu nehmen und ihnen ihr Geld anzuvertrauen. Nach ihrem Aufbruch nun wandte Dau el-Makân sich an den Wesir Dandân und gab Befehl, das Heer nahe an die Mauern heranrücken zu lassen. So rückten die Truppen vor, doch sie fanden zu ihrem Staunen niemanden auf den Wällen; Dau el-Makân aber war bekümmert darüber, und in Trauer um den Verlust seines Bruders Scharkân und empört gegen den verräterischen heiligen Mann. Und drei Tage lang blieben sie dort, ohne irgend jemanden zu sehen.

So weit die Muslime; was nun aber die Griechen anlangt, so war der Grund, weswegen sie während dieser drei Tage dem Kampfe fernblieben, der folgende. Sowie Dhât ed-Dawâhi Scharkân ermordet hatte, lief sie eilends fort und kam zu den Mauern von Konstantinopel, wo sie den Wachen in griechischer Sprache zurief, sie sollten ihr ein Seil herabwerfen. Sie fragten: ,Wer bist du?' Und sie erwiderte: ,Ich bin Dhât ed-Dawâhi.' Da erkannten sie sie und ließen das Seil zu ihr hinunter; sie band sich daran fest, und jene zogen sie herauf. Als sie dann oben angekommen war, ging sie zum König Afridûn und sprach zu ihm: ,Was höre ich da von den Muslimen? Sie sagen, mein Sohn Hardûb sei tot?' Wie er das bejahte, schrie sie auf und weinte so lange, bis Afridûn und alle, die zugegen waren, mit ihr weinten. Dann erzählte sie dem König, wie sie Scharkân und dreißig seiner Diener umgebracht habe; darüber freute er sich, und er dankte ihr, küßte ihr die Hände und betete für sie um Trost über den Verlust ihres Sohnes. Da rief



1000-und-1_Vol-01-760 Flip arpa

sie: ,Beim Messias, ich will mich nicht damit begnügen, daß ich jenen einen Hund von Muslim getötet habe als Blutrache für meinen Sohn, einen König unter den Königen unserer Zeit! Jetzt muß ich eine List ersinnen und einen Trug ausführen, der den Tod bringt dem Sultan Dau el-Makân und dem Wesir Dandân und dem Kammerherrn und Rustem und Bahrâm und zehntausend Rittern aus dem Heere vom Islam! Nimmermehr soll meines Sohnes Haupt durch Scharkâns Kopf bezahlt sein! Nie und nimmer!' Dann sprach sie zu König Afridûn: ,Wisse, o König unserer Zeit, es ist mein Wunsch, für meinen Sohn die Trauerfeier anzusagen, den Gürtel zu zerschneiden und die Kreuze zu zerschlagen.' Afridûn erwiderte: ,Tu, wie du willst; ich werde dir in nichts widersprechen. Und trauertest du auch eine lange Weil, das wäre nur ein geringes Teil! Siehe, wenn auch die Muslime uns viele Jahre belagern wollen, so werden sie doch nie ihr Ziel erreichen noch anderes von uns gewinnen als Mühsal und Trübsal.' Da nahm die Verruchte, die nun zu Ende war mit dem Unheil, das sie vollbracht, und den Schmählichkeiten, die sie sich ausgedacht, Tintenkapsel und Papier und schrieb: ,Von Dhât ed-Dawâhi, der scharfäugigen Alten, an die Muslime, die sich hier aufhalten. Wisset, daß ich in euer Land eingedrungen bin und durch meine Verschlagenheit eure Fürsten getäuscht habe; zuerst tötete ich inmitten seines Palastes den König 'Omar ibn en-Nu'mân. Dann brachte ich durch die Schlacht am Bergespaß bei der Höhle viele eurer Krieger ums Leben, und die letzten, die ich tötete, waren Scharkân und seine Diener. Wenn aber das Schicksal mir Hilfe leiht und der Satan mir seinen Gehorsam weiht, so töte ich sicher auch euren Sultan und den Wesir Dandân. Ja, ich bin die, die euch nahte im Gewande des Frommen; und von mir sind die Ränke und Listen über euch gekommen.



