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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Der kleine Däumling (Zweite Version)

Es war einmal eine Frau, die keine Kinder hatte. Sie wünschte sich sehr welche. Eines Tages hat sie sich gesagt:

»Wenn ich wenigstens eins hätte, das so groß wie der Daumen wäre.« Sie wäre zufrieden gewesen.

Und sie hat eins bekommen, das so groß wie der Daumen war. Sie war sehr zufrieden!

Dann hat sie gesagt:

»Wenn ich jetzt Brot backen muß, wenn ich meine Kühe hüten muß, oder auch wenn ich meine Hühner oder meine Schweine zu hüten habe, so werde ich sie von dem kleinen Däumling hüten lassen.« Man muß wirklich sagen, daß sie zufrieden war!

Dann schickte sie ihn eines Tages aus, um die Kühe zu hüten . . und das war in der Nähe eines Kohirabifeldes. Dann hat es angefangen zu regnen. Dann ist der kleine Däumling, weil er sonst keinen Unterschlupf hatte, für eine Weile auf das Kohlrabifeld gegangen, und dann sind die Kühe, die keinen Hirten mehr hatten, auch dorthin gekommen — und da sich der kleine Däumling unter eine hohle Kohlrabe gesetzt hatte, haben die Kühe ihn gefressen.

Dann ist seine Mutter, da sie ihn nicht zurückkommen sah, losgegangen, um ihn zu suchen. Er antwortete ihr aus dem Bauch der Kuli, aber es waren fünf oder sechs Kühe da, und er sagte immer wieder: »Ich bin im Bauch der weißen Kuh!«

Dann hat die Mutter die weiße Kuh schlachten lassen, und sie haben nichts gefunden. Dann rief er immer wieder:

»Ich bin in dem Bauch der roten Kuh! . .

Und sie haben alle ihre Kühe getötet. (Er war in der letzten.)



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Dann mußten sie natürlich das ganze Fleisch verkaufen oder doch weggeben. Und alle haben sich davon geholt: einige mit Kübeln, andere mit Tragkörben. Unter ihnen war ein Alter, der wirklich einen großen Tragkorb voll mitnahm. Er mußte einen Hügel hinansteigen. Und als er dann die halbe Anhöhe erreicht hatte, schnaufte er, er war erschöpft. Er war es, der den kleinen Däumling mit sich führte. Und der kleine Däumling, der sich in dem Tragkorb befand und der sein Schnaufen hörte, rief ihm zu:

»Wenn du den Hügel hinansteigst, kommst du außer Atem!« Da suchte der Alte in seinem Fleisch, ob er nicht irgendetwas findet. Er findet nichts. Er beginnt von neuem, den Hügel hinanzusteigen. Und da fängt es wieder an: »Wenn du den Hügel hinansteigst, kommst du außer Atem!«

Und so geht es immer weiter

Dann hat der Alte Angst bekommen: Er hat den Tragkorb losgelassen und das Fleisch liegengelassen ... und ist weitergegangen. Er hatte sehr große Angst.

Dann ist der Wolf vorbeigekommen: Er hat das Fleisch gefressen, und er hat den kleinen Däumling gefressen. Aber zwei oder drei Tage später hatte der Wolf Hunger, es hatte ihm den Magen erweitert, und er hatte Lust, noch mehr Fleisch zu fressen.

Er ist zu den Hirten gegangen, um Schafe zu packen. In diesem Augenblick, gerade als er bereit war, die Schafe anzugreifen, sagte der kleine Däumling, der in dem Bauch des Wolfes war:

»Paßt auf, Hirtinnen!

Der Wolf will eure Lämmer fressen!«

Es war der kleine Däumling, der da so in dem Bauch des Wolfes schrie. So ist es in dem Märchen!

Die Hirtinnen machten sich daran, den Wolf mit Steinwürfen, mit Spindel- und Stockschlägen fortzutreiben. Dann konnte er nicht mehr länger leben, er war am Ende: Er kam vor Hunger um! Dann trifft er eines Tages seinen Gevatter, den Fuchs. Der Wolf sagt zu ihm:

»Mein lieber Freund, ich kann keine Lämmer mehr fangen. Ich bin tot vor Hunger.«

Dann erzählt er ihm, was in seinem Bauch vor sich geht, daß etwas Lärm macht und immer sagt:

»Paßt auf, Hirtinnen!

Der Wolf will eure Lämmer fressen!«

»Und dann schlägt man mich bunt und blau!«



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Da sagt der Fuchs zu ihm:

»Mein Lieber, ich werde dir ein Mittel sagen.«

Und der Fuchs sagt zu ihm:

»Du wirst jetzt zu einer bestimmten Stelle gehen: dort stehen zwei Büsche nahe beieinander. Zwischen ihnen gehst du hindurch und immer wieder hindurch, bis dir das Fell zerschunden ist.«

Er geht zwischen den beiden Büschen hindurch, aber es hilft rein gar nichts. Er hat wieder den Fuchs getroffen, und er hat ihm gesagt, daß es rein gar nichts geholfen habe.

»Nun«, sagte der Fuchs, »ich werde dir ein anderes Mittel sagen.« Und er sagt zu ihm:

»Du gehst jetzt zu einem Feld, in dem ein Tümpel ist; du setzt dich mitten hinein, schön mit dem Hinterteil hinein . . . Und dann wartest du bis zum nächsten Morgen. Ich werde nach dir schauen.«

Dann kommt der Fuchs am nächsten Morgen vorbei. Er sagt zu ihm: »Nun, mein Alter, jetzt bist du wirklich geheilt, du bist zufrieden. Du läßt deine Zähne sehen: du lachst!« Es war Winter. Der Wolf war in dem Tümpel erfroren, tot. So war es ihm ergangen. Und der kleine Däumling war befreit. Und seitdem hat man ihn nicht mehr gesehen — weil es ein Märchen ist.

Und jetzt ist's zu Ende!


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