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Deutsche Kinder- und Hausmärchen


Illustrationen von Sigrid Witzig

Märchen europäischer Völker


Widewau

Es war einmal ein Müller, von dem sagten die Leute, er wäre so grob wie Bohnenstroh. Niemand mochte mit ihm gern etwas zu tun haben; ja, wäre nur in der Nähe eine andere Mühle gewesen, dann wären die Mahlgäste wohl einer nach dem andern fortgeblieben. Aber es war weit und breit nur diese eine. So kam der Müller immer mehr in die Wolle und wurde zuletzt ein reicher Mann. Dabei war er aber so knickerig, daß er sich nicht einmal einen Dienstboten hielt, sondern er tat auch noch die Arbeit eines Mühlknappen, und seine Frau und seine einzige Tochter machten außer der Hauswirtschaft die Mägdearbeiten. Eines Tages kam einmal ein altes armes Mütterchen, das um Almosen bat. Die kam aber schön an! Der Müller wetterte auf sie los: »Fort von meiner Tür, du alte Hexe, sonst lasse ich den Hund los! Ihr elendes Bettlergesindel kommt ja nur, um zu sehen, wo es was zu stehlen gibt.« Die Alte wollte noch weiter bitten, er jagte sie aber ohne Mitleid von seinem Hofe.

Unterwegs begegnete ihr ein junger Müllersbursch, der war von armen Eltern und ging in die Fremde, um sein Handwerk noch besser zu lernen und sich in der Welt umzusehen. Bisher war's ihm recht schlecht gegangen. Nirgends hatte er Arbeit gefunden, und seine wenigen Spargroschen waren nun auch schon verzehrt. »Guten Abend«, sagte die Alte. Er grüßte freundlich wieder und fragte: »Weißt du nicht, Mutterchen, ob hier eine Mühle in der Nähe ist?« Sie zeigte ihm den Weg zu der Mühle, von der sie eben kam, und sagte: »Du gefällst mir, und ich kenne deine Not; ich will dir helfen, doch mußt du mir auch einen Dienst leisten. Gib genau acht und tu, was ich dir sage, es wird dein Glück sein. —Wenn du an den Mühlbach kommst, wirst du auf den ersten Blick am Ufer ein schwarzes Steinchen sehen, das heb auf und nimm es mit. Dann geh ins Haus, und wenn sie dich auch nicht aufnehmen wollen, du bleibst doch da und sagst, wenn sie auch schimpfen, nur immer: >Schönsten Dank!< Iß und trink auch dann, wenn du nicht dazu gebeten wirst und leg



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dich ins Bett, ohne daß man dich dazu auffordert. Wenn aber in der Nacht alles schläft, dann schleich dich zum Herd und leg dein Steinchen in die Asche. Morgen früh wird dann etwas geschehen, das wird alle im Haushalt närrisch machen; das soll die Strafe für den Müller sein. Nur du allein kannst helfen, du nimmst einfach das Steinchen aus der Asche. Aber sei klug, du kannst dein Glück dort machen.«

Dem Müllergesellen kam das alles doch recht bedenklich vor. Aber die Alte sagte, es würde alles gut werden, und da versprach er's. — Er kam an den Mühlbach, fand das Steinchen und steckte es ein. Dann ging er in die Mühle und bat die Müllerin um Nachtquartier. »Nein, hier ist keine Herberge.« —»Schönsten Dank«, sagte er, legte sein Ränzel ab und setzte sich auf die Ofenbank. Der muß närrisch sein, dachte die Frau. »Ihr habt mich wohl nicht recht verstanden«, sagte sie laut, »hier dürft Ihr nicht bleiben!« — »Schönsten Dank, schönsten Dank!« erwiderte er freundlich, und was sie auch vorbrachte, wie oft sie ihm die Türe wies, stets antwortete er »Schönsten Dank!«und blieb ruhig sitzen. —Nun ging die Frau für ihren Mann das Essen kochen und brachte es nach einer Weile auf den Tisch. »Schönsten Dank!«rief der Geselle und fing gleich an zu essen. »Das ist ja für meinen Mann!« schrie die Frau wütend. Er aber kehrte sich nicht daran, löffelte weiter, sagte dazwischen schönsten Dank und hieb ein, daß der Frau angst und bange wurde. Da kam ihr Mann nach Hause. »Gott sei Dank, daß du da bist«, rief sie ihm entgegen und erzählte ihm von dem unheimlichen Gast. Da fuhr der Müller wütend auf den Fremden los; der aber tat, als würde ihm die größte Freundlichkeit erwiesen und beantwortete alles Schimpfen immer nur mit »Schönsten Dank!«

Der Müller hätt ihn am liebsten zur Tür hinausgeworfen, aber er sah, der Kerl war jung und stark, wer weiß, wie das ablief. »Mach mir denn mein Bett«, sagte er endlich zu seiner Frau, »ich bin müde.« Die Frau machte das Bett, der Fremde aber zog sich ohne weitere Umstände aus, sagte »Schönsten Dank!«, legte sich in die Federn und schlief bald wie ein Klotz. Mann und Frau hätten ihn am lieb-



