Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Von einem Esel, der Bürgermeister wurde

Es war einmal ein armes Karrenbäuerlein. Wie es hieß, weiß ich nicht mehr, aber es fuhr tagtäglich mit seinem Esel in den Wald, um Holz zu fällen. Das weiß ich desto besser. Einmal ging unser Bäuerlein nun wieder an die Arbeit. Als es den Esel angebunden hatte und selber auf einen Baum geklettert war, um das tote Holz herauszuschlagen, kamen zwei Herren vorbei, die riefen ihm zu: »Heda, Bäuerlein, wenn du nicht schleunigst von dem Aste heruntersteigst, auf dem du stehst, wirst du Hals und Beine brechen, ehe du noch zehnmal Atem holst. . . Der Ast bricht gleich ab!«

»Unsinn«, rief das Bäuerlein und schlug weiter Holz. Aber die Herren waren noch keine Minute fort, als es Krakerarakrak! machte. Das Bäuerlein fiel mit der Axt und dem Beil und seinem ganzen Kram zu Boden und war froh, mit einer blutigen Nase davonzukommen. >Sapperlot<,



Bd-09-242_Maerchen aus den Niederlanden Flip arpa

dachte es, >das waren bestimmt Wahrsager! Die muß ich doch noch einmal fragen.<Und er rappelte sich auf und rannte den fremden Reisenden nach.

»Holla! He! Ihr Herren! Ich habe da eine Bitte. Ihr habt mir die Wahrheit gesagt. Ich bin wirklich mit dem Zweig heruntergefallen. Darf ich euch wohl bitten, mir noch einmal die Wahrheit zu sagen, ehe ihr weiterzieht?«

»Gern, Bäuerlein«, sagte einer der Herren. »Also höre, was ich dir sage. Hüte dich, deinen Esel zu schwer zu beladen. Wenn er unter der Last zum drittenmal den Schwanz aufhebt, bist du mausetot.«

Das Bäuerlein zog die Mütze ab und dankte, und die Herren setzten ihren Weg fort. Aber da der Bauer kein Zweiglein liegen lassen wollte, packte er dem Esel doch zuviel auf, und dann ging es mit Hü! Hott! nach Hause. Als sie ein Ende Wegs zurückgelegt hatten, hob das Eselchen seinen Schwanz, es gab einen merkwürdigen Laut und der Bauer erschrak.

»Ach Eselchen! Eselchen! Was tust du da? Wenn du es noch zweimal tust, bin ich mausetot! Eselchen, tu's, bitte, nicht wieder!«

»I-a«, sagte das Eselchen, und es schleppte sich, daß es schwitzte. Und wieder gingen sie eine Weile, als der Esel unter der Last wieder den Schwanz hob. »Ach Eselchen, Eselchen! Bitte, tu es nicht mehr, sonst bin ich mausetot.« Aber sie hatten noch keine zwanzig Schritte gemacht, da tat der Esel es doch wieder, und der Bauer fiel hin, streckte alle viere von sich und rief: »Ich bin tot! Ich bin mausetot!«

Der Esel lief jedoch weiter bis ans Stadttor. Und da er ohne Fuhrmann kam, hielten ihn die Torwächter an und verkauften ihn.

Unser Bäuerlein lag aber noch immer auf dem Weg. Da kam eine Kutsche angefahren, und der Kutscher, der glaubte, daß es betrunken sei, rief: »He! Du! Steh auf, oder ich fahre über dich hinweg!«

»Ich bin mausetot!«rief der Bauer. Da sprang der Kutscher vom Bock und schwang die Peitsche über ihm, daß das tote Bäuerlein hinkend und heulend aufstand! »Wo mag bloß mein Esel sein«, jammerte es und machte sich auf die Suche. Nachdem er eine Weile gegangen war, kam er ans Stadttor und fragte die Schildwache: »Ach, bitte, lieber Herr, habt Ihr vielleicht meinen Esel gesehen?«

»Euren Esel?« sagte der Spötter. »Aber gewiß. Der ist schon lange durch und ist inzwischen Bürgermeister geworden!«

»Was sagt Ihr? Mein Esel . . . Bürgermeister? Bürgermeister!? Mein Esel?! Wo wohnt denn der neue Bürgermeister?«

Die Schildwache zeigte ihm den Weg, und er lief in einem Atemzug hin.



Bd-09-243_Maerchen aus den Niederlanden Flip arpa

»Tingelingting«, schellte das Bäuerlein. »Ist der Bürgermeister zu Haus?«

Der Bauer wurde zu dem richtigen Bürgermeister geführt. »Tag, Esel!« sagte er. Ihr könnt euch denken, was für ein Gesicht der machte!

»Tag, Herr Esel«, wiederholte der Bauer. »Ja, ja, nun bist du ein Herr Esel geworden, und ich, der ich so lange dein Meister war, bin noch immer das arme Bäuerlein von früher. Aber wo du jetzt ein so großer Mann geworden bist, Esel, komme ich und verlange die zehn Gulden zurück, die du mich gekostet hast. Ich möchte für das Geld einen Nachfolger kaufen.«

Aber mit dem Herrn Bürgermeister, der glaubte, man wolle ihn verspotten, war nicht gut Kirschen essen. Im Handumdrehen bekam das Bäuerlein so viele Schläge, wie auf seinen Buckel gingen, und es rannte davon, als ob ihm der Teufel auf den Hacken säße.

>Ja, ja<, dachte der Bauer, >wenn »nichts« zu »was« kommt, kennt es sich selber nicht mehr! Aber mit alldem ist mein stockdummer Esel nun doch Bürgermeister geworden!<


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt