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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Von dem Bauern, der mit Lügen eine Königstochter gewann

Es war einmal eine Königstochter, und die war sehr schön, aber niemand sollte sie zur Frau bekommen, wenn er sie nicht dazu brächte, »Du lügst!« auszurufen.

Grafen und Barone, die Söhne der reichsten Familien im ganzen Lande fanden sich zu Hunderten ein, aber keiner brachte es soweit, daß sie die beiden Wörtchen sagte.

Eines Tages kam ein Bäuerlein mit seinem Knecht vorbeigefahren. »Da muß im Königspalast etwas los sein«, sagte der Bauer, »es gehen soviele Herren ein und aus. Wenn ich nicht Pferd und Wagen bei mir hätte, ich glaube, ich ginge auch einmal hinein.«

»Nun, Bauer«, sagte der Knecht, »geht nur ruhig. Ich werde Pferd und Wagen wohl nach Hause bringen.« Der Bauer dachte nicht lange nach, sondern trat frank und frei in den Palast ein. Als er da mit seinem blauen Kittel unter all den großen Herren stand, fiel der Blick der Prinzessin auf ihn. »Vater«, sagte sie, »soll das Bäuerlein auch um meine Hand anhalten dürfen?«

»Warum nicht, Kind, der wird dich sicher nicht gewinnen«, antwortete der König lachend.

Da ging die Prinzessin zu dem Bauern und führte ihn im Palast umher, damit er Gelegenheit hatte, zu sprechen und . . . zu lügen. Auf ihrem Gang kamen sie in den Pferdestall. »Was wir für viele schöne und stattliche Pferde haben«, sagte sie, um etwas zu sagen.

»Ja, ja, es geht. Aber es ist doch ein Unterschied zwischen ihnen und meinen. Ich habe zu Hause einen Wallach, der ist so hoch, daß — mit Verlaub zu sagen - seine Äpfel schon getrocknet und verschimmelt sind, ehe sie zu Boden fallen.«

»Das mag sein«, antwortete die Prinzessin, als ob sie es glaubte, und dann gingen die beiden weiter zum Kuhstall.

»Viele schöne und große Kühe, nicht wahr?«sagte sie, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen.

»Wahrhaftig«, sagte das Bäuerlein, »aber, du lieber Gott! Prinzessin, du müßtest die meinen erst sehen. Es ist kaum zu glauben, aber ich habe zu Hause einen Ochsen, der ist so groß und breit, daß zwei Musikanten einander nicht hören, wenn der eine auf dem linken Horn die Trommel schlägt und der andere auf dem rechten die Trompete bläst.«

»Das glaube ich gern«, sagte die Königstochter, schon etwas trockener. So kamen sie zu dem Gemüsegarten. »Wie findest du unsere Kohlköpfe,



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Bäuerlein?«fragte die Prinzessin, »hast du so große jemals gesehen?«

»Die sind gar nichts«, sagte der Bauer, »da mußt du erst in meinen Garten kommen. Ich habe da einen Kohlkopf, nach dem die ganze Welt sieht. Wir hatten schon acht Tage davon gegessen, als gestern ein Regiment Soldaten vorbeizog. Und weil gerade ein Regenguß niederging, haben sie sich unter die Blätter gestellt, und keiner hat auch nur ein Tröpfchen abbekommen.«

»Das ist sehr gut möglich«, sagte die Königstochter kleinlaut. Nun standen sie vor den Bienenkörben. »Ob es wohl noch irgendwo so prächtige Bienen gibt?«fragte die Prinzessin.

»Du lieber Gott, was glaubst du wohl«, sagte das Bäuerlein. »Ich habe in meinem Korb eine Biene, die fliegt jeden Morgen aus, und abends muß ich sie dann auf dem Wagen einholen. Und stell dir vor, was ich am letzten Freitag erlebte. Sie war auf einen dicken Lindenbaum geflogen und ich konnte rufen, soviel ich wollte, sie kam nicht herunter. Schließlich kletterte ich selber auf den Baum, fiel aber herunter. Und ich schlug ein so tiefes Loch in die Erde, daß ich nicht mehr herauskam.

Da habe ich schnell meine Beine nach Hause geschickt, einen Spaten zu holen. So ist es mir doch noch gelungen. Das war ein Glück im Unglück. Und als ich heraus war, was glaubst du, was ich da neben dem Loch liegen sah . Einen Zettel! Und weißt du, was darauf stand? .

Daß Seine Majestät, dein Vater, der Sohn eines Lumpensammlers sei.« »Das lügst du!« rief die Königstochter böse.

»Und du bist gefangen«, rief das Bäuerlein und lachte und tanzte vor Vergnügen. Und so gewann es mit Lügen eine Königstochter.


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