1000-und-1_Vol-01-761 Flip arpa

Wollt ihr nunmehr in Sicherheit leben, so weichet vor mir; doch wollt ihr euer eigenes Verderben, so bleibet hier! Aber wenn ihr auch viele Jahre bleiben solltet, ihr erreicht von uns nie, was ihr wolltet. Und damit schließe ich nun!' Nachdem sie diesen Brief geschrieben hatte, trauerte sie drei Tage lang um König Hardûb; am vierten Tage aber rief sie einen Ritter und befahl ihm, das Schreiben zu nehmen und an einen Pfeil zu befestigen und in das Lager der Muslime zu schießen. Dann ging sie in die Kirche und überließ sich dem Weinen und Klagen um den Verlust ihres Sohnes; und sie sprach zu dem, der nach ihm König geworden war: ,Unbedingt muß ich noch Dau el-Makân und alle Fürsten der Muslime ums Leben bringen.'

So viel von Dhât ed-Dawâhi! Die Muslime ihrerseits brachten diese drei Tage hin mit sorgenvollem und betrübtem Sinn; doch als sie am vierten auf die Mauern blickten, siehe, da stand dort ein Ritter mit einem Pfeil in der Hand, an dem sich ein Schreiben befand. Sie warteten, bis er es zu ihnen geschossen hatte; und da befahl der Sultan dem Wesir Dandân, es zu lesen. Als jener es verlesen und der König den Inhalt angehört und verstanden hatte, strömten seine Augen von Tränen über, und er schrie auf vor Schmerz ob ihrer Tücke; und der Wesir sprach: ,Bei Allah, mein Herz schrak immer schon vor ihr zurück!' Nun rief der Sultan: ,Wie konnte dies gemeine Weib uns zweimal überlisten? Doch bei Allah, ich will nicht eher fortziehen, als bis ich ihr geschmolzenes Blei in die Scheide gegossen und sie wie einen Vogel im Käfig eingeschlossen! Dann will ich sie bei ihrem Schopfe fassen und am Tor von Konstantinopel kreuzigen lassen !'Dann aber gedachte er seines Bruders und weinte bitterlich. Doch als Dhât ed-Dawâhi unter die Ungläubigen trat und ihnen alles erzählte, was geschehen war, da freuten sie sich, daß Scharkân getötet, Dhât ed-Dawâhi aber



1000-und-1_Vol-01-762 Flip arpa

in Sicherheit war. Darauf kehrten die Muslime zum Tore von Konstantinopel zurück, und der Sultan versprach ihnen, wenn die Stadt genommen werde, so wolle er all ihre Schätze zu gleichen Teilen unter sie teilen. Doch während alledem trockneten seine Tränen nicht, aus Kummer um seinen Bruder, bis Magerkeit seinen Leib beschlich und er nur noch einem Zahnstocher glich. Da trat der Wesir Dandân zu ihm ein und sprach: ,Hab Zuversicht und quäl dich nicht! Siehe, dein Bruder mußte sterben, weil seine Stunde gekommen war; und dies Trauern fruchtet nichts. Wie gut sagt der Dichter:

Was nicht geschehen soll, geschieht auch nie durch List;
Doch was geschehen soll, das wird geschehen.
Ja, was geschehen soll, geschieht zu seiner Zeit;
Allein ein Tor kann es doch nie verstehen.

