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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Dolmetsch

Ein Herr und sein Knecht ritten eines Abends in der Dämmerung zu einem Hause mit einem Stall. Es war ein Gasthaus. Weitherum kein anderes Gebäude. Der Herr sagte zum Knecht: »Geh schnell hinein und schau nach, ob es Platz hat für uns und für die Pferde.« Der Knecht sprang vom Pferd und ging ins Haus. Da war nur ein Mädchen ganz allein in der Küche. Er fragte, ob der Herr im Hause sei, und sie sagte: »Nein, was wollt ihr?« —»Ich wollte nur fragen, ob wir hier übernachten könnten, ob ihr Platz hättet für den Herrn, für mich und auch für unsere zwei Pferde.« — »Platz haben wir genug, aber ihr seid hier in einem schlimmen Hause, hier wohnen Räuber und Mörder. Weitergehen aber nützt euch nichts, ihr kommt in ihre Hände.« Der Knecht sagte: »Wie viele sind es denn?« Das Mädchen sagte: »Es waren ihrer zwölf, aber jetzt fehlen vier schon eine gute Zeitlang; entweder wurden sie gefangen, oder sie mußten fliehen.« — »Nun, so erkläre mir genau ihr Benehmen und wie es hier im Hause zu- und hergeht.« Da sagte sie ihm: »Sie kommen herbei, zwei, vielleicht drei, dann wieder andere und so alle acht. Jeder geht in sein Zimmer hinauf, kleidet sich um und kommt herunter wie ein Herr. Sie kommen in die Stuben und sehen euch da. Sie sind freimütig und guten Humors, reichen euch die Hand und heißen euch willkommen. Inzwischen wird der Tisch gedeckt und das Nachtmahl aufgetragen: zuerst die Suppe und dann zwei Arten Fleisch, Kartoffeln und Gemüse. Zuletzt wird ein großer gedeckter Topf aufgetragen, und dieser ist gefüllt mit Pistolen und Dolchen. Es sind alles schon geladene Doppelpistolen. Wenn das Essen beendigt ist und ein jeder einen sauberen Teller hat, nimmt der Hauptmann den Topf, deckt ihn ab und verteilt die Pistolen und die Dolche an die Männer. Dann geht das Morden los.« Da sagte der Knecht zum Mädchen: »Gut, nun weiß ich alles. Nun müßt Ihr«, sagte er zum Mädchen, »diesen Topf vor mir auf den Tisch stellen.« Er ging dann zum Herrn hinaus. Der Herr war ganz erbost, rutschte auf dem Pferd herum und sagte: »Das muß kurzweilig gewesen sein, daß du nie kamst. Wie steht's eigentlich, können wir hierbleiben oder können wir weitergehen?« Er sagte: »Nein, nein, wir können hierbleiben, das ist ein gutes Haus.

Da sprang der Herr vom Pferd. Sie stellten die Pferde in den Stall und gaben ihnen einen Armvoll Heu. Dann gingen sie ins Haus, in die Stube, und es ging nicht lange, so kamen Männer ins Haus und, wie das Mädchen gesagt hatte, gingen sie erst in den oberen Stock und kamen



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bald wie Herren in die Stube und hießen die Gäste willkommen. Das Mädchen kam und deckte den Tisch fürs Nachtessen. Sie luden dann auch den Herrn ein, mit ihnen zu speisen, und da der Herr sich dann auch gesetzt hatte, ging der Knecht hin und setzte sich neben ihn. Der Herr warf dem Knecht einen strengen Blick zu, als ob er sagen wollte, er gehöre nicht hierher. Der Knecht sagte: »Heute abend bin ich auch Herr!« Die Männer verstanden das und sagten: »Ach ja, ein Knecht darf das eine und das andere Mal auch Herr sein«, und sie lachten darob. Dem Herrn gefiel es nicht, so viele Männer und keine Frauen zu sehen. Da brachte das Mädchen das Abendessen, eines nach dem andern, wie sie es gesagt hatte.

Und als der Topf kam, ließ der Knecht kein Gras wachsen, deckte ihn ab, ergriff mit jeder Hand eine Doppelpistole und schoß. Ihrer vier fielen, und die andern waren so überrascht, daß sie sich nicht zu helfen wußten - und befahlen, dem Herrn zu helfen. Und der Knecht rief dem Herrn, er solle helfen. Und so gelang es ihnen, alle acht niederzumachen.

Die Nacht verging mit wenig Schlaf. Am Morgen fütterten sie frühzeitig ihre Pferde, um Richtung Lukmanier weiterzureisen. Das Mädchen wollten sie mit sich nehmen und sagten, sie möge das Geld der Diebe herausgeben. Sie sagte, sie habe nie Geld gesehen, die Räuber brachten ihr alles, was sie brauchte. Der Herr glaubte nicht gern, daß kein Geld im Hause sei. Und das Mädchen aber wollte nicht mit ihnen gehen, es wollte allein zurückbleiben. Der Herr sagte: »So bleib denn, aber gut wird es dir nicht ergehen!«

Später kam ein Mann mit einem Holzgespann an diesem Haus vorbei. Wie er das Haus hinter sich hatte, sprang ein Mädchen aus dem Haus und lief dem Mann nach und bat ihn, ihr ein Hanf- oder Lederseil zu geben. Dieser sagte: »Ich kann das nicht geben, ich brauche alles, was ich habe.« Das Mädchen wandte sich um, weinte und ging ins Haus, und nachher hat niemand mehr vom Mädchen weder etwas gesehen noch gehört.


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