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sten wieder hinausgeprügelt, aber sie fürchteten sich vor seinen Fäusten. Er blieb also liegen, und sie mußten sich ein Lager auf dem Fußboden machen. Inder Nacht aber, als alles schlief, stand der Geselle auf, legte das Steinchen in die Asche und ging wieder ins Bett. Frühmorgens weckte die Müllerin ihre Tochter, daß sie Kaffee kochte. Wie aber das Mädchen sich zum Herde bückte und den Mund spitzte, um die Funken wieder anzublasen, da machte ihr Mund auf einmal: Www. . . widewau, widewau, widewau.«Nichts als »Widewau«kam über ihre Lippen, und das Feuer ging nicht an. Da wurde ihr ganz angst, sie fing an zu weinen und lief zur Mutter. »Widewau Mutter, das Feuer, widewau, will nicht brennen, widewau, ach widewau Mutter, widewau, ach, was ist das doch, widewauwidewauwidewauwauwau.« Die Mutter warf die Kleider über, lief hin und versuchte es selbst. Kaum bückte sie sich aber zum Herd und spitzte den Mund, da mußte auch sie in einem fort rufen: »Widewau, widewau!« Der Müller, dem es mit dem Kaffee zu lange dauerte, kam dazu, schimpfte auf die Weibsleute, die gar nichts verständen, nahm die Zange, legte das Holz zurecht und wollte so recht aus Leibeskräften pusten.

Aber: »Widewau, widewau, widewau«, ging das auch bei ihm, »was zum Teufel ist da los, widewauwauwau.« Und Vater, Mutter und Tochter widewauten, daß einem die Haare hätten zu Berge stehen können. Endlich schickten sie die Tochter zum Nachbar Küster, vielleicht wußte der Rat. »Guten Morgen, Herr Küster, widewauwauwau, kommen Sie doch mal, widewau, und helfen Sie uns, widewau, widewau, wir sind alle behext widewauwauwau, sagte der Vater widewauwauwau.« Der Küster dachte, schade um das Kind, es war doch sonst so gescheit, die hat ja ganz den Verstand verloren, und ging mit. Da standen Müller und Müllerin am Herde und schrien auch; »Widewau, widewau.« Als er nun endlich aus ihnen herausbrachte, daß sie hätten Feuer machen wollen und das nicht brennen wolle, sie aber seitdem das verwünschte Wort nicht loswürden, bückte er sich ebenfalls und spitzte seine Lippen, aber es ging ihm



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nicht besser. »Widewau, widewau, widewau-wau-wau«, fing auch er nun an. Da war nun guter Rat teuer. Es blieb nichts anderes übrig, als den Pfarrer zu holen, der konnte vielleicht den Zauber lösen. »Widewau, Herr Pfarrer, widewau! Ach, kommt doch, widewau; wir wissen uns nicht zu helfen, widewauwauwau«, so kam atemlos die Müllertochter zum Pfarrer gelaufen. Der folgte ganz erstaunt dem Mädchen, um zu sehen, was es da gäbe. Da fand er denn die ganze Gesellschaft am Herde stehn und »widewau -das Feuer -widewau, widewau -will nicht angehen« — so heulten sie durcheinander. »Widewau, Herr Pfarrer, ach vertreibt doch nur den bösen Geist, widewau-wau-wau, da in dem Herd«, so rief der Müller. »Widewau, ich will auch ein ganz anderer Mensch werden, widewauwauwau, ich will nicht mehr grob und geizig sein, widewau, widewau.« Der Pfarrer rückte seine Brille zurecht und setzte sich gegen den Herd in Bewegung. —Und jetzt spitzt ihr natürlich alle darauf, wie es Hochehrwürden wohl ergehen wird. Das könnte euch wohl passen - aber das weiß kein Mensch auf der ganzen Welt.

Denn inzwischen war der Fremde nebenan von dem Lärm munter geworden und hatte rasch seine Kleider übergeworfen. Wie er hörte, was der Müller gelobte, kam er herein, sah das gute schöne Kind, wie es mit den andern um die Wette widewaute, und sagte zum Müller: »Ich will Euch von diesem Zauber befreien, wenn Ihr mir versprecht, daß ich Eure Tochter zur Frau bekomme.« —»Widewau, du sollst sie haben, widewau, und die Mühle dazu, widewau, wenn du uns befreist«, rief der Müller. Der Bursch bückte sich, stocherte ein wenig die Asche auf und nahm unbemerkt das Steinchen daraus hervor. Dann schichtete er das Holz übereinander, blies hinein, und im Nu brannte es hell und lustig, und sofort konnten wieder alle ordentlich und vernünftig reden, und von widewau war nichts mehr zu hören. Der Müller aber hielt Wort; er gab dem jungen Gesellen seine Tochter zur Frau, und der Pfarrer verlobte sie sogleich. Damit waren beide sehr wohl zufrieden, denn sie fanden großes Wohlgefallen aneinander. Das junge Paar mußte nun die Wirtschaft



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übernehmen, und so hatte die Not des jungen Müllerburschen ein Ende. Doch vergaß er im Glücke auch seine armen Eltern nicht, unterstützte sie reichlich, und so waren alle glücklich ihr Lebtag. Und auch der Müller war von seiner Grobheit und seinem Geiz kuriert.


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