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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Die Ziege des Schmiedes

Es waren einmal in einem Dorfe ein Mann und eine Frau. Der Mann war Schmied, und sie verdienten ihr Brot mit ihrem Handwerk. Kinder hatten sie keine, und sie lebten zusammen, zufrieden mit ihrem Los, in einfachen, aber hinlänglichen Verhältnissen. Sie hatten einen kleinen Stall, in dem sie einige Ziegen hielten, um Milch zu haben und um etwa eine Hausmetzg, einen Braten und einige Würste zu machen.

Eines Tages nun, es ging gegen den Herbst, sagte die Frau zu ihrem Mann: »Hör mal, es scheint mir, unsere Braune gibt keine Milch mehr und frißt etwas viel Heu, und ich glaube nicht, daß es sich lohnt, sie über den Winter zu behalten. Wir wollen sie mästen und eine gute Hausmetzg machen.« Und der Mann sagte: »O ja, wenn du meinst, wollen wir das machen. Im Frühjahr haben wir vielleicht ein Zicklein von der andern Ziege, und so wollen wir diese töten. Wir haben genug Milch von der andern.«

Und so verging der Herbst. Und eines Tages sagte die Frau: »Ich habe den Kalender angeschaut und glaube, der zweite Dezember, das ist ein gutes Zeichen, das Zeichen des Löwen. Das ist ein gutes Zeichen für die Metzg. Ich will am Nachmittag zu unsern Nachbarinnen hinübergehen und sie bitten, daß sie kommen möchten, um uns bei der Hausmetzg behilflich zu sein. Wir helfen ihnen auch.« Und die Frau ging einen Besuch machen und wünschte, daß jene am 2. Dezember kämen, da sie die Braune metzgen wollten. Und die Nachbarinnen waren sofort einverstanden und wußten, daß es an einer Hausmetzg eine gute Verpflegung gab, und sie versprachen, am zweiten, 4 Uhr morgens zu kommen.

Und der Schmied hatte alles zurechtgelegt, was nötig ist. Er hatte den Vorraum des Hauses hergerichtet, den großen Hammer herbeigeschafft, um der Ziege den Schlag zu geben, hatte die Messer geschliffen, um das Fleisch zu schneiden, und andere Werkzeuge, die man bei der Hausmetzg gebraucht, bereitgestellt.



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Und die Frau hatte Küchlein gebacken und im Laden eine besonders gute Sorte Kaffee und eine Flasche Branntwein gekauft. Sie waren es gewohnt, im Winter, wenn sie auf der Ofenbank saßen, hin und wieder ein Gläschen zu nehmen.

Am Morgen um 4 Uhr klopfte es, und die beiden Nachbarinnen kamen. Sie waren gut eingewickelt in Tücher, sagten der Schmiedin guten Tag und klagten, daß es sehr kalt, aber gutes Wetter zum Metzgen sei, denn die Hausfrauen liebten eine nicht zu hohe Temperatur für die Hausmetzg. Die Nachbarinnen kamen herein, und die Schmiedin lud sie in die Stube, damit sie ihre Kopftücher ablegen und ihre Arbeitsschürzen anziehen konnten.

Inzwischen war der Schmied im Stall gewesen, hatte die Ziege in den Vorraum des Hauses heraufgeführt und sie an einen der Ringe gebunden, die für solche Zwecke bereitstanden. Dann nahm er seinen großen Hammer und versetzte der Geiß den Schlag. Die Geiß fiel hin, ohne einen Mucks zu machen. Dann nahm er sie und legte sie auf die Bank. Indessen waren die Hausfrauen aus der Stube gekommen, die Schmiedin und die beiden Nachbarinnen, und begannen nun das Tier zu enthäuten.

Nachdem diese Arbeit erledigt war, sagte die Schmiedin, bevor es ans Schneiden des Fleisches ging: »Nun wollen wir, liebe Nachbarinnen und du, lieber Mann, in die Stube gehen, denn ich habe den Imbiß bereitgestellt. Zum Schneiden des Fleisches braucht es Kraft, das ist eine langweilige Arbeit. Nach dem Imbiß wollen wir dann die Arbeit wiederaufnehmen.« Die Nachbarinnen machten einige Umstände, wie das der Brauch ist, und meinten, diese Arbeit mache man ohne Zwischenverpflegung. Das waren aber bloß Redensarten und Komplimente, und gerne genug gingen sie dann in die Stube und ließen sich die guten Sachen, die die Schmiedin zubereitet hatte, munden. Auch den Schnaps schütteten sie nicht in die Schuhe.

Aber während der Schmied und die Frauen drinnen waren beim Essen und Trinken, was geschah? Die Ziege hob den Kopf und schaute herum, denn des Schmiedes Schlag hatte sie nicht getötet, sondern nur betäubt. Und wie sie bemerkte, daß sie sich halb enthäutet auf einer Bank befand und als sie all diese Gegenstände um sich herum erblickte, da sagte sie: »Ich glaube beim Eid, daß meine Brotherren mich töten und metzgen wollten. Das lasse ich mir aber nicht gefallen.«

Und mit einigen Sprüngen setzte sie von der Bank herunter, und mit ein paar weiteren Sprüngen jagte sie zur Haustür hinaus und fort in den Wald.



