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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Die Geschichte von den drei Bären

Es waren einmal drei Bären, die zusammen in ihrem Haus im Walde lebten. Einer war ein kleiner schwacher winziger Bär, einer ein mittelgroßer Bär und einer ein großer, ganz ungeheuer großer Bär. Jeder von ihnen hatte einen Topf für seine Suppe - einen winzigen Topf für den kleinen Bären, einen mittelgroßen für den mittelgroßen Bären und einen großen für den ungeheuer großen Bären. Und jeder von ihnen hatte einen Stuhl, um darauf zu sitzen -einen winzigen Stuhl für den kleinen, schwachen, winzigen Bären, einen mittelgroßen für den größeren Bären und einen großen für den großen, ungeheuer großen Bären. Und jeder hatte sein eigenes Bett zum Schlafen -ein winziges Bett für den kleinen, schwachen, winzigen Bären, ein mittelgroßes für den größeren Bären und ein riesengroßes Bett für den großen, den ungeheuer großen Bären.

Eines Tages nun, als sie sich ihre Frühstückssuppe gekocht und in ihre Suppentöpfe gefüllt hatten, gingen sie erst noch einmal in den Wald, damit die Suppe inzwischen abkühlte und sie sich nicht ihren Mund verbrannten, wenn sie zu früh zu essen begännen. Aber während sie so spazierengingen, kam eine alte Frau in ihr Haus. Es kann keine brave ehrliche alte Frau gewesen sein, denn sie guckte erst durchs Fenster herein, dann schaute sie durchs Schlüsselloch, und als



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sie sah, daß niemand im Haus war, drückte sie die Türklinke herunter. Die Tür war nicht verschlossen, denn die Bären waren gute Bären, die niemandem etwas zuleide taten und deshalb auch nicht glaubten, daß jemand ihnen etwas zuleide tun werde. Also öffnete das alte Weib die Tür, trat ein und freute sich über die Maßen, als sie die Suppe auf dem Tisch sah. Wäre sie eine brave alte Frau gewesen, so würde sie gewartet haben, bis die Bären nach Hause kamen, und dann hätten die sie vielleicht zum Frühstück eingeladen. Waren sie doch gutmütige Bären - wenn auch vielleicht von etwas rauher Art, wie eben Bären sind, doch vor allem waren sie gutmütig und freigebig. Sie aber war ein freches böses altes Weib. Sie setzte sich einfach hin und langte zu.

Erst versuchte sie die Suppe des großen, des ungeheuer großen Bären, aber die war ihr noch zu heiß, und sie schimpfte deswegen. Dann versuchte sie die Suppe des mittleren Bären, aber die war ihr schon zu kalt, und darum beschimpfte sie die auch. Und dann nahm sie sich die Suppe des kleinen, schwachen, winzigen Bären vor und versuchte die, und die war weder zu heiß noch zu kalt, sondern gerade richtig, und sie schmeckte ihr so gut, daß sie sie ganz aufaß. Doch die nichtsnutzige alte Frau schimpfte nun über den kleinen Suppentopf, weil nicht mehr darin war.

Danach setzte sich das kleine alte Weib in den Stuhl des großen, des ungeheuer großen Bären, und der war ihr zu hart. Nun setzte sie sich in den Stuhl des mittleren Bären, und der war ihr zu weich. Schließlich setzte sie sich in den Stuhl des kleinen, schwachen, winzigen Bären, und der war weder zu hart noch zu weich, sondern gerade richtig. So machte sie es sich darin bequem und saß da so lange, bis der Sitz des Stuhles durchbrach und sie mit ihm, plumps, auf dem Boden landete. Und das böse alte Weib stieß auch jetzt einen häßlichen Fluch aus.

Nun ging die alte Frau die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, in dem die drei Bären schliefen. Zuerst legte sie sich auf das Bett des großen, des ungeheuer großen Bären, doch das Kopfende war für sie zu hoch. Jetzt legte sie sich auf das Bett des mittleren Bären, aber das war ihr am Fußende zu hoch. Sie stand auf und legte sich nun auf



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das Bett des kleinen, schwachen, winzigen Bären, und das war weder am Kopf-noch am Fußende zu hoch, sondern gerade richtig. Sie kuschelte sich tief hinein, und kaum lag sie so, da war sie auch schon eingeschlafen.

Zur gleichen Zeit meinten die drei Bären, daß jetzt ihre Suppe kalt genug sein werde; darum gingen sie nach Hause, um zu frühstücken. Nun hatte aber die kleine alte Frau den Löffel in der Suppe des großen, des ungeheuer großen Bären liegenlassen.