Drum laß das Weinen und Klagen, und stärke dein Herz, um die Waffen zu tragen!' Er aber antwortete: ,O Wesir, mein Herz ist bekümmert um den Verlust meines Vaters und meines Bruders und um unser Fernsein von unserer Heimat; mein Geist ist besorgt um meine Untertanen.' Da weinten der Wesir und die zugegen waren; aber viele Tage hindurch blieben sie dabei, Konstantinopel zu belagern. Doch siehe, eines Tages kam durch einen der beauftragten Emire Nachricht aus Baghdad zu ihnen, daß die Gemahlin des Königs Dau el-Makân mit einem Knaben gesegnet sei, und daß seine Schwester Nuzhat ez-Zamân ihn Kân-mâ-kân 1 genannt habe. Und ferner, daß der Knabe verspräche, ein berühmter Mann zu werden, da man schon jetzt erstaunliche und wunderbare Dinge an ihm gesehen habe; sie habe den Ulemas und den Predigern befohlen, für König und Heer von den Kanzeln zu beten, der Gottesdienst sei wohlbestellt,



1000-und-1_Vol-01-763 Flip arpa

alle daheim seien wohl und munter; das Land erfreue sich reichlichen Regens; und sein Gefährte, der Heizer, lebe in Herrlichkeit und Freuden, umgeben von Dienern und Sklaven, doch er wisse noch nicht, was aus Dau el-Makân geworden sei; und sie sende ihren Gruß. Da rief Dau el-Makân: ,Jetzt ist mein Rücken stark geworden; denn mir ist ein Sohn geschenkt, des Name Kân-mâ-kân ist.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 106. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Dau el-Makân, als die Nachricht von der Geburt eines Sohnes ihn erreichte, hocherfreut war und rief: ,Jetzt ist mein Rücken stark geworden; denn mir ist ein Sohn geschenkt, des Name Kân-mâ-kân ist.' Dann sprach er zu dem Wesir Dandân: ,Ich will jetzt mein Trauern lassen, und man soll für meinen Bruder den Koran lesen und zu seinem Andenken fromme Stiftungen machen.' Der Wesir erwiderte: ,Dein Vorhaben ist trefflich.' So ließ er Zelte errichten über dem Grabe seines Bruders, und man versammelte aus dem Heere alle, die den Koran rezitieren konnten; nun begannen einige das Heilige Buch herzusagen, während andere den Namen Allahs in Litaneien anriefen; und also taten sie bis zum Morgen. Dann ging der Sultan Dau el-Makân zum Grabe seines Bruders Scharkân, vergoß Tränen und sprach die Verse:

Sie trugen ihn fort -doch alle, die weinend ihm folgten, erschraken
Wie Moses, als der Sinai bebend stieg himmelwärts -,
Bis sie eine Gruft erreichten; da schien es, als wäre gegraben
Fur ihn das rechte Grab in der Einheitsbekenner Herz.
Ich hatte nie geglaubt, vor deinem Begräbnis, ich wurde
Mein Liebstes auf Händen von Männern dahingetragen sehn.
Nein, niemals hab ich gedacht, vor deiner Bestattung zur Erde,
Die leuchtenden Sterne könnten im Staube untergehn.



1000-und-1_Vol-01-764 Flip arpa

Ist der Bewohner des Grabes ein Pfand fur eine Stätte,
Darinnen heller Glanz und Licht sein Antlitz verklärt?
Der Ruhm hat sein Wort gegeben, er wolle ins Leben ihn rufen;
Es ist, als sei der Begrabene ins Leben zurückgekehrt.

Und als er geendet hatte, weinte er, und mit ihm weinten all die Krieger; dann trat er zum Grabe und warf sich in wildem Schmerz darüber, und der Wesir sprach die Worte des Dichters:

Du ließest das, was vergeht, und erreichtest, was ewig bestehet;
Wie dir ging es vielen Menschen, deren Schicksal dem deinen glich.
Du schiedest von deiner Behausung ohne jedweden Tadel,
Und statt der irdischen Welt erfreust du der künftigen dich.
Du warst es, der gegen die Feinde immerdar Schutz gewährte,
Sobald die Pfeile des Krieges schwirrten in eiligem Flug.
Ich sehe, die irdische Welt ist trügerisch und eitel:
Hoch war das Streben der Menschen, wenn es zu Gott sie trug.
Dich lasse der Herr des Thrones das Paradies gewinnen;
Dir gebe dort wahre Heimat Er, der unser Führer ist.
Ich gehe jetzt dahin um dich in bitterem Schmerze;
Ich sehe Osten und Westen in Trauer, seit du nicht mehr bist.