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Sie ging in den Wald. Es hatte schon zu tagen begonnen, und sie ging immer weiter in den Wald hinein. Wie sie immer weiter ging, kam die Geiß zu einer Hütte und dachte: >Das wäre was für mich, wenn ich da hineingehen könnte in diese Hütte und schlafen und ausruhen von allem, was ich erduldet habe. Ich bin sicher, daß ich von dem vermaledeiten Schmied ein paar Schläge an den Kopf erhalten habe, denn er wollte mich töten.<

Und sie ging hin und öffnete die Türe, die nicht mit dem Schlüssel geschlossen war, und erblickte in einer Ecke der Hütte ein schönes Lager aus frisch getrockneten Blättern, auf das sie sich hinstreckte, um bald fest einzuschlafen. Diese Hütte aber gehörte dem Fuchs. Dieser war frühmorgens beim Gevatter Wolf auf Besuch gewesen, und da es tagte, nahm er Abschied und machte sich auf den Heimweg. Ganz zufrieden und guter Dinge zog er seines Weges und erreichte seine Hütte. Er wollte eintreten, so wie er es gewohnt war, doch was? — Er fand die Türe geschlossen, und ganz erstaunt klopfte er an die Türe und rief: »Wer ist drin, öffnet sofort, das ist meine Hütte?«Aber statt einer Antwort hörte er nur ein gräßliches Stöhnen. Das arme Füchslein wurde immer aufgeregter, und in seiner Verzweiflung wurde es immer böser und klopfte mit aller Kraft mit seinem Stock gegen die Türe. Da hörte es drinnen rufen: »Ich bin des Schmiedes Ziege, und wer hereinkommt, den werde ich fressen!«

Wie der Fuchs das vernahm, erfaßte ihn Angst und Schrecken, und er kehrte um und machte sich auf den Weg, um den Gevatter Wolf zu Hilfe zu rufen. Mitten auf dem Hinweg aber begegnete er dem Vöglein mit dem krummen Bein, das ihn begrüßte: »Mein liebes Füchslein, du schaust furchtbar erschreckt drein, was ist dir begegnet, ist ein Unglück geschehen?«

»Ach, mein liebes Vöglein mit dem krummen Bein, denk nur, ich war diese Nacht beim Gevatter Wolf zu Besuch, und wie ich heimkam und in meine Hütte treten wollte, fand ich die Türe verschlossen. Und ich lasse die Türe nie geschlossen, wenn ich fortgehe, denn es ist nichts drin in meiner Hütte. Und ich hörte ein schauriges Geräusch drinnen, und wie ich an die Türe klopfte und rief und fragte, wer drinnen sei, da schrie eine unheimliche Stimme heraus: >Ich bin des Schmiedes Ziege, und wer hereinkommt, den werde ich fressen!<

Und nun bin ich auf dem Wege zum Gevatter Wolf, um ihn zu Hilfe zu rufen, denn allein wage ich nicht mehr, in mein Haus zurückzukehren.«

»Na, na«, sagte das Vöglein mit dem krummen Bein, »das wird nicht



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so schrecklich sein. Komm du nur mit mir, wir wollen schon schauen, wer so frech gewesen ist, in deine Hütte hineinzugehen. Ich habe keine Angst.« —»Oh, wenn Ihr mir helfen wollt, Vöglein mit dem krummen Bein, so wäre ich Euch sehr dankbar«, meinte der Fuchs.

Und sie kehrten um und gingen mit großen Schritten zur Hütte des Fuchses zurück. Dort angekommen, klopfte das Vöglein mit dem krummen Bein an die Türe und rief mit starker Stimme: »Wer ist drinnen? Gebt augenblicklich Antwort, ich bin das Vöglein mit dem krummen Bein und will sofort eine Antwort haben!« Und wirklich rief es wieder aus der Hütte: »Ich bin des Schmiedes Ziege, und wer hereinkommt, den will ich fressen!«

»Und ich bin das Vöglein mit dem krummen Bein, und wenn ich hineinkomme, so schleife ich dich tot heraus«, antwortete das Vöglein. Und es nahm einen Stock und schlug mit ein paar Schlägen die Türe ein. Wie es die Ziege auf dem Lager erblickte, ging es hin und erschlug sie kurzerhand mit seinem Stock. Die beiden faßten dann die Ziege, zogen sie aus der Hütte heraus und warfen sie in eine Ecke.

Im Dorfe hatten inzwischen der Schmied, die Schmiedin und die beiden Nachbarinnen ihren Imbiß eingenommen, und der Schmied sagte: »Nun, meine Frauen, wir wollen hinausgehen und unsere Arbeit fortführen.« — Er öffnete die Türe der Stube und fiel beinahe um vor Schreck, denn er sah, daß die Geiß nicht mehr auf der Bank lag.

Der Schmied ging hinaus in den Vorraum und schaute in alle Ecken, wo sich die Ziege hätte versteckt haben können, eilte in den Stall hinunter, um zu sehen, ob sie vielleicht wieder auf ihrem Lager wäre, aber sie war nirgends zu finden.

Da sagte der Schmied: »In Gottes Namen, die Ziege muß geflohen sein, wir müssen ihr nacheilen und versuchen, sie zu fangen.«

Und der Schmied, die Frau und die Nachbarinnen, ein jeder ergriff irgendeine Waffe, dieser eine Sense, der andere einen Pickel, der dritte eine Schaufel. So bewaffnet, machten sie sich mit großen Schritten auf den Weg zum Walde. Sachte, sachte gingen sie immer weiter in den Wald hinein, spähten in alle Löcher hinein und kamen wirklich auf einmal zum Ort, wo der Fuchs und das Vöglein mit dem krummen Bein die Ziege hingeworfen hatten.

Froh, die Geiß gefunden zu haben, lud sie der Schmied auf seine Schultern und trug sie nach Hause, wo sie schließlich mit der Metzg weiterfahren und ihre Würste nach Belieben machen konnten. Und nun Märchen, Schwanz der Ziege, Schwanz der Maus, die auf die Mauer kletterte.


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