»Jemand hat von meiner Suppe gegessen!«brummte der große, der ungeheuer große Bär mit seiner gewaltigen, rauhen, barschen Stimme. Und als der mittlere Bär die seine sah, stellte er fest, daß auch in ihr der Löffel lag. Es waren hölzerne Löffel; wären es silberne gewesen, dann hätte sicher die böse Alte sie in ihrer Tasche verschwinden lassen.

»Jemand hat von meiner Suppe gegessen!« rief der mittlere Bär mit seiner mittelstarken Stimme.

Nun sah der kleine, schwache, winzige Bär die seine, und da lag zwar der Löffel im Suppentopf, aber die Suppe war nicht mehr darin.

»Jemand hat von meiner Suppe gegessen und hat sie ganz aufgegessen!« meldete der kleine, schwache, winzige Bär mit seiner kleinen, schwachen, winzigen Stimme.

Nun erkannten die drei Bären, daß jemand in ihr Haus gekommen war und auch das Frühstück des kleinen, schwachen, winzigen Bären aufgegessen hatte, und sie schauten aufmerksam ringsum. Nun hatte aber die kleine Alte das Sitzkissen nicht wieder geradegestrichen, als sie aus dem Stuhl des großen, des ungeheuer großen Bären aufgestanden war.

»Jemand hat in meinem Stuhl gesessen!« rief der große, der ungeheuer große Bär mit seiner gewaltigen, rauhen, barschen Stimme. Und die kleine Alte hatte das weiche Sitzkissen des mittelgroßen Bären niedergedrückt.

»Jemand hat in meinem Stuhl gesessen!« rief der mittlere Bär mit seiner mittelstarken Stimme.

Und ihr wißt ja, was die kleine Alte bei dem dritten Stuhl angestellt hatte.



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»Jemand hat auf meinem Stuhl gesessen und hat den Sitz herausgebrochen!« rief der kleine, schwache, winzige Bär mit seiner kleinen, schwachen, winzigen Stimme.

Jetzt hielten es die drei Bären für erforderlich, weitere Untersuchungen anzustellen. Sie gingen die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Nun hatte aber die kleine Alte die Bettdecke des großen, des ungeheuer großen Bären heruntergeworfen.

»Jemand hat in meinem Bett gelegen«, sagte der große, ungeheuer große Bär mit seiner gewaltigen, rauhen und barschen Stimme. Und die kleine Alte hatte das Polster des mittleren Bären heruntergeworfen.

»Jemand hat in meinem Bett gelegen!«sagte der mittlere Bär mit seiner mittelstarken Stimme.

Und als der kleine, schwache, winzige Bär in seinem Bett nachsehen wollte, lag das Polster auf seinem Platz und das Kissen auf dem Platz unter dem Polster, und auf dem Kissen sah man das wirre, schmutzige Haar des kleinen alten Weibes - und das war nun gar nicht an seinem rechten Platz, denn sie hatte hier nichts zu suchen.

»Jemand hat sich in mein Bett gelegt - und das ist es!« rief der kleine, schwache, winzige Bär mit seiner kleinen, schwachen, winzigen Stimme.

Das kleine alte Weib hatte zwar in ihrem Schlaf die gewaltige, rauhe, barsche Stimme des großen, des ungeheuer großen Bären gehört, doch sie schlief so fest, daß es ihr nur wie das Brausen des Windes oder wie das Rollen des Donners klang. Und sie hatte die mittelstarke Stimme des mittleren Bären gehört, doch es war für sie nur so, als habe sie jemand im Traum sprechen hören. Doch als sie die kleine, schwache, winzige Stimme des kleinen, schwachen, winzigen Bären hörte, da klang die so scharf und schrill, daß sie davon gleich erwachte. Sie fuhr hoch, und als sie die drei Bären an der einen Seite des Bettes stehen sah, sprang sie auf der anderen heraus und rannte zum Fenster. Das Fenster war offen, weil die Bären - sie waren ja gute, ordentliche Bären -jeden Tag das Fenster ihres Schlafzimmers aufmachten, bevor sie in den Morgen hinausgingen.

Und heidi, raus sprang die Alte, und ob sie sich beim Fall den Hals



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gebrochen hat oder ob sie in den Wald gelaufen ist und sich dort verirrt hat oder ob sie wieder herausgefunden hat und dem Polizisten in die Arme gelaufen ist und in die Strafanstalt geschickt wurde, weil sie ja eine Herumtreiberin war, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß die drei Bären nie mehr etwas von ihr wiedersahen.


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