Als der Wesir geendet hatte, weinte er bitterlich, und eine Tränenflut rann von seinen Augen, die einer Perlenschnur glich. Dann trat einer vor, der gehörte zu Scharkâns vertrauten Genossen, und er weinte, bis seine Zähren wie Bäche flossen. Und er pries, wie Scharkân durch seine Tugenden alle überragte, indem er in diesen Versen klagte:

Wo ist Geben, seit die Hand deiner Gute im Staube ruht?
Mein Leib ist nach deinem Tode verbrannt von Schmerzeusglut.
O Schützer der edlen Frauen -Gott freue dich -, siehst du nicht,
Wie meine Tränen Furchen schrieben in mein Gesicht?
Achtest du darauf? Kann dir der Anblick Freude gewähren?
Bei Gott, ich habe niemals verraten, was du mir vertraut;
Ja, niemals hat mein Inn'res auf deine Größe geschaut,



1000-und-1_Vol-01-765 Flip arpa

Ohn daß mein Auge verwundet ward von der Tränenflut.
Und wenn mein Blick jemals auf einem anderen ruht,
So lasse der Schmerz meine Augen den Schlummer ewig entbehren!

Als der Mann geendet hatte, weinten Dau el-Makân und der Wesir Dandân, und das ganze Heer klagte laut. Dann kehrten sie in das Lager zurück, und der König wandte sich zu dem Wesir, um mit ihm über die Führung des Krieges zu beraten. Tage und Nächte verharrten die beiden in dieser Weise, und Dau el-Makân blieb niedergedrückt von Kummer und Trauer, bis er schließlich sagte: ,Ich sehne mich danach, Geschichten von Menschen, Abenteuer von Königen und Erzählungen von Sklaven der Liebe zu hören; vielleicht wird Allah dann den schweren Kummer aus meinem Herzen verjagen, so daß von mir weichen Weinen und Klagen.' Da sprach der Wesir: ,Wenn nichts deinen Kummer zu vertreiben vermag als das Hören merkwürdiger Geschichten und Abenteuer von Königen und der Erzählungen von Sklaven der Liebe aus alter Zeit und dergleichen, so ist das eine leichte Sache; denn zu Lebzeiten deines seligen Vaters hatte ich nichts anderes zu tun, als ihm Geschichten zu erzählen und Verse vorzutragen. Noch heute nacht will ich dir die Geschichte vom Liebenden und der Geliebten erzählen, auf daß die Brust sich dir wieder weite.' Da nun Dau el-Makân diese Worte des Wesirs vernahm, sehnte sich sein Herz sehr nach dem, was jener ihm versprochen hatte, und er tat nichts als nur auf den Einbruch der Nacht zu warten, damit er höre, was der Wesir Dandân ihm erzählen würde von Mären aus alter Zeit, von Königen und Menschen, die sich der Liebe geweiht. Kaum aber war die Nacht angebrochen, so ließ er auch schon Wachskerzen und Lampen anzünden und alles bringen, wessen sie bedurften an Speise und Trank und Wohlgerüchen. Nachdem das alles gebracht war, sandte er nachdem



1000-und-1_Vol-01-766 Flip arpa

Wesir Dandân, und der kam zu ihm; ferner sandte er nach den Emiren Rustem und Bahrâm und Tarkâsch und dem Oberkammerherrn. Und wie nun alle vor ihm standen, wandte er sich zu dem Minister und sprach zu ihm: ,Schau, o Wesir, wie die Nacht herangleitet und ihre Schleier auf uns senkt und breitet! So wünschen wir denn, daß du uns jene Geschichten erzählest, die du uns versprochen hast.' Der Wesir antwortete: ,Herzlich gern!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt